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E-Book

Erich Kästner

AutorSven Hanuschek
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783644575523
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,99 EUR
Erich Kästner (1899-1974) gab sich gern als Kleinbürger und war doch ein Bohemien; er rief bei seinem Publikum Glück und Rührung hervor wie kein Zweiter und wollte doch als politischer Satiriker gesehen werden; und er war ein Zeitgenosse, der sich in seinen Selbstdarstellungen mehr verbarg als offenbarte. Sven Hanuschek beschreibt das Leben und Werk eines bemerkenswert vielseitigen Schriftstellers, dessen Kinderbücher uns alle begleitet haben. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Sven Hanuschek, geb. 1964, studierte Neuere deutsche Literatur, Philosophie, Psycholinguistik und Theaterwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Publizist, Germanist, lehrt Neuere deutsche Literatur am Institut für deutsche Philologie der Münchner Universität. Schwerpunkte: deutsche Literatur des 19.-21. Jahrhunderts, Literatur und Sozialpsychologie, Ethnologie, Film, Biographie. Bücher über Heinar Kipphardt, Uwe Johnson, Erich Kästner, Elias Canetti, Heine, Laurel & Hardy, eine Geschichte des westdeutschen P.E.N. Editionen (Kipphardt/Grieshaber, Kästner, Canetti, B. v. Brentano), Herausgeberschaften, zahlreiche Aufsätze und Rezensionen. Eine ausführliche Liste seiner Veröffentlichungen findet sich auf der Webseite germanistik.uni-muenchen.de/pdf/pdf_publikationslist/publikation_hanuschek.pdf

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Leseprobe

«Mit mir ist kein Krieg zu gewinnen.»
Vom Schüler zum Redakteur in Leipzig


Kästner hat die ersten Erziehungsinstitute seines Lebens als wilhelminische Kinderkasernen (VII, 64) beschrieben, die IV. Bürgerschule an der Tieckstraße genauso wie das Freiherrlich von Fletchersche Lehrerseminar zu Dresden-Neustadt: autoritäre Institutionen, in denen geprügelt wurde und militärischer Drill herrschte, obendrein wohnten Kästners auch noch im Kasernenviertel. Obwohl er immer ein beflissener Schüler war, ein Musterknabe mit den bestmöglichen Noten, betreffen positive Erinnerungen nur einzelne Lehrer.

Ein gemütlicher, wohl auch etwas beschränkter Herr Bremser wird mehrfach in literarischen Werken genannt; Kästners Lieblingslehrer indes war Paul Zacharias, den er vom Neustädter Turnverein her kannte und dem er im Fletcherschen Seminar wiederbegegnete. Auch der gefürchtete zwiefache Herr Lehmann (VII, 126) hinterließ einen bleibenden Eindruck: Er wollte das Schulwissen in die Kinder hineinprügeln, war aber außerhalb der Institution ein kultivierter Naturfreund, der mit seinen Vorzugsschülern – zu denen Kästner gehörte, nachdem er die Aufnahmeprüfung fürs Seminar geschafft hatte – lange Wanderungen unternahm. Schließlich gab es noch die Untermieter, die ja auch alle Lehrer waren. Der Junge konnte ihre Bibliotheken benutzen, unter Anleitung Klavier üben, er sah den Unterschied im Lebensstandard zwischen seinen Eltern und ihren Mietern. Mit einem, Paul Schurig, war das Verhältnis besonders eng. Schurig blieb über Jahre, zog sogar mit seiner Wirtsfamilie um, der Schüler durfte allein mit ihm verreisen, und er hätte fast Dora Augustin geheiratet, Erich Kästners Cousine. Zum Leidwesen des Verliebten hatte aber ihr Vater, Franz Augustin, für Lehrer nichts übrig und fertigte Schurig kurz ab.

Es wird deutlich, warum der kindliche Berufswunsch fast nur Lehrer sein konnte. Überdies gab es hier die einzige staatlich sanktionierte Aufstiegsmöglichkeit: Wer weder Oberrealschule noch Gymnasium zu bezahlen vermochte, konnte sein Kind immer noch aufs Lehrerseminar schicken. Das Freiherrlich von Fletchersche Institut war ein Internat, und obwohl die elterliche Wohnung nur einige Schritte entfernt lag, musste Kästner dort bleiben, zweimal in der Woche nur eine Stunde Ausgang. Die Lehrerkaserne entsprach eher einer Unteroffiziersschule, in der die Schüler gebrochen werden sollten. Kästner meinte rückblickend, der Staat habe sich hier blindlings gehorsame, kleine Beamte mit Pensionsberechtigung heranziehen lassen (II, 77).

Aus dieser Zeit gibt es noch einige Schulhefte in Kästners Nachlass. Die Aufsätze zeigen einen angepassten Schüler, der an Goethe die deutsche Innerlichkeit pries und die nationalstolzen Phrasen der Lehrer wiedergab. Auch seine ersten gedruckten Gedichte stammen aus dem Lehrerseminar. Der «Fletcheranerbote» vom Januar 1915 bemerkte, das Interesse der Schüler «für den Krieg und das, was mit ihm zusammenhängt», sei «begreiflicherweise groß. Kriegstagebücher, reichliches Lesen der Zeitungen […], nicht zuletzt auch dichterische Versuche zeugen davon.»[2] Von den ersten Monaten des Weltkriegs an, nach dem Attentat auf den österreichischen Thronfolger im Juni 1914 in Sarajewo, muss den Schülern klar gewesen sein, wie sehr sie das Geschehen anging. Die Jüngeren sahen, wie die Älteren eingezogen wurden, und konnten sich ausrechnen, wann sie ihren Gestellungsbefehl erhalten würden. Der «Quintaner Erich Kästner» veröffentlichte das Gedicht Helden!:

Es gibt ein Wort, das sagt so viel

Und ist so inhaltsschwer:

Ein jeder, der es hört, wird still,

Es klingt so hoch, so hehr:

Helden!

 

[…] Und alle, die da draußen ruh’n,

Tief unter Erd’ und Stein,

Verdienen, daß wir ihnen nun

Den schönsten Nachruf weih’n:

Helden!

Inhaltlich ist dieses Gedicht genauso staatsfromm und konformistisch wie die erhaltenen Aufsätze, formal zeigt sich aber schon ein erstaunliches Können für einen knapp Sechzehnjährigen. Dieses Bild ändert sich in den folgenden Jahrgängen der Schulzeitung nicht.

Im April 1917 erschien Kästners Abschiedslied, Meinen hinausziehenden Kameraden gewidmet. Es spricht von der Sehnsucht nach Frieden, nach einem Wiedersehen, vom Grauen auf die Frage Wo Ihr morgen seid? und wünscht den Mitschülern, dass sie die, die uns beneiden, | Züchtigt mit dem Schwert! Als sein Fletcheraner-Farbenlied und das Lied der Jugend im April 1918 veröffentlicht wurde, war der Dichter selbst «z.Zt. im Felde» und schrieb pessimistisch: Komm Tod! Und laß Dich küssen! | Was schert uns Freud und Lust? | Jungsein heißt Sterben-Müssen!

Im «Fletcheranerboten» häuften sich die Todesanzeigen, dick schwarz umrandete Kästen mit den Namen der Gefallenen unter dem Horaz-Vers «Dulce et decorum est pro patria mori». Bertolt Brecht, ein Jahr älter als Kästner und gleichfalls noch Schüler, wertete in einem Aufsatz den «Ausspruch, daß es süß und ehrenvoll sei, für das Vaterland zu sterben», als «Zweckpropaganda» und spottete über Horaz und seine wilhelminischen Nachahmer:

«Nur Hohlköpfe können die Eitelkeit so weit treiben, von einem leichten Sprung durch das dunkle Tor zu reden, und auch dies nur, solange sie sich weitab von der letzten Stunde glauben. Tritt der Knochenmann aber an sie selbst heran, dann nehmen sie den Schild auf den Rücken und entwetzen, wie des Imperators feister Hofnarr bei Philippi, der diesen Spruch ersann.»[3] Brechts Lehrer fanden das gar nicht lustig und hätten ihn beinahe relegiert. Bei Kästner findet sich in dieser Zeit selbst kein Zeichen offener Auflehnung. Allerdings hat er später die Namen seiner gefallenen Freunde Rochlitz, Braun und Kern – die sich in den Todesanzeigen des «Fletcheranerboten» finden – in dem Gedicht Primaner in Uniform (1929) aufbewahrt.

Am 20. Juni 1917 erhielt er ein Kriegsabgangszeugnis, ein Jahr früher als in Friedenszeiten, einen Tag darauf musste er als «Einjährig-Freiwilliger» zur Fußartillerie einrücken. Er hatte insofern Glück, als er nach den Ausbildungswochen in Dresden nicht mehr an die Front geschickt wurde; Unglück aber, weil er an einen Leuteschinder geriet, den Sergeant Waurich des gleichnamigen Gedichts in der Sammlung Lärm im Spiegel (1929). Dieser Ausbilder brachte seine Zöglinge an den Rand ihres Gehorsams und die Grenzen ihrer Physis, und darüber hinaus:

Er hat mich zum Spaß durch den Sand gehetzt

und hinterher lauernd gefragt:

‹Wenn du nun meinen Revolver hättst –

brächtst du mich um, gleich hier und gleich jetzt?›

Da hab ich ‹Ja!›, gesagt. […]

Der Mann hat mir das Herz versaut.

Das wird ihm nie verziehn.

Es sticht und schmerzt und hämmert laut.

Und wenn mir nachts vorm Schlafen graut,

dann denke ich an ihn. (I, 66)

Gegen Ende des Ersten Weltkriegs griffen Herzneurosen um sich. Brecht hatte eine und wurde gar nicht erst einberufen, einige Autoren des Dresdner Expressionismus hatten sie und kurierten sie in Sanatorien auf dem «Weißen Hirschen» aus, Georg von der Vring hat sie in seinem Roman «Soldat Suhren» (1927) als literarischen Topos gestaltet. Kästner schrieb in einem Lebenslauf unmittelbar nach Kriegsende 1918 von seinen durch die anstrengende Ausbildung beim Militär stark verschlimmerten Herzleiden (Herz-Erweiterung, -Klappenfehler und -Neurose). Er hatte Monate schwer damit zu kämpfen, sechs Wochen musste er im Lazarett bleiben, in Nachbarschaft der wenig älteren Expressionisten, ein nervöses Herz hat er zurückbehalten. Als er im September 1918 nach Köln-Wahn abkommandiert wurde, um dort an Kursen einer Artillerie-Messschule teilzunehmen, setzte er seine Malaise erfolgreich ein, um möglichst lange und von möglichen Schikanen verschont auf der Schule bleiben zu können. Auch merken sie mal, schrieb er an seine Mutter, daß mit mir kein Krieg zu gewinnen ist.[4] Um die Jahreswende, nach Ende des Krieges, wurde er nach Dresden zurückversetzt, am 8. Januar 1919 schließlich entlassen.

Bei seiner Ankunft in Dresden wunderte er sich über die leeren Hauptstraßen, sah in den Nebenstraßen gestaute Menge und Maschinengewehre.[5] Die Münchner Räterepublik wurde gegründet, aber nicht nur in Bayern wurde revoltiert, in ganz Deutschland, auch in Sachsen rumorte es. Als Kind schon hatte Kästner die Niederschlagung eines der häufigen Streiks durch berittene Polizisten gesehen, bei der es Straßenkämpfe gab. Von klein auf hatte er also die autoritären Institutionen des Kaiserreichs ganz handfest immer auch als bedrohte erlebt, als kritisierbare, ja, das Kriegsende zeigte spätestens mit der erzwungenen Abdankung Wilhelms II., dass man sie sogar abschaffen konnte. Das ist eine ganz andere Sozialisation als etwa die von Kästners Eltern, die um 1870 geboren wurden und also 45 Jahre Kaiserreich in ungebrochener Permanenz erlebten.

Die Militärzeit muss für Kästner eine einschneidende Erfahrung gewesen sein; üblich wie für seine Mitschüler auf dem Fletcherschen Seminar, die Gehorsamsautomaten (II, 77), wäre die Fortführung der Lehrerausbildung gewesen, der Antritt einer Stelle und in der Folge eine unauffällige kleinbürgerliche Existenz bis zur Pension und zur alsbaldigen Versenkung in die treudeutsche...

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