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Mahlzeit(en)

Biblische Seiten von Essen und Trinken

AutorAnneliese Hecht, Eleonore Reuter, Joachim, Sabine Bieberstein, Ulrike Bechmann, Yvonne Sophie Thöne
VerlagVerlag Katholisches Bibelwerk
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl144 Seiten
ISBN9783460510517
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Essen und Trinken ist in vielen biblischen Texten Thema. Die Sorge um die tägliche Nahrung kommt zur Sprache, aber ebenso Dankbarkeit und Freude an der Fülle. Nicht umsonst wird Gottes neue Welt auch in Bildern eines üppigen Festmahls beschrieben. Als elementare Erfahrungen sind Essen und Trinken auch religiös besetzt. Speisevorschriften, Opfer und Gemeinschaftsmähler sind weitere Aspekte, die in der Bibel eine Rolle spielen. Und nicht zuletzt verdichtet sich Jesu Botschaft und Praxis in seinem Abschiedsmahl, das Christinnen und Christen bis heute 'zu seinem Gedächtnis' feiern. Die verschiedenen Facetten dieses vielgestaltigen Themas machen Appetit auf weitere biblische Ess- und Trinkgeschichten!

Joachim Kügler (geb. 1958) ist Professor für Neutestamentliche Wissenschaften an der Universität Bamberg und befasst sich seit langem mit der Konzeption einer Pastoral-Exegese des Neuen Testaments. Einzelne Forschungsfelder sind: Johannesevangelium, Religionsgeschichte, Gender-Studien, Bibel-in-Afrika-Forschung.

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Leseprobe

Die Küche als Spiegel der Gesellschaft


Kulturgeschichtliche Überlegungen zu Essen und Identität


Ulrike Bechmann

Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen, sagt ein alter Spruch. Die tiefe Weisheit, die darin steckt, kann man kaum ausloten. Denn zwei ganz gegensätzlich gedachte Sphären – Körper und Geist bzw. Seele – werden hier durch etwas scheinbar ganz Profanes zusammengehalten: Essen und Trinken. Letztlich behauptet das Sprichwort, dass der Zusammenhalt dessen, was den Menschen ausmacht, von der Nahrung abhängt: Der Mensch ist, was er isst (Ludwig Feuerbach). Ohne Essen und Trinken kann der Mensch auch nicht denken.

Die Küche – ein zentraler Ort der Kultur


Essen und Trinken sind aber alles andere als nur Nahrung, um nicht zu verhungern. Sie hängen engstens mit der jeweiligen Kultur zusammen und dem, was Menschen zur Verfügung haben. Und so haben Essen und Trinken auch bei den Ethnologen, die sich mit fremden Kulturen befassten, Aufmerksamkeit gefunden. Claude Lévi-Strauss (1908–2009) gehört zu einer Forschungsrichtung, die sich Strukturalismus nennt. Seine Forschungen im Amazonasgebiet in Brasilien ließen ihn erkennen, dass jede Kultur bestimmte Strukturen hat, die wie eine Sprache nach bestimmten Regeln funktionieren und die man „lesen“ kann. Das gilt auch für das Kochen und die Küche. Demnach ist die Küche eine komplexe Einheit der Kultur. In jeder Küche werden Nahrungsmittel bearbeitet. Rohes wird gebraten oder gekocht, wodurch die Nahrung kulturell verwandelt wird. Die Verwandlung der rohen Nahrung zur haltbaren, durch Kochen oder Braten, ist der Schritt von Natur zu Kultur. Manche Forschung geht sogar davon aus, dass dies die Entwicklung zum Menschen als „homo sapiens“ bewirkte.

Was heute selbstverständlich vorausgesetzt wird, nämlich, dass man kocht, war ursprünglich ein entscheidender kultureller Schritt in der Entwicklung der Menschen. Anders als das über dem Feuer gebratene Essen setzt Kochen ein Kochgerät voraus – dafür verwendete man Tierhäute oder Kochtöpfe aus Ton oder Metall. Braten und Kochen machte die Menschen unabhängiger von der Nahrungssuche, denn das Essbare wurde damit haltbarer und auch leichter verdaulich. Die Entwicklung der Küche schuf die Voraussetzung, um sesshaft zu werden. Sie ist zugleich ein kulturelles Regelwerk und hat verschiedene soziale Ziele, die mit dem Essen und Kochen zusammenhängen. Die Küche bringt damit die Gesellschaftsstruktur zum Ausdruck.

Essen und Trinken als Sprache der Gesellschaft


In unserer Gesellschaft gibt es – anders als früher – unglaublich vielfältige Lebensmittel, sogar aus vielen Regionen der Welt. Doch bis vor kurzem waren die Menschen auf das angewiesen, was es vor Ort gab. Und man muss hinzufügen, für die meisten Menschen weltweit gilt das auch heute noch. Dennoch essen nicht alle alles. Das gilt sowohl innerhalb einer Gesellschaft als auch zwischen Gesellschaften.

Welcher Wert welchem Essen zugeschrieben wird, das ist wiederum kulturell bestimmt – und kann sich auch verändern. So gibt es in jeder Gesellschaft Tabus in Bezug auf Essen. Hierzulande würde man „Ratte“ nicht auf der Speisekarte eines Restaurants finden, egal welcher Art. In anderen Kulturen gilt die Ratte als Köstlichkeit, man kann sie also essen, daran liegt es nicht. Es liegt vielmehr an der Bewertung der Nahrungsmittel. Diese Tabus sortieren die möglichen Nahrungsmittel nach rein und unrein, was aber nichts mit den Lebensmitteln an sich zu tun hat, sondern damit, was in einer Gesellschaft dazugehört und was nicht (vgl. den Artikel von Yvonne Sophie Thöne, Seite 54). Dieses Muster, was zum eigenen Weltbild passt und was nicht, was also „rein“ und was „unrein“ ist, lässt sich auf viele Gesellschaftsbereiche übertragen.

Wie in einer Küche gearbeitet wird, was an Nahrung bearbeitet wird, das bestimmt also die Gemeinschaft und ihre Kultur. Aber auch, wie und mit wem man das Zubereitete isst. An jeder Mahlzeit kann man deshalb auch die soziale Situation ablesen. Denn es ist alles andere als zufällig, mit wem man isst und was man isst. Kochen ist eine Sprache, mit der Nähe und Distanz, Zuneigung oder höfliche Ehrerbietung, familiäre Vertrautheit oder Gastlichkeit, Über- oder Unterordnung zum Ausdruck gebracht wird. Am gemeinsamen Essen und Trinken lässt sich der soziale Rang ablesen.

Wenn sich also Essenszeiten, Räume und die Mahlzeiten unterscheiden, dann drückt sich darin oft eine soziale Hierarchie aus. Wer zuerst isst, wer welches Essen bekommt, wer mit wem isst, an welchem Ort wer isst, all das spiegelt die soziale Struktur der Gemeinschaft wie Gesellschaft wieder. In kleinen Gruppen lässt sich das leicht ablesen. Wenn früher in hochgestellten Häusern Dienerschaft und „Herrschaft“ getrennt aßen, war die soziale Gliederung des Hauses offensichtlich. Ein Durchbrechen dieser Ordnung war unmöglich.

Wenn Menschen aber Gleiches essen und das auch miteinander, dann sagt das ebenfalls etwas über die Gemeinschaft aus. Dann fehlen zwischen den Menschen soziale Unterschiede oder fallen nicht ins Gewicht. Zusammen essen, wie am gemeinsamen Familientisch, dient dann dazu, die Gemeinschaft zu stärken. Freundschaften werden durch gemeinsames Essen gepflegt. Feste sind in der Regel mit einem gemeinsamen Essen verbunden. Damit wird die Verbindung untereinander erneuert. Gerade weil Essen so bedeutsam ist, kann ein gemeinsames Essen auch Versöhnung stiften oder besiegeln. Wer sich nach Streit, Kampf und Auseinandersetzungen versöhnt, drückt dies meist darin aus, dass alle gemeinsam zu Tisch zu sitzen.

Geschmack ist erlernt


Essen (im Sinne von Lebensmitteln) hat einen Prestigewert und gliedert die Gesellschaft. In der ständischen Gesellschaft aßen bäuerliche Familien anderes als städtische und höhergestellte Personen. Geschmack wird erlernt und ist gesellschaftlich geprägt, weist der Soziologe Pierre Bourdieu (1930–2002) in seinem Werk „Die feinen Unterschiede“ nach. Was man isst und was nicht, erlernt man, es hängt mit dem Status in einer Gesellschaft zusammen. Was und wie wir speisen, ist also durchaus abhängig von Ausbildung, geographischer Herkunft oder Schichtenzugehörigkeit. Wenn man bestimmte Geschmacksrichtungen erlernt, dann bekräftigt das die Zugehörigkeit zu einer Gruppe und festigt damit aber auch die Unterschiede zu anderen Gruppen in einer Gesellschaft. Denn „natürlich“ ist der Geschmack nicht. Selbst das, was man häufig als typisch für eine Region ansieht, ist eine Konstruktion. Das zeigen historische Kochbücher, die oft ganz andere regionale Speisen kennen. Aber solche erfundenen, oft in Mode gekommenen Speisen gewinnen dann manchmal einen Nationalcharakter und man denkt, sie gehören zur Identität. Speisen werden dann landläufig zu Eigenschaften von Nationen und ihren Mentalitäten. Dies drückt sich in den Schimpfworten aus, wenn Deutsche „Krauts“ oder Italiener „SpaghettiEsser“ heißen.

Essen und Trinken grenzt aus und grenzt ab


Manche fordern, dass Migranten und Migrantinnen das essen, was vor Ort als einheimische Kultur gilt. Eigentlich wäre es normal, wenn Menschen das essen, was sie gewohnt sind. Aber das empfinden manche Einheimische offensichtlich als bedrohlich, obwohl auch sonst alle essen können, was sie mögen. Politisch drückt sich das in Lebensmittelzuteilungen statt Bargeld aus. In solchen eher rechtspopulistischen Forderungen gibt es ein unbewusstes Wissen um die Bedeutung von Essen und Zugehörigkeit. Anderes Essen gefährde die eigene Kultur, heißt es da. Wie alt solche Vorstellungen sind, zeigt ein Beispiel aus dem 19. Jahrhundert. In den USA gab es in den 1880er Jahren den Versuch, den ost- und südeuropäischen Einwanderern ein angeblich gleiches, USA-weites Essen beizubringen. Es gibt Notizen von Sozialarbeiterinnen wie: „Sie essen immer noch Spaghetti und sind noch nicht assimiliert“ (Barlösius S. 148). Respekt würde heißen, Menschen ihr Essen und damit ihre Kultur zu lassen. Denn Vermischungen kommen von allein. Schließlich essen heute alle in den USA auch Spaghetti.

Wo Gemeinsamkeit durch das Essen gefestigt wird, gibt es auch eine Kehrseite. Denn wer nicht mitisst, nicht mitessen darf oder mitessen kann, ist ausgegrenzt. „Wir und die Anderen“: Dies kann auch durch die Einladungen und die Art des Essens und Trinkens getroffen werden. Wer z. B. Schweinefleisch als Teil der gemeinsamen Mahlzeit ansetzt, wo andere aus unterschiedlichen Gründen etwa kein Schweinefleisch essen, „sortiert“, wer zur Gemeinschaft dazugehört und wer nicht. Aber auch in einer Gesellschaft zeigt sich dies, wenn auch manchmal in etwas verdeckter Weise. Die Restaurants „sortieren“ die Gesellschaft nicht nur nach dem Geldbeutel, sondern auch nach dem Milieu, dem man zugehört. Bekannt und umstritten war z. B. ein Buch, das in Berlin die „Latte-Macchiato-Mütter“ beschrieb – nicht sehr freundlich. Und wenn heute für Menschen mit (zu)...

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