Der eine hat’s — der andere nicht
„Früher“ war das Alleinbleiben doch auch kein Problem. Sind trennungsbedingte Störungen in Mode gekommen? Welche Begleitumstände müssen von uns beachtet werden? Wir unterteilen zwei Gruppen – die inneren und die äußeren Faktoren.
INNERE FAKTOREN
Trennungsbedingte Störungen werden nicht an einer Rasse festgemacht, sonst wäre diese längst ausgestorben. Auch spielen Alter und Geschlecht keine Rolle. Dennoch gibt es innere Faktoren, die man mit einbeziehen sollte. Dazu zählen Krankheiten, etwa neurologischer wie auch organischer Art. Ob chronisch oder akut ist auch zu unterscheiden. Steht Ihr Hund unter Medikamenteneinfluss, sollten Sie die Packungsbeilage durchlesen, welche Nebenwirkungen auftreten könnten – eine Rücksprache mit dem Tierarzt kann an dieser Stelle hilfreich sein. Vielleicht ist das schon der Grund dafür, dass Ihr Hund nicht allein bleiben möchte. Auch genetische Dispositionen und hormonelle Veränderungen können eine Rolle spielen. Und nicht zu vergessen ist der liebeskranke Rüde. Bedenken Sie, dass ein Rüde eine läufige Hündin über eine Distanz von einigen Kilometern wittern kann.
ÄUSSERE FAKTOREN
Nachbarn, Lärmbelästigung, Knallgeräusche und Ihre Bindung zum Hund zählen zu den äußeren Faktoren, die Ihren Hund aus der Fassung bringen können. Dabei sind u. a. zwei Aspekte wichtig, wie weit sich der Hund durch innere oder äußere Faktoren beeinflussen lässt:
Die Erfahrungen, die ein Hund schon in seinem Leben gemacht hat.
Das Vertrauen zu Ihnen. Das schafft Sicherheit, um beruhigt allein zu sein. Dieses Vertrauen kann nur durch eine gute Bindung entstehen und die ist der Schlüssel zum Erfolg.
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Es gibt unterschiedliche Gründe, warum ein Hund gerne oder nicht gerne alleine bleibt.
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Schreiben Sie auf, welche Faktoren zur Entspannung führen und welche Sie verbannen sollten.
BESONDERS ANFÄLLIGE HUNDE
Im Lauf unseres Hundetrainerlebens haben wir immer wieder festgestellt, dass es typische Hundegruppen gibt, die anfälliger sind für trennungsbedingte Störungen und stärker leiden als ihre Artgenossen. Oft sind es Hunde, in deren Lebenslauf ein Besitzerwechsel vorkam. Grundsätzlich aber gilt: Jeder Hund kann zu jeder Zeit einen trennungsbedingte Störung entwickeln – also auch ein Hund, der jahrelang problemlos alleine blieb.
Wechselwirkung
Trennungsstress und Angst sind im Gehirn neurologisch getrennt, haben jedoch eine Verschaltung. Diese Auswirkung bedeutet für den Hund: Angst macht anfällig für Trennungsstress und Trennungsstress macht wiederum anfällig für Angst. Ein Teufelskreis beginnt …
Tierschutzhunde
Immer häufiger werden Hunde aus anderen europäischen Ländern nach Deutschland gebracht, um dort ein neues Zuhause zu bekommen. Das klingt erst einmal durchweg positiv mit einem guten Tierschutzgedanken. Beim Hund ist dies allerdings auch mit einer Menge Stress verbunden. Leider können wir dem Hund rein (kyno-)logisch nicht erklären, dass er ab jetzt ein neues Zuhause hat und nie wieder abgegeben wird. Eine Sicherheit, die für uns selbstverständlich ist, jedoch nicht für die Hunde. Der Hund versteht unseren inneren Wortlaut nicht, sondern lernt mit der Zeit aus Handlungen und Verknüpfungen. Folglich braucht er Zeit – und damit meinen wir Monate und manchmal auch Jahre – bis er in allen Bereichen diese Sicherheit spüren kann.
Eine weitere Besonderheit ist, dass wir Deutschen den Hunden auch einen anderen Tagesrhythmus bieten als zum Beispiel die Südeuropäer. Allein schon durch ein wesentlich heißeres Klima verschieben sich Tag- und Nacht- sowie Arbeits- und Freizeitrituale. Und nun kommt der Hund in seiner Transportbox auf einem deutschen Flughafen an und das Einzige, was er hat, sind Sie!
Auf in ein neues Leben Der Hund muss sich in kürzester Zeit auf sein neues Leben einstellen, die Rituale seines Menschen kennenlernen und sich umorientieren. Zu 98 % brauchen Hunde Rituale. Je besser sie ihre Position innerhalb des „menschlichen Familienverbands“ kennen, umso sicherer fühlen sie sich. Folglich werden sie ihre Besitzer studieren und sich in eine gewisse „Abhängigkeit“ zu ihnen begeben. Die Hunde werden sich an den Ritualen und Rhythmen ihrer Menschen orientieren und diese annehmen. Das bedeutet, dass der Mensch der einzige feste Orientierungspunkt im neuen Leben eines Hundes ist. Und dann geht dieser plötzlich ohne seinen Hund einkaufen und verlässt ihn … Damit verliert der Hund den einzigen Bezugspunkt, den er bisher hatte: Sie. Folglich bricht seine Welt erst einmal zusammen. Unterstützen Sie ihn beim Wiederaufbau.
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Hunde, die im Ausland auf der Straße aufgewachsen sind, hatten meistens Artgenossen um sich.
Tierheimhunde
Hinter Gittern herrscht ein anderes Leben. Tatsächlich auch bei unseren Hunden. Im Tierheim treffen verschiedene Vorgeschichten, mögliche Traumata und individuelle Charaktere aufeinander. Liebevoll ausgedrückt – ein Zirkus voller Narren mit viel Charme. Die Problematik bezüglich des Alleinbleibens liegt aber darin, dass die Hunde in Tierheimen in ihren Zwingerboxen gehalten werden, jedoch Anschluss zu ihren Artgenossen durch die Nebenbox haben. Dadurch sind sie nicht ganz allein. Das macht es für das Tierheimpersonal schwierig, zu beurteilen, ob der Hund gut allein bleiben kann. Insofern kann es sein, dass so manche Überraschung auf den neuen Halter wartet, wenn er nach der Arbeit nach Hause kommt.
Die Übernahme eines Tierheimhundes bedeutet aus Hundesicht, dass er aus einer menschlichen Isolierung gerissen wird und in ein Leben voller Aufmerksamkeit und Liebe gesteckt wird. Damit geben wir dem Hund die Chance, sich wieder binden zu können und Vertrauen aufzubauen. Häufig wird diese Bindung gerade am Anfang sehr gefördert, da wir Menschen emotional handeln und die schreckliche Vorgeschichte des Hundes im Hinterkopf gespeichert haben.
Aus Zuneigung wollen wir am liebsten die Geschehnisse für den Hund wieder gutmachen: „Jetzt soll er es besser haben.“ Da wir die Vergangenheit nicht ändern können, bleibt diese Vorgeschichte bestehen. So erhält der Hund oft ein kleines bisschen mehr Zuneigung, als für eine gute Bindung gut und gesund wäre. Allerdings lebt der Hund in der Gegenwart und kann eine Wiedergutmachung aus der Vergangenheit gar nicht verstehen. Hier kann der Beginn eines Teufelskreises liegen, der beim Hund Panik und Angst auslösen kann, sobald er allein gelassen wird.
Soziale Bindung und Tierheim
Unsere Aussage über Tierheimpersonal bedeutet nicht, dass sich das Personal nicht kümmert, sondern dass aufgrund des hohen Arbeitsaufwands im Tierheim eine soziale Bindung nicht stattfinden kann. Das ist auch gut so, wenn der Hund weitervermittelt werden soll. Falls er sich zu sehr an das Tierheimpersonal gewöhnt, muss er wieder umlernen, wenn die Folgefamilie ihn dann übernimmt. Auch hier spielt das Thema Rituale wieder eine große Rolle.
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Hat ein Hund wiederholt erlebt, dass der Bezugspartner nicht zurückkommt, ist er skeptischer, was das Alleinsein angeht.
Hunde mit einer „schweren Kindheit“
Hunde durchleben eine sozial sensible Phase. Sie findet zwischen der 3. bis max. 20. Lebenswoche statt. In dieser prägungsähnlichen Zeit speichert der Hund gemachte Erfahrungen besonders gut ab und vergisst sie nicht. Das gilt sowohl für positive als auch für negative Ereignisse. Etwa: Macht der Nachbar Lärm, während der Hund allein in der Wohnung ist, und erschreckt diesen, könnte der Hund den Lärm mit dem Alleinsein in Zusammenhang bringen, da Hunde in der Gegenwart leben und eine Handlung mit einem Signal innerhalb von 0,5 Sekunden verknüpfen. Zudem lernen Hunde kontextbezogen, d. h. es speichert sich zu jeder Verknüpfung auch das entsprechende Umfeld ein. In diesem Fall wird die Wohnung im Alleinzustand negativ belegt. Keine gute Voraussetzung für unseren Hund, sich allein zu entspannen. Eine weitere wichtige Erkenntnis aus der Wolf-Hund-Forschung ist, dass Hunde tatsächlich an das Alleinsein gewöhnt werden müssen. Es nützt nichts, wenn der Hund ein halbes Jahr wohlbehütet bei Ihnen aufwächst und er dann durch ein Ereignis, etwa einen neuen Job, plötzlich täglich acht Stunden allein bleiben muss.
Die zu enge Bindung
Eine weitere Gruppe sind die Hunde, die eine zu enge Bindung zum Halter haben. Das ganze Leben dreht sich hier um den Hund und dieser genießt es, der Mittelpunkt der Welt zu sein! Struppi sucht die Nähe zum Halter und freut sich über die ihm entgegengebrachte Aufmerksamkeit. Es macht ja auch Spaß, gemeinsam den Alltag zu bestreiten und mit seinem Hund zu spielen, ihn zu pflegen und ein guter Hundehalter zu sein. Viele Besitzer werden jedoch schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt, wenn sie eine verwüstete Wohnung vorfinden, da ihre Hunde sie zu stark vermissen und ihrem Frust auf diese Weise Luft gemacht haben.
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1. Kontakt baut Bindung auf. Genuss für Hund und Mensch.
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2. Möchte sich der Mensch zurückziehen, sollte das für den Hund normal sein.
Zu wenig Führung
Last but not least folgt die Gruppe der Hunde, die wiederum zu wenig von ihren Haltern gelenkt werden und denen der Halt im Familiengefüge fehlt. Diese Hunde schaffen es zwar meist, Herrchen und Frauchen gut auf Trab zu halten,...