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Europäisierung der französischen Wirtschafts- und Finanzpolitik

AutorAlexander Heftrich
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2005
Seitenanzahl106 Seiten
ISBN9783638415576
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2004 im Fachbereich Politik - Internationale Politik - Thema: Globalisierung, pol. Ökonomie, Note: 1,3, Philipps-Universität Marburg, 145 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Die institutionellen Arrangements von Gesellschaft und Staat, Staat versus Wirtschaft, die politische Meinungsbildung und Umsetzung der Vorgaben waren im französischen Nationalstaat seit jeher geprägt von einer etatistischen, dirigistischen Logik und Ideologie. Hintergrund war der Leitgedanke einer 'grande nation', die über ausgewählte und subventionierte Staatsprojekte ihre wirtschaftliche Stellung im europäischen Kontext aufrechterhalten sollte. Dem Staat kam hierbei eine exponierte Stellung zu, erschien er doch als Inbegriff des Gemeinwillens, Garant für soziale Gleichheit und als unerschütterlicher Fels in der Geschichte Frankreichs. Wie macht sich das Phänomen der Europäisierung in einem zentralistischen Staatsgefüge bemerkbar? Hält die Tradition der Entscheidungsfindung und Realisierung diesem Druck stand? Ergeben sich neue Akteurskonstellationen, die das Land in eine andere Richtung lenken, fernab egalitären Gedankengutes? Speziell seit Ende der 90er Jahre wird wiederholt von 'Frankreichs neuer Wirtschafts- und Gesellschaftsdynamik' gesprochen und die 'grande nation' erfreut sich großer Beliebtheit bei institutionellen Anlegern. Unser Nachbar hat sich scheinbar sehr erfolgreich an die veränderten Rahmenbedingungen angepasst und wartete mit deutlichem Wirtschaftswachstum auf. Mit zunehmender Internationalisierung der Konzerne, dem Entstehen diversifizierter Strukturen, veränderter Unternehmensstrategien und einer modifizierten Unternehmenskultur beschritt Frankreich den Weg zu einem neuen Wachstumsmodell anglo-amerikanischer Prägung. Im Jahre 2001 wurde das Finanzkonsortium von Banque Nationale de Paris (BNP) und Paribas gemessen an der Marktkapitalisierung zur größten Bank im ganzen europäischen Raum. Dies nur ein Beispiel der Kette von Marktführerschaft französischer Unternehmen auf dem europäischen Kontinent. Der durch die Europäisierung ausgelöste Anpassungsdruck hat sich verschärft, die fortschreitende Marktintegration in Europa fungiert als Sprungbrett für eine verbesserte Wettbewerbsfähigkeit im globalen Maßstab.

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Leseprobe

6. Die wirtschaftspolitische Wende 1983 und ihre Folgen


zwar stabilisierende Effekte, konnten aber die Schere zwischen Frankreichs Inflationsrate und der des europäischen Durchschnitts nicht schließen (vgl.

Uterwedde 1988b: 149). Auf monetärer Ebene vollzog Frankreich den Übergang zu einer geldmengenorientierten Politik und zu einer Quasi-Ankoppelung des Franc an die D-Mark (vgl. Hall 1986; Loriaux 1991). Nun war für die Verantwortlichen in Paris klar, dass die Sachzwänge des Binnenmarktes anerkannt werden mussten. Der Delors-Plan vom Frühjahr 1983 war der Startschuss für das „austeritätspolitische Paradigma“ (Steinhilber 2000: 16) der kommenden Jahre. Die prioritäre Zielsetzung des Planes war die Reduzierung der Binnennachfrage, um durch die Einschränkung des Konsums und der Nachfrage das Außenhandelsdefizit zu reduzieren. Finanzminister Delors brachte dieses Vorhaben auf einen Generalnenner: „We want to have wages rise more slowly than prices in order to curb consumer purchsing power and increase profitability“

(Smith 1998: 75). 94 Das Spar- und Stabilitätsprogramm sah das Einfrieren von Gehältern über 250.000 Franc vor, ein unter der Inflationsrate liegenden Anstieg der Gehälter (10% in 1983 gegenüber einer Inflation des Vorjahres um 12%), die Beschränkung der jährlichen Devisenausfuhr um 2000 Franc pro Person und die Anhebung der öffentlichen Gebühren und Tarife um 8% (vgl. Hall 1986: 198ff.; Schmidt 1996a/2002; Smith 1998: 75; Steinhilber 2000: 16). Mit dieser erstmaligen Reduzierung der Kaufkraft, sowie den weiteren Bemühungen um eine Eindämmung der Inflation und um einen Ausgleich des Haushaltsdefizits, fand ein grundlegender Prioritätenwechsel in der französischen Wirtschaftspolitik statt. Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, einstmals oberstes Ziel, war jetzt von sekundärer Bedeutung. Eine Politik, deren Kontinuität bis zum heutigen Datum andauert und Ausdruck des wirtschaftspolitischen Konsenses der führenden

Industrienationen ist. 95 Nationale Alleingänge wurden undenkbar, vielmehr bedeutete die Angleichung an die Stabilitätspolitik der anderen europäischen Länder ein Vorantreiben der Harmonisierung um der amerikanischen Wirtschaft Paroli bieten zu können und deren Stellung auf dem internationalen Terrain zu gefährden. „Stattdessen wurden die außenwirtschaftlichen Anpassungszwänge, die sich aus der internationalen Verflechtung und der Zugehörigkeit zur Europäischen Gemeinschaft ergeben, nunmehr offen als Restriktion für die Binnenwirtschaftspolitik akzeptiert“ (Uterwedde 1988a: 36). Gleichsam beginnt nun der, vornämlich von äußerem Druck und der nationalen Wirtschafts- und

Politikerriege induzierte, Transformationsprozess der französischen Wirtschafts- Finanzpolitik. Die nachfolgenden Regierungen Fabius bis Jospin rückten vom Paradigma der Stabilitätspolitik nicht ab, trotz vereinzelter rhetorischer

Verlautbarungen. 9697 Dem makroökonomischen Umdenken (Inflationsbekämpfung, starke Währung und schrittweise Senkung des Haushaltsdefizits) folgte ein Wechsel in der Industriepolitik. So wurde ab 1983/84 das Zurückdrängen staatlicher Dirigismen und Kontrollen forciert, die staatliche Lenkungsfunktion vergangener Jahre (Konstrukteur und Modernisierer) aufgehoben und die Unternehmen weitgehend den Marktkräften unterworfen. Voraussetzungen für die Schaffung und Aufwertung marktwirtschaftlicher Strukturen und Regelungen in der französischen Wirtschaftsordnung. Hervorzuheben ist, dass dieser Liberalisierungsprozess zu einer Neudefinition der Grenzen von Staat und Markt führte und weitgehend von den Anforderungen und Anpassungszwängen der europäischen Ebene vorangetrieben wurde. Die Aufgaben des Staates beschränkten sich im Wesentlichen darauf, die Rahmenbedingungen für die Unternehmen abzustecken und mit einer Reform des Finanzsektors den Unternehmen neue Formen und Instrumente der Finanzierung bereitzustellen. Die spätere Bereitschaft der französischen Regierungen zur Akzeptanz und Umsetzung der harmonisierten europäischen Regelungen rührte

dabei aus diesen Erfahrung der 80er Jahre. 98 Die industriepolitischen Maßnahmen und die Aufgabe von ehemals prestigeträchtigen Sektoren (beispielsweise sei auf die Umstrukturierung im Stahlbranche verwiesen [vgl. Daley 1996]) führten in erster Linie zu Arbeitsplatzverlusten (vgl. Steinhilber 2000: 17). Die Stabilität des Franc wurde propagiert unter Inkaufnahme von Wachstums- und Beschäftigungseinbußen.

96 Hier sei auf die ersten Monate der Regierung Jospin 1997/8 verwiesen, die sich für einen „dritten Weg“ in der Wirtschaftspolitik aussprachen, jedoch die Politik der Deregulierung und Privatisierung unverhohlen und konsequent weiterführten (vgl. Izraelewicz 1999; Mital/Izraelewicz 2002)

97 Ross (1998b: 21f.) klassifiziert die französische Entwicklung während der „EMS-period“ als Pfadwechsel. Deflation, ein starker Franc und eine hohe Arbeitslosigkeit prägten diese Zeit. Eine Kontinuität nach der Vollendung des Binnenmarktes ist ablesbar.

Tabelle 4: Inflation, Wachstum und Arbeitslosigkeit von 1979-1986


99

Quelle: eigene Darstellung; Cameron 1996: 72.

99 Ähnliches Schaubild mit weiteren Indikatoren liefert Hall (1986: 223).

folgt: gemessen an den gesetzten Zielen, der Rückkehr zum außenwirtschaftlichen Gleichgewicht und der drastischen Reduzierung der Inflationsrate, sei die Regierung recht erfolgreich gewesen. Mit der Strategie der „competitive disinflation“ konnten diese Ziele erreicht und die Inflationsrate in den nächsten Jahren unter das Niveau der Haupthandelsländer gedrückt werden. Eine nach außen und innen stabilisierte Währung sollte zur Förderung des Wachstums beitragen (vgl. Steinhilber 2000: 43). Nachdruck verlieh diesem Ansinnen die nachfolgende konservative Regierung. Diesem Politikansatz lagen zwei Motive zu Grunde. Der Erreichung konnte einerseits nur durch Lohnzurückhaltungen entgegengekommen werden - unüblich für die französische Tradition. „The instrument was straightforward wage restraint by imposing inflation targets on wage negotiations” (Hancké 1999: 10). Die sozialen Auswirkungen dieser rigorosen Politik - höhere Arbeitslosigkeit - wurden in der Folgezeit spürbar und

verschärften sich zusehends. 100 Tendenziell orientierte sich die Politik ab dem Kurswechsel 1983 eindeutig an dem westdeutschen Vorbild. Die Stabilität der beiden Währungen und ihres Wechselkurses wurde in Paris als entscheidende währungspolitische Maxime betrachtet. Konsequenterweise machte sich die französische Regierung von der Geldpolitik der deutschen Bundesbank abhängig. „The second goal followed the first (Inflationsbekämpfung, A.H.) and was an attempt to emulate the hard currency environment that had been so beneficial to

German industry” (Hancké 1999: 11). 101 Fortan wurde eine Abwertung aus psychologischen Punkten abgelehnt (vgl. Schmidt 1996b). Die Hochzinspolitik der „franc fort“ Strategie wirkte sich im Umkehrschluss negativ auf die Investitions- und Finanzlage der Unternehmen aus. Mitte der 80er Jahre war das erreichte Zinsniveau eines der höchsten in ganz Europa (vgl. Hall 1986; OECD 1986) und sorgte für eine Verschlechterung der unternehmerischen Lage.

Tabelle 5: Financial results of large firms, 1981-1985


Quelle: eigene Darstellung; Hancké 1999: 10; Schmidt 1996b: 108.

im Zuge der voranschreitenden Liberalisierungen alle europäischen Finanzsysteme einem Wandel unterlegen gewesen, dem die Merkmale angloamerikanischer Strukturen innewohnen, aber Frankreich sticht aufgrund seines

vollzogenen Bruchs mit der Tradition heraus. 103104 „With the withdrawal of state ascendancy over the financial sector, the national system of financing has taken a new turn in France“ (Cieply 2001: 159). Die Modernisierung und Liberalisierung des französischen Finanzmarktes zielte zum einen auf eine Akquirierung ausländischer Kapitalvermögen als auch auf breitere Möglichkeiten der Unternehmensfinanzierung. Der Staat als liquider Akteur konnte aufgrund der restriktiven Geldpolitik keine großen Projekte mehr finanzieren, sondern fungierte eher als Gestalter und Moderator in der Unternehmenslandschaft (vgl. Schmidt 2002: 117, 198ff.). Das Projekt des Binnenmarktes mit der 1986 verabschiedeten Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) warf seine Schatten voraus und forcierte die internen Bemühungen der französischen Eliten um eine Aufwertung der „grande nation“ (vgl. Story/Walter 1997: 196). Dieser Mix aus externem Druck (Zwang) von europäischer Seite als auch das Beharren auf Reformen seitens der

Wirtschaft erklärt den Restrukturierungsprozess der 80er Jahre. 105 Jacques Delors und Anhänger lancierten die Schaffung neuer Finanzierungsmittel und werteten die Pariser Börse, ehemals ein Stiefkind und eher unbeachtet, auf. Mittels den „titres participatifs“ konnten private Investoren sich...

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