1 Die Glotze bleibt aus
Ach ja, der Frühling 1982. Ein gewisser «E.T.» geistert in den USA zum ersten Mal durch die Kinosäle, zwei Wochen später setzt der Blade Runner mit Harrison Ford neue Maßstäbe. Nicole gewinnt mit Ein bisschen Frieden im britischen Harrogate den Eurovision Song Contest, während im Radio Der Kommissar von Falco seine Runden dreht. Spätere Prominente wie der Fußballer Kevin Kurányi, die Sängerin Kelly Clarkson oder die Schauspielerinnen Jessica Biel und Kirsten Dunst werden geboren. Und im beschaulichen München schickt sich ein Kind mit Migrationshintergrund an, erstmal auf die Welt zu kommen und selbige schließlich mit einem Lächeln zu erobern.
Ob die Hebamme, die Elyas M’Barek in der bayrischen Hauptstadt ans Licht zerrt, gleich ein Selfie mit ihm machen möchte, ist eher unwahrscheinlich. Denn die sind, genau wie handliche Mobiltelefone, noch gar nicht erfunden. Doch schon früh macht sich der Mix der beiden Eltern bemerkbar. M’Bareks Mutter ist eine katholische Oberösterreicherin aus dem Dörfchen Antiesenhofen, von ihr hat Elyas nach eigenen Angaben den Humor und das Talent, auch mal über sich selbst zu lachen. Außerdem die Staatsbürgerschaft, denn M’Barek ist und bleibt Österreicher, was die Zeitschrift Bunte dereinst dazu veranlasste, in einem Steckbrief bei Geburtsort «München, Österreich» einzutragen. Knapp daneben ist auch vorbei. Vom muslimischen Vater, der aus Tunesien stammt und in Deutschland als Lehrer arbeitete, kommt das Temperament. In späteren Interviews zeigt sich M’Barek dankbar für die liberale Sichtweise seiner Eltern. Nach eigenen Angaben zwingt keiner der beiden ihren Söhnen seinen Glauben auf.
Das väterliche Temperament hingegen kann Elyas schon bald gut gebrauchen. Denn seine größte Sorge ist es, nicht zeitig zu erscheinen und das Nachsehen zu haben. «Zu Kindergartenzeiten war meine größte Angst, dass ich morgens zu spät im Kindergarten ankam und die Playmobil-Ecke schon besetzt war. Jeden Morgen musste ich mich beeilen, um das Playmobil-Schiff zu bekommen. Das war meine Hauptsorge. Meistens habe ich das Schiff leider nicht bekommen. Später merkt man dann, was für ein angenehmes Leben man damals hatte, wenn das die größte Sorge in dem Alter war.»1 Im gleichen Interview verrät der Schauspieler auch, was seinerzeit in seiner Flimmerkiste und im Bücherregal groß angesagt war: «Balu fand ich super – auch Simba oder Dagobert Duck waren großartig. Am liebsten mochte ich aber die Comics mit Prinz Eisenherz.»2 Da kann die weibliche Fangemeinde aufatmen, dass sich M’Barek seinen Comichelden nicht als Vorbild für die Frisur genommen hat. Dafür machen ihm andere Dinge zu schaffen. In der vierten Klasse steht die Absolvierung eines «Fahrradführerscheins» an. Elyas ist nach eigenen Angaben der einzige, der zweimal durchfällt und die begehrte Auszeichnung erst nach dem dritten Anlauf bekommt. Ziemlich peinlich.
Und ein weiterer Punkt nervt den jungen Mann. Wenn sich die anderen Kinder über die neuesten Folgen von Das A-Team oder Der Mann aus Atlantis sprechen, kann M’Barek oft nur an der Seite stehen und zuhören. Denn in seinen jungen Jahren bleibt die Flimmerkiste häufig kalt. Tatsächlich sind Mama und Papa M’Barek keine großen Anhänger von bewegten Bildern, der Sohnematz darf nur ausnahmsweise Sesamstraße oder Löwenzahn gucken und ansonsten nur vor den Kasten, wenn Wetten, dass ...? läuft. Mit 15 wird sich Elyas einen eigenen Fernseher kaufen und innerhalb weniger Jahre die fernsehfreie Zeit aufholen. Zum Beispiel mit jeder Folge der US-Serie Baywatch. Ob sein Schauspiel vom Hauptdarsteller David Hasselhoff beeinflusst wurde, sei mal dahingestellt. Wahrscheinlich geht es dem Jungen eher um Pamela Anderson und ihre Rettungsbojen. Im Interview mit dem Magazin jetzt.de verrät M’Barek außerdem, dass seine damalige Schulliebe schwer in den Knight Rider verliebt war, weshalb Elyas eifersüchtig auf die behaarte Brust des Mimen blickt. Aber auch der gute alte MacGyver, der mithilfe einer Büroklammer und einer Kartoffel ein Atomkraftwerk bauen kann, hat es dem jungen Mann angetan. Allerdings ist er zu dieser Zeit nicht sonderlich wählerisch, was das Programm angeht. Hauptsache , es läuft etwas, um die eigene Fernsehsucht zu befriedigen. Auf die Frage, was genau denn noch so beim im Kinderzimmer gezeigt wird, antwortet er: «Nach der Schule erstmal die ganzen Talkshows. Die waren damals ja auch noch voll hip! Arabella Kiesbauer musste man schon gesehen haben, wenn man auf dem Schulhof mitreden wollte. Und ansonsten eben das volle Nachmittagsprogramm, was damals ja auch noch nicht ganz so mies war wie heute.»3 Diese These wird allerdings allein mit der Erwähnung der genannten Talkshow mit der kreischenden Münchnerin und ihren Unterschichtengästen ad absurdum geführt.
Wie bereits erwähnt ist Elyas nicht alleine unterwegs, er hat zwei kleinere Brüder. Der Mittlere studiert BWL und hält sich und sein Leben aus der Öffentlichkeit heraus. Am 28. Mai 1986, wird Elyas’ Bruder Joseph geboren, den es später ebenfalls ins Filmgeschäft verschlagen wird. Optisch sind die beiden nicht zu verwechseln, denn während Elyas eindeutig in Richtung Tunesien tendiert, sind bei Joseph, bei dem Namen könnte man es fast erraten, die österreichischen Gene dominierend. Blond und grünäugig ist der Bub, na da schau’ her.
Die Familie lebt glücklich und zufrieden in München, Elyas fällt in der Schule nicht sonderlich auf. Vor allem nicht durch gute Leistungen, denn der älteste M’Barek-Bruder ist nach eigenen Angaben ziemlich faul. Läuft es in den ersten Klassen noch einigermaßen gut für ihn, so kommt ihm schließlich die Pubertät in die Quere. Eben noch auf dem Gymnasium rutscht der junge Mann aufgrund einer latenten Null-Bock-Einstellung schließlich auf die Hauptschule ab. Dem Magazin Focus erzählt er: «Ich war ein Totalverweigerer in der Pubertät. Das ging mit 13 los. Zuhause die Tür zum Kinderzimmer zu, an der Wand ein Guns’n Roses-Poster. Laute Musik – und nicht gelernt, gar nichts. Null komma null Bock.»4 Dafür interessiert er sich für eine junge Dame aus seiner Parallelklasse, die er gerne für sich gewinnen würde. Elyas erste große Liebe. Aber seine Schüchternheit siegt. «Wir waren einmal im Kino und ich habe den ganzen Film überlegt, ob ich ihre Hand nehmen soll. Aber ich habe mich nicht getraut. Und dann war’s zu spät – der Typ aus dem Abi-Jahrgang hat sie bekommen.»5 Dafür wird der junge Münchner in dieser Zeit gerne mal dumm angemacht. Zwar nicht in der Schule, aber auf der Straße: «Ich musste mir schon oft ausländerfeindliche Sprüche gefallen lassen, oder dass ich mich «in mein Heimatland verpissen soll». Nur habe ich mich nie wirklich als Ausländer betrachtet. Ich spreche nur deutsch, bin in der deutschen Kultur aufgewachsen und lebe hier. Mir bleibt also gar nichts anderes übrig, als solche Sprüche am Besten zu ignorieren.»6
Zurück in die Schule. Statt sich um den Lernstoff zu kümmern, interessiert sich M’Barek altersgemäß eher für die angesagtesten Turnschuhe oder T-Shirts, die er an anderen Schülern bewundert, aber nicht bekommt. Mama und Papa bleiben hart, sie wollen ihrem Buben Werte und keine Konsumgüter mit auf den Weg geben. Elyas droht vielleicht auch deshalb, sich zum Schulchaoten zu entwickeln. Er gibt in dieser Phase auf dem Schulhof den Ton an: «Ich war einer der Vorlauten, wollte immer das letzte Wort haben. Aber ein Schwänzer war ich nie. Draußen rumzuhängen, war ja noch langweiliger als der Unterricht.»7 Trotzdem ist nicht jeder Lehrer sein Freund, was allerdings auf Gegenseitigkeit beruht: «Bei mir damals haben einige Lehrer einfach ihr Programm runtergespult und diejenigen, die nicht mithalten konnten, runtergemacht. Da hat man doch sofort keinen Bock mehr auf Schule. Meine Lehrer meinten oft, ich würde irgendwann unter der Brücke schlafen. Aber hey – ich kann meine Miete heute trotzdem zahlen.»8
Elyas muss mehrmals die Schule wechseln und bleibt dreimal sitzen. Nicht, weil er den Stoff nicht begreift, sondern weil er einfach nicht lernt. Abschreiben ist auch keine Lösung, weil er dafür nach eigenen Angaben einfach zu ungeschickt ist: «Ich hab’s ein paar Mal versucht, wurde immer erwischt und hab das dann aufgegeben. Ich habe entweder gar nicht oder richtig gelernt.»9 Vor allem die Fächer Mathematik und Latein wollen M’Barek so gar nicht zusagen, dafür läuft es in Deutsch ziemlich gut (mit seinem Lehrer aus dieser Zeit steht er sogar bis heute im Mail-Kontakt), Geschichte begeistert ihn. Aber die restlichen Noten reichen eben nicht aus, um das Klassenziel regelmäßig zu erreichen.
Und was machen verzweifelte Eltern in so einem Fall? Richtig, ab aufs Internat mit der Brut! Am besten auf ein römisch-katholisches (haha), damit mal ein...