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Endometriose - Mehr als nur Regelschmerzen

Die unerkannte Frauenkrankheit verstehen und behandeln

AutorTamer Seckin
Verlagmvg Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783961213849
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis2,99 EUR
Krämpfe, starke Blutungen oder Bauch- und Rückenschmerzen - die Symptome von Endometriose sind vielseitig und werden oft nicht sofort erkannt. Denn Endometriose ist mehr als nur Regelschmerz, es ist eine der häufigsten Frauenkrankheiten, mit teils gravierenden Folgen wie beispielsweise Unfruchtbarkeit. Der Endometriose-Experte Tamer Seckin hilft erkrankten Frauen nicht nur dabei, zu erkennen, dass ihre massiven Beschwerden nicht eingebildet, sondern real sind und es einen Namen dafür gibt, sondern stellt auch verschiedene Behandlungsmöglichkeiten vor. Mit einem Ausblick auf zukünftige Therapien wird sogar klar: Eine Heilung ist möglich!

Dr. Tamer Seckin ist renommierter Gynäkologe und Endometriose-Experte. 2009 gründete er gemeinsam mit der US-amerikanischen Filmschauspielerin und dem Model Padma Lakshmi die Stiftung 'Endometriosis Foundation of America'. Lakshmi litt jahrelang an Endometriose. Tamer Seckin praktiziert in New York.

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Leseprobe

1


Sie sind nicht verrückt


Als Lauren ihre erste Periode bekam, waren die Schmerzen in ihrer Beckenregion sehr stark. Sie war 13 Jahre alt. Ihre Freundinnen machten dieselben körperlichen Veränderungen durch wie alle Mädchen in diesem Alter, aber sie schienen nicht so starke Schmerzen zu haben. Lauren konnte kaum aus dem Bett aufstehen. Und wenn sie es schaffte, war es nicht sicher, dass sie bis in den nächsten Raum gehen konnte. Aber sie war eine hervorragende Schülerin und ging in der Woche, in der sie zum ersten Mal ihre Periode bekam, doch wieder in die Schule. Dort ging es ihr so schlecht, dass sie schließlich die Schulkrankenschwester um Hilfe bitten musste.

Die Krankenschwester riet Lauren, anständig zu frühstücken, dann werde ihr Leiden schon aufhören. Lauren wusste, dass das nicht der Fall sein würde. Sie erklärte der Krankenschwester, dass sie morgens nichts esse, weil ihr schlecht sei und sie ab dem Zeitpunkt, an dem sie aufwache, schlimme Schmerzen habe. Wenn sie etwas äße, müsste sie sich sofort übergeben. Lauren war klar, dass der Aufruhr in ihrem Körper nicht entstand, weil ihm Toast oder Müsli fehlten. Dennoch wurde Laurens Einwand abgewiesen.

»Sie sagte mir, ich solle auf sie hören und einfach mehr essen«, erzählte Lauren. »Und das war’s.«

Ich hätte nicht erwartet, dass im Jahr 1990, als Lauren dies widerfuhr, eine sich entwickelnde Endometriose bei einem Mädchen diagnostiziert worden wäre, das bei ihrer ersten Periode solche Schmerzen hatte. In Anbetracht der Tatsache, dass die weltweit renommiertesten Gynäkologen bis in die 1980er-Jahre wenig über die Krankheit wussten, kann man der Schulkrankenschwester nicht vorhalten, noch nie von dieser Krankheit gehört zu haben. Aber ich kann Ihnen versichern, dass sogar heute, mehr als ein Vierteljahrhundert nachdem Lauren geraten wurde, »mehr zu essen«, nur sehr wenige Menschen bei starken Menstruationsbeschwerden an die Entstehung einer Endometriose denken. Kaum jemand würde nach anderen Symptomen der Krankheit suchen, die sich womöglich bereits zeigen. Und viele Frauen wissen immer noch nicht, was Endometriose ist. Männern ist sie quasi gänzlich unbekannt, genau wie alles, was im Körper einer Frau vor sich geht. Ob Sie es glauben oder nicht, sogar einige Mediziner sind mit dieser schrecklichen Krankheit nicht vertraut oder wissen nicht, wie sie richtig behandelt wird. Dass die Wissenslücke rund um das Thema Endometriose so viele Jahre später noch so groß ist, ist erstaunlich, aber wahr.

Als Laurens Kranksein, obwohl sie mehr aß, nicht verging und immer mehr Symptome hinzukamen, einschließlich starker Schmerzen in den Knochen und Beinmuskeln, brachte ihre Mutter sie zum Kinderarzt. Und als ob die Empfehlung der Schulkrankenschwester nicht bereits lächerlich genug gewesen wäre …

»Der Kinderarzt sagte mir, ich müsse mehr spielen«, berichtete Lauren. Ja, mehr spielen. Stellen Sie sich vor, Sie sind ein verletzliches Kind mit unglaublichen Schmerzen, die von der Bauch- und Beckenregion hinunter in die Beine ausstrahlen, und Ihr Arzt sagt Ihnen so etwas. »Ich konnte es kaum glauben«, fuhr Lauren fort. »Ich war ein sehr aktives Mädchen. Ich schwamm und fuhr ständig Fahrrad. Meine Mutter musste mich jeden Abend suchen kommen, weil ich so viel draußen unterwegs war. Und ich sollte mehr spielen?«

Wie wunderbar wäre das Leben, wenn zusätzliches Essen und Spielen all unsere Leiden heilen könnten.

Als Lauren älter wurde, verstärkten sich die Schmerzen. Zurückblickend ist klar, dass sich die Endometriose manifestiert hatte, aber weder Lauren noch jemand sonst wusste, dass das die Ursache für ihr Leid war. Und traurigerweise nahm das wenige Mitgefühl, das sie erfahren hatte, immer mehr ab. Die letzten Schuljahre und das Studium hielt sie durch, indem sie an den Tagen, an denen sie ihre Periode hatte, nicht zum Unterricht ging oder sich mit Schmerzmitteln vollstopfte. Als sie aber nach der Schule ihre erste Arbeitsstelle antrat und jeden Monat, wenn sie ihre Periode hatte, anrief, um sich krankzumelden, ging das mit ihrer Chefin nicht lange gut. »Sie bemerkte, dass ich mich jeden Monat zur gleichen Zeit krankmeldete. Sie sagte: ›Kommen Sie wegen Ihrer Menstruation nicht in die Arbeit? Sie können deswegen nicht fehlen. Wir haben das doch alle!‹ Dabei hatte sie keine Ahnung, was für Schmerzen ich aushalten musste.«

Als nach und nach Darmprobleme, Nieren- und Blasenentzündungen hinzukamen, ebenso wie starke Schmerzen, die ihr durch die Wirbelsäule schossen, ging Lauren zu einem Arzt. Der führte einige Untersuchungen durch und tat anschließend, was viele Ärzte tun, die wenig oder nichts über Endometriose wissen: Er stellte die Fehldiagnose Reizdarmsyndrom. Er riet ihr, bestimmte Lebensmittel wegzulassen, verschrieb Antibiotika und sagte ihr, sie solle wegen der Nieren- und Blasenprobleme »mehr Wasser trinken«. Aber keiner der Ratschläge oder Medikamente wirkte, denn sie hatte kein Reizdarmsyndrom. Es war wie bei jemandem, der ein gebrochenes Bein hat und dem man den Arm eingipst.

Lauren ging zu einem anderen Arzt, um sich eine zweite Meinung einzuholen (eigentlich eine vierte Meinung, wenn man jene der Schulkrankenschwester und des Kinderarztes mitzählt). Trotz der hanebüchenen Diagnosen und falschen Medikamente, die sie im Laufe der Jahre bereits bekommen hatte, gelangte dieser Arzt auf der Skala des Diagnosewahnsinns ganz nach oben, denn er stellte Laurens geistige Gesundheit infrage.

»Er konnte nichts finden, was mit mir nicht stimmen konnte, und sagte, er glaube nicht, dass die Schmerzen real seien«, erzählte Lauren. So war’s. Seine professionelle Diagnose war, dass der Schmerz, der sich in der unteren Körperhälfte festgesetzt hatte, und der Laurens Leben seit Jahren zur Hölle machte, eigentlich weiter oben angesiedelt sei: im Kopf. Ihr zu sagen, dass sie sich mehr bewegen solle, wäre besser gewesen. Wenigstens hatte der Arzt, der ihr »mehr spielen« verordnete, erkannt, dass der Schmerz real war.

Lauren hatte sich noch nie so allein gefühlt wie nach dieser Diagnose. »Das ist der Moment, in dem man beginnt, die eigene Wahrnehmung anzuzweifeln. Man fängt an, sich zu fragen, ob das alles tatsächlich nicht real sei, ob man nicht verrückt geworden sei«, schilderte sie. »Entweder sie sagten mir, dass die Schmerzen, die ich fühlte, nicht existieren würden, oder sie gaben mir Medikamente und Ratschläge, die nicht halfen. Es war komplett sinnlos.«

Von ihrem 18. bis etwa zu ihrem 30. Lebensjahr nahm Lauren die Antibabypille, um zu verhüten. In dieser Zeit ließen die Schmerzen ein wenig nach (die Pille ist dafür bekannt, jenen, die unter Endometriose leiden, ein wenig Abhilfe zu verschaffen, worauf ich später noch eingehen werde). Aber sie waren trotzdem da und bestimmten ihr Leben. Als sie und ihr Mann eine Familie gründen wollten, setzte sie die Pille ab – und die Schmerzen verstärkten sich zu einem ihr bis dahin nicht bekannten Level. Vom Tagesbeginn an waren die einfachsten Tätigkeiten – aufstehen, duschen, ins Auto steigen – für sie fast unmöglich zu bewerkstelligen. Bei der Arbeit gab sie alles, zeigte sich rege und ausdauernd. Als sie aber abends nach Hause kam, ging kaum noch etwas – mit ihrem Mann intim zu werden, stand völlig außer Frage. Starke Kopfschmerzen kamen mit der Zeit auch noch dazu. Es war zu viel, sie konnte es nicht mehr ertragen.

Sie gab in einem Suchportal im Internet ihre Symptome ein und gelangte zu einer Schlussfolgerung, die kein Arzt in Betracht gezogen hatte.

»Ich ging zu meiner Frauenärztin und sagte ihr: ›Ich denke, ich habe Endometriose‹«, erzählte Lauren. »Meine Mutter hatte diese Krankheit und ich war nach dem, was ich gelesen hatte, fest davon überzeugt, dass ich auch betroffen war.« Lauren war sechs Jahre alt, als bei ihrer Mutter eine Endometriose diagnostiziert wurde. »Ich erinnere mich, dass meine Mutter immer große Schmerzen hatte und sehr traurig war, vor allem in der Zeit ihrer Periode«, sagte Lauren. »Wegen ihr wusste ich ja eigentlich, dass es Endometriose gab.«

Aber aus verschiedenen Gründen kam es Lauren nicht früher in den Sinn, dass sie selbst auch Endometriose haben könnte. Erstens dachten weder sie noch ihre Mutter, dass die Krankheit vererbt werden könne. Und zweitens haben viele Menschen inklusive verschiedener vertrauenswürdiger Ärzte versucht, sie davon zu überzeugen, dass es etwas anderes oder überhaupt nichts sei.

Und nun verwarf die Gynäkologin die Diagnose, die sich Lauren selbst gestellt hatte, obwohl sie auf Recherche und Erfahrung am eigenen Körper basierte.

»Sie sagte, es könne keinesfalls Endometriose sein«, berichtet Lauren. »Sie sagte, das sei eine solch schreckliche Erkrankung und ich würde nicht genügend der klassischen Symptome aufweisen, also gab sie mir einfach nur noch mehr Schmerzmittel. Aber...

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