Sie sind hier
E-Book

Exodus

Interpretation durch Rezeption

AutorBarbara Schmitz, Matthias Ederer
VerlagVerlag Katholisches Bibelwerk
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783460510395
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis39,99 EUR
Die Erzählung vom Exodus des Volkes Israel aus Ägypten hat das kollektive Gedächtnis Israels zutiefst geprägt. Dieser Grundmythos von der Unterdrückung Israels in Ägypten und der Befreiung aus der Sklaverei mit der Gabe des Landes wird bereits in der biblischen Literatur vielfach aufgegriffen und für die eigene Gegenwart ausgelegt. Der vorliegende Band geht diesen Deutungen nach und zeichnet den Weg der Rezeptionsgeschichte von der Hebräischen Bibel über die Literatur des antiken Judentums bis in die Rezeptionsgeschichte der Gegenwart in Kunst und Musik nach.

Matthias Ederer, PD Dr. theol., geb. 1977, Akademischer Oberrat a. Z. am Lehrstuhl für Exegese und Hermeneutik des Alten Testaments an der Universität Regensburg.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

Der »Sinai auf der Wanderung«


Zur Symbolik des priesterlichen Heiligtums

BERND JANOWSKI

In vielen Exodus-Kommentaren und Bibellexika finden sich Abbildungen, die die sog. »Stiftshütte« von Ex *25,1–40,38 detailgenau wiedergeben und in eine karge Wüstenlandschaft versetzen.1 Das ist eine spezielle Form der Rezeption, die zuweilen mehr über die Rezipienten als über die Autoren dieser Texte aussagt. Ob es dieses Bauwerk allerdings jemals gegeben hat oder ob es fiktional ist2 – mit B. Jacob tendiere ich zum Letzteren3 –, entscheidend ist der Sachverhalt, dass der Textkomplex Ex *25,1–40,38 ein Heiligtum beschreibt, das zwar »keinen historisch fassbaren örtlichen oder zeitlichen Bezug«4 hat, aber dennoch kein realitätsfernes Konstrukt, »kein reines Phantasiegebilde in dem Sinne (ist), dass der Verfasser losgelöst von jeder Wirklichkeit, sich alle diese Dinge ausgedacht habe«5. Vielmehr rekurriert die Priesterschrift auf traditionelle Elemente wie die Lade, die Keruben oder den Altar, denen sie im Rahmen ihrer Heiligtumskonzeption eine neue Bedeutung beilegt.6 Im Übrigen entscheidet sich die Frage des Realitätsbezugs von Ex *25,1– 40,38, wie Chr. Dohmen zu Recht betont hat,

»nicht an historischen und/oder materiellen Möglichkeiten der Verwirklichung dieses Konzepts, sondern kann und muss allein vom Kontext der Sinaiperikope her angegangen und entschieden werden«7.

Und sie sollte, wie ich hinzufüge, auch das Symbolsystem der priesterlichen Heiligtumskonzeption in die Betrachtung einbeziehen. In diesem Sinn wende ich mich zunächst der Komposition von Ex *24,15b– 40,38 (I) und danach der Frage nach ihrer symbolischen Bedeutung (II) zu. Am Schluss soll die Frage nach dem Realitätsbezug des priesterlichen Heiligtums noch einmal aufgenommen werden (III).

I. Zur Komposition von Ex *24,15b–40,38


»Im dritten Monat nach dem Auszug der Israeliten aus Ägypten, an diesem Tag kamen sie in die Wüste Sinai. Und sie lagerten in der Wüste« (Ex 19,1.2aβ). Mit dieser Itinerarnotiz beginnt die priesterliche Sinaigeschichte Ex *24,15b–40,38,8 in der sich viermal die theologisch gewichtige Wendung šākan (»sich niederlassen, wohnen«) + Subj. JHWH / »Herrlichkeit JHWHs« / »Wolke« findet (Ex 24,16; 25,8; 29,45 f.; 40,35).9 Im Zentrum dieses großen Textkomplexes stehen, gerahmt von den beiden Berichten über das Erscheinen des kebôd JHWH auf dem Sinai (Ex 24,15b–18a) und seiner Gegenwart auf dem Zeltheiligtum (Ex 40,17.34 f.), die Anweisungen zum Bau des Heiligtums (Ex *25,1–31,18) sowie der Ausführungsbericht des Heiligtumsbaus (Ex *35,1–40,38). Die vier šākan-Texte stehen dabei an markanten Punkten des Erzählzusammenhangs:

24,15b–18a: Erscheinen des kebôd JHWH auf dem Sinai

24,15bUnd die Wolke bedeckte den Berg,
16und die Herrlichkeit JHWHs ließ sich auf dem Berg Sinai nieder (šākan),
und die Wolke bedeckte ihn sechs Tage lang.
Und er (JHWH) rief Mose am siebten Tag mitten aus der Wolke.
17Und die Erscheinung der Herrlichkeit JHWHs war wie ein verzehrendes Feuer auf dem Gipfel des Berges vor den Augen der Israeliten.
18aUnd Mose ging mitten in die Wolke hinein, und er stieg auf den Berg hinauf.

*25,1–39,43: Bau des Heiligtums

*25,1–31,18: Anweisungen + Ankündigung (Gottesrede)

25,8Sie sollen mir ein Heiligtum machen,
und ich werde in ihrer Mitte wohnen (šākan).
9Entsprechend allem, was ich dir zeige, das Modell der Wohnstätte und das Modell all ihrer Geräte,
so sollt ihr (es) machen.
29,43Dort werde ich den Israeliten begegnen, und er wird geheiligt werden10 durch meine Herrlichkeit.
44Ich werde das Zelt der Begegnung und den Altar heiligen, und Aaron und seine Söhne werde ich heiligen, um mir Priester zu sein.
45Und ich werde inmitten der Israeliten wohnen (šākan)
und ich werde ihnen Gott sein,
46damit sie erkennen, dass ich JHWH, ihr Gott bin, der sie aus dem Land Ägypten herausgeführt hat, um in ihrer Mitte zu wohnen (šākan).
Ich bin JHWH, ihr Gott.

*35,1–40,33: Ausführung + Billigung + Segnung (Bericht)

39,32So wurde die ganze Arbeit an der Wohnstätte des Zeltes der Begegnung vollendet.
Die Israeliten hatten (sie) gemacht, entsprechend allem, was JHWH dem Mose geboten hatte, so hatten sie (es) gemacht.
43Und Mose sah die ganze Arbeit, und siehe, sie hatten sie gemacht, wie JHWH geboten hatte, so hatten sie (sie) gemacht.
Und Mose segnete sie.

40,*34–38: Gegenwart des kebôd JHWH auf dem Zeltheiligtum

40,34Und die Wolke bedeckte das Zelt der Begegnung, und die Herrlichkeit JHWHs erfüllte die Wohnstätte.
35Und Mose konnte nicht in das Zelt der Begegnung hineingehen, denn die Wolke hatte sich auf ihm niedergelassen (šākan), und die Herrlichkeit JHWHs erfüllte die Wohnstätte.

Während sich die šākan-Aussagen Ex 24,16 und Ex 40,35 jeweils in den Rahmenstücken 24,15b–18a und Ex 40,34 f. finden, gehören Ex 25,8 und Ex 29,45 f. zum Mittelstück (Ex *25,1–39,43) der priesterlichen Sinaigeschichte. Hier wiederum bildet die JHWH-Rede Ex 29,43–46 den sachlichen Höhepunkt:

Begegnen JHWHs

  • 43 Dort werde ich den Israeliten begegnen, und er wird geheiligt werden durch meine Herrlichkeit.
  • 44 Ich werde das Begegnungszelt und den Altar heiligen, und Aaron und seine Söhne werde ich heiligen, um mir Priester zu sein.

Wohnen JHWHs

Siglen: BF = Bundesformel, EF = Erkenntnisformel, HF = Herausführungsformel, SF = Selbstvorstellungsformel.

Diese JHWH-Rede stellt »eine pointierte Zusammenfassung der Gedanken von P über den Sinn des gesamten Heiligtums samt seiner Priesterschaft dar«11 und kann deshalb als Mitte der priesterlichen Sinaierzählung bezeichnet werden.12 Denn dieses Zeltheiligtum, dessen himmlisches »Modell« (tabnît)13 Mose auf dem Sinai gezeigt wird (Ex 24,15b–18a) und dessen Herstellungsanweisungen Ex 26,1–27,21 detailliert entfalten, ist nach Pg der irdische Ort, an dem JHWH inmitten seines Volkes »wohnen« (Ex 25,8) oder – wie Ex 29,43–46 formuliert – an dessen Eingang er den Israeliten »begegnen« will (jʿd nif. V. 43). Dabei führt in Ex 29,43–46 die thematische Linie vom jʿd nif. »begegnen, sich offenbaren« (V. 43) über das qdš pi. »heiligen« (V. 44) zu den šākan-Aussagen in V. 45a und V. 46aγ, denen mit ihren formelhaften Wendungen (Bundes-, Erkenntnis-, Selbstvorstellungs-, Herausführungsformel) eine rahmende Funktion zukommt. Mit diesem Stilmittel hat die Priesterschrift erreicht, dass das Wohnen JHWHs in Israel nicht als solches akklamiert wird, sondern dass es – und damit wird das Wohnen JHWHs auf seinen tiefsten Bedeutungsgehalt zurückgeführt – Ausdruck des Bundesgedankens von V. 45b (»und ich werde ihnen Gott sein«) ist:

»Dieser Bund ist eben keine abstrakte Idee, sondern Teil des Geschehens, das Israel an den Sinai gebracht hat. Nur deshalb kann und muss JHWH sich selbst – wie bei der Dekalogeröffnung – als Gott Israels durch die ›Herausführungsformel‹ (›der ich sie aus dem Land Ägypten herausgeführt habe‹) vorstellen. Wenn das Ziel der Herausführung aus Ägypten im Wohnen in der Mitte der Israeliten (so V. 46) – mittels des Heiligtums – besteht, dann entsteht daraus eine tiefe Fundierung für den künftigen Gottesdienst, insofern er die Freiheit der von JHWH Befreiten feiernd weiterträgt.«14

Schlägt man von dieser Sinnmitte der priesterlichen Sinaigeschichte einen Bogen zu der die Sinaierzählung abschließenden...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Theologie

Sich verzehrender Skeptizismus

E-Book Sich verzehrender Skeptizismus
Läuterungen bei Hegel und Kierkegaard - Kierkegaard Studies. Monograph SeriesISSN 12 Format: PDF

The study focuses on the sceptical forms of thought and expression with which Hegel and Kierkegaard link the claim for absolute truth. With his 'self-completing scepticism' (Phenomenology of…

Sich verzehrender Skeptizismus

E-Book Sich verzehrender Skeptizismus
Läuterungen bei Hegel und Kierkegaard - Kierkegaard Studies. Monograph SeriesISSN 12 Format: PDF

The study focuses on the sceptical forms of thought and expression with which Hegel and Kierkegaard link the claim for absolute truth. With his 'self-completing scepticism' (Phenomenology of…

500 Jahre Theologie in Hamburg

E-Book 500 Jahre Theologie in Hamburg
Hamburg als Zentrum christlicher Theologie und Kultur zwischen Tradition und Zukunft. Mit einem Verzeichnis sämtlicher Promotionen der Theologischen Fakultät Hamburg - Arbeiten zur KirchengeschichteISSN 95 Format: PDF

This essay collection presents a multi-facetted overview of five centuries of cultural history and the history of Christianity in Hamburg; at the same time, it places local historical aspects…

Werner Elerts apologetisches Frühwerk

E-Book Werner Elerts apologetisches Frühwerk
- Theologische Bibliothek TöpelmannISSN 142 Format: PDF

This study opens up a hitherto neglected chapter in the history of theology that at the same time reconstructs exemplars of problem complexes and lines of argumentation which are of present-day…

Werner Elerts apologetisches Frühwerk

E-Book Werner Elerts apologetisches Frühwerk
- Theologische Bibliothek TöpelmannISSN 142 Format: PDF

This study opens up a hitherto neglected chapter in the history of theology that at the same time reconstructs exemplars of problem complexes and lines of argumentation which are of present-day…

Albrecht Ritschl: Vorlesung 'Theologische Ethik'

E-Book Albrecht Ritschl: Vorlesung 'Theologische Ethik'
Auf Grund des eigenhändigen Manuskripts - Arbeiten zur KirchengeschichteISSN 99 Format: PDF

This first published edition of his lectures on ethics reflects the theology of Albrecht Ritschl (1822-1889) at a time when he advanced to become the most significant Protestant theologian in…

Die Welt der Götterbilder

E-Book Die Welt der Götterbilder
- Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche WissenschaftISSN 376 Format: PDF

Divine images create their own world of theological reflection and religious practice. Pictorial representations have to reduce complexity, yet at the same time they create their own complexity.…

Die Welt der Götterbilder

E-Book Die Welt der Götterbilder
- Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche WissenschaftISSN 376 Format: PDF

Divine images create their own world of theological reflection and religious practice. Pictorial representations have to reduce complexity, yet at the same time they create their own complexity.…

Die Welt der Götterbilder

E-Book Die Welt der Götterbilder
- Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche WissenschaftISSN 376 Format: PDF

Divine images create their own world of theological reflection and religious practice. Pictorial representations have to reduce complexity, yet at the same time they create their own complexity.…

Weitere Zeitschriften

Menschen. Inklusiv leben

Menschen. Inklusiv leben

MENSCHEN. das magazin informiert über Themen, die das Zusammenleben von Menschen in der Gesellschaft bestimmen -und dies konsequent aus Perspektive der Betroffenen. Die Menschen, um die es geht, ...

aufstieg

aufstieg

Zeitschrift der NaturFreunde in Württemberg Die Natur ist unser Lebensraum: Ort für Erholung und Bewegung, zum Erleben und Forschen; sie ist ein schützenswertes Gut. Wir sind aktiv in der Natur ...

BIELEFELD GEHT AUS

BIELEFELD GEHT AUS

Freizeit- und Gastronomieführer mit umfangreichem Serviceteil, mehr als 700 Tipps und Adressen für Tag- und Nachtschwärmer Bielefeld genießen Westfälisch und weltoffen – das zeichnet nicht ...

Das Hauseigentum

Das Hauseigentum

Das Hauseigentum. Organ des Landesverbandes Haus & Grund Brandenburg. Speziell für die neuen Bundesländer, mit regionalem Schwerpunkt Brandenburg. Systematische Grundlagenvermittlung, viele ...

elektrobörse handel

elektrobörse handel

elektrobörse handel gibt einen facettenreichen Überblick über den Elektrogerätemarkt: Produktneuheiten und -trends, Branchennachrichten, Interviews, Messeberichte uvm.. In den monatlichen ...