Einleitung
Deutschlands renommierteste Studie zur Arbeitsplatzqualität
»Die Mitarbeiter sind unser wichtigstes Kapital«, »Was wir sind, sind wir durch unsere Mitarbeiter«, »Unser Unternehmen ist eine Familie« – auf Karriere-Websites, in Geschäftsberichten oder bei Vorträgen betonen Firmen gerne die Bedeutung ihrer Mitarbeiter1 für ihren Geschäftserfolg. Doch wie sieht die Realität aus? Handelt es sich dabei nur um leere Worthülsen oder stehen Arbeitnehmer tatsächlich im Fokus aller Bemühungen und erhalten die Aufmerksamkeit, die sie scheinbar verdienen? Wie beurteilen die Beschäftigten die erlebte Führung? Gelingt es Führungskräften hierzulande, die zentralen emotionalen Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter, wie beispielsweise Rückmeldung zur Arbeitsleistung oder Möglichkeiten zur Weiterentwicklung, zu erfüllen?
Diese und weitere Fragen untersuchen wir in Deutschland seit dem Jahr 2001 mit dem Gallup Engagement Index, der anhand von zwölf Kriterien zum Arbeitsplatz und -umfeld Auskunft darüber gibt, wie es um die emotionale Bindung von Mitarbeitern und damit um ihre Motivation bei der Arbeit bestellt ist. Emotional gebundene Beschäftigte sind mit Hand, Herz und Verstand bei der Arbeit. Daher ist emotionale Mitarbeiterbindung nicht mit Zufriedenheit zu verwechseln – denn ein gleichgültiger Arbeitnehmer kann trotzdem zufrieden sein. Im Kontrast dazu haben emotional gebundene Mitarbeiter einen inneren Antrieb, Spitzenleistung zu erbringen, und legen unaufgefordert Verhaltensweisen an den Tag, die die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen positiv beeinflussen.
Für den Engagement Index werden jedes Jahr mindestens 1000 abhängig Beschäftigte ab 18 Jahren nach einem mehrstufigen Zufallsprinzip ausgewählt und mittels computergestützter Telefoninterviews (CATI) befragt. Berücksichtigung finden dabei Frauen ebenso wie Männer, Vollzeitbeschäftigte genauso wie Teilzeitbeschäftigte, Arbeitnehmer aus allen Altersgruppen, Bildungsschichten, Berufsgruppen, Mitarbeiter aller Unternehmensgrößen und Branchen. Auch Arbeitnehmer, die eine Vorgesetztenfunktion innehaben, also Personalverantwortung für Mitarbeiter tragen, sind Bestandteil der Stichprobe. Kurz gesagt: Die Ergebnisse des Gallup Engagement Index sind repräsentativ für die Arbeitnehmerschaft in Deutschland.
Als wir den Gallup Engagement Index vor 17 Jahren zum ersten Mal in Deutschland durchführten, ging es uns vor allem um eine Bestandsaufnahme. Inzwischen hat er sich durch seine hohe Aktualität und Relevanz, Verlässlichkeit und Unabhängigkeit – Erhebung und Auswertung werden ausschließlich von Gallup selbst finanziert – als eine der renommiertesten, meistzitierten und umfangreichsten Studie zur emotionalen Mitarbeiterbindung in Deutschland etabliert. Die regelmäßige Durchführung der Untersuchung mit von Jahr zu Jahr identischen und variierenden Themen hat eine Datenbreite und -tiefe erzeugt, die belastbare Aussagen zu einer Vielzahl von arbeitsplatzbezogenen Aspekten zulässt und es ermöglicht, Entwicklungen im Zeitverlauf beobachten und kommentieren zu können. So stand zum Beispiel das Thema flexibles Arbeiten schon auf unserer Forschungsagenda, lange bevor es unter dem Stichwort »Homeoffice« in der breiten Öffentlichkeit diskutiert wurde. Unsere Datenreihe zu diesem Thema zeigte, dass »My home is my office« seitdem nicht zum Massenphänomen geworden ist. Im Jahr 2016 arbeiteten genauso viele Beschäftigte teilweise zu Hause wie bereits 15 Jahre zuvor. Allerdings hat sich der Anteil der Wochenarbeitszeit der Homeoffice-Gruppe erhöht: von 22 Prozent im Jahr 2001 auf zuletzt (2016) 30 Prozent.
Auch zu heiklen Themen wie Diebstahl am Arbeitsplatz wurden Erkenntnisse gewonnen. Sechs Prozent der Beschäftigten hierzulande erklärten im Jahr 2015, dass sie in den vergangenen zwölf Monaten bei der Arbeit etwas entwendet haben, wie beispielsweise Material, Werkzeuge, Papier, Briefumschläge, Stifte, Aktenordner oder Ähnliches. Beim Blick auf die demografischen Merkmale zeigte sich, dass es den typischen »Mitarbeitertäter« nicht gibt. Werden die Befragungsdaten auf die Arbeitnehmerschaft in Deutschland hochgerechnet, entspricht dies 5,4 Millionen Langfingern. Im Jahr 2016 gab es laut polizeilicher Kriminalstatistik 123 117 polizeilich erfasste Diebstähle aus Firmengebäuden.2 Nicht alle gehen dabei auf Mitarbeiter, sondern auch auf Kunden und Besucher zurück. Die polizeiliche Kriminalstatistik differenziert nämlich nicht nach Tätergruppen. Mit Blick auf die Daten aus dem Engagement Index bedeutet dies aber, dass sehr viele Diebstähle durch Mitarbeiter entweder unbemerkt bleiben oder zumindest nicht zur Anzeige gebracht werden.
Im Rahmen des Engagement Index wurde im Laufe der Zeit auch Überraschendes zutage gefördert, wie im Jahr 2004 der Befund, dass ein Viertel der Arbeitnehmer (25 Prozent) von ihrer Führungskraft im Arbeitsalltag nicht mit dem bevorzugten Namen oder Spitznamen angeredet wurde. Ein Anhaltspunkt dafür, dass sich Führungskräfte nicht genug mit ihren Mitarbeitern als Individuum auseinandersetzen. Übrigens: Auch durch Kollegen kam es zur Falschanrede, aber deutlich seltener (zwölf Prozent).
Nachdenklich stimmte im Jahr 2006 das Ergebnis, dass nur jeder zweite Beschäftigte (53 Prozent) seine berufliche Laufbahn unter Berücksichtigung seiner Talente eingeschlagen hat. Da scheint es wenig verwunderlich, dass die Mehrheit der Arbeitnehmer hierzulande eine Position ausfüllt, die ihnen nicht wirklich hundertprozentig liegt. Daran hat sich im Zeitverlauf wenig verändert. Damals wie zuletzt stimmte der Aussage »Bei der Arbeit kann ich jeden Tag das tun, was ich am besten kann« nur rund jeder dritte Beschäftigte ohne Wenn und Aber zu (2001: 31 Prozent; 2007: 33 Prozent; 2013: 38 Prozent; 2018: 36 Prozent). Dabei zeigte Gallups Forschung, dass in Arbeitsgruppen, in denen alle Teammitglieder der besagten Aussage uneingeschränkt zustimmten, die Produktivität gegenüber einer durchschnittlichen Arbeitsgruppe um 15 Prozent höher lag. Zum Vergleich: Teams, deren Mitglieder die zweitbeste Antwortoption auf einer Fünf-Punkte-Skala wählten, erreichten, verglichen mit einer durchschnittlichen Arbeitsgruppe, eine nur um ein Prozent höhere Produktivität.3 Der Unterschied in der Produktivität ist somit davon abhängig, inwieweit Arbeitnehmer ihre Talente und Stärken anwenden und nutzen können. Es macht also einen Unterschied, ob die Beschäftigten ihre Talente und Stärken voll und ganz oder lediglich, aber immerhin, einigermaßen gut einsetzen können.
Bei der Zusammenstellung der Daten für dieses Buch bestand die große Herausforderung nun darin, aus der Vielzahl von Themen und Ergebnissen diejenigen auszuwählen, die für eine breite Öffentlichkeit von Interesse sind. Dies war keine leichte Aufgabe, soll die Publikation doch datenbasiert Einsichten geben, Ansichten vermitteln, zur Reflexion anregen und inspirieren. Die Entscheidung fiel daher zugunsten von Aspekten, zu denen uns regelmäßig Anfragen erreichen oder die uns in unserer Beratungspraxis häufig begegnen, wie etwa – vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels – die Frage, wie sich die Treue der Belegschaft fördern und Fluktuation möglichst vermeiden lässt. Denn für 60 Prozent der Unternehmen hierzulande ist der Fachkräftemangel inzwischen das Geschäftsrisiko Nummer eins. Die Hälfte der Betriebe hat Schwierigkeiten, offene Stellen mit Fachkräften zu besetzen.4 Darüber hinaus werden auch regelmäßig grundlegende Fragestellungen an uns herangetragen, wie beispielsweise welchen Einfluss die Führungsqualität auf die Innovationskraft oder Kundenorientierung eines Unternehmens hat.
Bei der vorliegenden Publikation handelt es sich gegenüber der im Jahr 2014 erstmals erschienenen Buchfassung des Engagement Index um eine vollständig überarbeitete und erweiterte Ausgabe, das heißt, dass bestehende Kapitel durch die jeweils jüngst verfügbaren Daten aktualisiert sowie um neue Forschungsbefunde ergänzt wurden. Darüber hinaus wurde eine Vielzahl von neuen Themen aufgenommen, wie beispielsweise was Beschäftigten am Arbeitsplatz wichtig ist und wie zufrieden sie mit diesen Aspekten sind, wie die Chancengleichheit am Arbeitsplatz wahrgenommen wird oder wie es um die Quantität und Qualität von Mitarbeitergesprächen, die für das Performance-Management eine zentrale Rolle spielen, hierzulande bestellt ist.
Auch sind in die vorliegende Ausgabe bereits die Erkenntnisse unserer jüngsten Untersuchung (2018) eingeflossen, die unter anderem die Auswirkungen neuer Technologien auf die Arbeit und das Leben der Beschäftigten sowie die wahrgenommene Agilität des Arbeitgebers zum Gegenstand hatte. In diesem Kontext wurden verschiedene mit dem Thema Agilität in Verbindung stehende Komponenten und deren Realisierung untersucht.
Kern und Ausgangspunkt unserer Untersuchung bleibt jedoch die Frage nach der emotionalen Bindung der Arbeitnehmer an ihr Unternehmen. Und hier ergibt sich für Deutschland seit Jahren ein eher ernüchterndes Bild: Zuletzt (2018) verfügten nur 15 Prozent der Beschäftigten über eine hohe emotionale Bindung an ihren Arbeitgeber und gingen dementsprechend ihrer Arbeit mit Hand, Herz und Verstand nach. Demgegenüber hatten 14 Prozent der Arbeitnehmer die innere Kündigung bereits vollzogen.
In der Regel steigen die meisten Beschäftigten hoch motiviert in ein Unternehmen ein, werden dann aber durch Erfahrungen in ihrem Arbeitsumfeld zunehmend desillusioniert,...