Beatrice
Meine Ehe war ein Gefängnis. In den letzten Jahren fühlte ich mich wie ein Raubtier hinter Gittern. Die rennen in ihren Käfigen ja ständig hin und her. Seit Jahren bin ich nicht mehr im Zoo gewesen. Dieses Hin- und Herlaufen zwischen zwei Mauern, nein, das kann ich nicht sehen.
Mein Mann war immer auf seinen Ruf bedacht. Was sollen die Nachbarn, die Freunde denken? Wie oft habe ich das gehört. Und dann alle zwei Jahre ein neues, noch größeres, noch schnelleres Auto. Das Geld hatten wir ja. Und ich war das Vorzeigestück: eine elegante Dame! Heute lache ich darüber. Aber ich rede nicht gerne von dieser Zeit. Was vorbei ist, ist vorbei.
Als die Kinder groß waren, bin ich von einem Tag zum anderen aus der Ehe ausgebrochen. Mein Mann hat bis heute nicht begriffen, warum. Du hast doch alles, du kannst dir kaufen, was du willst! Aber Geld allein macht nicht glücklich. Das war Großmutters Spruch. Hätte ich nur auf sie gehört. Ich habe sie ausgelacht, als ich heiratete. Na ja, durch Erfahrung wird man klug. Auch so ein Spruch. Aber eben, diese Erfahrungen mußte ich erst machen.
Zum Glück hatte ich in den letzten Jahren meiner Ehe schon halbtags gearbeitet. Das paßte meinem Mann zwar auch nicht, aber ich hatte mich damals durchgesetzt. In meiner Firma bekam ich einen Ganztagsjob. Finanziell bin ich also unabhängig. Von meinem Mann will ich nichts, nicht einen Pfennig. Für mich verdiene ich ausreichend. Sogar eine Dreizimmerwohnung habe ich gemietet.
Meine eleganten Kleider habe ich auf dem Flohmarkt verkloppt. Das war toll! Die Sachen gingen weg wie warme Semmel. Nicht einmal die Pelze habe ich behalten. Ich trage keinen BH mehr, die obersten Knöpfe, die Manschettenknöpfe an meiner Bluse schließe ich nicht, mich darf nichts mehr einengen, auch Kleidungsstücke nicht.
Meine Eltern sind Flüchtlinge aus dem Osten. Die hatten alles verloren. Nur Handgepäck hätten sie mitnehmen dürfen, erzählte mir meine Mutter. Ich kann mir das nicht vorstellen. Ich erinnere mich nur noch an die Zweizimmerwohnung, in der wir zu sechst hausten. Großmutter lebte damals noch bei uns.
Wir sind eine sehr unkonventionelle Familie gewesen. In der Enge ging alles ein bißchen durcheinander. Meine Mutter und meine Großmutter machten Heimarbeit. Ich weiß noch, Kistchen haben sie gefaltet, dann wieder Fäden aus Schals gezogen für die Fransen. Das Schönste aber war, als sie Engelsköpfe bemalt haben. Bei uns wurde viel gelacht. Und gesungen haben wir.
Ich denke gerne an die Zeit zurück, an die Enge, an das Zusammenhalten in der Familie. Das ist bis heute geblieben, in schwierigen Situationen kann ich mich auf meine Geschwister verlassen und sie sich auf mich.
Nur meine Mutter muß die Armut bedrückt haben, denn sie sagte mir immer, du kannst aus deiner Schönheit Kapital schlagen. Aber Großmutter fuhr dann immer dazwischen. Ich sehe sie noch vor mir, den Zeigefinger erhoben, über ihre Brille blickend, sagte sie mit ihrer heiseren Stimme: Geld allein macht nicht glücklich. Sie und meine Mutter waren da verschiedener Ansicht.
Ich war ehrgeizig. Nach dem Abitur habe ich ein Jahr Steno und Schreibmaschine gelernt, mein Englisch verbessert. So rasch wie möglich wollte ich selbständig werden, Geld verdienen. Ein Studium oder eine längere Ausbildung konnten sich meine Eltern nicht leisten. Wir waren arm, und da waren noch zwei jüngere Geschwister. Die und ich, wir sollten es trotzdem zu etwas bringen. Das war übrigens auch ein Ausspruch meiner Mutter: es zu etwas bringen.
Ich bekam eine Volontariatsstelle bei der Tageszeitung. Viel verdiente ich nicht, aber ich suchte mir sofort ein möbliertes Zimmer in der Stadt. Das war mein Freiheitsdrang, den hatte ich schon damals.
Von dem Geld, das übrigblieb, kaufte ich Bücher, ich belegte Fremdsprachenkurse. Zum Essen ging ich immer noch nach Hause, das war billiger.
Warum ich so früh geheiratet habe? Ich denke, es war schon der Reichtum, der mich damals lockte. Es erschien mir phantastisch, Geld zu haben und auszugeben. Sicher lag es auch daran, daß wir ständig sparen mußten, das Geld reichte in unserer Familie immer nur für das Nötigste. Es war ein Luxus, wenn ich einmal ins Kino, ins Theater ging. Meine Kleider habe ich mir sogar selber genäht.
Im Theater habe ich auch meinen Mann kennengelernt. Er war viel älter, und er war reich, jedenfalls in meinen Augen. Ob ich ihn liebte? Ganz sicher hat er mich beeindruckt, er kam aus einer anderen Welt. Er zeigte mir, wie Spargel gegessen werden. Das Gemüse kannte ich gar nicht. Mit dem Auto haben wir Ausflüge gemacht. Er nahm mich mit nach Paris. Dort haben wir zum erstenmal miteinander geschlafen, und dort machte er mir den Heiratsantrag. Ein Aschenputtel heiratete einen Märchenprinzen. Ich hatte aus meiner Schönheit Kapital geschlagen!
Die ersten Jahre mit meinem Mann waren schön. Er verwöhnte mich. Und als wir die kleine Villa vor der Stadt kauften, da war ich stolz, ja ich kann ruhig sagen, eingebildet. Ich hatte es zu etwas gebracht.
Meine Kinder kamen rasch nacheinander. Ich hatte zu tun. Fürs Haus hatten wir eine Hilfe. Ich hatte Zeit für meine Kinder, um andere Sachen mußte ich mich wenig kümmern. Mein Mann und ich verkehrten in den besten Kreisen, wie man so schön sagt.
Und ich wurde bewundert. Ich muß entsetzlich eitel gewesen sein. Aber ich war jung, und es schmeichelte mir. Meinem Mann gehorchte ich aufs Wort, das heißt, ich fand alles richtig, was er sagte. Damals war er für mich ein halber Gott. Meine Güte, war ich dumm. Heute kann ich sagen, so schön ich war, so dumm war ich auch.
Bis ich merkte, daß ich in einem Gefängnis saß, das dauerte seine Zeit. Es fiel mir schon auf, daß ich nicht mehr so lachte und sang wie früher. Meine Fröhlichkeit kam nicht mehr von innen. Ich weiß nicht, aber es war eher eine aufgesetzte Hektik, die ich verbreitete. Ich fragte mich immer wieder, was ist los mit dir? Du hast alles, gesunde Kinder, einen lieben Mann, Geld. Aber die Kinder waren groß, ich hatte keine Aufgabe mehr. Damals litt ich unter einem Kaufzwang. Ich fuhr in die Stadt und kaufte, kaufte, kaufte. Regelmäßig besuchte ich einen Schönheitssalon, ging in die Sauna. Ich weiß gar nicht mehr, was ich alles machte.
Ob ich allein geschafft hätte, mein Leben zu ändern? Vielleicht. Aber ich weiß es nicht.
Es war ein Zufall. In der Sauna traf ich eine ehemalige Schulkameradin. Geschieden, zwei Kinder, die meisterte ihr Leben selber. Und lachen konnte sie! Wir sind heute befreundet. In der Schule hatten wir wenig Kontakt, ich mochte sie damals nicht, weil sie den gleichen Vornamen hat wie ich. Trix ist keine schöne Frau. Aber Temperament hat sie, und eine Ausstrahlung geht von ihr aus, die ich noch nie erlebt habe.
Gut, ich traf sie öfter. Sie gab mir Frauenbücher. Und da hatte ich mein erstes Aha-Erlebnis. Wie vielen Frauen ging es ähnlich wie mir! Und alle hatten sich aus der Misere herausgewurstelt. Was heißt gewurstelt! Herausgekämpft hatten die sich!
An Scheidung dachte ich damals noch nicht. Aber ich suchte mir einen Halbtagsjob. Es gab Auseinandersetzungen mit meinem Mann, der konnte mich nicht verstehen. Wie sollte er auch? Seine kleine, liebe Frau muckte auf! Immer öfter stritten wir. Plötzlich merkte ich, nach welch festgefahrenen Regeln wir lebten. Und ich wehrte mich dagegen. Bei einem Essen mit Geschäftskollegen und deren Frauen, da wurde mir schlecht. Ich bin vom Tisch aufgestanden und gegangen. Nie wieder, dachte ich. Nie wieder das Getratsche über Frauen, die abwesend sind, nie wieder der Austausch von Rezepten, das Gespräch über neue Moden, das Anlächeln, selbst wenn man die andere Person nicht mag.
Ich machte die Sache mit der Ganztagsarbeit perfekt, suchte die Wohnung und zog aus. Der erste Tag in der neuen Wohnung: Ich hatte nur eine Matratze am Boden. Aber ich lachte, ich sang, ich tanzte. Verdammt! Das war schön! Trixi kam mit einem Riesenblumenstrauß und einer Kaffeemaschine. Ich kann das Gefühl nicht mehr beschreiben. Mir liefen die Tränen herunter, aber ich lachte, ich schrie auf vor Freude, dann ging ich wieder ganz still von einem leeren Zimmer ins andere. Das war ein Gefühlsausbruch! Meine Güte! Und draußen regnete es.
Mein Mann hat wieder geheiratet, die jetzige Frau ist dreißig Jahre jünger. Als er von meiner Beziehung zu Patrik erfuhr, er ist achtzehn Jahre jünger als ich, wagte mein Mann mir doch ins Gesicht zu sagen: Eine Frau in deinem Alter und so ein junger Liebhaber, das ist einfach pervers. Wir hatten uns im Café getroffen. Und ich bin wieder einmal gegangen. Wortlos. Jede Diskussion mit meinem Mann wäre in den Wind geschrieben gewesen. Obwohl ich ihm am liebsten ins Gesicht gesprungen wäre. Aber wozu?
Nach dem Ausbruch aus meiner Ehe habe ich mit einigen Männern geschlafen. Das war wohl so ein Nachholbedarf. Innerhalb kürzester Zeit ruinierte ich meinen guten Ruf. Ich war nicht mehr die anständige Ehefrau eines angesehenen Geschäftsmannes. Ich war frei, und ich schlief mit dem Mann, der mir gefiel. Für mich war es keine Unanständigkeit. Das war mein Leben. Jetzt. Vor einer festen Beziehung hütete ich mich. Ich wollte nicht mehr.
Ich war also eine Frau mit dauernd wechselnden Männerbekanntschaften. So etwas spricht sich ja schnell herum in einer kleinen Stadt, in der fast jeder jeden kennt. Die ehemaligen Bekannten, vor allem die Frauen, grüßten nicht mehr. Entweder blieben sie vor einem Schaufenster stehen oder guckten in die Luft. Ich war nicht mehr die elegante Dame.
Ja, und dann läuft mir dieser verteufelt gut aussehende Junge über den Weg. Patrik. Trix feierte Geburtstag, sie hatte viele Leute eingeladen. Und er stand mittendrin und sprach mit jemandem.
An Liebe auf den ersten Blick...