2. Die Vision
Mit Jesus in die Zukunft träumen
Der Film Chicken Run erzählt von Hühnern, die auf einer KZ-ähnlichen Hühnerfarm leben. Sie müssen unermüdlich Eier produzieren. Wenn ein Huhn seine Legequote nicht erreicht, wird es von der schrecklichen Inhaberin der Farm abgeschlachtet. Alle Hühner leben daher in Angst und Schrecken, sagen sich jedoch: »So ist das nun einmal. Da kann man nichts machen. Es ist Hühnerschicksal, so zu leben und zu sterben.«
Doch Ginger, die Heldin unter den Hühnern, sieht das ganz anders. Sie weigert sich, in der Lethargie des Lagers zu versinken. Sie glaubt an ein Leben jenseits der Zäune und an die Freiheit. Bei diversen Ausbruchsversuchen setzt sie ihr Leben aufs Spiel und wird immer wieder eingesperrt. Dann schmiedet sie schließlich einen verrückten Ausbruchsplan: Sie baut eine Flugmaschine. Ihre Vision und ihre Leidensbereitschaft stecken schließlich die anderen Hühner an. Sie überwinden ihre Trägheit und ihre Feigheit, schließen sich Ginger an und landen schließlich alle in der Freiheit.
Was hat diese Wende herbeigeführt? In welchem Moment haben sich die Hühner motivieren lassen und sich auf das Wagnis des Ausbruchs eingelassen, das sie alle umgehend den Kopf hätte kosten können?
Erstens: Sie sahen: Da ist ein Huhn, das die gegebene Realität nicht als die einzig mögliche ansieht. Ginger glaubte tatsächlich, dass es eine andere, eine bessere Wirklichkeit und Zukunft gab. Und sie handelte entsprechend. Die Hühner brauchten ein Vorbild, das im Glauben an diese andere Realität handelte, und sie fanden es in Ginger.
Zweitens: Die Hühner ließen sich von Gingers Vorbild inspirieren. Stellten ihre bisherige »einzig richtige« Sichtweise der Realität infrage. Schließlich machte sich in ihren Köpfen bereits die Freiheit breit, obwohl sie noch immer hinter Gittern lebten. Diese Vision, dieses In-den-Blick-Nehmen neuer Möglichkeiten, motivierte sie, Ginger bei ihrem Ausbruchsplan zu unterstützen.
Drittens: Als die Vision in ihren eigenen Herzen zum Leben erwacht war, überwanden sie ihre Trägheit, nahmen Risiken auf sich und landeten schließlich in der Freiheit. Ihre Vision wurde Wirklichkeit.
Wer werden Sie sein?
Wie denken Sie über Ihr Leben? Wie denken Sie über Ihr
Leben? Über Ihre Zukunft?
Worauf gehen Sie zu?Über Ihre Zukunft? Worauf gehen Sie zu? Was erwarten Sie vom Leben? Wer, vermuten Sie, werden Sie in zehn, zwanzig oder dreißig Jahren sein? Was tun Sie dann – vielleicht? Wer werden Sie sein? Wie werden Sie sein?
All diese Fragen können uns zum Träumen bringen, uns ein Bild von unserer Zukunft vor Augen malen. Doch wie können wir dafür sorgen, dass diese Gedanken nicht nur Träume bleiben? Was beeinflusst die Entwicklung unseres Lebens? Was bestimmt, wer wir sind und wer wir sein werden? Gordon MacDonald zeigte während einer Tagung folgendes Modell:
Vier Kräfte beeinflussen die Entwicklung unseres Lebens: unsere Vergangenheit, die Gestaltung unserer Gegenwart, das Leben in Gemeinschaft und unsere Sicht von der Zukunft.
Ich halte das für eine erstaunlich einfache und doch tiefgründige Einsicht. Und ich glaube, dass wir – mit Gottes Hilfe – diese vier Kräfte beeinflussen können.
Unsere Vergangenheit
Dass unsere Vergangenheit unser Leben stark beeinflussen kann, ist mir in den letzten fünfzehn Jahren sehr präsent gewesen. Wir alle können im Rückblick auf unser Leben sowohl positive als auch negative Aspekte erkennen. Als Beraterin begleite ich Männer und Frauen dabei, Schweres zu verarbeiten. Aber auch ich selbst habe gemerkt, wie stark mein Leben durch meine ganz persönliche Geschichte geprägt worden ist. Ich bin dankbar dafür, dass ich mithilfe von Seelsorgern und Freunden meine Vergangenheit habe verarbeiten können. In Psalm 18,20 und 24 heißt es: »Gott hat mein Leben wiederhergestellt, als ich alle Teile vor ihn brachte. Gott hat den Text meines Lebens neu geschrieben, als ich ihn in das Buch meines Herzens blicken ließ« (frei übersetzt nach The Message). Wir können notvolle Erfahrungen der Vergangenheit nicht mehr ändern, doch wir können mit Gottes Hilfe unsere Vergangenheit verarbeiten und annehmen.
Dieses Verarbeiten und Bewältigen ist nie beendet. Von Zeit zu Zeit begegnet mir ein Thema meiner Vergangenheit in neuem Kleide. Wie oft habe ich schon innerlich oder äußerlich gestöhnt, wenn meine Mentorin mich fragte: »Birgit, kennst du dieses Verhalten, dieses Gefühl von früher?« Ja, natürlich kenne ich es – und so stoße ich doch wieder auf einen bekannten wunden Punkt. Es ist wie mit einer Zwiebel: Die eine Schicht ist abgepellt und bearbeitet. Nun ist die nächste Schicht dran.
Die Bearbeitung meiner Vergangenheit ist also von entscheidender Bedeutung, wenn ich reif werden will. Es ist einer der vier Aspekte, die die Entwicklung unseres Lebens prägen. Jeder sollte es sich gönnen, in Seelsorge oder Therapie die eigene Geschichte zu verarbeiten.
Dennoch beobachte ich bei manchen Christen eine übermäßige Fixierung auf Seelsorge und die Bearbeitung der Vergangenheit. Das halte ich nicht für hilfreich. Ich würde in meiner Seele vermutlich genügend »Bearbeitungsmaterial« für zehn weitere Jahre Seelsorge finden, und ich befürchte, danach würde wieder Neues auftauchen. Doch währenddessen ziehen kostbare Jahre meines Lebens vorbei.
Reife Christen stellen sich ihrer Vergangenheit. Wenn sie Knoten in ihrem Leben und in ihren Beziehungen entdecken, die sich mit üblichen Bewältigungsstrategien nicht lösen lassen, nehmen sie Hilfe durch Therapie und Seelsorge in Anspruch. Sie schauen sich schmerzliche Zusammenhänge, Lebenswunden und Verletzungen an und bitten Christus, ihre Seele zu heilen.7
Dennoch ist die Beschäftigung mit der Vergangenheit für sie kein Dauerzustand. Trotz mancher Narben richten sie ihren Blick wieder nach vorne und leben in der Hingabe an Christus kraftvoll ihr Leben – das einzige, das sie auf dieser Erde haben. Sie dulden nicht, dass ihre Empfindlichkeiten die alleinige Aufmerksamkeit erhalten, sondern lassen die Worte, die Gott an Paulus richtete, in ihr eigenes Herz fallen: »Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig« (2. Korinther 12,9a). Und sie stimmen in Paulus’ Antwort ein: »Als ich das hörte, konnte ich es froh annehmen. Ich hörte auf, mich auf meine Behinderung zu fokussieren, und begann sogar, sie als Geschenk anzunehmen« (2. Korinther 12,9; frei übersetzt nach The Message).
Vor Kurzem malte mir die Schlussszene des Films A Beautiful Mind diese Wahrheit vor Augen. Die Hauptperson John Nash geht unter Applaus nach vorne zum Rednerpult, um seinen Nobelpreis für Mathematik in Empfang zu nehmen. Auf dem Weg dorthin entdeckt er neben sich einen Mann und ein Mädchen. Beide sind nicht real da, sondern Halluzinationen, die durch seine Schizophrenie hervorgerufen werden. Nash schaut sie gelassen an. Er regt sich nicht mehr auf. Er reagiert nicht mehr auf das, was sie ihm »sagen«. Nash weiß inzwischen, dass er diese Personen zwar sieht, sie jedoch nicht real sind. Er lächelt und schreitet weiter zum Rednerpult, um seine Rede zu halten.
Mit dieser Einstellung möchte Auch als Christ bin ich noch nicht
vollkommen wiederhergestellt,
wie ich es dereinst im Himmel
sein werde. Und dennoch gehe
ich froh meines Weges und strebe
danach, mein Leben mit Gottes
Hilfe kraftvoll zu gestalten.ich leben. Immer wieder begegnen mir »alte Bekannte« meiner Vergangenheit. Sie zeigen mir: Ich bin noch nicht im Himmel. Noch lebe ich auf dieser Erde. Auch als Christ bin ich noch nicht vollkommen wiederhergestellt, wie ich es dereinst im Himmel sein werde. Und dennoch gehe ich froh meines Weges und strebe danach, mein Leben mit Gottes Hilfe kraftvoll zu gestalten. Ich bin davon überzeugt: Das, in was ich meine Energie investiere, das wächst.
Obwohl es viel zum Thema »Verarbeitung der Vergangenheit« zu sagen gibt, möchte ich diesen Aspekt an dieser Stelle nicht vertiefen, da es bereits viele gute Bücher dazu gibt. Allerdings wird die Bedeutung unserer Vergangenheit in allen folgenden Kapiteln immer wieder eine Rolle spielen, denn sie kann beispielsweise unsere Freundschaften beeinflussen oder unser Training blockieren.
In diesem Kapitel geht es um den Aspekt der Zukunft. In Kapitel 3 »Das Training« dann um die Gestaltung meiner Gegenwart und in Kapitel 4 »Die Freundschaft« darum, wie das Leben in Gemeinschaft konkret aussehen kann.
Unsere Sicht von der Zukunft
Lange Zeit prägte folgende Überzeugung mein Leben: Meine Gene und meine Vergangenheit prägen mich, bestimmen, wer ich bin und einmal sein werde. An meinen Genen kann ich nichts ändern. Die Vergangenheit kann ich mit Gottes Hilfe verarbeiten. Das war’s.
Doch dann kam eine neue, aufregende Erkenntnis hinzu. Wir verbrachten um die Jahrtausendwende mit drei Familien einige Tage an der Atlantikküste Marokkos (wir hatten mit drei Wohnmobilen Frankreich und Spanien durchfahren, um dieses wunderschöne Land zu bereisen). Jeden Tag entfernte ich mich von der Zelt- bzw. Wohnmobilburg, bewaffnet mit Campingtisch und Stuhl, Tagebuch, Bibel und einem Buch, und ließ mich mit Blick auf das Meer nieder. Kurz zuvor hatte ich eine Therapie beendet und fragte mich: »Was nun? Wie geht es weiter?« Da begeisterte mich ein mir bis dahin unbekannter Gedanke. Ich las bei Stephen Covey, Die sieben Wege zur Effektivität. Ein Konzept zur Meisterung Ihres beruflichen und privaten Lebens (Campus Verlag), dass es neben der Vergangenheit einen...