Der Vater in der Erziehung
Menschsein als Mann, Frau und Kind
Der Sohn
Ich erwarte den Vater vom Feld.
Er hat mir versprochen, den Drachen zu flicken …
Wolfdietrich Schnurre
Um herauszuarbeiten, welche Bedeutung der Vater für die Erziehung hat, sei zunächst der Blick auf dasjenige gelenkt, was zwischen Vater und Mutter steht: das Kind. Es ist weder Mann noch Frau, und bis zur siebten Schwangerschaftswoche zeigt der Embryo noch die Anlagen für die Fortpflanzungsorgane beiderlei Geschlechts. Danach geschieht die Rückbildung der Fortpflanzungsorgane des jeweils anderen Geschlechts. Erst jetzt beginnt die geschlechtsbestimmende Wirksamkeit der entsprechenden Chromosomen: Die Fortpflanzungsorgane werden angelegt und verbleiben in einem funktionellen Ruhestadium bis zur Vorpubertät, ab welcher sich dann ihre eigentliche Entwicklung bis zur vollen Funktionstüchtigkeit vollzieht. Das Kind vor dem neunten Lebensjahr hat noch wenig von geschlechtsspezifischem Charakter in leiblicher und seelischer Hinsicht an sich – es ist in erster Linie Kind und lebt in diesem Zwischenbereich des rein Menschlichen.
Zur Aufgabe des Vaters
Vater sein ist ein biologisches, seelisches und geistiges Phänomen. Diese drei Aspekte des Väterlichen fallen nicht immer zusammen – weder zeitlich noch räumlich. Es gibt Väter, bei denen sich die Rolle des Väterlichen im Biologischen erschöpft. Andere wiederum haben mit dem Biologischen gar nichts zu tun, weil sie nicht die leiblichen Väter sind, und sie erfüllen trotzdem voll ihre seelische Vaterschaft. Darüber hinaus gibt es eine geistige Dimension, von der man zwar den Eindruck hat, dass sie heute noch eine geringe Rolle spielt, die aber dennoch eine wesentliche Komponente des Vaterseins ist.
Wie kann die Mutter die Aufgabe des Vaters unterstützen?
Ist der Vater nur »Gast« in der Familie, da er durch seinen Beruf sehr viel auswärts sein muss, so ist es das Beste, wenn die Mutter diese Situation bejaht und nicht immer wieder insgeheim damit hadert. Gelingt es ihr, dankbar zu sein, wenn der Vater dann gelegentlich auch einmal das eine oder andere mit den Kindern macht (was sie sich natürlich wesentlich öfter gewünscht hätte), so ist das schon sehr viel.
Geben und Empfangen: Zum geistig Väterlichen und Mütterlichen
In der Vorschulzeit herrscht bei den Kindern die Offenheit und das Empfangenkönnen ganz und gar vor. Sie fragen nach allem, sie ahmen es nach und nehmen vieles auf. So gesehen wären die Kinder dieses Alters überwiegend weiblich gestimmt, das heißt aufnehmend, offen. Deshalb fühlen sie sich in der mütterlichen Sphäre auch ganz verstanden und aufgehoben. Wenn sie dann in die Schule kommen, wollen sie etwas von sich geben, sie melden sich, fragen nach, untersuchen und werden zunehmend produktiv und schöpferisch. Sie wollen eigentlich immer tätig sein und sind traurig, wenn es ihnen langweilig wird. Dann kommen sie und sagen: »Was soll ich jetzt machen?« In dieser Zeit sind die Kinder – so gesehen – eher etwas männlich. Nach der Pubertät jedoch kommt beides in der geistigen Entwicklung zusammen und findet in der Gesprächsbereitschaft Ausdruck und Entwicklungsmöglichkeit.
Fragen zum Thema
Frage: Ich arbeite als Erzieher, das heißt als Mann in einem Frauenberuf. Ist das aus Ihrer Sicht vertretbar, wenn doch in der Vorschulzeit das mütterliche Element vorherrscht?
Antwort: Ich bin in meinen Ausführungen bewusst auf die Frage des Rollentausches nicht eingegangen. Selbstverständlich lässt sich die seelische und geistige Vater- und Mutterschaft geschlechtsunabhängig entwickeln und im Umgang mit den Kindern zur Ausübung bringen. Ein Erzieher wird unwillkürlich mütterliche Eigenschaften ausbilden, weil sie von den Kindern ganz selbstverständlich aus ihm herausgelockt werden.
Frage: Mir gefällt die Zuordnung von Geben und Empfangen zum väterlichen und mütterlichen Element nicht.
Antwort: Die Frage ist, wo grundlegende Unterschiede und Gemeinsamkeiten bei Mann und Frau sind. Es ist nun einmal so, dass bei der geschlechtlichen Vereinigung von Mann und Frau Geben und Empfangen in dieser Weise zugeordnet sind. Bemerkenswert ist, dass das seelische und geistige Leben bei Mann und Frau ähnlich gestaltet ist. Das seelische Leben ist bei beiden mehr empfangend, die geistige Aktivität des Denkens mehr impulsierend und gebend. Weil das so ist, können männliche und weibliche Eigenschaften in seelischer und geistiger Hinsicht von beiden Geschlechtern entwickelt und verwirklicht werden.
Beitrag einer Mutter: Mein Mann ist ein Vater, der eigentlich eine bessere Mutter ist. Immer wenn ich etwas anzweifle, fühlt er instinktiv das Richtige. Er braucht gar nicht viele Worte zu machen. Wenn irgendetwas passiert ist und ich mich furchtbar aufrege, dann kommt er nach Hause, lässt sich von seiner Tochter alles erzählen und sagt dann nur: »Das ist nun einmal so«, und dann machen wir das und das, und alles ist wieder gut. Auch wenn ich dann wieder Zweifel habe, ob das richtig ist, was getan wird, sehe ich doch, wie es auf meine Tochter wirkt und wie sie sich dann wieder geborgen fühlt.
Ein anderer Beitrag: Ich habe so eine Erinnerung an meine Mutter. Wenn es irgendwo Krach gab und man lief zu ihr, dann brauchte sie nur ein Wort zu sagen, und alles war wieder in Ordnung.
Ein weiterer Beitrag: Sie sagten vorhin in Ihrem Vortrag, dass die Persönlichkeit des Vaters dadurch dem Kind wahrnehmbar wird, dass die Mutter den Grund zu der Vaterbeziehung legt, indem sie ein bestimmtes Bild von ihm hat und damit lebt. Sehen die Väter das auch so? Mein Mann hat einmal gesagt: »Abgesehen von der Schwangerschaft sind wir ja von nichts ausgeschlossen.« Es gibt aber auch Gegenstimmen bei uns im Bekanntenkreis, die sagen, ihr macht das ja die ersten Jahre doch allein. Die Männer kommen mal hin und wieder und erzählen eine Gutenachtgeschichte, meistens reicht jedoch die Zeit am Abend zu nichts mehr, und man kann höchstens mal am Wochenende zusammen etwas machen.
Antwort: Ganz unabhängig davon, ob wir es realisieren oder nicht, ist es doch so, dass wir häufig unterschätzen, wie stark die Wirkung von der Art und Weise ist, wie wir übereinander denken. Spricht die Mutter liebevoll vom Vater, so empfindet das Kind seine Wärme und Nähe, auch wenn er sich hin und wieder ganz anders dem Kind gegenüber benimmt, sodass es vielleicht sogar Angst vor ihm bekommt.
Ergänzung einer Mutter: Wir haben drei Söhne, und ich spreche sehr viel von »unserem« Vater, der sehr oft weg ist. Das erste Wort, das alle drei sprachen, war »Papa«. Das sagt eigentlich alles.
Frage: Ich habe eine Frage, auf die ich gern die Antwort eines praktizierenden Vaters hören würde. Kann man das wirklich so sehen, dass das Vaterbild in den ersten Jahren mehr oder weniger von der »Gnade« der Mutter abhängig ist?
Antwort eines Vaters: Es wurde uns eine Familie vorgestellt, bei welcher der Vater zeitlich wesentlich weniger Anteil nahm als die Mutter. Nun ist es ja heute keine Seltenheit mehr, dass Väter und Mütter zu gleichen Anteilen zeitlich mit der Erziehung zu tun haben und daher der Vater wesentlich mehr die Möglichkeit hat, sich selbst dem Kleinkind gleichsam »vorzustellen«. Wie wirkt das jetzt auf das Kind? Wirkt sich das nicht doch etwas anders aus, als wie es besprochen wurde? Ich könnte mir das schon denken.
Antwort: Da ich in meiner kinderärztlichen Tätigkeit überwiegend mit Müttern zusammenkomme, die über die Abwesenheit ihrer Ehemänner klagen, habe ich vielleicht in meinen Ausführungen die Bedeutung des Vaterbildes im Bewusstsein der Mutter überbetont. Selbstverständlich kann der Vater, wenn er das Kind mitversorgt und täglich mit ihm zu tun hat, auch von Anfang an eine direkte und persönliche Beziehung zu ihm anknüpfen. Man sollte jedoch trotzdem nicht unterschätzen, dass nie nur die direkte Beziehung für das Kind Bedeutung hat, sondern eben auch die Art und Weise, wie die Eltern voneinander denken. Gedanken und Gefühle sind entscheidende Realitäten, die das Familienklima bestimmen. Und von diesem Familienklima ist ein heranwachsendes Kind in hohem Maße abhängig.
Beitrag eines Vaters: Es liegt sicher auch viel an der Bequemlichkeit des Vaters, das Vaterbild des Kindes durch die Mutter prägen zu lassen. Wenn die Mutter dem Kleinkind ein bestimmtes Vaterbild vermittelt, ist dadurch zwischen Vater und Kind ein gewisses Verhältnis durch die Mutter gesetzt, was natürlich für den Vater vieles erleichtert. Das ändert sich natürlich, wenn der Vater selber mit dem Kind etwas unternimmt. Ich habe beispielsweise mit meinem Dreieinhalbjährigen viel im Haus...