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E-Book

Das Mädchen und der Gotteskrieger

AutorGüner Yasemin Balci
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783104036854
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Die beeindruckende Reportage über den Weg eines Mädchen zur Dschihad Braut - erzählt von der bekannten Autorin und Journalistin Güner Balci (?Arabboy?, ?Arabqueen?). Nimet aus Berlin ist 16, als sie über WhatsApp eines Tages eine Nachricht von Saed erhält, einem jungen Mann aus der Türkei. Übers Internet sind die beiden bald in ständigem Austausch, Saed ist immer für sie da, und irgendwann nennt er sie seine »Frau«. Er ist so anders als die Männer, die Nimet bisher kennt. Sie lässt sich ganz auf ihn und seine Welt ein, ihre Freundschaften zerbrechen. Sie weiß nicht, dass Saed für den IS kämpft. Eines Tages kommt von ihm keine Nachricht mehr. Ein Fremder meldet sich, Nimet müsse kommen. Sie macht sich auf zur türkisch-syrischen Grenze. Güner Yasemin Balci erzählt in ihrer eindrucksvollen Reportage, wie Nimet als Dschihad-Braut angeworben wird und erst im »Kalifat« merkt, dass sie benutzt wurde. Die Geschichte zeigt, warum und wie so viele junge Frauen in den letzten Jahren zum IS gekommen sind.

Güner Yasemin Balci wurde 1975 in Berlin-Neukölln geboren. Bis 2010 war sie Fernsehredakteurin beim ZDF, heute arbeitet sie als freie Autorin und Fernsehjournalistin. 2012 erhielt sie für ihre Reportage ?Tod einer Richterin? den Civis-Fernsehpreis. 2016 erschien ihr Dokumentarfilm ?Der Jungfrauenwahn? (Arte/ZDF). Balci ist Kolumnistin für die »Stuttgarter Nachrichten«, ihre Texte erschienen u.a. in der »Zeit« und im »Spiegel«; im Deutschlandradio und Deutschlandfunk sind ihre politischen Features gesendet worden. Ihre Bücher bauen auf den Erfahrungen ihrer langjährigen Arbeit mit Jugendlichen aus türkischen und arabischen Familien in Neuköllns sozialen Brennpunkten auf: ?Arabboy? (2008), ?ArabQueen? (2010) und ?Aliyhas Flucht (2012).

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Leseprobe

Die Farbe Schwarz


16 Monate vorher.

Es war keine gute Idee gewesen, den Schreibtisch ans Fenster zu stellen. Nimet hatte ganze zwei Wochen gebraucht, um das zu erkennen. Denn der erhoffte Blick ins Freie endete sechs Meter weiter an der Brandmauer des Nachbarhauses, die, warum auch immer, schwarz getüncht war und den Hof noch dunkler erscheinen ließ, als er ohnehin schon war. Es war der Kompromiss, den sie eingegangen war, als sie das ehemalige Schlafzimmer ihrer Eltern übernahm. Der kleine Wintergarten, der nach vorn hinausging und zum Wohnzimmer gehörte, war in ihren Augen absolut keine Alternative, die piepsigen Stimmen der Soap-Opera-Stars, die sich Sibel, ihre Mutter, am liebsten reinzog, hätten sie wahnsinnig gemacht. Und hell war auch etwas anderes.

Seit sie nach der Scheidung ihrer Eltern in dieser beengten Zweieinhalbzimmerwohnung lebten, bestand Sibel darauf, dass die schweren Außenjalousien den ganzen Tag lang fast ganz runtergelassen wurden, nur einen kleinen Spalt duldete sie, vermutlich, damit sie überhaupt noch etwas von den Tageszeiten mitbekam. Selbst wenn sie arbeiten war, in dieser türkischen Bäckerei, wo sie manchmal bis zu zehn Stunden am Tag Sesamringe knetete, durfte Nimet die Jalousien nicht hochziehen. Einmal hatte sie es doch gemacht, als Sibel unseligerweise früher als erwartet von der Arbeit nach Hause kam und sich tatsächlich furchtbar darüber aufregte, dass die Sonne durch die Scheiben ins Wohnzimmer fiel. Der Grund: Die Fenster waren schmutzig, und das konnten nun alle Nachbarn sehen. Nimet wusste, auch wenn die Fenster sauber wären, würde Sibel das Tageslicht nicht zulassen. Das Abgedunkelte war ein Ausdruck ihres Seelenzustandes.

Nimet googelte sich noch einmal die ganzen Feng-Shui-Ratschläge zusammen, machte sich Notizen und fing an, ihre Möbel neu zu arrangieren. Den Schreibtisch stellte sie so, dass sie daran mit dem Rücken zur Wand saß und in den Raum blickte, das Bett wurde so lange hin und her geschoben, bis das Fußende nicht mehr zur Tür wies, und der Spiegel, der musste ganz weg. Die Kommode hatte sie letzte Woche erst rosa gestrichen und mit Blumenornamenten verziert, jetzt aber störte sie dieses Dekor. Weiß wäre doch besser gewesen, dachte sie, weiß schien Nimet gerade überhaupt die Lösung für alles zu sein, am besten alles hell und freundlich, schlechte Energie in gute umwandeln.

Leider hatte sie die Vorstellung, dass das Zusammenspiel von Möbeln und Räumen eine Harmonie entstehen lassen kann, die Wohlbefinden schafft, erst vor einigen Monaten entdeckt, als sie im Fernsehen zufällig in eine Reportage zappte, die den etwas pompösen Titel trug: »Auf der Suche nach Glück«. Darin wurden Menschen gezeigt, die für sich, jeder auf ganz unterschiedliche Weise, einen Weg gefunden hatten, ihr Leben »glücklicher« zu gestalten. Da war sie hängen geblieben.

Das Porträt der Psychofrau, die ihr Glück darin gefunden hatte, jedes seelische Wehwehchen einer psychoanalytischen Betrachtung zu unterziehen, hatte Nimet dabei weniger zugesagt. Die Vorstellung, ihre Kindheit aus den Tiefen ihrer Erinnerung hervorzukramen, ängstigte sie. Sie wollte lieber Cupcakes backen, sich die Nägel bunt lackieren, Feng-Shui passte da genauso gut wie ein Buttermilch-Lemon-Shake mit frischer Minze – das Leben konnte manchmal schön sein, selbst mit einer nervigen Mutter.

Wäre sie früher auf diesen Feng-Shui-Trip gekommen, hätte sie sich bestimmt keinen schwarzen Schreibtisch gekauft, diese Schwarz-Einkäufe unterliefen ihr immer dann, wenn es ihr nicht gutging. Schwarze Oberteile, schwarze Haarfarbe, schwarzer Nagellack, Cayenne konnte sich dann tagelang darüber lustig machen und nannte sie »kleiner Emo«. Sie spielte damit auf die Jungs und Mädchen aus ihrer Schule an, die sich gern schwarz kleideten und es hip fanden, sich mit angeritzten Armen, Unter- oder Übergewicht und schlechter Laune zur Schau zu stellen.

Sie war gerade dabei, den schweren Spiegel von der Wand zu heben, als die Zimmertür aufging und Dilara mit verheulten Augen, ein Küchentuch an den Mund gepresst, ins Zimmer trat und, noch bevor Nimet fragen konnte, was passiert war, laut zu weinen begann.

»Also doch wieder! Warum machst du das, Dilara? Warum? Reicht es dir nicht endlich? Willst du wirklich so leben?«

Dilara zog den Saum ihres T-Shirts hoch und wischte sich damit Rotz und Blut aus dem Gesicht. Nimets Blick fiel dabei auf ihren geröteten Bauch – Spuren eines Kampfes. Immerhin, sie musste sich gewehrt haben, sonst sähe sie nicht so zerkratzt aus. Allein das war ja schon ein kleiner Fortschritt.

Die Beziehung ihrer Schwester zu diesem »Nichtsnutz« Baran war für Nimet vom ersten Moment an, als sie davon erfuhr, der Beweis dafür, dass es so etwas wie schicksalhafte Fügungen gab. Jungs, die besonders nett, in Dilaras Augen »soft« waren, hatten nie eine Chance bei ihr gehabt – Dilara wollte endlich »einen richtigen Mann« kennenlernen, das hatte sie oft gesagt. Sie meinte damit zwar eigentlich einen, der sich um seine Frau kümmert, immer weiß, wo sie ist und was sie macht – aber Baran verstand unter einem »richtigen Mann« etwas anderes.

Ihre letzte Beziehung zu Jamil, halb Araber, halb Deutscher, war daran gescheitert, dass er keine Lust hatte, sich von Dilara vorschreiben zu lassen, mit welchen Mädchen er reden durfte oder nicht. Ihre nervigen Eifersuchtsanfälle konnten Dilara zu einem Zombie werden lassen, der den eigenen Freund stundenlang heimlich bei der Arbeit in der Eisdiele beobachtete, nur um zu sehen, ob er nicht doch zu nett zu anderen »Weibern« war. Irgendwann flogen ihre Spanner-Aktionen auf, eine Kollegin von Jamil hatte Dilara mehrfach dabei beobachtet, wie diese sich hinter einem Busch versteckte und Jamil mit Argusaugen verfolgte. Natürlich steckte sie das Jamil, der sich daraufhin von hinten an Dilara heranschlich, sich vor sie hinstellte und wortlos mit dem Kopf schüttelte. Und damit war diese Beziehung, die immerhin ganze sechs Monate gehalten hatte, beendet. Jamil wechselte nach diesem Erlebnis kein Wort mehr mit Dilara, und die fiel erst einmal neun Monate lang in Trauer.

»Verlustängste sind was für Schwache«, hatte Nimet ihrer Schwester oft höhnisch zugerufen, wenn sie deren Eifersuchtsanfälle mitbekam, aber sie wusste, dass Dilara immun war gegen solche realistischen Einsichten – warum sonst hockte sie zusammen mit Sibel immer wieder vor diesen türkischen Serien, deren Dialoge und verlogene Geschichten über Liebe, Leid und Intrigen sie mit einem Ernst wiedergab, als handle es sich bei diesen Schmachtfetzen um das wirkliche Leben.

Dilara öffnete vorsichtig den Mund und trat ganz dicht an ihre kleine Schwester heran, Nimet legte den Spiegel aufs Bett, packte ihre große Schwester am Arm und zog sie wie ein kleines unartiges Kind zu sich.

»Guck mal bitte, Nimet, sieht es schlimm aus?«

»Na ja, ich würde sagen, ein Volltreffer. Den hätte mein Zahnarzt auch nicht besser hingekriegt.«

Dilaras unterer Schneidezahn war in der Mitte waagerecht so akkurat angebrochen, dass es aussah, als hätte ihn jemand mit einer Säge durchtrennt.

»Wie hat er das denn hingekriegt?«

Dilara, die, immer noch verrotzt, mit den Tränen kämpfte, schluchzte, ließ ihre Handkante jetzt aber wie bei einem heftigen Karateschlag durch die Luft sausen, so dass Nimet blitzschnell ihren Kopf zur Seite drehen musste, um dem Schlag auszuweichen. Dabei verlor sie das Gleichgewicht und landete so unglücklich auf dem Spiegel, dass dieser krachend in tausend Splitter zerbrach.

Dilara unterbrach ihr Gewimmer und sagte plötzlich stocknüchtern: »Sieben Jahre Unglück für mich, und ich selbst habe das verursacht.«

»Lieber sieben Jahre Unglück, Naturkatastrophen, Pest und Cholera als ein Leben lang Baran. Es gibt nur dieses eine Leben, wann wachst du endlich auf? Das ist keine Liebe, das hat nicht mal annähernd was mit Liebe zu tun, es ist krank, es ist Hass, es ist Selbstaufgabe! Ach, was rede ich eigentlich, ist mir doch egal, wenn du dich so wegwerfen willst! Geh zum Zahnarzt, und dann schick Baran die Rechnung für die Krone, oder lass dir deinen kaputten Zahn in eure Eheringe einarbeiten – als Liebesbeweis!«

»Er liebt mich. Warum sollte er sonst so ausrasten, wenn ich ihm sage, ich mach Schluss?«

»Weil er, genau wie du, ziemlich viel Scheiße im Hirn hat, sonst hätte er schon längst gemerkt, dass deine ständigen Ich-verlasse-dich-Baran-Drohungen keinen Furz wert sind. Du bist so ehrlos, Dilara, aber gut, du bist meine Schwester, ich habe Mitleid mit dir. Und jetzt geh dir bitte das Gesicht waschen, wenn Mama dich so sieht, kann ich den Soda Club gleich wieder vergessen.«

»Ich wusste, dass ich dir nicht vertrauen kann! Du willst nicht, dass ich glücklich bin! Nur weil für dich keiner sterben würde, denkst du, alles an Baran ist schlecht. Stimmt ja, er hat sich manchmal nicht unter Kontrolle, aber er spart jeden Pfennig für unsere Hochzeit, und ich habe ihn provoziert. Eigentlich ist es meine Schuld.«

»Was war eigentlich der Grund, dass du ihn jetzt wieder verlassen wolltest? Hat seine Mutter wieder gestresst? Hat sie wieder einmal gesagt, dass du kein gutes Mädchen für ihn bist?«

Nimet wusste, dass die Abneigung von Barans Familie gegenüber ihrer Schwester eine große Kränkung für Dilara war, wollte sie doch zu gern eine geliebte Schwiegertochter sein. Dabei war sie bereit, vieles dafür zu tun, vermutlich sogar mit ihrer eigenen Familie zu brechen, hätte Barans Mutter ihr nur einmal das Gefühl gegeben, dass Dilara ein angesehenes Mitglied der Familie Türkoglu werden könnte. Doch Dilaras...

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