Fitness im Schulsport
Harald Lange
Zum Spannungsfeld zwischen Bodybuilding und Körperbildung1
Während Fitness offensichtlich ein moderner Begriff unserer Zeit ist, haftet dem Bildungsbegriff im alltäglichen Sprachgebrauch durchaus etwas Verstaubtes und Antiquarisches an. Trotzdem rangiert die Bildungsidee im Zusammenhang mit der Formulierung von Leitvorstellungen zur Ausgestaltung des Schulsports und des Bewegungsunterrichts immer noch an vorderster Stelle. Ähnlich verhält es sich mit dem Fitnessbegriff, der in der pädagogischen Diskussion zwar noch über keinerlei Tradition verfügt, sich aber während der zurückliegenden Jahre klammheimlich immer mehr zu einer leitenden Orientierung gemausert und dabei gewissermaßen die pädagogische Hintertür benutzt hat. Aus diesem Grund mag der Untertitel dieses Beitrags ein wenig irritieren und tatsächlich auch auf ein spannungsgeladenes und konkurrierendes Verhältnis zwischen Fitness und Bildung verweisen. Diese Spannung ist durchaus reizvoll und soll im Folgenden im Zuge von vier Schritten aufgearbeitet werden.
Dabei wird es im ersten Schritt darum gehen, den schillernden Fitnessbegriff aus pädagogischer Sicht hinsichtlich seiner Bedeutungsweite einzugrenzen, bevor in einem zweiten Schritt unter der Überschrift „Veränderte Kindheit“ diejenigen in den Blick genommen werden, für die die Fitnesskonzepte gedacht sind. Im dritten Abschnitt wird der Fitnessbegriff im Sinne der Metapher des Bodybuildings in trainingstechnologischer Hinsicht vertieft, bevor zum Abschluss des Beitrags trainingspädagogische Anhaltspunkte für die Modellierung eines pädagogisch tragfähigen Fitnesskonzepts für die Schule und den Sportunterricht vorgeschlagen werden. Der in diesem Kontext erforderlichen Analyse stehen Fragen wie die folgenden voran:
• Was hat Fitness mit Bildung zu tun? Liegen in dieser Beziehung Gegensätze und Widersprüche?
• Lassen sich diese reduzieren und auflösen?
• Wie gelangt man zur Begründung eines Fitnesskonzepts, das auch den Bildungsansprüchen gerecht werden kann?
Annäherung an einen schillernden Begriff
In der ersten Annäherung symbolisiert der Fitnessbegriff vieles von dem, wonach sich Menschen in unserer Gesellschaft sehnen: Leistungsfähigkeit, Gesundheit, Wohlbefinden, Jugendlichkeit, Erfolg und Schönheit. In vielen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Feldern wird davon ausgegangen, dass fitte Menschen die auf sie zukommenden Beanspruchungen souverän zu meistern verstehen. Fitte Mitarbeiter gelten als belastbar, weshalb Fitness auch im Berufsleben und in der Wirtschaft als überaus positiv besetzte Eigenschaft gilt. Angesichts der Vielzahl positiver Assoziationen liegt es nahe, den Fitnessbegriff auch in die Diskussion um die Ausrichtung, Konzeption und Qualitätssicherung von Schule und Schulsport als Leitbegriff zu etablieren.
Solche Forderungen werden vor allem im Zusammenhang mit Daten und Befürchtungen vorgetragen, die ein Bild zur nachlassenden körperlichen Leistungsfähigkeit und den damit einhergehenden Auffälligkeiten im Bereich der sogenannten Zivilisationskrankheiten (z. B. Adipositas) vermitteln. In diesem Zusammenhang mehren sich gerade in jüngster Zeit Stimmen, die aus einer entsprechenden Sorge heraus die Entwicklung von körperlicher Leistungsfähigkeit und Fitness im Zentrum des Sportunterrichts sehen möchten (vgl. u. a. Brettschneider, 2006; Hummel, 2005; Mechling, 2005). So attraktiv das Bild fitter Schüler auch sein mag, so wenig sagt diese Forderung zum Wie? des am Fitnessdenken orientierten Sportunterrichts aus. Dabei käme es genau darauf an, also auf die Entwicklung und Begründung einer fachdidaktisch tragfähigen Fitnesskonzeption. Ansonsten verbleiben Forderungen nach gesünderen, leistungsfähigeren und fitteren Schülern in der allgemeinen Sphäre des Papiertigertums. Neben dem durchaus vorhandenen Boulevardinteresse am Fitnessstatus und den daraus abgeleiteten Forderungen an einen entsprechend auszurichtenden Sportunterricht existiert aber auch eine – vergleichsweise überschaubare – Publikationstätigkeit, in der sich die Autoren um die didaktische Fundierung von Fitnesskonzeptionen für den Sportunterricht bemühen.
Pädagogische Annäherungen an Fitnesskonzeptionen
Auch wenn die sportpädagogische Begründung von Fitnesskonzeptionen noch in den Anfängen steckt, taucht die Fitnessthematik in den Lehrplänen fast aller Schulformen und Jahrgangsstufen als verpflichtender Unterrichtsgegenstand auf, und auch bei den Schülern sind Themen aus dem Bereich des Fitnesssports überaus beliebt. Im Spektrum fachdidaktischer Publikationen mehren sich seit geraumer Zeit Positionen, aus denen heraus die Fitnessthematik für die Belange des Schulsports auch theoretisch begründet wird. Dabei werden unterschiedliche theoretische Anlehnungen und entsprechend verschieden akzentuierte Argumentationslinien bemüht.
Brehm (1991; 1993) bindet die Fitnessthematik sehr eng an die Gesundheitsdiskussion. Steinmann (2004) spannt, vom Gesundheitsargument ausgehend, den Bogen zu einer trainingswissenschaftlichen Argumentationsfigur, die auch mit empirischen Ergebnissen begründet wird (vgl. hierzu auch Günther, 2004), und Schwier (2001) und später Menze-Sonneck (2005) argumentieren, von sozialwissenschaftlichen Standpunkten ausgehend, wenn sie sich mit den pädagogischen Herausforderungen befassen, die an die Fitnessthematik gebunden sind.
Explizit pädagogisch orientierte Auseinandersetzungen mit der Fitnessthematik sind die Ausnahme. So relativiert beispielsweise Brodtmann (1999) die Reichweite, die das Fitnessthema im Spektrum der Gesundheitserziehung einzunehmen vermag, recht deutlich. Seiner Auffassung nach sollte das Fitnesstraining zwar zur planmäßigen Verbesserung körperlich-konditioneller Ressourcen (Kraft, Ausdauer, Beweglichkeit) eingesetzt werden, womit jedoch die zentralen Aufgaben des Schulsports noch gar nicht getroffen sind. Dort soll es nämlich auch im Hinblick auf die gesundheitserzieherische Perspektive um die Entwicklung und Förderung personaler Ressourcen gehen (z. B. Selbstwertgefühl, soziale Beziehungsfähigkeit, Kontrollüberzeugungen, Selbstwirksamkeitserwartungen, habitueller Optimismus und Herausforderungsoptimismus).
Der Überblick zu den verschiedenen sportwissenschaftlichen Richtungen, aus denen heraus das Fitnessthema für den Sportunterricht begründet werden soll, zeigt neben der Vielfalt theoretischer Zugänge das Fehlen eines disziplinenübergreifenden Ansatzes, in dem der Spagat zwischen der pädagogischen und der motorischen Dimension der Thematik möglich wird. Das Herstellen dieser Verbindung wäre allerdings notwendig, um einerseits der Sachlichkeit der Fitnessthematik gerecht zu werden und um andererseits auf dieser – interdisziplinär angelegten – Basis ein tragfähiges Fitnesskonzept für den Schulsport entwerfen zu können.
Fitness als Facette der Körperthematik
Um einen Leitbegriff als solchen etablieren zu können, bedarf es entsprechend weit- und tief gehender Ein- und Abgrenzungen. Für die Fitnessthematik bietet sich in diesem Zusammenhang die Bezugnahme zu der in den Sozialwissenschaften und der Pädagogik geführten Diskussion um das Körperthema an (vgl. v. a. Ach & Pollmann, 2006; Gugutzer, 2004). Während man sich in der Soziologie für das Verhältnis zwischen Körper und Gesellschaft interessiert, untersuchen Pädagogen die daraus abzuleitenden Konsequenzen für Bildungs- und Erziehungsaufgaben. Solche Forschungsarbeiten sind vor allem während der zurückliegenden 2-3 Jahrzehnte immer gehaltvoller und aktueller geworden, denn verschiedene gesellschaftliche Veränderungen, wie z. B. die beobachtbaren Tendenzen zur Kommerzialisierung, Technologisierung oder Mediatisierung, bleiben selbstverständlich nicht ohne Auswirkungen auf den Körper. Genauer gesagt: Sie wirken auf die Wahrnehmungen, Erwartungen, Wertungen und Ansichten, die Kinder und Jugendliche auf ihre Körperlichkeit hin auslegen.
Dabei konstruieren nicht zuletzt die Medien immer wieder neue Körperideale, deren Betrachtung und Bewunderung mitunter zu Differenzerlebnissen und -erfahrungen führen, die für viele Kinder und Jugendliche durchaus belastend sind. So hat beispielsweise Milhoffer (2000) im Zuge einer empirischen Studie herausgefunden, dass sich die meisten Jungen wünschen, größer und stärker zu sein, während Mädchen bereits im Grundschulalter eine schlanke Figur haben möchten. Lediglich ein Fünftel der befragten Schulkinder war mit seinem körperlichen Aussehen zufrieden. Dabei handelte es sich entweder um diejenigen, die meinten, dass ihr Körper mit den Normen übereinstimmt, oder um diejenigen, die sich für solche Normen schlichtweg nicht interessieren. Ein durchaus brisantes Fazit ihrer Untersuchung formuliert Milhoffer (2000, S. 53) wie folgt: Auf dem Weg in die Pubertät messen...