Ich war gerade aus den USA zurückgekehrt, wo ich eine sechswöchige Tour mit drei Pferden und einem Expeditionsführer unternommen hatte, der bereits mehrfach Nordamerika zu Pferd durchquert hatte. »Zwei im Wilden Westen« hieß die Dokumentarreihe, die uns fast 2000 Kilometer von Arizona bis nach Montana führte.
MÉMOIRE: MIT DEM FAHRRAD DURCH DIE BRETAGNE
Meine erste Escapade unternahm ich mit 17 in den Sommerferien. Ich durchquerte mit meinem Fahrrad die Bretagne. Am Abend des dritten Tages kam ich durch ein kleines Dorf, in dem ich vor einem typisch bretonisch weißen Häuschen auf ein älteres Paar traf. »Sie sind ganz allein unterwegs!?« – Der alte Herr und seine Frau schauten mich mit großen Augen ungläubig an. Hinter mir fuhr ein junger Mann auf einem Moped vorbei. »Ist das nicht Ihr copain?« Ich musste kurz auflachen. Wie konnten sie denken, dass ich mit dem Fahrrad, aber mein Freund mit einem Moped unterwegs sein sollte?!? Mein Gesicht spannte, die Lippen waren aufgesprungen, und ich war hundemüde und vor allem sehr hungrig. Es war ein ungewöhnlich heißer Tag, und ich hatte über gute 40 Kilometer immer wieder neue Steigungen bezwungen. Die beiden Alten sahen sich an und machten eine Pause. Sie schienen mit der Situation überfordert. »Die gîte d’étape, in der ich heute Nacht unterkommen wollte, ist leer, das war mir etwas unheimlich. Daher dachte ich, vielleicht könnte ich heute Abend bei Ihnen bleiben?«, versuchte ich einen erneuten Anlauf.
Mir steckte noch die letzte Nacht in den Knochen, in der ich auf Anraten meines Vaters einen Priester um ein Nachtquartier gebeten hatte. Da dieser katholisch war, kam sein Haus für mich nicht infrage, aber er ließ mich in seinem Schuppen auf dem Hof ein Lager aufschlagen, und ich schlief, sobald ich meine Isomatte ausgerollt und meinen Pullover unter meinen Kopf geschoben hatte, mit einem tiefen Seufzer ein.
Kurze Zeit später war ich schlagartig hellwach: Es näherten sich die Schritte von mehreren Menschen. Ihren Stimmen und den Geräuschen nach, die sie von sich gaben, handelte es sich um eine Gruppe jüngerer Männer, offensichtlich stark angeheitert. Sie kamen näher und gaben dabei Hühnerlaute von sich, sodass ich mich in meiner Fantasie bereits in ihren Fängen wähnte. Ich griff nach einem kleinen Finnendolch, den mir meine Patentante mitgegeben hatte, und malte mir aus, was ich tun könnte, wenn die Horde mich hier entdecken würde … Ich schaute mich fieberhaft um, in der Dunkelheit war kaum etwas zu erkennen, also tastete ich mich vorsichtig voran. Ich spürte mein Herz in meiner Brust derart klopfen, dass ich fürchtete, es müsste draußen zu hören sein, mein Atem beschleunigte sich, bis ich kaum mehr Luft bekam, und es laut in meinen Ohren pochte. Die Männer schienen nun den Schuppen umstellt zu haben. Sie kennen sich sicher aus, bestimmt haben sie gesehen, dass ich hier drinnen bin, und freuen sich jetzt, ihrem Opfer ganz in Ruhe auflauern zu können. Ich fühlte die Schweißbäche an meinen Schläfen und versuchte, meine Taschenlampe zu fassen zu kriegen. Da hörte ich, wie jemand die Türklinke herunterdrückte. Mein Herz stand still, ich sprang auf und erinnerte mich erleichtert, dass ich von innen abgeschlossen hatte. Das Gegacker war nun rund um den Schuppen herum zu vernehmen, und das Gelächter nahm weiter zu. Ich verfluchte meine Entscheidung, mich alleine in dieser Baracke niedergelassen zu haben, und suchte verzweifelt nach einem Versteck. Meine Peiniger rüttelten vehement an der Tür, es klopfte am Fenster, und mir schien, einer oder zwei von ihnen waren aufs Dach geklettert.
Nach sich endlos ziehenden Minuten gab die Meute auf, und die Stimmen verebbten in der Ferne. In dieser Nacht tat ich kein Auge mehr zu. Am nächsten Morgen trat ich vollkommen gerädert in die Pedale und schwor mir, mich nicht noch einmal einer solchen Situation wie in der vergangenen Nacht auszusetzen.
Die alte Frau fasste ihren Mann am Arm und machte grunzende Laute. »Mon mari ronfle!« – Mein Mann schnarcht! Ich strahlte sie erleichtert an, als ich ihre Bereitschaft spürte, dieses verrückte deutsche Mädchen in ihr Haus zu lassen, das, warum auch alles in der Welt, mit gerade einmal 17 Jahren allein eine Fahrradtour durch die Bretagne machte. »Das macht mir gar nichts, merci mille fois!«
Und schwupp! stand ich mit Madame und Monsieur im Badezimmer. Er kletterte in die Dusche, um mir jedes Detail seiner neu installierten Armatur mit erhobener Stimme vorzuführen, während seine Frau mich stolz anstrahlte. Wenn du einer Sprache nicht ganz mächtig bist, haben die Menschen um dich oft die Tendenz, lauter zu sprechen, als würde es zu einem besseren Verständnis führen.
Madame bereitete mir eine heiße Schokolade und Baguette mit Butter und selbst gemachter Konfitüre, und ich war glücklich in diesem kleinen, friedlichen Universum des bretonischen Rentnerpaars. Im Fernsehen lief eine Sendung über Politik, und ich wurde immer wieder mit Kommentaren einbezogen, die ich nicht verstand. Ich nickte jedoch freundlich zustimmend, und unser Band war geknüpft.
Tatsächlich habe ich noch nie jemanden so schnarchen gehört wie Monsieur. Es war eine ganze Bärenhorde, die er da versammelt hatte, aber ich habe auch selten so erleichtert und woh-
lig in einem Bett geschlafen, angrenzend an das Schlafzimmer meiner liebenswürdigen Gastgeber.
Gut ausgeschlafen, fielen mir am Morgen wieder ein paar Vokabeln mehr ein, und so war unser gemeinsames Frühstück ein lebhafter Abschluss, bevor ich mich energiegeladen auf mein Fahrrad schwang, um weiter gen Westen zu fahren. Wir haben uns noch einige Jahre lang Karten geschrieben, und ich vermute, sie hatten reichlich Erzählstoff durch ihren unverhofften Gast aus Deutschland.
Meine Reise führte mich von Nantes weiter bis nach Brest, wo wir uns schließlich zu dritt zusammentaten: Ein Schweizer und eine Deutsche, die ebenfalls mit ihren Rädern unterwegs waren. Täglich versuchte ich, meine Eltern anzurufen, damit sie sich nicht sorgten, wusste jedoch nicht genau, wie das funktionierte. Die Dame von der Telefonvermittlung sprach mir zu schnell, und so zog ich von Telefonzelle zu Telefonzelle – ohne Erfolg. Wir fuhren gemeinsam mit unseren Rädern per Zug nach Paris, und als ich endlich meine Eltern erreichte – der Schweizer erklärte mir, dass ich bei der Vorwahl eine Null weglassen müsste –, hatten sie bereits sämtliche Krankenhäuser in der Bretagne durchtelefoniert. »Ich muss waschen und brauche Geld, und dann muss ich nach Bern! Die Reise war fantastisch, ich bin so fit wie noch nie!« Meine Mutter atmete tief durch. »Komm erst mal nach Hause, alles Weitere sehen wir dann.«
Paris hatte mich überwältigt, und meine Entscheidung nach dieser Tour war gefallen: die Sprache, das Ursprüngliche, die Sinnlichkeit und die Schönheit der Landschaft. In diesem Land wollte ich leben!
17 Jahre später bin ich aufgebrochen, und heute ist Frankreich mein Zuhause.
In der Zeit zwischen diesen beiden wegweisenden Eskapaden, zwischen Frankreich und den USA, liegen knapp drei Jahrzehnte. In diesem Zeitraum habe ich drei Schauspielschulen besucht, in über 40 Filmproduktionen mitgewirkt, 20 Jahre lang Schauspieler und Studenten unterrichtet und an mir, an den Menschen und am Leben erforscht, was uns berührt, was uns bewegt, was uns beschäftigt. Mein Anliegen war es, meine Arbeit immer mehr zu verfeinern, um eine vollkommene Authentizität in der Verkörperung meiner Figuren zu erreichen. Meine Lehrer waren meine Dozenten, meine Studenten, meine Kollegen, meine Tiere, meine Freunde und Mitmenschen. Von ihnen allen lerne ich, mit ihnen übe ich, sie inspirieren mich, und mit ihnen teile ich meine Erfahrungen.
Seit jeher galt mein Interesse dem Körper und seinem emotionalen Ausdruck. Ich war meine eigene Probandin und habe mir dabei folgende Fragen gestellt:
Im Schauspiel kreieren wir Widerstände für unsere Figuren, um daran die menschlichen Regungen und deren Unzulänglichkeiten sowie ihre Stärken zu zeigen. Durch einen dramatischen Spannungsaufbau erzeugen wir beim Zuschauer den starken Wunsch, dass ebendiese Konflikte sich lösen. Geschieht dies, erfährt der Zuschauer Erleichterung.
Im Alltag erleben wir Menschen permanent Konfliktsituationen und suchen instinktiv...