1.1 Emotionen sind zunehmend relevanter für die Wissenschaft
In der Wissenschaft erlebt das Thema Emotionen einen regelrechten Hype. Es dringt in die unterschiedlichsten Forschungsgebiete auch außerhalb des Marketings hinein. So interessiert es die Forscher im Finanzbereich, welche Mechanismen im Behavioral Finance gelten und wie positive und negative Emotionen sich sekundenschnell verbreiten und zu starken Kursveränderungen führen können. Forscher im Bereich Human Capital Management interessieren sich für das Thema Behavioral Branding und wie Arbeitgeber eine starke emotionale Bindung zu den Mitarbeitern aufbauen und pflegen können. Es sind die unterschiedlichsten Wissenschaftsbereiche, die zum Diskurs anregen, forschen und das Thema weiterentwickeln. Das vorliegende Buch versucht auch einen Überblick über die Fortschritte in der Wissenschaft zu liefern, die Managern neue Hinweise geben, um sich selbst, ihre Mitarbeiter und vor allem ihre Kunden besser zu verstehen und mit Emotionen in einer modernen digitalen Welt positiv umzugehen und sie zu nutzen.
Der Begriff „Emotion“ wird oft als Synonym für das Wort „Gefühl“ verwendet. Der Versuch, eine umfassende Klärung des Emotionsbegriffs zu erreichen, füllt Bibliotheken, sie muss aber in jedem Fall drei wesentliche Aspekte mit einbeziehen: Emotionen bestehen immer aus einer körperlichen, einer psychischen und einer verhaltenssteuernden Komponente (Izard 1999).
Körperliche Komponente:
Emotionen bewirken einerseits körperliche Veränderungen, beispielsweise erhöhten Hautwiderstand, Anspannung der Muskeln, Verkrampfung, Verengung oder Erweiterung der Pupille, Schweißausbruch, Zittern, Magen- und Darmtätigkeit, schnelle Atmung sowie erhöhte Herzfrequenz. Körperliche Vorgänge, welche durch innere oder äußere Reize hervorgerufen werden, können von unterschiedlicher Intensität sein. Zudem können sie auf verschiedene Arten erlebt werden, als Spannung bzw. Erregung oder als Entspannung bzw. Beruhigung.
Psychische Komponente:
Emotionen veranlassen andererseits psychische Vorgänge – man wird sich des Ich-Zustands bewusst. Beispiele dafür sind das Herausgerissensein aus dem Normalzustand, aus dem Gleichgewicht sowie das Bewusstwerden von körperlichen Veränderungen. Die Wahrnehmung und das Denken verändern sich. Die körperliche Erregung kann beispielsweise als Freude, Trauer, Ärger, Zorn oder Angst empfunden werden. Befindlichkeiten, welche durch bestimmte Reize hervorgerufen wurden, werden qualitativ unterschiedlich erlebt und jeweils mehr oder weniger deutlich als angenehm oder unangenehm bewertet, begleitet von Lust oder Unlust.
Verhaltenssteuernde Komponente:
Von entscheidender Wichtigkeit für das Verständnis des Emotionsbegriffs ist, dass Emotionen nicht nur ein Zustand des Ichs sind, sondern das Verhalten ebenfalls beeinflussen. Ein bestimmtes Verhalten kann durch Emotionen aktiviert und gesteuert, aber auch gelähmt werden. Emotionen können zu Passivität verleiten oder ein Annäherungs- bzw. Vermeidungsverhalten auslösen (Izard, 1999; Kroeber-Riel u. Weinberg, 2003). Izard (1999) unterscheidet zehn primäre Emotionen, die im Ausdruck insbesondere in der Mimik von Menschen erkennbar sind. Die wohl aktuell verbreitetste Systematisierung ist jedoch das Emotionsrad von Plutchik, das in Abb. 1.1 dargestellt ist. Er unterscheidet die primären Emotionen Angst, Akzeptanz, Überraschung, Kummer, Ärger, Ekel, Antizipation und Freude. Hinzu kommen die gemischten Emotionen Liebe, Scham, Scheu, Enttäuschung, Schuldgefühl, Geringschätzung, Aggressivität und Optimismus.
Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Izard (1999) und Plutchik (1996)
Emotionen lassen sich im Sinne dieses Buches definieren als „innere Erregungsvorgänge, die angenehm oder unangenehm empfunden und mehr oder weniger bewusst erlebt werden“ (Kroeber-Riel u. Weinberg, 2003, S. 53).
Emotionen werden also durch innere oder äußere Stimulierung hervorgerufen und gelten als die grundlegenden Antriebskräfte des Menschen. Sie sind als subjektives Erleben der inneren Zustände einer Person zu verstehen (Kroeber-Riel u. Weinberg 2003).
„Emotionalisierung“ beschreibt die gewollte und gezielte Aufladung mit Emotionen.
Emotionen spielen eine herausragende Rolle für die Informationsverarbeitung im menschlichen Gehirn. Um nicht unter der Fülle an eingehenden Informationen in die Knie zu gehen, muss das menschliche Gehirn die wichtigsten Informationen selektiv herausfiltern. Dabei lässt es sich stark von den Emotionen leiten. Experimente haben verdeutlicht, dass Reize, welche keine bestehenden Emotionen oder Bedürfnisse ansprechen, bei der Wahrnehmung benachteiligt werden. Langanhaltende Emotionen, sogenannte „Stimmungen“, beeinflussen die Informationsverarbeitung und das Gedächtnis einer Person sowie die Beurteilung von Produkten (Kroeber-Riel u. Weinberg, 2003). In der Kaufverhaltensforschung wird Emotionen inzwischen die entscheidende Rolle beigemessen. Entgegen dem Bild des rational entscheidenden Menschen wird heute davon ausgegangen, dass 70 % bis 80 % aller Kaufentscheidungen emotional begründet sind (Häusel, 2004).
1.2 Emotionen haben für Unternehmen eine steigende strategische Bedeutung
Alle Unternehmen sind heute mit einer sich wandelnden Umwelt konfrontiert, die laufend an Dynamik und Komplexität zunimmt. Das Institut für Marketing Management an der ZHAW geht davon aus, dass sich diese Tendenz in den nächsten Jahren verschärfen wird. Gleichzeitig müssen sich Marketingverantwortliche nach innen oder besser gesagt nach oben für ihre Aktivitäten rechtfertigen und aufzeigen wie Marketing für das Unternehmen Werte generiert (Strandvik et al., 2014). Der reine Transaktionswert wird über den Abverkauf und über die damit erreichten Umsätze sichtbar. Das ist aber nur eine Seite der Medaille, denn mindestens gleich wichtig ist das Wertempfinden der Kunden nach einem Kauf, bei der eigentlichen Nutzung des Produktes. So ist zum Beispiel ein Bohrer, den ein Kunde kauft, wertlos, wenn er danach nie gebraucht wird, oder anders formuliert: Kunden kaufen eigentlich gar keinen Bohrer, um einen Bohrer zu besitzen, sondern sie brauchen ein Loch in der Wand (Kotler et al., 2007). Entscheidend ist also, wie sich der Kunde bei der Nutzung des Bohrers und weniger beim eigentlichen Kauf fühlt. Dies wird immer mehr Unternehmen bewusst und sie betreten teilweise Neuland, indem sie sich mit den Kundenprozessen und auch Emotionen auf Seite der Kunden beschäftigen, um diese besser zu verstehen. Unternehmen versuchen sich vor allem mit dem besseren Verständnis der Kunden und deren Emotionen langfristig gegenüber der Konkurrenz zu differenzieren (Kotler et al., 2007). Neben der Differenzierungsmöglichkeit bietet der Fokus auf die Emotionen der Kunden oft vielversprechende Wachstumsstrategien, indem neue Leistungen entwickelt werden können (Vargo u. Lusch, 2008).
Die zunehmende Bedeutung von Emotionen ist für alle Unternehmen relevant, die einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil anstreben, und es können diesbezüglich verschiedene Einflussfaktoren identifiziert werden. Die Digitalisierung gilt dabei als Treiber für die Veränderungen. So wirkt sie zum einen auf das Kundenverhalten, indem Kunden z. B. ihr Suchverhalten für neue Produkte verändern. Gleichzeitig haben Unternehmen gerade durch die Digitalisierung veränderte und neue Messmöglichkeiten. Die Digitalisierung verändert aber auch ganze Märkte, indem diese globaler und transparenter werden, der Konkurrenzdruck steigt und damit die Suche nach Differenzierungsmöglichkeiten über Emotionen. Sie bewirkt aber auch Veränderungen in den Unternehmen, indem Prozesse angepasst und Kulturen verändert werden oder das gesamte Unternehmen digital transformiert wird.
Quelle: eigene Darstellung
Abb. 1.2: Einflussfaktoren auf die zunehmende Nachfrage von Services
Die Zielvorgabe der Unternehmen ist es nicht nur, ihre Kunden zufriedenzustellen, sondern sie wollen sie regelrecht begeistern, sodass sie zu Fans werden und das Unternehmen und deren Leistungen stark weiterempfehlen.