- 1 Biblische Begriffe1
- 1.1 Erwählung
Erwählung ist die zunächst aus der Geschichte Israels bekannte Tat Gottes, durch die er Menschen für ein bestimmtes Ziel aussondert.
haireomai2, erwählen, vorziehen, lieber wollen. Ein seltenes Wort, denn es kommt nur an drei Stellen im NT vor: Hebr 11,15, Phil 1,22, (Paulus weiß nicht, wofür er sich lieber entscheiden soll, Himmel oder Erde) und im 2. Thessalonicherbrief, Gottes Erwählen der Gemeinde zur Seligkeit:
„Wir aber müssen Gott allezeit für euch danken, vom Herrn geliebte Brüder, dass Gott euch von Anfang an erwählt hat zur Rettung in Heiligung des Geistes und im Glauben an die Wahrheit, wozu er euch auch berufen hat durch unser Evangelium, zur Erlangung der Herrlichkeit unseres Herrn Jesus Christus.“ (2 Thess 2,13f.)
Der Vers zeigt: Die Berufung geschieht durch die Verkündigung des Evangeliums, und die Erwählung zielt auf Rettung, auf Heiligung, auf Glauben sowie auf die Herrlichkeit in Christus. „Von Anfang an“ deutet im Zusammenhang mit der Evangeliumsverkündigung auf den Beginn des Handelns Gottes im Leben den Gläubigen, hinter dem nämlich die liebende Rettungsabsicht Gottes in Christus steht.
Die Wortgruppe umfasst des Weiteren die Begriffe für Partei oder Spaltung (hairesis) sowie für Irrlehrer und damit das deutsche Lehnwort „häretisch“ (hairetikos) und ist trotz der Wortbedeutung im Sinne der prädestinativen Fragestellung nicht sehr ergiebig.
eklegomai3, sich auslesen, erwählen, (aus)erwählen; eklektos, auserwählt; eklogä, Wahl, Auswahl, Erwählung. Eklegomai und eklektos erscheinen je 22 mal, eklogä 7 mal, v. a. bei Paulus4. Als „Erwählte“ (eklektos) erscheint vorwiegend ein Kollektiv, etwa die Apostel (Lk 6,13) oder die Gemeinde (auch 2Joh 1,13); der Singular ist selten (bezogen auf Jesus: Lk 23,35; Joh 1,34; 1Petr 2,4.6; bezogen auf ein Gemeindemitglied nur Röm 16,13). Das Verb kann „die Bestimmung zu einem besonderen Auftrag durch die Gemeinde beschreiben“5, bezieht sich aber überwiegend auf das Erwählungshandeln Gottes oder auch speziell Christi (v. a. Joh 6,70; 13,18; 15,16.19; Lk 6,13). Das Substantiv „Erwählung“ (eklogä) bedeutet immer Gottes Erwählungshandeln gegenüber Israel (Röm 9,11; 11,5.7.28) oder der Gemeinde (1Thess 1,4; 2Pt 1,10), nur einmal in Bezug auf den Auftrag eines Menschen (Paulus, Apg 9,15).
Im AT wird der Begriff Erwählung verwendet, „um Israels Wissen um seinen Ursprung, seinen Sinn und seine Bestimmung auszudrücken, vor allem die besondere Beziehung zwischen Gott und seinem Volk […] Israels Dasein ist das Geheimnis von Gottes souveränem Handeln in der Geschichte. Gottes Wahl ergeht nicht auf Grund des Wertes der Erwählten, sie geschieht aus freier gnädiger Zuwendung.“6 Sie erscheint aber auch in der Geschichte des alttes-tamentlichen Gottesvolkes nicht als unabänderlicher Besitz, sondern sie darf, wie wohl voraussetzungslos, nicht folgenlos bleiben. Sie bedarf des Gehorsams und Glaubens, wie das Mahnwort der Propheten zu betonen nicht müde wird.
Im NT geht zunächst die Berufung der Jünger auf das erwählende Handeln Jesu zurück, so dann versteht sich jeder Christusgläubige als Erwählter. Die Gemeinde (ekkläsia, die Berufene) besteht aus Erwählten. In der Erwählung findet die Gnade Gottes ihren vollkommensten Ausdruck.
Synoptiker. Die „Erwählten“ stehen bei den Synoptikern immer in einem endzeitlichen Zusammenhang (Mt 22,14; Mt 24; Mk 13). Gerufen ist zunächst Israel, doch im Weiteren auch die Heiden. Die Reaktionen der Geladenen zeigen, wie sehr der göttlichen Gnade menschlicher Gehorsam entspricht. „Auch der Mann ohne Festkleid ist zwar Berufener, weil er jedoch seinen Ungehorsam mit ans Gastmahl bringt, der Begnadigung nicht durch rechtes Verhalten entspricht, kann er kein wirklicher Teilnehmer sein. Nur im Gehorsam also wird die Erwählung realisiert. Hier ist keine statische Erwählungslehre vertreten, sondern Motivtheologie, die auf die rechte Stellung der Erwählten zielt: Beschenktsein ohne Gehorchenwollen wird hinfällig. So steht hier der Erwählungsgedanke in voller Geschichtslebendigkeit, er ruft zur Verantwortung und Entscheidung.“7 Die Geladenen haben eine echte Option. Der Sinn des Gleichnisses liegt gerade in der Feststellung, dass man auch anders als im unangemessenen Gewand erscheinen kann, geschweige denn die Einladung ausschlagen muss. Die Möglichkeit des Abfalls der Erwählten bleibt im biblischen Sprachgebrauch eingeblendet, was auch der nächste Abschnitt verdeutlicht. In der synoptischen Apokalypse (Ölbergrede; Mt 24; Mk 13; Lk 21) ist von den Erwählten die Rede, Christusgläubige, die durch die Schwere der Ereignisse in Gefahr geraten. Gott realisiert seine Erwählungsabsichten durch Verkürzung der Zeit, sodass sie gerettet werden.
Der erwählte Verräter. Die Erwählung der Apostel durch Jesus berührt auch die Frage nach der Erwählung des Judas. Des Verräters Existenz wird in Joh 6,70 angekündigt, in Joh 13,18 enthüllt, und nach seinem Weggang kommt die Erwählung erst Joh 15,16 mit einer uneingeschränkten Verheißung zu bleibender Frucht zur Vollendung. Die außerordentlich kritische Fragestellung, wie selbst in diesen inneren Kreis speziell ein nach dem Gebet Jesu erwählter Verräter Eingang finden konnte und wie das sogar noch als göttliche Vorsehung Deutung finden konnte, kristallisiert den gesamten Spannungsbogen von Erwählung und Verantwortung exemplarisch heraus. „Der auswählende Wille“, so sieht es Schrenk, „vollzieht sich in der Sphäre des Glaubens und des Nichtglaubens, des Gehorchens und Nichtgehorchens. Das Kennzeichen derer, die ihm vom Vater gegeben sind, ist das Glauben an seine Worte.“8
Die Lehre einer Zweiklassenerwählung – zum Heil oder zur Verdammnis – findet in diesen Beschreibungen keine Stütze, denn es wird eben nicht gesagt, Judas sei als Teufel oder Verräter auserwählt. Beides steht nebeneinander: berufen und auserwählt zum Apostel und doch, wie sich herausstellt, ein Ungläubiger, ein Ungehorsamer, ein Teufel. Die Heilsentscheidung ist also schon im Zwölferkreis unter das eigenverantwortliche Entweder-oder gestellt. Johannes zeigt damit, wie das, was für die Menschheit gilt, bereits in der engsten Umgebung Jesu stattfand. „Wie haben die ersten Christen diese Erschütterung verarbeitet, die der Verrat des Judas unter ihnen ausgelöst hat?“ fragt sodann Hampel in seinen exegetischen Untersuchungen zur Prädestination. „Sie nahmen Zuflucht zu der Schrift und finden in Psalm 69,26 und 109,8 eine Antwort, obwohl diese Schriftstellen objektiv und geschichtlich von etwas ganz anderem sprechen. Aber als Petrus und die anderen Apostel um Klarheit über den Verrat des Judas rangen, da führte der Geist Gottes sie auf diese Bibelstellen. Nicht die Tat des Judas als solche wird darin vorbestimmt. Über das Verhältnis von göttlicher Bestimmung und menschlicher Schuld wird hier nicht spekuliert. Beides steht hier nebeneinander, das alles umfassende göttliche Regieren und die Freiheit und Verantwortung des von Jesus erwählten Judas, sein Apostelamt wahrzunehmen oder nicht. Darum löst Petrus das schreckliche Geheimnis im Verrat des Judas nicht auf und sagt nicht: Dieser Verrat musste geschehen, denn die Schrift hat ihn vorausgesagt. Was die Schriftworte aussagen, ist erstens, dass Sünde, wenn keine Buße geschieht, nicht gut geht ... Deshalb hat Jesus schon im Voraus gesagt (in Mt 26,24): Der Menschensohn geht zwar dahin, wie von ihm geschrieben steht; doch weh dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird! Es wäre für diesen Menschen besser, wenn er nie geboren wäre. Da antwortete Judas, der ihn verriet, und sprach: Bin ich´s, Rabbi? Er sprach zu ihm: Du sagst es. Angesichts der Judasgeschichte sagt Jesus nicht, dass das Gott vorausbestimmt hätte, sondern die Vorherbestimmung war, dass Jesus verraten werden wird. Aber gleichzeitig betont Jesus, dass Judas für den Verrat voll verantwortlich ist. Er wünschte ihm, nie geboren worden zu sein. Damit trägt Judas für seine Tat und für den Verlust seines Aufseheramtes die volle Verantwortung. Deshalb ist er nach Joh 17,12 wieder ein Verlorener geworden: keiner von ihnen ist verloren außer dem Sohn des Verderbens, damit die Schrift erfüllt werde.“9
Vor Grundlegung der Welt. Eph 1,4 ist die einzige Stelle, an der die Erwählung ausdrücklich mit dem Akzent der Ewigkeit versehen wird. Während die prädestinative Gedankenkette von Röm 8,28f. eher rückblickend spricht und Gottes ewige Absichten als Grund der Rettung aufhellt, bringt Eph 1 einen umfassenden Blick, der das Erwählungsgeschehen untrennbar mit Christus verbindet und in ihm allein geschehen lässt. Das Kapitel beschreibt den im präexistenten Christus von Gott gefassten Heilsplan und schließt damit alle, die an ihn glauben, in die Erwählung ein. Der Leser erfährt sich als Gotteskind erwählt und bestimmt. Und das geschieht eben durch den Auserwählten, durch Christus (vgl. Lk 9,35). Die Zweckbestimmung der Erwählung liegt nun in einem christusverbundenen und christusähnlichen Leben, das von Liebe und gottgeweihtem Wandel gekennzeichnet ist.
Erwählung und...