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Es war einmal ein schwarzes Klavier ...

Unvollendete Memoiren

AutorBarbara
VerlagWallstein Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl200 Seiten
ISBN9783835341326
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Die Ikone der französisch-deutschen Verständigung erzählt aus ihren Leben. Zum 20. Todestag der Sängerin (24.11.2017) erscheinen ihre Memoiren erstmals in deutscher Sprache. Barbara wollte als Kind nur eines: singen. Sie begann ein Gesangsstudium, tingelte in Brüssel und Paris durch die Clubs zunächst mit Chansons u. a. von Jacques Brel und Georges Brassens. Der Durchbruch gelang erst, als sie ihre Lieder selbst komponierte - fortan füllte sie die großen Konzertsäle weltweit. Mit ihrem Lied 'Göttingen' schuf sie eine Hymne für die deutsch-französische Verständigung, die bis heute nachwirkt. Auf der Bühne überließ Barbara keine auch noch so kleine Geste dem Zufall. Ihre Erinnerungen - angefangen bei einer zum Teil traumatischen Kindheit über Begegnungen in der Künstlerszene bis zu ihrem Aufstieg zur Grande Dame des Chansons - hingegen bestechen gerade durch das spontan Aufgeschriebene, durch das Authentische, Unmittelbare. Der pointierte und auch poetische Stil erlaubt es, mit wenigen Strichen ein wahres Künstlerleben zu evozieren. Ihre Memoiren begann sie 1997 zu schreiben - sie blieben unvollendet.

Barbara (1930-1997) hieß mit bürgerlichem Namen Monique Andrée Serf. Wegen ihrer jüdischen Herkunft musste sie vor den deutschen Besatzern fliehen. Lange Zeit hatte sie sich geweigert, im Land der Täter aufzutreten. 1964 kam sie dennoch nach Göttingen, wo sie das heute noch bewegende Lied 'Göttingen' verfasste. Es war die Zeit ihres künstlerischen Durchbruchs. In Frankreich genießt sie nach wie vor Kultstatus, in Deutschland wurde sie von Gerhard Schröder sowie jüngst auch von Joachim Gauck offiziell zitiert.

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Leseprobe

Unvollendeter Bericht


»ES WAR EINMAL EIN schwarzes Klavier …«, diese Geschichte beginnt bei Einbruch der Nacht, am 9. Juni 1930 in Paris, Square des Batignolles.

Ich war ein kleines Mädchen, das sich – wie so viele andere Kinder – eine Welt erschaffen hatte, um sich dorthin zurückzuziehen. In dieser Welt war ich eine singende Pianistin. Mit den Fingern trommelte ich Melodien auf den Tisch, sang und sprach sie unermüdlich mit. Meine Hände bewegten sich wie auf einem imaginären Klavier, und stundenlang war ich die größte Pianistin der Welt!

»Komm, deck bitte den Tisch …«

Oh, diese Menschen, die mich aus meinen Träumen reißen und die schuld sind daran, dass ich es auf immer und ewig hasse, gehorchen zu müssen!

Wenn man die größte Pianistin der Welt ist und die Töne herumwirbeln, sich erheben, durch die geöffneten Fenster bis über die Wolken hinauf in den Himmel emporsteigen, um sich dann, Kaskaden von Regen gleich, in die Tiefen der Meere zu ergießen, auf die Gründe der Flüsse hinab zu sinken, sich von ihnen aufnehmen, verschlingen zu lassen, um weit entfernt, in anderen Ländern wieder aufzutauchen, ausgespien zu werden, wenn man »die größte Pianistin der Welt« ist, dann deckt man nicht den Tisch! Die größte Pianistin der Welt bin ich nicht geworden, aber ich habe nie aufgehört, Musik zu hören, und auch meine Abneigung gegen alles, was so einfach meine Träume unterbrechen und den Augenblick zerstören könnte, habe ich mir bewahrt. Ich hasse es, wenn jemand plötzlich laut in meine geheimen Rückzugswinkel eindringt. Ich verabscheue diese jähen Unterbrechungen, diese knallenden Türen, diese viel zu lauten Stimmen, die mich bei meiner Arbeit verletzen.

Wie soll ich es nur ausdrücken, es noch einmal sagen, ohne wie ein Ungeheuer zu wirken, wo ich doch lediglich um Respekt für diese Stille bitte, auf die jeder ein Anrecht hat. Ich schreibe folgende Zeilen und hänge sie in einen kleinen schwarzen Rahmen:

 

Ich bin schwer zu ertragen,

wenn ich arbeite.

Schreien nützt nichts.

Ich sehe nichts,

aber ich höre gut.

Danke!

 

Dies verändert die Dinge und macht die Stimmen sanft. Um mich herum säuselt es eine Zeit lang …

Und dann diese Fragen! Oh, die Fragen dieser ewig Neugierigen, die immer wissen wollen, was uns vollkommen selbstverständlich scheint: »Wann haben Sie beschlossen zu singen?« Entscheidet man sich eines Tages dafür, zu singen, oder ist es nicht vielmehr eine lange und schöne Krankheit, die man in sich trägt und von der man niemals vollkommen geheilt wird?

Ich litt an dieser schönen Krankheit, von der ich nur mit großen Schwierigkeiten kuriert werden konnte. Heute, immer noch genesend, kann ich dieses Buch schreiben …

 

Meine ältesten Erinnerungen reichen zurück bis in das Jahr 1937, als ich in Marseille meine erste große Liebe kennenlernte. Ich war sieben Jahre alt und hatte mich in den Sprössling einer adeligen Familie verliebt, einen Dreizehnjährigen, der wahrhaft sehr gut aussah.

Meine erste kleine Dieberei geschah für ihn: zweiunddreißig frische, duftende, saftige Feigen und so schön anzuschauen, dass mein Vater sie einzeln abzählte und in die Obstschale auf dem großen Buffet legte.

Zwei Tage lang leugnete ich, diese zweiunddreißig Feigen stibitzt zu haben, trotz der Drohung, die Gendarmen zu rufen, mich auf ein Internat zu schicken und weiterer demütigender Strafen.

Marseille: Das war der Mistral, mit dem wir zu kämpfen hatten, der meinen Bruder Jean und mich auf dem Weg zur Schule an die Mauern drückte. Marseille, das war der Duft der großen, mit Knoblauch eingeriebenen und mit Olivenöl beträufelten Brotscheiben, die wir in unseren Schulranzen verstauten, das Wettrennen den Boulevard Gaston-Crémieux hinunter, alsdann links und noch einmal links bis zu unseren aneinander grenzenden Schulen. Das Klappern meiner Holzpantinen im Innenhof der Schule, wenn ich ihn rennend überquerte, weil ich zu spät war, die Garderoben und die alten Garderobenhaken, der Geruch der eierschalenfarbenen Schulkittel, auf denen in Rot unsere Namen standen. Und wenn ich endlich in der Klasse angelangt war, erwarteten mich dort mein Schulpult, der Federkasten, das angenagte Radiergummi, der nach Mandeln duftende Topf mit Klebstoff und der Duft der veilchenfarbenen Tinte.

Die schönsten Erinnerungen an meine über verschiedene Institutionen verstreute Schulzeit habe ich an Marseille; sie duften am wohlsten.

 

1938: Wir sind in Roanne, wo meine kleine Schwester Régine zur Welt kommen wird. Von hier stammt meine einzige Erinnerung an ein Weihnachtsfest in der Familie. Am 24. Dezember – es herrschte eine klirrende Kälte – wurden wir zur Mitternachtsmesse mitgenommen. Bei der Rückkehr wartete in der Küche unsere Großmutter, Granny, auf uns, mit einer Orange, einer heißen Schokolade, die einen köstlichen Duft nach Zimt verströmte, und einigen Stückchen Kandiszucker, die sie uns auf einer kleinen blauen Untertasse servierte. Welche Leckereien!

Wie sehr liebte ich meine Großmutter! Sie war ausgesprochen zierlich, mit sehr hohen Wangenknochen, großen schwarzen Augen und überaus feingliedrigen Händen. Das Licht der Welt hatte sie in Tiraspol in Moldawien erblickt, wo auch meine Mutter geboren wurde. Granny duftete nach Honig und buk für mich Kuchen mit hellen Rosinen aus Korinth, Strudel mit Äpfeln und kleingehackten Nüssen. Sie tröstete mich über alles hinweg. Ich kletterte auf ihre Knie und machte es mir in ihren Armen bequem. »Bin ich deine Liebste, Granny? Erzähl‘ wie du in Russland warst, wie du nach Paris gekommen bist. Erzähl‘ wie es war, als Mama noch klein war!« Granny erzählt mir, und als Dank setze ich mich an den Tisch vor mein imaginäres Klavier und spiele ein Lied für sie.

1938 herrscht in Roanne Armut. Ich trage Kleider von Erwachsenen, die für meinen kleinen Kinderkörper zurechtgeschneidert sind und die ich nicht ausstehen kann. In Roanne gab es auch Gerichtsvollzieher, sogenannte »Frühaufsteher«! Eines Tages habe ich sogar miterlebt, wie alle unsere Möbel verschwanden, außer dem Bett meiner Eltern und – Gott sei Dank – dem großen Tisch, auf dem ich meine Lieder erfand und mit den Fingern Klavier spielte.

Ich habe Sätze gehört wie: »Kinder, ihr dürft nicht die Tür aufmachen!« und »Ihr sagt, dass Papa nicht da ist!« Wegen der Gläubiger machten wir oft Umwege. Häufig schämte ich mich. Seitdem hasse ich das Wort »Geld«, die Schummelei und die Lüge. Ich habe das krankhafte Bedürfnis nach Wahrheit, nach meiner Wahrheit …!

Von Roanne behalte ich besonders die Kälte in Erinnerung; wir froren in unserem Haus und in der ganzen Stadt, die ich im eisigen Winter durchqueren musste, ohne Handschuhe, mit blaugefrorenen Fingern, die unendlich schmerzten. Oh wie sehr sie schmerzten!

Viel später, als ich im Théâtre des Variétés[3] auftrat, kaufte ich bei einem alten Herrn, der nebenan in der Ladenzeile ein kleines Geschäft hatte, einen ganzen Vorrat an Handschuhen aus Wolle und Leder in allen möglichen Farben, prachtvolle cremefarbene Handschuhe oder weiße, die bestickt waren, feminin verziert mit Perlmuttknöpfchen, die wie Perlen aussahen. Etliche davon habe ich verschenkt, aber manche befinden sich noch immer hier bei mir.

Aus Roanne hat sich unsere Familie heimlich, still und leise, ohne zu bezahlen davongemacht, in einem alten, dunkelgrünen Oldsmobile, an dessen Existenz ich mich nur noch in diesem Zusammenhang erinnere, den ich aber wunderschön fand.

In der Nacht habe ich mich ständig im Bett herumgewälzt, glaubte ich doch, wir würden verfolgt, und bis heute weiß ich noch immer nicht, ob ich dabei Furcht oder Vergnügen empfand.

 

September 1939: Wir leben in Le Vésinet. »Kinder«, sagen uns unsere niedergeschlagenen Eltern, »der Krieg ist gerade ausgebrochen, wir müssen weg.«

Mein Vater wird eingezogen.

Die Familie trennt sich: Meine Mutter bleibt mit meiner kleinen Schwester Régine zusammen, mein Bruder und ich mit Tante Jeanne.

Stets umhüllt von weiten Mänteln, herrisch und noch immer schön (sie war einst Mannequin bei Poiret[4]), mit ihren langen, durch das Rheuma ein wenig verformten Händen, kreuzte Tante Jeanne, ihre goldverzierte Krokotasche an sich gepresst, oft in Krisenzeiten oder wenn es kein Brot mehr gab, plötzlich bei uns auf und rief: »Ah, meine armen Kinder!«

Tante Jeanne bringt uns von Le Vésinet nach Poitiers, wo wir bei einer ihr bekannten Arztfamilie untergebracht werden. Wir gehen auf eine Schule, vor der eines Tages, zu meiner großen Überraschung, mein Vater am Ausgang auf mich wartet. Er ist in Uniform und hat nur zwei Stunden Zeit, die er mit mir und meinem Bruder verbringt. Danach bringt er mich zurück. Schluchzend flehe ich ihn an zu bleiben. Vergeblich. Ich sehe ihn noch, wie er sich entfernt, sich umdreht, wieder zurückkommt, mich in...

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