2 Fette
Gegenwart
Immer mehr Dicke beunruhigen die Gesundheitsexperten – Macht Fett fett? – Macht fettarm schlank? – Fettarm in die Kohlenhydratfalle: wozu die Angst vor dem Fett führen kann – Abnehmen ist gesund, oder? – Abnehmen mit Fett
Fette Geschäfte
Im Jahr 2002 haben in Europa 230 Millionen Menschen versucht, abzunehmen. Zu diesem Zweck gaben sie rund 100 Milliarden Euro für fettarme Wurst, mageren Käse, kalorienreduzierte Fertiggerichte, Pulverdiäten oder Diät-Schokoriegel aus. Besonders beflissen waren wir Deutschen, uns war der Kampf um den Hüftspeck alleine 20 Milliarden Euro wert, gefolgt von den Engländern mit umgerechnet gut 15 Milliarden Euro. Sogar in den Gourmetländern Europas, Italien und Frankreich, klingelten je 14 Milliarden Euro in den Kassen der Diätprodukte-Hersteller.1
Meist bleibt die Kundschaft treu, denn der Erfolg all dieser Bemühungen und Investitionen ist äußerst bescheiden: Nur einer von 50, die erfolgreich abnehmen, hält sein Gewicht mindestens ein Jahr.5 Gesamtgesellschaftlich geht der Trend genau in die andere Richtung: Wir werden immer fetter. Nicht nur in den Industrienationen, auch in China und vielen Schwellenländern werden Hüften und Bäuche immer umfangreicher. Selbst in den Städten der Entwicklungsländer nimmt mit dem Wohlstand auch der Umfang der Leibesmitte zu. In den USA sind die Zahlen in relativ kurzer Zeit explodiert: Nur noch einer von drei erwachsenen Amerikanern ist schlank oder normalgewichtig. Die beiden anderen sind entweder übergewichtig oder sogar fettsüchtig (adipös). Damit hat sich die Rate der Dicken binnen 20 Jahren verdoppelt.2
Besonders beunruhigt sind die Gesundheitsexperten auch hierzulande darüber, dass immer mehr Kinder zu dick sind: 15 % der 3- bis 17-Jährigen, darunter gut 6% adipöse.108 Und weil Dicksein nicht nur ein kosmetisches und psychisches Problem darstellt, sondern auch ein wichtiger Risikofaktor für eine ganze Reihe von Zivilisationskrankheiten ist, werden wir in Zukunft wohl auch immer mehr Depressive, Diabetiker, Herz- und Krebskranke zu versorgen haben. Tatsächlich leiden heute bereits Schulkinder – dicke Schulkinder wohlgemerkt – am so genannten Alterdiabetes.90 Wie der Name sagt, trat diese Form der Zuckerkrankheit früher nur bei älteren Übergewichtigen auf. Lässt sich die befürchtete „Epidemie des Übergewichts“ aufhalten?
Hintergrundwissen
Normalgewicht, Übergewicht, Adipositas
Die Beurteilung des Körpergewichts erfolgt heute anhand des so genannten Body-Mass-Index (BMI = Körpermasse-Index). Der BMI wird folgendermaßen errechnet:
Im Kopf lässt sich das kaum bewerkstelligen. Entweder benutzt man einen Taschenrechner oder eine Tabelle, die anzeigt, welche Größe und welches Gewicht zu welchem BMI gehört. Nun muss man noch wissen, welcher BMI für Normal-, Unter- oder Übergewicht steht. Gängig ist folgende Einteilung:
BMI unter 20 | Untergewicht (Models; weniger als 5 % der Über-45-Jährigen) |
BMI 20 bis unter 25 | Normalgewicht (ca. ein Viertel der Über-45-Jährigen) |
BMI 25 bis unter 30 | leichtes Übergewicht (ca. die Hälfte der Über-45-Jährigen) |
BMI ab 30 | Adipositas/Fettsucht (ca. ein Viertel der Über-45-Jährigen)35 |
Manchmal werden die Grenzen auch altersabhängig definiert, sodass bei älteren Menschen ein BMI bis zu 29 als normal gilt. Für Kinder gibt es Spezialtabellen.
Fettauge sei wachsam
Für Professor Volker Pudel von der Uni Göttingen war die Sache klar. Sein Credo: Fett macht fett – Kohlenhydrate machen fit.3 Und so beglückte er seit 1989 die Bundesbürger mit seiner kohlenhydratreichen, fettreduzierten „PfundsKur“. Unterstützt von der AOK und vom Südwest Rundfunk brachte er uns bei, dass wir uns an Brot, Nudeln, Reis, Kartoffeln und Gummibärchen satt essen dürften und lediglich die „Fettaugen“ im Essen zählen müssten, um schlank zu werden. Angeblich haben die 330 000 Teilnehmer der letzten PfundsKur in zehn Wochen durchschnittlich 5–7 kg abgenommen. Und dieses verringerte Gewicht kann nach Pudels Angaben auch besser gehalten werden. Das klingt viel versprechend. Aber halten diese Behauptungen einer genaueren Nachforschung stand?
„Bringt die AOK die Dicken um?“, titelte 2003 die Fachzeitschrift Der Kassenarzt.4 Darin wirft man Pudel und der AOK vor, dass es für die langfristige Wirksamkeit ihrer fettarmen Diät keine Belege gibt. Es handele sich vielmehr um eine „Kohlenhydratmast“, die womöglich mit schuld daran sei, dass es immer mehr Dicke im Land gibt. Das ist starker Tobak. Bei näherem Hinsehen stellt sich jedoch heraus, dass die „Fett-macht-fett-Hypothese“ tatsächlich auf tönernen Füßen steht – auch wenn sie seit Jahren von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung in Bonn (DGE) und vielen anderen Institutionen und Ernährungsexperten gepredigt wird. Selbst der gesunde Menschenverstand ist einem Zusammenhang zwischen Specksoßen und Speckringen am Bauch nicht gänzlich abgeneigt. Nicht einmal unsere Sprache kennt einen Unterschied zwischen dem Fett im Essen und dem an den Oberschenkeln. Gehen wir der Sache einmal auf den Grund.
Hintergrundwissen
Kohlenhydrate, Fett und Eiweiß
Kohlenhydrate, Fette und Eiweiße (Proteine) sind die wichtigsten Kalorien liefernden Nährstoffe in unserem Essen. Vor allem Fett und Kohlenhydrate dienen dem Körper zur Energieversorgung, in geringerem Maß nutzt er auch Eiweiß als „Brennstoff“.
Mögliche Energieausbeute (gerundet)
1 g Fett | 9 Kilokalorien (kcal) | 39 Kilojoule (kJ) |
1 g Kohlenhydrate | 4 kcal | 17 kJ |
Macht Fett fett?
Die Hatz auf Butter, Sahne, fette Wurst und cremigen Käse wird gleich mit einer ganzen Reihe von Argumenten begründet: Fettes würde nicht gut sättigen, sondern zum Überessen anreizen, durch seinen guten Geschmack und seinen hohen Kaloriengehalt würde es fast zwangsläufig zu unerwünschten Speckrollen führen. Die Fettverwertung im Körper sei nur ungenügend reguliert, die meisten Dicken äßen mehr Fett und weniger Kohlenhydrate als Schlanke. Und überhaupt sei es kaum möglich, mit Kohlenhydraten dick zu werden, weil sie bei üblichen Verzehrmengen nicht in Fett umgewandelt werden könnten. Folglich helfe nur eine fettreduzierte und dafür kohlenhydratreiche Ernährung beim Schlankwerden und -bleiben. Das klingt einfach und plausibel – und sollte uns schon deswegen skeptisch machen.
Richtig ist, dass Fett von allen Nährstoffen die meisten Kalorien liefert – doch was heißt das für die Energiebilanz eines Menschen? Nur wer dauerhaft mehr Energie zuführt als er verbraucht, nimmt zu. Wer nur so viel futtert, wie der Körper verarbeitet, wird normalerweise auch nicht dick, egal, woher die Kalorien stammen. Richtig ist auch, dass sich mit fetter Sahnetorte schnell eine Menge Kalorien verschlingen lassen. Das ist kein Wunder, schließlich sind in der Torte auf kleinstem Raum eine Menge Kalorien konzentriert (= hohe Energiedichte). Grüner Salat und trocken Brot schneiden da natürlich besser ab, denn sie sind voluminöser und liefern pro Portion viel weniger Kalorien (= niedrige Energiedichte).
Jene, die uns die Butter vom Brot nehmen wollen, gehen davon aus, dass fettreiche Mahlzeiten automatisch zu einer höheren Kalorienaufnahme führen als kohlenhydratreiche. Um die Energiezufuhr niedrig zu halten, empfehlen sie daher, maximal 30 % der täglichen Kalorien in Form von Fett zuzuführen.91
Keine Fett-Automatik
Eine Currywurst mit Pommes rot/weiß übertrifft einen Salat mit Joghurtdressing und Vollkornbrötchen in Sachen Kalorienzufuhr natürlich um Längen. Deswegen nehmen Menschen, die das eine gegen das andere austauschen, zunächst einmal ab. Doch sind damit die Fette als Bösewichte in Sachen Übergewicht entlarvt? Lässt sich so die 30-%-Regel rechtfertigen?
Auf beide Fragen lautet die Antwort nein. Auch wenn Fett mehr als 30 % der Kalorien beisteuert, führt das nicht automatisch zu einer hohen Gesamtkalorienzufuhr.11, 12 Sogar bei einem Fettanteil von über 60 % der Kalorien lässt sich der Energiegehalt einer Mahlzeit niedrig...