Sie sind hier
E-Book

Erlebnisse eines Erdenbummlers

Vollständige Ausgabe

AutorAdam Karrillon
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl273 Seiten
ISBN9783849628925
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Adam Karrillon war ein deutscher Arzt und Schriftsteller, der durch Heimatromane aus dem Odenwald sowie Reiseerzählungen bekannt wurde. Er lebte lange Zeit in Weinheim an der Bergstraße, wo er 1923 Ehrenbürger wurde, und war im selben Jahr erster Träger des Georg-Büchner-Preises. Dies ist seine Autobiografie.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

Die Würzburger Glöckle haben e wunderschön's Geläut


 


Dem Leben in Würzburg ging ich erwartungsvoll entgegen. Ältere Verkehrsgäste unseres Bundes hatten viel Rühmens von dieser Universität gemacht und die Lage der Stadt und das Treiben in ihr in schönen Farben gemalt. Es war ein Frühlingstag, an dem ich das Maintal hinauffuhr. Er neigte sich schon seinem Ende zu, als, von der Abendsonne rosig angehaucht, zuerst das Kloster Himmelspforte und dann die Marienburg vor meinen schönheitshungrigen Blicken auftauchte. Gleich darauf hielt der Zug und ich stand auf dem Perron des Würzburger Bahnhofs. Als ich einen Blick in die Wartesäle warf, fiel es mir auf, daß sie voller Leute saßen. Es kam mir vor, als ob die ganze Menschheit aus lauter Geschäftsreisenden bestünde, die, Gott weiß wohin, von ihren Bedürfnissen getrieben wurden. Ich kannte zur damaligen Zeit noch nicht die süße Gewohnheit aller Bayern, in den Bahnhöfen mit Vorliebe ihren Abendschoppen zu trinken. Dieser Brauch rührte wohl daher, daß man in den Wartesälen Gelegenheit hatte, wieder einmal mit alten Bekannten zusammen zu treffen, ihnen die Hand zu drücken, ein paar Worte zu wechseln und Neuigkeiten zu erfahren. Ich drängte mich mit meinem Gepäck durch die fröhlich zechende Menge hindurch und kam vor den Bahnhof. Ein Nachtquartier fand ich in der "Blauen Glocke", und als ich gegen neun Uhr am nächsten Morgen vom Zusammenläuten geweckt wurde und die Wirtstochter mir den Kaffee brachte, wußt' ich schon, daß die Kapitelüberschrift stimmt, und auch daß die Würzburger Mädli kreuzbrave Leut' sind.

 

Meine vollbusige Hebe hatte mich nämlich auf das genaueste unterrichtet, wo man die Woche über in der Stadt die größten Kalbshaxen bekam, und wo ich sie selber in ganzer Wesenheit an den Sonntagen finden würde, wenn es mich gelüsten sollte, einen Arm voll Brusttee im Walzertakt herumzuschwenken. Das war für meinen vorläufigen Wissensdurst gewiß sehr schätzenswert, zunächst aber fehlte es mir an einem Logis. Ich ließ mein Gepäck im Schutze der offenherzigen Wirtstochter und bemühte mich, das Juliushospital aufzufinden. Im Portal desselben entdeckte ich bald das schwarze Brett und an diesem eine Masse von geschriebenen Zetteln, die Studenten aufmerksam machen sollten, wo ein leeres Zimmer zu finden wäre. Eine von diesen Anschriften verwies mich auf die Bohnesmühlgasse, wo ich denn auch bei einer wohlgenährten Frau Raninger eine saubere und leidlich geräumige Stube fand und von der allwissenden Studentenmutter erfuhr, daß die Burschenschaft im Hofbräuhaus ihre Kneipe und im Theaterkaffee ihren Mittagstisch hätte. Wenn ich der guten Frau noch eine Zeitlang Gehör geschenkt hätte, so konnte ich erfahren, wieviel Hunde die Mönanen hatten und wieviel Geld ihnen der Heidungsfelder Jude vorgestreckt zur Feier ihres letzten Stiftungsfestes. Doch was ich über die Würzburger Verhältnisse jetzt schon wußte, genügte mir. Ich ließ mein Gepäck in die Bohnesmühle schaffen und richtete mich allda ein mit dem festen Vorsatz, meine Studien nicht zu vernachlässigen, im übrigen von den Lebensfreuden an mich zu raffen, was sich von einem gesunden, jungen Menschen nur ergattern ließ. Und diesem meinem Streben war der Genius Loci zugetan. Über dem klaren Fluß, in dem sich neben der Brücke die Burg und das lustige Wallfahrtskirchlein spiegelte, zitterte eine kristallklare Atmosphäre von leichtsinniger Lebensbejahung. Weiter hinaus als an das Heute dachte keiner von den behäbigen Spießern, die mit dem umgebundenen Schurzfell ihren Frühschoppen tranken, dachte keine von den leichtfüßigen Bürgerstöchterchen, die am Arm des Studenten nach der Zeller Waldspitze wanderten oder mit dem Galan im Hofgarten zu Veitshöchheim hinter verschnittenen Buchsbaumhecken Theater spielten. War's da ein Wunder, wenn der Musensohn mitgerissen wurde in den Strudel der Freude hinein? Seid gesegnet, frohe Tage an den sonnigen Ufern des silberblauen Maines, gesegnet ihr Lippen, die mir gelächelt, der Wein, den ich getrunken, und nicht zuletzt seien gesegnet die Freunde, deren Lieder mich entflammten, wenn wir freudetrunken von Dürrbach niederstiegen in den feurigen Nebel, der abends die kirchenreiche Stadt vergoldete.

 

Von den vielen feuchtfröhlichen Gesellen, die ich im Laufe von fünf Semestern kennen lernte, hat keiner einen so nachhaltigen Eindruck auf mich gemacht als Michael Venedey. Seinen Vaternamen hat die badische Revolution vom Jahre 1848 bekannt genug gemacht, und was die nicht tat, das brachte Heinrich Heine fertig, der den idealen Schwärmer mehr als ausreichend in der Sauce seines lauchigen Witzes garkochte. Gut für den Dichter der Loreley, daß er nicht mehr lebte, als der junge Venedey ein Kerl von zwanzig Jahren war. Heine wäre sicher keines natürlichen Todes gestorben.

 

Der Michel war nämlich ein wahrer Herkules an Kraft. Als er mit seiner Ulmer Dogge, die Reitpeitsche unterm Arm zum ersten Male auf der Arminenkneipe erschien, waren aller Augen voll Verwunderung auf den jungen Halbgott gerichtet. Sein frisches Gesicht leuchtete wie die Morgensonne und ein verwegenes Lächeln, das um seinen Mund spielte, schien so verächtlich auf die Erde niederzuschauen, als ob er hätte sagen wollen: "Was kannst du trüber Klumpen einem Göttersohne anhaben." Der breite Thorax stak in einer knapp anliegenden Schützenjoppe und die mächtigen Schenkel flossen in schönen Linien in ein Paar eleganter Reiterstiefel hinein. Dabei war keine Spur von Plumpheit an ihm. Im Gegenteil, alle seine Bewegungen waren so rund und elegant, als ob er sie einem Zirkuskünstler abgeguckt hätte.

 

"Er wird der Schrecken unserer Gegner auf dem Fechtboden sein und das Entzücken aller Würzburgerinnen auf der Sonntagsparade, wenn er aktiv wird," das war der Gedanke, der jedem von den Burschenschaftern aus den Augen leuchtete. Und Venedey brauchte nicht gekeilt zu werden. Er wollte aktiv werden. Er war mit der Absicht erschienen, einzuspringen, und unaufgefordert stellte er seinen Antrag und bat um die Rezeption. Gewiß, er hätte am gleichen Abend noch im Schmucke der Farben als Renommierfuchs die Kneipe verlassen können, wenn er nicht mit dem Bekenntnis herausgerückt wäre, daß er in einen Ehrenhandel verwickelt sei. Seine kurze und bündige Aussage darüber enthüllte etwa folgendes: Kaum abgestiegen in einem hiesigen Hotel, hatte sich die Wirtin in ihren Gast verliebt. Diese Selbstverständlichkeit einem Adonis gegenüber verletzte die älteren Rechte eines Stammgastes und das Renkontre war da und endete mit einer Säbelforderung. Michel hatte angenommen und sein Ehrenwort gegeben, daß die Mensur innerhalb dreier Tage zum Austrag kommen solle.

 

Als man ihn auf der Arminenkneipe frug, ob er denn fechten könne, meinte er: "Nein, aber das ließe sich doch wohl innerhalb dreimal vierundzwanzig Stunden erlernen."

 

So unwahrscheinlich dieses auch war, die Burschenschaft konnte den verwegenen Fuchs nicht im Stiche lassen, und da er nun schon einmal sein Ehrenwort verpfändet hatte, so nahm man ihn am nächsten Tage mit auf die Fechtscheuer, gab ihm den Säbel in die Faust und zeigte ihm, was eine Terz und eine Quart ist. Michel stellte sich nicht ungeschickt an, allein er war noch weit von einem Fechtkünstler entfernt, als die drei Tage schon verstrichen und die Mensur auf dem Malzspeicher einer Brauerei gezogen war. Ich selber war als Verkehrsgast der Burschenschaft von der Teilnahme an dem Ehrenhandel ausgeschlossen. Was ich darüber weiß, stammt aus dem Munde eines Augenzeugen, der mir das Folgende berichtet hat:

 

"Venedey hatte zwar Arme wie ein Fleischerknecht, allein was wollte die rohe Kraft bedeuten einem Gegner gegenüber, der athletisch gebaut und als gewandter Fechter stadtbekannt war. Und nun denke dir nur unseren Schrecken! Als die beiden eben bandagiert waren und antreten sollten, erscheint mit grauen Haaren ein Weib auf der Bildfläche. Sie schreitet auf dem Kothurn einer Antigone über die knarrende Diele des Speichers hin, nimmt den Säbel in die Hand und erscheint vor unserem Paukanten mit den Worten: "Michel, mach' deinem Vater Ehre!" Und rate einmal, die Heroine, wer war's? Venedeys Mutter war's, seine leibliche und wahrhaftige Mutter. Nein, so was war noch nicht erlebt worden. Die Sekundanten sahen einander staunend an. Der Paukarzt zog die Hände aus dem Karbolwasser und putzte seine Brille. Der Unparteiische stemmte sein Notizbuch in die Seite und wußte nicht, was er beginnen sollte.

 

"Indessen hatte Venedey seine Mutter beiseite geschoben und war vorgetreten auf den Kreidestrich. Sein Gegner ließ nicht auf sich warten. Das Kommando ertönte, und die Klingen fuhren mit scharfem Klang gegeneinander. Eins, zwei, drei Gänge waren vorüber, ohne daß noch ein Tropfen Blut geflossen war. Es war zu sehen, zu fühlen, mit Händen zu greifen, Venedeys Gegner sondierte seinen Feind. Er wollte wissen, wen er vor sich hatte, bevor er einen Hieb riskierte. Er lauerte auf eine Blöße und wenn er die gefunden hatte, dann – aber erst dann – holte er zu dem Streiche aus, der die Mensur beenden mußte. Wie vorauszusehen war, so kam's. Im vierten Gang warf Michels Gegner den rechten Arm mit dem ganzen Oberkörper blitzschnell vor. Der Hieb pfiff durch die Luft und fiel mit einem dumpfen Ton nieder auf den Schädel unseres Paukanten. Ein panischer Schrecken lähmte die Zunge der Sekundanten. Sie vergaßen "Halt" zu rufen. Die Zeugen nur stürzten vor und fingen den Michel auf. Mit ellenlangen Schritten kam der Paukarzt herangeeilt und drückte den nassen Schwamm auf Venedeys Kopf, von dem ein blutiges Rinnsal übers Ohr hinweg nach der...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Biografie - Autobiografie

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Sigmund Freud

E-Book Sigmund Freud
Format: PDF

Wer war Sigmund Freud wirklich? Wie war der Mann, der in seiner Ordination in der Wiener Berggasse der Seele des Menschen auf die Spur kam? Und welche Rolle spielte dabei die weltberühmte Couch…

Sigmund Freud

E-Book Sigmund Freud
Format: PDF

Wer war Sigmund Freud wirklich? Wie war der Mann, der in seiner Ordination in der Wiener Berggasse der Seele des Menschen auf die Spur kam? Und welche Rolle spielte dabei die weltberühmte Couch…

Sigmund Freud

E-Book Sigmund Freud
Format: PDF

Wer war Sigmund Freud wirklich? Wie war der Mann, der in seiner Ordination in der Wiener Berggasse der Seele des Menschen auf die Spur kam? Und welche Rolle spielte dabei die weltberühmte Couch…

Weitere Zeitschriften

Archiv und Wirtschaft

Archiv und Wirtschaft

"Archiv und Wirtschaft" ist die viermal jährlich erscheinende Verbandszeitschrift der Vereinigung der Wirtschaftsarchivarinnen und Wirtschaftsarchivare e. V. (VdW), in der seit 1967 rund 2.500 ...

aufstieg

aufstieg

Zeitschrift der NaturFreunde in Württemberg Die Natur ist unser Lebensraum: Ort für Erholung und Bewegung, zum Erleben und Forschen; sie ist ein schützenswertes Gut. Wir sind aktiv in der Natur ...

bank und markt

bank und markt

Zeitschrift für Banking - die führende Fachzeitschrift für den Markt und Wettbewerb der Finanzdienstleister, erscheint seit 1972 monatlich. Leitthemen Absatz und Akquise im Multichannel ...

Courier

Courier

The Bayer CropScience Magazine for Modern AgriculturePflanzenschutzmagazin für den Landwirt, landwirtschaftlichen Berater, Händler und generell am Thema Interessierten, mit umfassender ...

crescendo

crescendo

Die Zeitschrift für Blas- und Spielleutemusik in NRW - Informationen aus dem Volksmusikerbund NRW - Berichte aus 23 Kreisverbänden mit über 1000 Blasorchestern, Spielmanns- und Fanfarenzügen - ...

SPORT in BW (Württemberg)

SPORT in BW (Württemberg)

SPORT in BW (Württemberg) ist das offizielle Verbandsorgan des Württembergischen Landessportbund e.V. (WLSB) und Informationsmagazin für alle im Sport organisierten Mitglieder in Württemberg. ...

rfe-Elektrohändler

rfe-Elektrohändler

rfe-Elektrohändler ist die Fachzeitschrift für die CE- und Hausgeräte-Branche. Wichtige Themen sind: Aktuelle Entwicklungen in beiden Branchen, Waren- und Verkaufskunde, Reportagen über ...

VideoMarkt

VideoMarkt

VideoMarkt – besser unterhalten. VideoMarkt deckt die gesamte Videobranche ab: Videoverkauf, Videoverleih und digitale Distribution. Das komplette Serviceangebot von VideoMarkt unterstützt die ...

Evangelische Theologie

Evangelische Theologie

Über »Evangelische Theologie« In interdisziplinären Themenheften gibt die Evangelische Theologie entscheidende Impulse, die komplexe Einheit der Theologie wahrzunehmen. Neben den Themenheften ...