Einleitung
Wir sind oft glücklicher, als wir denken, aber wir denken nicht oft genug daran.
»Glück« – ein Wort, das uns träumen lässt. Wer wäre nicht gern glücklich(er) und vollauf zufrieden mit seinem Leben? Das Streben nach Glück ist eines der zeitlosen Elemente des Menschseins. Schon die Philosophen und Gelehrten der Antike machten sich darüber Gedanken, und in vielen ihrer Schriften, die uns überliefert sind, finden sich entsprechende Überlegungen. Die Suche nach dem Glück hat eine lange Tradition, und doch dauerte es bis ins 21. Jahrhundert, dass eine entscheidende Neuerung auf diesem Gebiet eintrat: die wissenschaftliche Untersuchung des Glücksstrebens mit den Mitteln der Positiven Psychologie.
Durch ihre Überlegungen und ihr beispielhaftes Verhalten zeigen uns Denker und Gelehrte, welche Wege zum Glück führen können. Doch zwischen den abstrakten Gedanken und der komplexen Lebenswirklichkeit liegt oftmals eine Kluft, die sich nicht so ohne Weiteres überbrücken lässt. Daher nähern sich Psychologen dieser Frage mit einer radikal modernen Methode: Sie messen das tatsächliche Glücksempfinden der Menschen und untersuchen die Mechanismen seiner Entstehung. Man kann zum Beispiel stichhaltige Argumente dafür vorbringen, dass Geld nicht glücklich macht, man kann aber auch – wie die Positive Psychologie es tut – Studien durchführen, die die Lebenszufriedenheit im Verhältnis zum Einkommen messen. Man kann auch Menschen befragen, die unverhofft zu großem Reichtum gekommen sind, etwa durch einen Lotteriegewinn oder eine Erbschaft, und ihre Entwicklung über einen langen Zeitraum hinweg verfolgen. Statistisch aufbereitet, liefern die dabei erhobenen Daten empirisch fundierte und unverfälschte Erkenntnisse über das Glücksempfinden und sein Zustandekommen.
Mittlerweile werden in wissenschaftlichen Zeitschriften Monat für Monat zahllose Artikel zum Thema »Positive Psychologie« veröffentlicht.1 Unser Wissen über das Glück wächst also ständig, und zwar in solchem Umfang, dass es schwierig ist, die Ergebnisse zusammenzufassen. Im Lauf der Jahre hat sich jedoch inmitten dieser gewaltigen Wissensmenge eine zentrale Erkenntnis herausgebildet: Glück ist kein unveränderlicher Zustand, der irgendwann einmal eintritt, sondern es entsteht vielmehr im Zuge eines dynamischen Prozesses. Oder vereinfacht gesagt: Ob wir glücklich werden und es bleiben, hängt wesentlich von uns selbst ab.
Die Positive Psychologie konnte belegen, dass für unser Glücksempfinden weniger die tatsächlichen Ereignisse ausschlaggebend sind als die Art und Weise, wie wir sie empfinden. So muss etwa jemand, der, wie es so schön heißt, »alles hat, was man zum Glücklichsein braucht«, nicht unbedingt glücklich sein. Und andererseits kann jemand, der, gemessen an den materialistischen Kriterien unserer zeitgenössischen Konsumgesellschaft, ein bedauernswertes Dasein fristet, rundum glücklich sein. Unser Glücksempfinden hängt also weniger von den Ereignissen ab, die uns widerfahren, als davon, wie wir sie wertschätzen und welchen Sinn wir ihnen verleihen.
Wie also sollen wir leben, wenn wir möglichst glücklich werden wollen? In jüngster Zeit wurden etliche althergebrachte Weisheiten wiederentdeckt, die uns lehren, dass bei der Antwort auf diese Frage das Bewusstsein mit seinen heilenden Fähigkeiten eine entscheidende Rolle spielt. Denn um ein Ereignis als Glück bringend erleben zu können, müssen wir uns bewusst machen, was in diesem Moment gerade vor sich geht. Wenn wir zum Beispiel mit Freunden in geselliger Runde beisammensitzen, in dem Moment aber von Sorgen geplagt werden oder uns von unserem Handy ablenken lassen, wird das Glücksempfinden sehr niedrig sein oder sogar gegen null gehen. So können wir eine potenziell Glück bringende Situation regelrecht verpassen.
Seit einigen Jahren gewinnt die Praxis der Achtsamkeit als Methode, ganz in der Gegenwart zu sein, zunehmend an Popularität. Man hat sie von ihren religiösen Wurzeln befreit, und sie ist nun regelmäßig Gegenstand wissenschaftlicher Experimente.2 Ihre positive Wirkung auf die psychische Verfassung konnte belegt werden,3 und sie hat sich als probates Mittel erwiesen, das Glücksempfinden durch gesteigerte Aufmerksamkeit für die Gegenwart zu erhöhen.
Heißt das nun, dass das Glück, das aus den schönen Momenten unseres Lebens hätte erwachsen können, für immer verloren ist, nur weil wir diese Momente nicht ausreichend gewürdigt haben? Zum Glück nicht! Denn unser Gehirn verfügt über eine Fähigkeit, die – auf die richtige Weise eingesetzt – eine nachholende Funktion haben kann: das Erinnerungsvermögen. Unsere Erinnerungen bergen ein gewaltiges Glückspotenzial, und das umso mehr, als sie keine ein für alle Mal festgeschriebene Gestalt haben, sondern veränderbar sind. Die Vorstellung, dass sich Erinnerungen mit der Zeit wandeln, mag auf den ersten Blick befremden, aber die Untersuchungen der Psychologie und der Kognitionswissenschaften führen zu genau diesem Ergebnis.
Unser Erinnerungsvermögen ist vor allem für die Frage von Bedeutung, inwieweit wir uns selbst als glücklich einschätzen. Daher muss man es auf die richtige Weise gebrauchen, um weder in eine emotionslose Betrachtung der Vergangenheit zu verfallen noch voller Nostalgie und Wehmut an die »gute alte Zeit, die nicht mehr wiederkehrt«, zurückzudenken. So wie wir üben können, den gegenwärtigen Augenblick intensiver zu erleben, können wir auch lernen, unsere Erinnerungen und unser Gedächtnis einzusetzen, um unser Wohlbefinden zu steigern.
Dieser neuartige Zugang zum Glück vermittels Gedächtnis und Erinnerungen entstammt allerdings nicht direkt den Hauptströmungen der Positiven Psychologie. Deren Pioniere, wie Martin Seligman, Mihaly Csikszentmihalyi, Tal Ben-Shahar, Ed Diener, Sonja Lyubomirsky und Barbara Fredrickson, haben die Grundlagen dieser Forschungsrichtung gelegt, indem sie Menschen zu den Ereignissen ihres Lebens befragten sowie dazu, welches Maß an Glück sie ihrer eigenen Ansicht nach erreicht hatten. Wir verdanken diesen Wissenschaftlern detailreiche und exakte Studien, die uns vieles über Optimismus lehren, über die Erfahrung des »Flow«, über Dankbarkeit und über die sogenannten positiven Emotionen. Aber wie verlässlich sind die subjektiven Einschätzungen unseres Wohlbefindens, wenn wir sie im Nachhinein treffen? Wenn wir behaupten, eine glückliche Kindheit verlebt zu haben – vereinfachen und entstellen wir mit einer solchen Einschätzung nicht den ganzen Reichtum dieser zwölf Jahre? Einen entscheidenden Beitrag zu dieser Diskussion, der in der Öffentlichkeit allerdings nur wenig Beachtung gefunden hat, lieferte der Psychologe und Wirtschaftswissenschaftler Daniel Kahneman,4 der 2002 mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet wurde. Er hat sich mit kognitiven Verzerrungen beschäftigt, also mit den Unzuverlässigkeiten, die sich in unser Denken und unsere Werturteile einschleichen. Durch jahrelange Forschungsarbeit konnte er belegen, dass wir oft glücklicher sind, als wir denken, aber nicht oft genug daran denken.
Diese Formel, die wie ein allgemeingültiges Gesetz klingt, sagt sehr viel über die Epoche aus, in der wir leben. Manche Menschen betrachten es fast schon als unanständig, in so aufgewühlten Zeiten wie unseren von Glück zu sprechen, angesichts der Erderwärmung, des Terrorismus, der ständigen Wirtschaftskrisen, der wachsenden nationalistischen Tendenzen und so weiter. Doch wer so argumentiert, übersieht die psychischen Mechanismen, die unsere Aufmerksamkeit gezielt auf diese problembeladenen Aspekte lenken und andere, positive Elemente ausblenden. In Wirklichkeit ist es nämlich so, wie Jacques Lecomte es in seinem gleichnamigen Buch beschreibt: »Der Welt geht es besser, als Sie glauben.«5 Wir neigen dazu, unsere Aufmerksamkeit den Katastrophen zu widmen, die starke emotionale Erschütterungen in uns auslösen, und vergessen darüber die zahlreichen angenehmen Dinge unserer Lebenswelt. Gleichermaßen prägen wir uns vor allem negative Erinnerungen ein, was dazu führt, dass wir ein allzu finsteres Bild von der Realität haben. Wenn wir uns mit diesen psychischen Mechanismen beschäftigen, können wir verstehen, wie sie funktionieren, sie sodann außer Kraft setzen und zu einer realistischeren – und paradoxerweise optimistischeren – Einschätzung unseres Erlebens gelangen.
Dieses Buch, das auch zahlreiche praktische Ratschläge zur Steigerung des Glücksempfindens enthält, ist in drei Teile gegliedert: Im ersten geht es um das Glückserleben in der Gegenwart dank achtsamen Verhaltens, im zweiten um die Vergangenheit, die wir mithilfe angenehmer Erinnerungen rückwirkend als glücklich erleben können, und schließlich um eine glückliche Zukunft, in die wir mittels unserer Vorstellungskraft blicken. Dabei wird immer wieder der Gedanke im Mittelpunkt stehen, dass Glück nicht nur davon abhängt, wie wir die Gegenwart wahrnehmen, sondern auch davon, wie wir unsere kognitiven Fähigkeiten einsetzen, insbesondere im Rahmen unseres Erinnerungsvermögens und unserer Vorstellungskraft. Es geht also um Glück in allen Lebensphasen …
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