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Facetten des Wirtschaftsstrafrechts. Die Finanzmarktkrise und das Strafrecht

AutorRobert Wilkens
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl74 Seiten
ISBN9783668179684
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2012 im Fachbereich Jura - Strafrecht, Note: 16 Punkte, Universität Leipzig (Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Wirtschaftsstrafrecht), Veranstaltung: Facetten des Wirtschaftsstrafrechts, Sprache: Deutsch, Abstract: Der deutsche Staat stellte in den letzten Jahren in etwa 630 Mrd. Euro als Hilfen und Bürgschaften für Banken, 115 Mrd. Euro als Bürgschaften für Privatunternehmen und 84 Mrd. Euro für Konjunkturprogramme zur Verfügung. Dies alles als Beitrag, um den globalen Finanzmarkt vor einem sicheren Zusammenbruch zu bewahren, nachdem über diesen in den Jahren 2007 und 2008 eine der schwersten Krisen überhaupt hereingebrochen ist. Angesichts der Ausmaße stellen sich weltweit entscheidende Fragen: Handelte es sich um ein unvorhersehbares Ereignis, welches gleich einer Naturkatastrophe auftauchte oder lagen die Ursachen in menschlicher Hand? Sofern Letzteres der Fall war, stellt sich sogleich die Frage nach der Verantwortlichkeit. Entscheidend ist diesbezüglich nicht nur eine zivilrechtliche Perspektive, sondern es geht auch darum, ob bestimmte Personen für ihre, im Vorfeld der Finanzmarktkrise getätigten, Handlungen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können. Die aufgeworfenen Fragen sollen im Verlauf der vorliegenden Arbeit beantwortet werden. Dies macht jedoch zunächst eine ausführliche Auseinandersetzung mit den komplexen Umständen der Krise erforderlich. Die Arbeit gliedert sich daher zwangsläufig in drei Hauptteile: Im ersten Schritt soll der, der späteren strafrechtlichen Würdigung zugrunde liegende, Sachverhalt deutlich gemacht werden. Hierfür werden die relevanten ökonomischen Rahmenbedingungen, Zusammenhänge und Ereignisverläufe geschildert. Zudem sollen die einschlägigen Finanzprodukte und Geschäftsmodelle in ihrer Struktur und Bedeutung dargestellt werden. Im zweiten Schritt soll ein möglicher Zusammenhang zwischen der Komplexität internationaler Finanzmärkte und kriminogenem Verhalten am Kapitalmarkt untersucht werden. Schließlich wird anhand der Untreue (§ 266 StGB) aufgezeigt, inwieweit sich Bankvorstände und andere Entscheidungsträger durch ihr Handeln strafbar gemacht haben könnten.

Robert Wilkens, Jahrgang 1987, schloss Anfang 2012 sein Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Leipzig ab und ist seitdem Doktorand am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Wirtschaftsstrafrecht. Darüber hinaus war er über zweieinhalb Jahre als Forensiker für die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft KPMG in Berlin tätig, wo er an zahlreichen nationalen und internationalen Ermittlungen zur Aufklärung wirtschaftskrimineller Sachverhalte beteiligt war. In seinen bisherigen Veröffentlichungen beschäftigte sich Robert Wilkens insbesondere mit den Themen Geldwäsche, Compliance-Ermittlungen und Corporate Governance. Seit Ende 2015 absolviert er sein Referendariat am Landgericht Leipzig.

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Leseprobe

2 Sachverhalt


 

2.1 Die Entwicklung der Subprime-Krise


 

Zunächst sollen die wichtigsten Faktoren, welche die ökonomische Grundlage für die weltweite Finanzmarktkrise bildeten, kurz dargestellt werden. Hierbei kann die Ursachensuche zwar nicht nur auf die USA begrenzt werden, jedoch lassen sich Schlüsselfaktoren hier besonders ausgeprägt identifizieren. Aus diesem Grund soll auf die Situation und die Entwicklungen in den USA vor und während der Krise eingegangen werden.

 

2.1.1 Privathaushalte: Leben über die Verhältnisse


 

Ein Faktor, der zu den späteren verheerenden Umständen beitrug, besteht in der niedrigen Sparquote der amerikanischen Privathaushalte. Die Sparquote gibt an, welcher durchschnittliche Anteil der bei den Privathaushalten verfügbaren Einkommen nicht konsumiert sondern gespart wird.[2] Die Sparquote fiel nach 1980 konsequent, bis sie im Jahr 2005 einen Tiefstwert von 0,4% erreichte. 2009 wurde als Reaktion auf die heftigen Debatten und tiefe Besorgnis die Messmethode rückwirkend geändert, was den Wert von 2005 auf 1,4% erhöhte.[3] Auch diese Zahl ist jedoch im internationalen Vergleich extrem niedrig, so betrug zum Beispiel die Sparquote der deutschen Haushalte in dieser Zeit durchschnittlich 10,8%.[4] Wichtig bei diesen Zahlen ist, dass es sich um Durchschnittswerte handelt. Da reiche Amerikaner auch in diesen Phasen gespart haben, bedeutet dies im Umkehrschluss, dass große Teile der ärmeren Bevölkerung über Ihre Verhältnisse lebten.[5] Dieses Leben wurde zum Teil mit Krediten finanziert, worauf später noch genauer eingegangen werden soll.

 

2.1.2 Finanzmarkt: hohe Liquidität, niedriger Dollarkurs und niedrige Zinsen


 

Einen weiteren großen Faktor stellt die hohe Liquidität auf dem amerikanischen Kapitalmarkt dar. Diese ergab sich daraus, dass infolge der Asienkrise in den 90er Jahren private und institutionelle Anleger in den Schwellenländern das Vertrauen in die heimischen Finanzmärkte verloren und zunehmend auf Geldanlagen in wirtschaftlich stabileren Industrienationen wie den USA oder Europa setzten.[6]

 

Da die Warenimporte der USA die Exporte bei weitem überstiegen, entwickelte sich ein dauerhaftes Leistungsbilanzdefizit, welches 2006 bei minus 812 Mrd. USD lag.[7] Der Importüberschuss muss mit Vermögenswerten abgegolten werden. Dies hatte zunächst einen Abfluss von Dollars in das Ausland zur Folge. Aufgrund höherer Renditen tauschen die ausländischen Empfänger diese Dollars jedoch in amerikanische Wertpapiere und Realvermögenswerte um, was letztlich bedeutet, dass das Kapital zurückfließt und die Amerikaner ihr Leistungsbilanzdefizit stattdessen mit Schuldverschreibungen privater Emittenten und Aktien bezahlen. Der Abfluss dieser Vermögenstitel im Austausch für den Zufluss von Kapital wird als amerikanischer Kapitalimport bezeichnet.[8] Die Kapitalexportländer – insbesondere China – bauten große Währungsreserven des amerikanischen Dollars auf, um die Nachfrage nach dem Dollar hochzuhalten und die Wechselkurse somit zu stabilisieren.[9] Trotzdem kam es, vor allem seit der Einführung des Euros, zu einer stetigen Abwertung des Dollars.[10]

 

Zu der durch die Kapitalimporte hohen Liquidität auf dem amerikanischen Kapitalmarkt trat der Umstand, dass die amerikanische Zentralbank die Leitzinsen bis zum Jahr 2003 extrem niedrig hielt (1%) um der Konjunkturkrise nach den Anschlägen vom 11. September 2001 entgegenzuwirken.[11] Die enorme Liquidität und die niedrigen Leitzinsen bewirkten, dass gängige Finanzprodukte wie US-Anleihen unattraktiv wurden und Kredite zu günstigen Konditionen aufgenommen werden konnten.[12] Nachdem zunächst in die vielversprechende Technologiebranche investiert wurde und es im Anschluss zum Platzen der sogenannten „Dot-com-Blase“ im Jahr 2000 kam, entwickelte sich eine große Nachfrage nach neuen Anlageformen, welche sich für die renditeorientierten Investoren letztlich im aufkeimenden Immobilienboom ergaben.[13]

 

2.1.3 Immobilienmarkt: Steigende Preise und gesetzlich verordnete Darlehen


 

Durch das sehr niedrige Zinsniveau konnten Kredite günstig aufgenommen werden und eine gesteigerte Nachfrage nach Immobilien entstand.[14] Für das Verständnis des amerikanischen Immobilienbooms sind jedoch zwei gesetzliche Regularien von entscheidender Bedeutung, welche in dieser Art nahezu einzigartig in der Welt sind. Zum einen gibt es in den USA für einen säumigen Hypothekenschuldner grundsätzlich keine Durchgriffshaftung gegen das restliche Vermögen oder das Arbeitseinkommen.[15] Im Gegensatz zum deutschen Recht, bei dem eine Grundschuld oder Hypothek als reine Sicherheit dient und der Schuldner bezüglich der Restschulden in Anspruch genommen werden kann, wenn die Befriedigung aus dem Grundstück nicht ausreicht, kann sich ein amerikanischer Darlehensgeber nur aus dem betreffenden Grundstück befriedigen und der Schuldner wird von allen Leistungsverpflichtungen aus dem hypothekengesicherten Darlehen frei.[16] In acht amerikanischen Staaten gibt es dafür spezielle Armutsschutzgesetze (anti-deficiency laws), welche die Banken zur Vergabe dieser regressfreien Kredite (non-recourse loans) zwingen. In den übrigen US-Staaten ist die Vergabe solcher Kredite aus Wettbewerbsgründen ebenso an der Tagesordnung.[17]

 

Die zweite wichtige Regelung stellt ein amerikanisches Bundesgesetz dar, welches 1995 in Kraft trat und eigentlich den Verfall von Wohnvierteln stoppen sollte: Der Community Reinvestment Act (CRA). Durch dieses Gesetz wurden Banken verpflichtet, auch an Kunden mit geringer Bonität Kredite zu vergeben, sodass praktisch jeder in die Lage versetzt wurde, eine Immobilie erwerben zu können.[18]

 

Durch das Zusammenspiel der Haftungsbeschränkung und des CRA ergibt sich eine folgenschwere Situation: Nahezu jeder Amerikaner wird nun in die Lage versetzt, mit Immobilien spekulieren zu können. Durch die seit Ende der 90er Jahre rasant steigenden Immobilienpreise[19] konnte auf einen anhaltenden Wertzuwachs gehofft werden, durch welchen im besten Fall der Kredit getilgt und zudem noch ein Überschuss generiert werden kann. Das wichtigste ist jedoch, dass es für den Kreditnehmer keinerlei Risiko gibt. Denn wenn er sich finanziell übernommen hat, hat er außer der mithilfe des Kredits erworbenen Immobilie nichts zu verlieren.

 

Dieser Anreiz veranlasste die amerikanische Bevölkerung zu hemmungslosen Kaufentscheidungen, wodurch die Nachfrage immer weiter gesteigert wurde, was wiederrum die Immobilienpreise weiter nach oben trieb und die Spekulation zusätzlich anheizte.[20]

 

Die steigenden Immobilienpreise beeinflussten jedoch auch das Verhalten der Banken. So wurden in Erwartung des sicheren Wertzuwachses Kredite vergeben, deren variable Anfangszinsen sich am Leitzins orientierten und somit sehr niedrig waren („Teaser-Rate-Hypotheken“) oder Kredite, die man statt zu tilgen noch aufstocken konnte („Payment-Option-Kredite“ und „piggybacks“).[21] Des Weiteren wurde der geforderte Eigenkapitalanteil für einen Hauskredit, welcher traditionsgemäß in den USA bei 20% lag, immer weiter minimiert bis er letztendlich bei null lag und der Hauserwerb somit durch die Bank vollfinanziert wurde. Es ging sogar soweit, dass Banken die Häuser mit bis zu 125% des Wertes beliehen und die Kreditnehmer den Überschuss zu Konsumzwecken nutzen konnten.[22]

 

Im Zuge der geschilderten Entwicklungen stieg in erster Linie die Kreditvergabe an Geringverdiener und Arbeitslose, welche weder Eigenkapital noch Einkommen hatten, um die Kredite zu bedienen. Diese Art von Krediten bezeichnete man als „NINJA-Kredite“, was für no income, no job and no assets (Kein Einkommen, keine Arbeit und keine Vermögenswerte) stand.[23] Vor allem den NINJA-Kreditnehmern fiel es zum Teil schon schwer überhaupt die erste Rate zu bezahlen, wodurch die Vergabe solcher Kredite für die Banken ein enormes Risiko darstellte.[24]

 

Der Markt für diese problematischen Kredite wird als Subprime-Markt bezeichnet, um ihn vom Prime-Markt, der Vergabe von risikoärmeren Krediten, abzugrenzen.[25] Vor allem in der Spätphase des Immobilienbooms stieg die Zahl der vergebenen Subprime-Kredite dramatisch an. Während es im Jahr 1998 praktisch noch keine Subprime-Kredite gab, belief sich ihre Zahl im Jahr 2006 auf mehr als sechs Millionen, wobei der sprunghafteste Anstieg der Kreditabschlüsse im Jahr 2003 zu verzeichnen war.[26] Der Wertanteil der Subprime- und „Alt-A“ (deren Risiko zwischen Subprime und Prime liegt[27]) - Kredite am Gesamtwert der vergebenen Hypothekenkredite stieg ebenfalls von 10% im Jahr 2001 auf 34% im Jahr 2006 an.[28]

 

2.1.4 Das Platzen der Immobilienblase


 

Im Winter 2003/2004 erhöhte die Zentralbank die bis...

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