Gute Nachrichten
Schreiben. Ein Lebenselixier, das kein Ablaufdatum kennt. Ein Freizeitvergnügen, für das man sich nicht erst Kondition antrainieren muss. Ein Goldbarren ohne Kursverfall, ein Wohnwagen ohne TÜV-Termin, ein Nahversorger ohne Sonn- und Feiertag.
Schreiben, das ist die Freundin, die jederzeit den Hörer abhebt, zuhört und mit uns lacht, auch wenn wir uns jahrelang nicht mehr gemeldet haben. Es ist der Sommer, mit dessen Zeit wir nicht geizen müssen, weil die Großwetterlage hält. Es ist die vertraute Quelle, der lang bekannte Wald, es ist das Urlaubsquartier, das wir einmal liebten und das uns immer noch offen steht. Das Schreiben ist immer für uns da, in jedem Moment.
Es ist nie zu spät, um mit dem Schreiben zu beginnen. Man hat nie zu lange Pause gemacht. Und man ist auch nie zu jung oder zu alt. Nicht mit zwanzig, nicht mit vierzig, nicht mit achtzig. Der Zeitpunkt ist immer der richtige. Vielleicht schon übermorgen. Warum nicht gleich heute?
Fangen Sie gerade mit dem Schreiben an? Oder wollen Sie wieder neu beginnen? Egal, ob Sie schon wissen, was Sie schreiben wollen, oder ob Sie einfach nur von der Idee bezaubert sind, dass die Spitze Ihres Stiftes wieder einmal ein leeres Blatt Papier berühren könnte. Egal, ob Sie früher mit Leichtigkeit ganze Bücher gefüllt haben oder ob Sie schon immer um jedes Wort gerungen haben. Egal, ob Ihre Sehnsucht zaghaft flüstert oder schon ungeduldig ist und schreit. Der Anfang des Schreibens, er könnte diesmal wirklich neu sein. Ein Anfang ohne Zaudern, ohne das Echo alter Zweifel und Ängste.
Weg mit dem staubigen Glauben, dass andere viel talentierter sind. Dass man studiert haben muss, um wirklich schreiben zu dürfen. Weg auch mit dem Gedanken, dass man nichts zu sagen hätte, dass man ja doch keine guten Ideen hat. Weg mit alledem! Und her: her mit dem erstbesten Blatt Papier, das zur Hand ist. Her mit dem Stift und her mit den Worten. Ihren Worten, die darauf warten, geschrieben zu werden.
Dieses Buch schenkt Ihnen den Freibrief für einen Neubeginn. Und dazu ein paar Versprechen: Schreiben muss nicht schwierig sein. Gute Ideen entstehen, während man schreibt. Stil entwickelt sich schnell, sobald man zu spielen beginnt, sobald man Worte verkostet und schreibend das Leben genießt.
Schreiben, das darf eine sehr egoistische Tätigkeit sein. Etwas, das wir nur für uns tun, ohne den Anspruch, anderen zu gefallen. Und doch könnte es, beinahe aus Versehen, passieren, dass anderen gefällt, was wir schreiben. Es kann, es könnte aber auch noch etwas ganz anderes passieren. Und zwar: dass man uns fragt, was denn mit uns geschehen ist. Warum wir plötzlich so viel fröhlicher, ausgelassener, ruhiger oder selbstbewusster wirken. »Ach, das kommt wohl daher, dass ich neuerdings schreibe.« Das könnte unsere Antwort sein. Denn die Entfaltung des Lebens, hin zur Vollständigkeit, hin zu größerem Selbstbewusstsein, zu Mut und Kraft ist eine der häufigsten Nebenwirkungen des Schreibens. Sie werden es bald bemerken.
Es macht mich glücklich, dass diese Versprechen nicht nur leere Behauptungen sind. Ich kann sie aufgrund meiner persönlichen Erfahrung geben. Darf ich Ihnen ein wenig von diesen Erfahrungen erzählen? Ich bin heute eine Autorin, die ehrlich sagen kann, dass sie lebt, um zu schreiben, und schreibt, um zu leben. Und ich bin ein Mensch, dessen Leben durch das Schreiben beglückt und bereichert wird.
Doch ich bin zugleich eine Frau, die Ihnen erzählen kann, dass das nicht immer so war. In der Schule, da hatte ich panische Angst vor dem Schreiben. Vor den Klassenarbeiten in Deutsch, ja sogar vor jedem Aufsatz, den ich abgeben musste. »Ich kann nicht schreiben«, das hielt ich leider für wahr. Ich wurde damals von einer Lehrerin geplagt, die meinen Stil nicht leiden konnte. Ihr Rotstift traf mich stets an den überraschendsten Stellen. »Ausdrucksmangel!!« Das war, wenn es um meine Texte ging, ihr Lieblingswort. Ein schlimmes Wort. Unberechenbar, ein Wort ohne verstehbare Regeln. Ein willkürliches Urteil, das in der Lage war, mich in tiefe Unsicherheit zu stürzen und mir die Lust, mich schreibend auszudrücken, völlig zu vergällen.
Ich hatte damals eine beste Freundin. Sie hieß Christina, ging in meine Klasse, sie hatte am selben Tag Geburtstag wie ich – und sie träumte davon, einmal Schriftstellerin zu werden. Im Gegensatz zu mir wurde sie immer gelobt. Sie bekam die Einsen. Da war kein Hauch von Rot in den Korrekturen ihrer Arbeiten zu sehen. Christina half mir oft bei den Hausaufgaben, sie besserte aus, was unsere Lehrerin stören könnte. Doch das half leider gar nichts. Ausdrucksmängel findet man immer, wenn man sie finden will.
Ein schreibendes Leben
Niemals hätte ich es gewagt, gemeinsam mit meiner Freundin vom Schreiben, von einem schreibenden Leben zu träumen. Nun ja: Geflüstert haben sie schon, die Stimmen der Sehnsucht, des großen Traums vom Schreiben. Aber ich versuchte gewissenhaft, sie nicht mehr zu hören. Ich brachte meine Matura hinter mich, begann, Musik zu studieren – und schrieb fortan lieber nichts mehr. Fast gar nichts. Bis zu dem Jahr, in dem ich vierunddreißig wurde.
Es war das Jahr, in dem ich erstens: wieder zu schreiben begann, weil das immer noch besser war, als verrückt zu werden, und in dem ich zweitens wie durch ein Wunder einen Verleger fand, der an mich glaubte und mich zum Weiterschreiben, zum Überarbeiten und zum hingebungsvollen Feilen an meinen Texten ermutigte. Dieser Verleger brachte mir bei, was guter Ausdruck wirklich ist. Er zeigte mir, wie eng authentische, lebendige Sprache, wie eng die Freude am Schreiben mit der Freude am Fühlen, am Denken und am Erleben zusammenhängt – und wie sich das alles fast wie von selbst entwickelt, sobald man lernt, sich selbst ernst zu nehmen, während man zu Papier bringt, was man sagen will.
Was folgte, war ein Buch, das zum Bestseller wurde: Vier minus drei. Dann eine Ausbildung in Poesie- und Bibliotherapie. Ein zweites Buch, das ebenfalls auf der Spiegel-Bestsellerliste landete: Warum gerade du? Der Beginn meiner Tätigkeit als Schreibpädagogin. Und, inzwischen, ein Leben, aus dem das Schreiben nicht mehr wegzudenken ist.
Seltsam genug: Es war die Sprachlosigkeit, die am Neuanfang meines Schreibens stand. Warum? Weil das Leben meines Mannes und meiner beiden kleinen Kinder zu Ostern 2008 ein allzu frühes Ende genommen hatte. Das Auto, in dem die drei gerade einen Ausflug machen wollten, war an einem unbeschrankten Bahnübergang mit einem Zug kollidiert. Mein Mann war sofort tot, meine Kinder starben ein paar Tage später im Krankenhaus.
Inzwischen weiß ich, dass der Verlust der Worte für viele Menschen ein wichtiger Schlüssel zum Schreiben ist. Wenn das Leben bricht, wenn die Stimme versagt, wenn ein schlimmes Erlebnis uns zum Verstummen bringt, steigt der innere Druck der Gedanken und Gefühle. Oft führt das zu einer Entladung auf Papier. Für manche Menschen ist das der Beginn einer regelmäßigen Schreibpraxis. Aus Not begonnen, wird das Schreiben schließlich zum Lebensquell.
Zur Sprache kommen
Bei mir sah das so aus: Am Wendepunkt meines Lebens, an diesem Ende, das ungeplant und ungewollt zu einem neuen Anfang werden musste, schrieb ich, in einer Art Marathon, eine acht Seiten lange E-Mail.
Ich schrieb an meine Freunde, weil ich ihnen sagen wollte, dass sie sich nicht davor fürchten sollten, mich zu besuchen, weil ich nämlich nicht sabberte, nicht mit Dingen um mich warf und kein wirres Zeug von mir gab, sondern einfach nur schweigen wollte, jedoch zu voll mit verwirrten Gefühlen war, um das ganz allein durchzustehen. Ich erzählte außerdem davon, was ich auf der Intensivstation im Krankenhaus erlebt hatte. Und ich bat um Geschenke für das Begräbnis: keine Kränze, sondern Geschichten über Erlebnisse mit meiner Familie, an die sie sich erinnerten, bitte auf buntem Papier notiert.
Diese Mail war wohl der erste Text meines Lebens, den ich vollkommen anspruchslos, zweckfrei und ohne jegliche Selbstzensur schrieb. Ein Text, der zwar an Freunde gerichtet, aber vor allem eines war: eine offene, unverhohlene Aussprache zwischen mir und mir. Er war: ich – in sehr einfache Worte gefasst.
Ich breitete meine Worte langsam und sorgfältig aus. Ich wurde zu einer Art Buchstabennudelhaufen in einem Word-Dokument, das einem weißen Teller glich. Ich ordnete mich, intuitiv, nach Kriterien, die sich während des Ordnens ergaben. Ich setzte Buchstabe an Buchstabe, Wort an Wort, ich folgte Regeln, die ich nicht wirklich verstand. Doch es schrieb sich, scheinbar wie von selbst. Und ich schaute zu.
Die Mail ging an meine Freunde, dann bald weiter an die Freunde meiner Freunde, sie landete im Internet, fiel Redakteuren von Zeitungen auf. Bald war der Text in mehreren Blättern abgedruckt und erregte Aufsehen. Warum? Bestimmt nicht, weil er besonders gut geschrieben war. Sondern eher: weil er überhaupt geschrieben worden war, von einer Frau, die etwas Existenzielles erlebt hatte und irgendwie in der Lage gewesen war, es so auszudrücken, dass man ihr folgen konnte und das Erlebte verstand.
Seit jener Mail im Jahr 2008 hat sich an der Art, wie ich schreibe, nur wenig geändert. Ich habe zwar Übung im Überarbeiten bekommen, habe gelernt, dass Texte ruhen müssen, um reifen zu können, und ich weiß heute, dass ein Text nach ein paar Tagen in der Schublade meistens selbst sagt, was er braucht, um noch besser zu strahlen. Aber jedes Mal, wenn ich wieder vor einer leeren Seite sitze, um etwas Neues zu beginnen, erfasst mich dieses ruhige Vertrauen: dass es genügt, mir selbst zuzuhören und einfach mit dem...