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Feindbild Russland

Geschichte einer Dämonisierung

AutorHannes Hofbauer
VerlagPromedia Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783853718339
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Hannes Hofbauer verfolgt das Phänomen der Russophobie zurück bis ins 15. Jahrhundert, als der Zar im Zuge der kriegerischen Reichsbildung gegen Nordwesten zog. Es ging um Herrschaft, Konkurrenz und Meereszugang. Der Kampf um reale wirtschaftliche und (geo)politische Macht wurde auch damals schon ideologisch begleitet: Der Russe galt seinen Gegnern als asiatisch, ungläubig, schmutzig und kriecherisch, Stereotypen, die sich über Jahrhunderte erhalten haben. Das Feindbild-Paradigma zieht sich wie ein roter Faden durch die Rezeption Russlands im Westen. Aktuell reagiert diese empört auf die Politik des Kreml, der mit der Machtübernahme Wladimir Putins innenpolitisch auf Konsolidierung und außenpolitisch auf Selbständigkeit setzt. Die Wegmarken der neuen Feindschaft sind zahlreich. Sie reichen vom Krieg der NATO gegen Jugoslawien (1999) über die Verhaftung des Oligarchen Michail Chodorkowski (2003) und die Osterweiterung der NATO, den mit US- und EU-Geldern unterstützten 'Farbrevolutionen' bis zum Krieg um die georgischen Provinzen Abchasien und Südossetien (2008) und hinterlassen die bislang tiefste Kluft im Kampf um die Ukraine (2015), die am überwunden geglaubten West-Ost-Konflikt auseinander gebrochen ist. 'Feindbild Russland' erzählt die Beziehungsgeschichte des Westens mit Russland und spürt den wirtschaftlichen und geopolitischen Grundlagen der Russophobie nach.

Hannes Hofbauer, geboren 1955 in Wien, studierte Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien und arbeitet als Publizist und Verleger. Im Promedia Verlag sind von ihm zuletzt erschienen: Verordnete Wahrheit, bestrafte Gesinnung. Rechtsprechung als politisches Instrument (2011) und Die Diktatur des Kapitals. Souveränitätsverlust im postdemokratischen Zeitalter (2014).

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Leseprobe

Russische Reichsbildung


Beginnen wir unseren historischen Rückblick mit dem Jahr 1480. Es steht für eine bedeutende Zäsur in der russischen Geschichte. Jahrhunderte waren vergangen, seitdem der schleichende Niedergang der Kiewer Rus zur Mitte des 11. Jahrhunderts die mittelalterliche Reichsbildung in Vergessenheit geraten ließ. Vom Glanz des einstigen Kiew mit seinen 100.000 Ein­wohnerIn­nen war schon lange vor der Ankunft der Mongolen nicht mehr viel übrig geblieben. Die Eroberung der alten Hauptstadt im Dezember 1240 durch die »Goldene Horde« gilt bis heute als russisches Trauma.

240 Jahre später schüttelte ein Regent aus dem Moskauer Zweig der Rurikiden-Familie die mongolisch-tatarische Oberherrschaft ab. Unter ihr hatte sich zwar eine gewisse politische Autonomie und religiöse Selbstverwaltung behaupten können, die Tributpflicht gegenüber dem Khanat blieb jedoch ökonomisch bestimmend. Unter Iwan III. fanden die Tributzahlungen an die Tataren, die sich zu Herrschaftsträgern4 der »Goldenen Horde« entwickelt hatten und in deren Fußstapfen getreten waren, im Jahr 1480 ein Ende. Dies war nicht zuletzt der Zersplitterung tatarischer Reiche in die Khanate Kasan, Astrachan und Krim geschuldet. Ihre Raubzüge und Sklavenjagden blieben indes für ein weiteres Jahrhundert eine bestimmende Konstante im Leben der Moskowiter. So überfielen noch im Mai 1571 Einheiten der Krimtataren Moskau und brannten es nieder. Die oberherrschaftliche Stellung der turksprachigen Tataren-Khane endete allerdings 1480.

Bereits einige Jahre vor dem Ende der Tributpflicht, die in der russischen Literatur als »Tatarenjoch« bezeichnet wird, sandte Iwan III. kräftige Zeichen einer Konsolidierung der slawisch-russischen Herrschaft an das eurasische Kernland. 1472, knapp zwei Jahrzehnte nach der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen (1453), ehelichte er die letzte byzantinische Prinzessin, Sophia Palaiologa, genannt Zoe. Durch diese Verbindung sah sich der russische Führer in den Rang eines byzantinischen »Selbstherrschers« gehoben, einen Titel, mit dem sich Iwan III. in die (ost)römisch-christliche Traditionslinie setzte. Wie der Kaiser im Westen Europas legte sich das russische Fürstengeschlecht einen Doppeladler als Wappentier zu und ließ sich mit »Großfürst und Zar«, der russischen Entsprechung von Cäsar, ansprechen.5 Es sollte noch weitere 100 Jahre dauern, bis mit der Einsetzung eines Moskauer Patriarchen im Jahre 1589 die politische und territoriale Konsolidierung Russlands auch kulturell und religiös ihre Entsprechung fand. Seit damals postuliert das Moskauer Patriarchat mit seiner Erhebung zum »Dritten Rom« einen christlich-universellen Herrschaftsanspruch. Die orthodoxe Mission kennt im Gegensatz zur weströmisch-katholischen nicht Feuer und Schwert, war also weniger gewalttätig.6 Sie beruhte im Kern auf wirtschaftlichem Druck. Religiöse Toleranz und die Kooptierung von nicht-russischen Eliten gehörten bis ins 18. Jahrhundert zur Herrschaftspraxis. Erst unter dem Einfluss des Westens kam es zu Zwangsmissionierungen von muslimischen Tataren an der Wolga und von »heidnischen Völkern« in Sibirien.7 Sie verliefen allerdings weit weniger aggressiv als in den Amerikas.8 Vertreibungen von Andersgläubigen fanden kaum statt, was auch einen ökonomischen Sinn hatte. Dem orthodoxen Herrscher waren Steuer- und Tributleistungen der Untertanen wichtiger als ethnische oder religiöse Homogenität.

Länder sammeln


Das legendäre »Sammeln der russischen Erde«, wie es in jeder Historiografie Russlands ausführlich dargestellt ist, kann in erster Linie als Machtkampf des Moskauer Fürsten und Zaren um die Ausschaltung herrschaftlicher Konkurrenten interpretiert werden. Die ganzen 1470er Jahre hindurch benötigte Iwan III., um die im russischen Nordwesten bestehenden autonomen slawischen Fürstentümer unter Moskauer Kontrolle zu bringen. Jaroslawl, Rostow Weliki, Wladimir sowie die lange Zeit bedeutende, selbstständig agierende Stadtrepublik Nowgorod wurden gewaltsam annektiert und dem Moskauer Reich eingegliedert. Die Einnahme Twers gelang parallel zur Überwindung der mongolisch-tatarischen Oberhoheit im Jahre 1478. Der Aufstieg Moskaus zum Zentrum der russischen Welt war damit historisch besiegelt.

Gegen Ende seiner Regentschaft setzte Iwan III. das Ländersammeln im Nordwesten fort, indem er militärische Konflikte mit dem polnischen-litauischen Nachbarn eskalieren ließ. Die unter litauischer Heerführung kämpfende Allianz aus livländischer Konföderation und Deutschem Orden, Teilen der mongolischen Streitkräfte und Khan Achmat erlitt 1503 eine schwere Niederlage.9 Weite weißrussische Gebiete fielen daraufhin der Moskauer Kontrolle anheim. Kurz darauf erfolgte die Eingliederung Pskows und Rjasans in den Moskauer Staat unter dem Sohn Iwan des III., Wassili III., in den Jahren 1510 bis 1521. Eine Generation später saß Wassilis Sohn Iwan IV., genannt Grosny, der Schreckliche, auf dem Zarenthron. Seine Expansionsstrategie ließ er im Inneren von einem repressiven Regime begleiten, für das er eine eigene Verwaltungseinheit schuf, die Opritschnina.10 De facto war dies eine dem Zaren hörige Truppe von 5000 kampfbereiten Gardisten. Sie trugen schwarze Kleider und führten einen Hundekopf mit sich, der den »Feinden des Zaren« (den Hunden) zeigen sollte, wie sie mit ihnen umzugehen beabsichtigten. Die ordensmäßig organisierte Opritschnina wütete in weiten, aber genau abgegrenzten Teilen des Landes. Ihre Mitglieder gingen insbesondere gegen die Häupter jener Bojarenfamilien vor, die der Zar des Verrats im Krieg gegen die Livländer bezichtigte. An die Stelle der geschwächten Bojaren setzte Iwan IV. einen willigen Dienstadel, gut entlohnte Staatsbeamte. Und ganz nebenbei presste die Opritschnina noch aus dem Volk heraus, was die vergleichsweise selbstverwalteten Bauerngemeinden (mir) dem Zaren nicht zu geben bereit waren. Die Schreckensherrschaft im Inneren gegen Adel und Volk nutzte Iwan IV. für seine Erweiterungspläne im Nordwesten wie im Osten. Noch zur Herrschaftszeit Grosnys kamen die Wolga, Astrachan und die fruchtbaren Schwarzerde-Böden unter die Fittiche Moskaus. Ende des 16. Jahrhunderts stand das Tor zur Kolonisierung Sibiriens offen.

Zu dieser Zeit lebten fast 7 Mio. Menschen unter dem russischen Doppeladler im Einflussbereich des Moskauer Zaren; über 90% von ihnen von der Landwirtschaft.

Das Russlandbild im Westen


Feindschaft erzeugt Feindbilder. Mit dieser ebenso einfachen wie historisch unstrittigen Tatsache erklärt sich bereits der Kern jenes Russland und die Russen diffamierenden Bildes, das während des 16. Jahrhunderts im Westen Europas vorherrschte. Zwischen 1492 und 1582 führten Moskau und Polen-Litauen bzw. das bis 1561 unter Deutscher Ordensherrschaft stehende Livland insgesamt sechs Kriege gegeneinander. Während der Hälfte dieser Zeit (von 1492–1494, 1500–1503, 1507–1508, 1512–1522, 1534–1537 und 1558–1582) sprachen die Waffen. Dementsprechend gestaltete sich die Wahrnehmung des Feindes. Das im Westen des Kontinents verbreitete Bild vom »asiatischen, barbarischen Russland« ist in dieser Epoche grundgelegt. Und es waren vor allem polnische Intellektuelle, die es verbreiteten und ideologisierten. Der Krakauer Philosoph und Mathematiker Jan z Głogowa (Johannes von Glogau) ergänzte im Jahre 1494 eine kosmografische Ausgabe des klassischen Ptolomaios-Atlas und bezeichnete darin Moskau als »asiatisches Sarmatien«.11 Der Zeitpunkt dieser mutmaßlich ersten Orientalisierung Russlands in der europäischen Geistesgeschichte ist bemerkenswert. Johannes von Glogau reagierte mit der Zuordnung Moskaus als »asiatisch« auf den ersten Krieg der polnisch-litauischen Union gegen Iwan III. Die militärische Auseinandersetzung zweier in der Folge sich gegenseitig als »natürliche Feinde« betrachtenden Reiche und Fürstenhäuser lag somit am Ursprung der Entstehung eines Vorurteils, das über die folgenden 500 Jahre immer wieder die Wahrnehmung Russlands im Westen Europas geprägt hat. Und »asiatisch« war schon damals abwertend gemeint, obwohl die Herkunft des Wortes (asu) auf das Assyrische zurückgeht und keinerlei negative Konnotation aufweist. Im Gegenteil: dort bedeutet es nichts anderes als »hell« bzw. beschreibt den Ort, wo, vom Zentrum des assyrischen Reiches im mesopotamischen Zweistromland des Euphrat und Tigris aus betrachtet, die Sonne aufgeht. Dem entgegen steht im Assyrischen das Wort erp, was so viel wie »dunkel, finster, düster« heißt – dort, wo die Sonne untergeht.12 In den Begriffen »Morgenland« und »Abendland« spiegelt sich noch dieselbe Herkunft. Im später über die griechische Mythologie verbreiteten »Europa« dürfte der assyrische Wortstamm erp stecken.

Den Siegeszug der Zuordnung des Asiatischen als barbarisch und fremd konnte die Etymologie des Begriffes nicht aufhalten. Er orientierte sich am damaligen militärischen Feindbild. Und den Feind galt es nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch philosophisch und geistig zu bekämpfen. Ein wesentlicher Kampfplatz dafür war die Kirchenkanzel, denn parallel zur Asiatisierung Russlands und der Russen wurde das sich konsolidierende Moskau von seinen Gegnern als Hort des Antichristen definiert. Die meisten westeuropäischen Autoren des 16. Jahrhunderts sahen die östlich von Polen-Litauen siedelnden Slawen als außerhalb des »orbis christianus« – des christlichen Erdkreises – lebende Menschen. Ihnen galten Polen-Litauen und Livland als Bollwerke der Christenheit.13

Es war nicht die Geografie, die Russland außerhalb Europas imaginierte, denn die meisten diesbezüglichen Gelehrten folgten seit der Neuzeit der antiken...

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