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E-Book

Mit Feder und Pinsel

Zola, Balzac, Proust und die Malerei

AutorAnka Muhlstein
VerlagInsel Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl230 Seiten
ISBN9783458753629
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR

Balzac wollte schreiben, wie ein Maler malt, Zola dienten Gemälde von Manet oder Degas als Ausgangspunkt für seine Romane: In ihrem neuen Buch beleuchtet Anka Muhlstein den Stellenwert von bildender Kunst im französischen Romanschaffen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts: Balzac, Zola, Proust, Huysmans und Maupassant.

Mit der ihr eigenen Leichtigkeit und Sachkenntnis erörtert Anka Muhlstein künstlerische Themen und Motive in den Werken einiger der berühmtesten französischen Schriftsteller, setzt neue Akzente in deren Werdegang und bietet interessante Erkenntnisse über die Verwandtschaft zwischen bildender Kunst und Literatur. Seit der Eröffnung des Louvre waren Bilder das Thema in Frankreich. Enge Freundschaften zwischen Schriftstellern und bildenden Künstlern, wie die zwischen Zola und Cézanne oder Manet, oder intensive Einflüsse, wie der von Delacroix auf Balzac, waren keine Seltenheit. Und in vielen Romanen spielen fiktive Künstler, wie Prousts Elstir, eine zentrale Rolle. .



Anka Muhlstein wurde in Paris geboren. Zusammen mit ihrem Mann, dem Autor und Anwalt Louis Begley, lebt die Historikerin und Autorin seit 1974 in New York. 1996 wurde sie mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet.

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Leseprobe

Vorwort

Kunst für alle


Oft habe ich mich gefragt, warum sich die Romanschriftsteller des 19. Jahrhunderts buchstäblich zwanghaft mit der Malerei beschäftigt haben, während ein Jahrhundert zuvor Diderot der einzige große Schriftsteller seiner Generation war, der sich für die Künste interessierte. Man lese Stendhal, dessen Werk über die italienische Malerei Cézanne faszinierte, Balzac, Flaubert, die Goncourts, Zola, Anatole France, Huysmans, Maupassant und schließlich Proust: Alle hielten es für höchst bedeutsam, wie man etwas betrachtet und beschreibt, und dies veranlasste sie, unzählige literarische Gestalten zu schaffen, die Maler sind. Dieses Phänomen tritt vor allem in Frankreich auf. In England, Deutschland oder Russland findet sich nichts Vergleichbares. In den Vereinigten Staaten muss man warten, bis Henry James am Ende des 19. Jahrhunderts die Malerei zum literarischen Thema macht. In England wird Virginia Woolf als Erste über den Einfluss der Malerei auf die Literatur nachdenken. Wie ließe sich gerade in Frankreich dieses sehr frühe und allgemeine Interesse erklären, wenn nicht mit der Gründung eines öffentlichen Museums kurz vor dem Ende des 18. Jahrhunderts, das einer ganzen Generation ermöglichte, eine umfangreiche und einzigartige künstlerische Bildung zu erwerben?

Was ist natürlicher als ein Museumsbesuch? Leichten Zugang zu den großen Werken zu haben scheint uns so selbstverständlich, dass wir selten an die kulturelle Revolution denken, die von der Gründung der modernen Museen bewirkt wurde. Und doch, welch radikale Umwälzung der Lebensgewohnheiten ergab sich aus dieser neuen Möglichkeit! Im 18. Jahrhundert öffnete nur das Vorrecht der Geburt oder ein außergewöhnlicher sozialer Aufstieg die Tür zu Meisterwerken, die sich in Schlössern oder Herrenhäusern unter Verschluss befanden; allein dann konnte man die Bildergalerien besuchen, die von reichen Pariser Sammlern zusammengestellt wurden. Sonst blieb einem nichts anderes übrig, als viel Zeit in den Kirchen zu verbringen, den einzigen Orten, an denen jeder Kunstwerke ganz ungehindert — wenigstens vor oder nach der Messe — bewundern durfte. Italien hatte in dieser Hinsicht besonders viel zu bieten. Doch wenn man ein Gemälde in einer dunklen Kapelle würdigen wollte, erwies sich dies lange als problematisch: Henry James etwa beklagte sich während eines Venedigbesuchs, dass er darauf verzichten musste, den großartigen Cima da Conegliano in San Giovanni in Bragora und die prächtigen Tintorettos in San Rocco zu bewundern, so düster waren die Kirchen. Noch in unseren Tagen haben Touristen, wenn sie nicht über genügend Münzen für den bereitstehenden Apparat verfügen, nur ein paar Minuten, um Fresken oder Gemälde zu betrachten. Außerdem brauchte man Geld und Zeit, um Europa zu bereisen und die Skulpturen und Bilder anderer Kulturen zu entdecken. Dass man nach eigenem Geschmack und in selbstgewähltem Tempo durch die große Galerie des Louvre spazieren konnte, hatte also im direkten Sinne — denn der Eintritt war frei — wie im übertragenen Sinne einen unschätzbaren Wert.

Das bedeutsamste Ereignis in der französischen Kunstszene am Beginn des 19. Jahrhunderts war also unbestreitbar die öffentliche Ausstellung einer außerordentlich großen Anzahl von Meisterwerken. Die Monarchie musste gestürzt werden, damit ein seit langem geplantes Museum endlich Gestalt annehmen konnte. Im November 1793 wurde der Louvre, bisher den mehr oder weniger ungeordneten Sammlungen der Könige vorbehalten, als »Zentrales Kunstmuseum der Republik« (Musée central des arts de la République) neu eröffnet. Die für die Dekade — das heißt den zehntägigen Zeitraum, der auf Anordnung der Revolutionsregierung die Woche ersetzte — geltende Regelung bestimmte, dass die ersten fünf Tage den Künstlern und Kopisten und die zwei darauffolgenden Tage der Reinigung vorbehalten sein sollten, während das Volk in den letzten drei Tagen kommen durfte. Außer dieser Politik der offenen Türen bestand die große Neuerung darin, nicht einfach unterschiedliche Werke zu zeigen, sondern sie zu Bildungszwecken geordnet zusammenzustellen.

Gleich nach dem Sturz der Monarchie im Jahre 1792 hatte die Regierung damit begonnen, die in den Klöstern und Kirchen aufbewahrten Kunstwerke sowie den Besitz der ersten Emigranten zu beschlagnahmen. Diese Werke wurden zum Teil im Louvre untergebracht. Außerdem wurden die Schätze aus mehreren Königsschlössern nach Paris geholt. Was nicht im Louvre Platz fand, mehr als hundert Gemälde, wurde in Versailles, im Gebäude der »Surintendance« — der für die Instandhaltung der Königsschlösser verantwortlichen Behörde —, eingelagert.

Die Zahl der Gemälde und Skulpturen im Louvre erhöhte sich ab 1794 beträchtlich, wofür die Eroberungen der Revolution und des Kaiserreichs sorgten, denn alle Siege der damaligen Zeit führten zum systematischen Raub der Kunstwerke der besiegten Länder. Die Plünderung von Kunstschätzen war nicht neu; doch nun überstiegen die Bedeutung und die Zahl der beschlagnahmten Werke das vorstellbare Maß, nicht nur, was die Menge, sondern auch, was die Qualität betraf. Mit Bildern von Rubens, van Eyck und Rembrandt beladene Wagenkolonnen trafen im Juli 1794, nach der Einnahme Brüssels und dann Gents und Antwerpens, in Paris ein. Mehr als zweihundert Gemälde wurden in den Niederlanden konfisziert. Zu ähnlichen Beschlagnahmen kam es in Deutschland und in noch größerem Maßstab in Italien. Sobald Bonaparte zum General ernannt und der Italienarmee zugeteilt worden war, beauftragte er Fachleute als Kommissare für die Auswahl der Kunstwerke, Handschriften sowie Tier- und Pflanzenraritäten, und diese bedeutenden Männer — Monge, ein großer Mathematiker, Berthollet, ein genialer Chemiker, Moitte, ein angesehener Bildhauer, und Thouin, ein Botaniker und ehemaliger Obergärtner des Königlichen Heilkräutergartens, des heutigen Jardin des Plantes — wählten nicht nur sachkundig aus, sondern bewiesen auch ein erhebliches Organisationstalent. Die Franzosen rechtfertigten ihre Raubzüge damit, dass diese Werke nun dem Volk gehören und nicht mehr dem Vergnügen der Despoten vorbehalten sein sollten.

Die Ankunft der Trophäen diente als Anlass für eine Kundgebung zum Ruhm der Regierung. Kommissar Thouin, der viel von Öffentlichkeitswirkung verstand, hatte die Sache in die Hand genommen: »Lassen wir es zu, dass die kostbare Siegesbeute aus Rom wie Kohlesäcke ankommt, und wird man erleben, dass sie auf dem Quai du Louvre wie Seifenkisten ausgepackt wird? […] Nein, das ganze Volk soll zum Fest eingeladen werden. […] Die Bürger aller Klassen werden sehen, dass sich die Regierung um sie gekümmert hat und dass jeder bei der Aufteilung einer so reichen Beute etwas abbekommen wird. Dann können sie beurteilen, was eine republikanische Regierung im Vergleich mit der monarchistischen bedeutet, die nur Eroberungen macht, um ihre Höflinge zu versorgen und zu bereichern und ihre Eitelkeit zu befriedigen.«1 Als der Triumphzug am 28. Juli 1798 in Paris ankam, wurde dies mit einem großen Fest gewürdigt. Eine Parade exotischer Tiere — Löwen, Kamele und Bären — trabte den vier Statuen der Kupferpferde voran, Glanzstücken aus der Fassade des Markusdoms; hierauf folgten mehr als dreißig Wagen, die große klassische Skulpturen und schließlich auch die berühmtesten Gemälde der italienischen Renaissance — von Raffael, Tizian, Tintoretto und Die Hochzeit zu Kana, einen monumentalen Veronese — beförderten.

Die Verantwortlichen wussten viel zu gut, wie empfindlich diese Werke waren, als dass sie ihnen einen Transport im Freien zugemutet hätten. Skulpturen und Bilder wurden erst aus ihren Kisten geholt, als man sie in den Louvre-Galerien unterbrachte. Dass es während dieser langen Transporte, insbesondere aus Italien, nicht zu Schäden kam, machte tiefen Eindruck auf Franzosen und Ausländer.

Die Lieferungen hielten an, bis die Zeit der Eroberungen Napoleons endete. Die außerordentlich große Zahl von Werken machte eine vollständige Umgestaltung des Louvre erforderlich. Diese fand unter der Leitung von Vivant Denon, einem kunstbegeisterten Diplomaten, statt. Man bat die bisherigen Bewohner des Louvre, das Feld zu räumen. Ein großer Teil der Gemälde der französischen Schule gelangte nach Versailles, wo das »Spezialmuseum der französischen Schule« eingerichtet wurde. Im Louvre selbst nahm man wichtige...

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