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E-Book

Ente zu verschenken

Barfuß unterwegs zu mir selbst

AutorIris Rohmann, Schwester Jordana
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783644542112
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Berufung auf Umwegen Jordana Schmidt ist Mitte zwanzig und führt ein geselliges und fröhliches Leben wie die meisten ihrer Altersgenossen. Seit einigen Jahren jedoch wird sie von einer Idee getrieben, von einer verrückten Idee. Und eines Tages lädt sie ihre Freunde zu einer Party, auf der sie verkündet: Ich gehe ins Kloster! Jordana verschenkt alles, was sie besitzt. Selbst ihre heißgeliebte Ente. Viele sind schockiert: Warum tut sie das bloß? Sie hat doch das Leben noch vor sich, und sie ist so sympathisch! Auf solche Fragen antwortet die junge Frau irgendwann nur noch: «Für Gott nur das Beste.». Heute weiß Schwester Jordana, dass ein Leben als Ordensschwester keineswegs eine Abkehr bedeutet, sondern einen Schritt mitten hinein in die Fülle des Lebens. Doch sie weiß aus eigener Erfahrung auch, dass der «richtige» Weg meist nicht schnurgerade vor einem liegt und man ihn schon gar nicht in Siebenmeilenstiefeln zurücklegen kann. Dass jeder Mensch eine Berufung hat und sie auch finden kann, um seinem Leben einen tieferen Sinn zu geben, davon ist sie aber fest überzeugt. Mit einem Augenzwinkern und mit entwaffnender Ehrlichkeit erzählt Schwester Jordana von ihrem persönlichen Weg in den Orden und zu Gott. Sie berichtet von Zweifeln und inneren Kämpfen und beschreibt ungeschönt die Irrwege, die sie einschlug, bis sie schließlich den Ort fand, an dem sich bis heute alles richtig anfühlt: das Kinderdorf des Ordens der Dominikanerinnen von Bethanien. «Jesus muss in seinem Auftreten unwiderstehlich gewesen sein, obwohl er reichlich unpopuläre Standpunkte vertrat und sich gern mit denen umgab, die von der Gesellschaft als Abschaum definiert wurden. Glaubt man den Berichten der Evangelisten, wanderte er um den See Genezareth und traf auf zwei Fischer, die ihrer Arbeit nachgingen: Petrus und Andreas. Folgt mir nach, sagte er zu ihnen, ich will euch zu Menschenfischern machen.» Das war es auch schon. Und jetzt denken wir, die wir Jesus nicht persönlich gekannt haben, schon seit zweitausend Jahren darüber nach, was ein «Menschenfischer» ist. Verstanden wurde unter dieser Bezeichnung eine mühevolle Suche nach Wahrheit, ein Weg voller Blut und Schmerzen, Heldenmut und Leidenschaft, voller Irrtümer, aber auch Wunder, ein Weg, der die Welt verändert hat und bis heute verändert. Petrus und Andreas, die beiden Jünger, scheinen damals jedenfalls keine Verständnisprobleme gehabt zu haben. Sie hatten Jesus vor Augen, ließen alles stehen und liegen und gingen mit ihm. Berufung erfolgreich verlaufen. Das Gleiche wiederholte sich mit Johannes und Jakobus, und das ist natürlich der «Traum» von einer Begnadung, wenn alles sofort sonnenklar ist. Denn so einfach ist es nur für wenige. Wir anderen müssen erst herausfinden, wohin die Reise des Lebens führt, und warten, bis sich ein Bild ergibt, wie bei einem schwierigen Puzzlespiel. Auch ich fand leider keinen Zettel von Gott unter meinem Kopfkissen, auf dem geschrieben stand: «Ich möchte, dass du Dominikanerin von Bethanien wirst!»

Schwester Jordana Schmidt, 1969 geboren, ist Diplom-Heilpädagogin und Familientherapeutin. 1990 trat sie in ein Zisterzienserkloster ein und wechselte 1994 zu den weltoffeneren Dominikanerinnen von Bethanien. Von 2002 bis 2012 arbeitete sie als Erziehungsleiterin im Bethanien-Kinder- und Jugenddorf Schwalmtal-Waldniel. Seit Juli 2012 ist sie Kinderdorfmutter von fünf Kindern. Ganz im Sinne des Predigerordens ist sie oft unterwegs, um Vorträge und Predigten zu halten.

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Leseprobe

2. Das Kind, das aus dem Fenster flog –
und im Urvertrauen landete


Ich fliege. Wenn ich meine Arme ganz vorsichtig auf und ab bewege, dann bleibe ich in der Luft, gehe höher oder tiefer, je nachdem, wie kraftvoll meine Bewegungen sind. Es ist ein wunderbares Gefühl. Freiheit, Schwerelosigkeit, Glück! Selbst Hindernisse kann ich überwinden, wenn ich nur genug mit den Armen schwinge. Ich bin dem Himmel so nahe …

Ich wachte auf und fand mich in meinem Bett wieder. Mein Körper lag schwer auf der Matratze, die Decke hing quer über den Beinen, ich hatte sie wohl beim «Fliegen» weggestrampelt. Das Gefühl von Glück und Stärke aber blieb. Als Kind hatte ich oft Träume vom Fliegen, so realistisch, dass ich fast überzeugt war, es tatsächlich zu können. Woher kamen diese inneren Bilder? Aus Erzählungen meiner Eltern und unserer damaligen Nachbarn weiß ich, dass ich als Kleinkind einmal aus einem Fenster des ersten Stocks «geflogen» bin. Ich erinnere mich nicht konkret daran, aber wahrscheinlich war ich aus Neugierde auf die Fensterbank geklettert und hatte dann das Gleichgewicht verloren. Mir geschah dabei nichts. Keine Verletzung, kein blauer Fleck, nur ein kleiner Dorn, der in meinem Fuß steckte. Zufall? Glück gehabt? Ich weiß nicht, wer es mir in den Kopf setzte, aber in meinem Bewusstsein hatte es sich so abgespielt, dass Engel mich aufgefangen und auf den Boden getragen haben. Unsere Nachbarn hatten zwar definitiv keine Engel gesehen, aber für sie war es trotzdem ein Wunder, dass ich ohne eine Schramme auf dem Boden landete. Lange war ich «das Kind, das aus dem Fenster geflogen ist».

Womöglich war das Fenstererlebnis eines der ersten Puzzleteile, das mich für eine Berufung zum Ordensleben vorbereitete: Da war etwas Größeres um mich, das mich auffing, und daraus entwickelte sich das Gefühl, unter einem besonderen Schutz zu stehen. Ich nenne das Urvertrauen, und es beeinflusste mein Leben in vielen Situationen positiv, machte mir Mut, wo ich sonst vielleicht verzagt gewesen wäre. Träume spielten aber ebenfalls eine wichtige Rolle in meinem Leben. Denn nicht nur konnte ich in ihnen fliegen (heute passiert das leider nur noch manchmal), sondern ich lernte über Nacht auch manche Dinge, einfach so, vollkommen unerklärlich. Eines Morgens bat ich meinen Vater, die Stützräder von meinem Fahrrad abzuschrauben.

«Ich habe heute keine Zeit, um mit dir Radfahren zu üben», sagte er und nahm sich noch ein Stück Brot.

«Musst du auch nicht», erwiderte ich und reichte ihm auf einen Wink hin die Erdbeermarmelade, die meine Mutter selbst einkochte.

«Wir wollen doch nicht, dass du dir weh tust, oder?» Mein Vater deutete nachdrücklich mit dem Messer in meine Richtung.

«Ich falle nicht um. Ich kann ohne Stützräder fahren.»

Mein Vater wollte mich nicht in meiner kindlichen Zuversicht verunsichern, war aber offensichtlich skeptisch. «Natürlich kannst du das. Aber vorher sollten wir noch ein bisschen üben.»

Als er zu Ende gefrühstückt hatte, ging er mir zuliebe aber doch nach draußen und entfernte die Stützräder von meinem Rad. Als sie abmontiert waren, setzte ich mich auf den Sattel und fuhr ohne umzufallen los, drehte eine Runde vor dem Haus und kehrte zu ihm zurück. Das Bremsen und Anhalten funktionierte einwandfrei und ohne Kippeln. Jetzt hatte ich seine volle Aufmerksamkeit.

«Das ist ja unglaublich!» Seine Stimme klang überrascht und stolz. «Wie die Großen!» Er lächelte.

«Es ist ganz einfach», antwortete ich.

«Woher kannst du das denn auf einmal?», fragte er.

«Ich habe geträumt, dass ich es kann.»

Mein Vater zögerte einen Moment. Dann nickte er und akzeptierte meine Erklärung, ohne komisch zu gucken.

Das Gleiche erlebte ich noch in anderen Bereichen, beim Schwimmen und noch vielen anderen Dingen. Meine Eltern gewöhnten sich daran, dass ich manchmal morgenschlauer war. Nie versuchten sie mir zu erzählen, dass Träume nur Schäume sind. Also machte ich es mir zu eigen, dass in mir etwas drin ist, das manchmal unverhofft herauskam. Dass meine Umgebung nichts Seltsames daran fand, ließ mich auf diese unerklärliche Kraft vertrauen, und noch heute kann ich sie für mich «arbeiten» lassen, wenn ich vor einer Aufgabe stehe, die ich (bislang) nicht bewältigt habe. Ich bin der Meinung, dass es uns allen sehr guttun würde, mehr aus dem Inneren heraus zu handeln, um all die Herausforderungen zu bestehen, die uns begegnen – im eigenen kleinen Leben und in unserem Dasein als Mensch in einer großen Gemeinschaft. Doch dafür muss man das Innere auch wahrnehmen, und das ist ungewohnt in einer Welt, in der man ständig die Augen offen halten muss, allein schon, um nicht auf einer vielbefahrenen Straße von einem Auto erwischt zu werden.

Therapeuten und Trainer nennen diese Kraft: innere Ressourcen. Man kennt die Lösung, ohne zu wissen, wie sie zustande gekommen ist. Es gibt jede Menge Techniken, diese Quellen anzuzapfen, wenn man sich die Zeit dafür nimmt – und das sollte jeder tun. Ich nenne diese Kraft in mir: Gott. Oder: Heiliger Geist. Irgendwie ist sie zugleich auch ein «ich», aber andererseits auch wieder nicht. Denn wer hatte geträumt, dass ich Fahrradfahren oder schwimmen konnte? Ich oder jemand anderes? Am Abend vor dem Einschlafen hatte ich es definitiv nicht gekonnt. Am nächsten Morgen war die Fähigkeit da. Wer hatte es gelernt, auf welchem Übungsrad, in welchem Schwimmbad? Und wer war mein Lehrer gewesen? Ein höheres Selbst vielleicht? Und wer träumte dann, dass ich fliegen konnte? Der Vogel in mir? Jeder muss für sich herausfinden, wie er oder sie diese Kraft nennt, die uns manchmal anschiebt und den Berg hinaufhilft, ohne dass wir jemanden sehen. Und aus dieser Kraft heraus ist letztlich meine Berufung gewachsen. Ich wusste: Wenn etwas von innen kommt, wie etwa ein Traum, dann hat das Gewicht. Und so sind Träume vielleicht der Anfang einer Berufung, andere haben eine plötzliche Eingebung, einen Geistesblitz, und nichts ist dann mehr wie zuvor.

Es gibt Menschen, die finden ihre Berufung bewundernswert geradlinig – so wie der amerikanische NASA-Astronaut Neil Armstrong, der im gleichen Jahr als erster Mensch seinen Fuß auf den Mond setzte, in dem ich geboren wurde: 1969. Als zweijähriger Junge, so las ich in einer Biographie über ihn, besuchte er mit seinem Vater eine Flugschau, und das sollte sein Leben bestimmen. Schnurgerade ging es weiter: Als Siebenjähriger saß er zum ersten Mal in einem Flugzeug, und unfassbar konsequent für ein Kind, legte er jahrelang jeden Cent seines Taschengelds zur Seite – für Flugstunden! Ergebnis: Mit fünfzehn hatte er den Pilotenschein – da fängt man hierzulande gerade mit dem Mofafahren an!

«Ich konnte mir die Faszination und Anziehung der Kindheit nie erklären», stellte er als älterer Herr in einem Interview fest: «Ich wusste nur: Ich will mit dieser Welt des Fliegens un-be-dingt zu tun haben.»

Was meine Flugträume betraf, hätte ich vielleicht auch Astronautin werden können. Aber es war anders geplant – oder: Es hat sich anders entwickelt, je nachdem, wie viel «eigenes Zutun» man seinem Leben zuschreibt. Denn zu jeder Berufung passen spezielle Talente. Man kann ihnen Raum geben und sie wachsen lassen, man kann sie gezielt fördern – dann führen sie einen Menschen manchmal sogar zum Mond. Als der Vater der Friedensnobelpreisträgerin und pakistanischen Mädchenrechtlerin Malala Yousafzai gefragt wurde, wie er sie zu einem so mutigen Menschen erzogen hatte, antwortete er: «Ich habe sie zu gar nichts erzogen. Ich habe ihre Flügel nicht beschnitten, das ist alles.»

Vom Wortsinn her kann man auch wirklich gerufen werden – von der Stimme eines anderen. In religiöser Hinsicht ist das ein verbreitetes Phänomen, und die Heiligenlegenden aller Religionen berichten von ausführlichen Gesprächen mit Gott oder Engeln oder sonstigen höheren Wesen. In Jerusalem habe ich mich mit einem Psychiater unterhalten, der mir vom «Jerusalem-Syndrom» berichtete. Auch das war eine Etappe meiner Fernsehreise im Jahr 2011 gewesen, die ich in meinem Buch Auf einen Tee in der Wüste aufschrieb. In der Hauptstadt der drei Buchreligionen (Judentum, Christentum und Islam) herrsche vierundzwanzig Stunden am Tag ein spiritueller Ausnahmezustand, erklärte mir Dr. Moshe Kalian. Ganz normale Menschen hörten plötzlich die Stimme von Gott, Jesus oder den Propheten, dann bekämen sie den Auftrag, in die heilige Stadt zu reisen – häufig um das Ende der Welt zu verkünden. Oder sie befänden sich auf Pilgerfahrt in Jerusalem und gerieten dann in ekstatische Ausnahmezustände. Dr. Kalian und ich gingen durch die engen Gassen der historischen Altstadt. Er meinte, die größte Schwierigkeit sei es, die Verrückten von normalen Gläubigen zu unterscheiden.

Es wunderte mich nicht. In einer Umgebung, in der jeder Stein von Geschichte durchdrungen ist, ertappte sogar ich mich dabei, ständig zu fragen: Hat Jesus dieses Tor, diese Schwelle, diesen Ausblick wohl mit eigenen Augen gesehen? Noch einen Schritt weiter, und auch ich hätte eine Zeitreise machen können. Das soll jetzt nicht heißen, dass alle, die von Gott gerufen werden, verrückt geworden sind. Ohne die Stimme Gottes besäßen wir nicht die Gesänge des heiligen Franziskus, die Visionen einer Hildegard von Bingen oder die innigen Gespräche der Mechthild von Magdeburg mit ihrem Geliebten. In jeder Religion spricht Gott mit seinen Geliebten, Männern wie Frauen, gleichermaßen intim, und er beruft außergewöhnliche Menschen, damit sie für ihn sprechen – manchmal wie Pressesprecher für ein Staatsoberhaupt,...

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