Einleitung
Eines Morgens wurde mir beim Aufwachen klar, dass ich kein Leben hatte. Als fast 40-jährige weltbekannte und ausgezeichnete Neurowissenschaftlerin hatte ich – wie viele meinten – alles: Ich hatte meinen Lebenstraum verwirklicht und leitete ein erfolgreiches, höchst angesehenes neurowissenschaftliches Forschungslabor an der Universität New York, und ich hatte eine Professur inne. Diese beiden Dinge sind aus vielen Gründen extrem schwer zu erreichen. Allzu viele meiner Freundinnen aus höheren Studiensemestern, in denen die Quote von Männern zu Frauen noch 50 zu 50 betrug, waren längst nicht mehr in der Wissenschaft tätig. Die Gründe dafür waren zum Teil die gleichen wie bei allen gut ausgebildeten Frauen. Der Ehemann ging beruflich an einen Ort, an dem für die Frau kein Job in der Wissenschaft verfügbar war, oder die Frauen bekamen Kinder, blieben zu Hause und schafften den Wiedereinstieg in den wissenschaftlichen Beruf nur schwer oder gar nicht. Oder die Frauen hatten sich von der scharfen Konkurrenz um die finanziellen Mittel für die Forschung entmutigen lassen oder hatten die überlangen Arbeitszeiten und die geringe Bezahlung satt und andere Betätigungsfelder für ihre Begabung und Kreativität gefunden.
Frauen, die sich so wie ich unermüdlich in der Forschung hochkämpften, waren Einzelfälle. Präzise ausgedrückt liegt der Anteil der Frauen an den naturwissenschaftlichen Fakultäten der großen US-Forschungseinrichtungen bei gerade mal 28 Prozent. Trotz der ernüchternden Zahlen trieb ich meine wissenschaftliche Karriere voran. Ich publizierte viele Artikel in angesehenen wissenschaftlichen Zeitschriften und gewann zahlreiche Preise für meine Arbeit zum Thema anatomische und physiologische Grundlagen des Gedächtnisses. Ich war ein Vorbild für andere Wissenschaftlerinnen und bei meinen Kollegen hoch angesehen. Auf dem Papier war mein Aufstieg kometenhaft, meine Erfolgsbilanz makellos. Und ich liebte die Wissenschaft – wirklich.
Was also war das Problem? Nun … alles andere.
Mein Leben war, ehrlich gesagt, ziemlich deprimierend. Zwar hatte ich eine Traumkarriere hingelegt, aber zwischenmenschlich tat sich gar nichts, kein Mann in Sicht. Mein Verhältnis zu den Mitarbeitern meiner Abteilung und meines eigenen Labors war angespannt. Wenn jemand aus dem Lehrerkollegium beschloss, in letzter Minute Prüfungen oder Laborübungen anzusetzen, stand ich dem hilflos gegenüber. Wenn einer meiner Studenten (ohne Vorwarnung) eine Pause in unserer gemeinsamen Forschungsarbeit einlegen wollte, um zu unterrichten, war ich erzürnt. Meine Beziehung zu den anderen Wissenschaftlern in meinem Labor bestand nur aus Arbeit – oder besser gesagt, aus wirklich harter Arbeit. Ich konnte mit ihnen über nichts anderes sprechen, denn in meinem Kopf GAB es nichts anderes. Habe ich schon erwähnt, dass ich auch dick war? Präzise gesagt neun Kilo zu schwer. Ich fühlte mich elend und zum ersten Mal in meinem Leben völlig ratlos. In Wissenschaft und Karriere war ich wirklich gut, aber das Leben war zu viel für mich. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich liebte meine Tätigkeit. Wissenschaft war und ist meine große Leidenschaft. Aber reichte das aus?
Dann kam mir eine überraschende Erkenntnis: Ich war völlig ahnungslos in einer – sehr wichtigen – Sache.
Und was macht eine Wissenschaftlerin, wenn sie merkt, dass ihr außer der Wissenschaft alles entgeht?
Ich für meinen Teil beschloss, ein Experiment zu beginnen, das mein Leben verändern sollte.
Ich setzte meine 20 Jahre Wissen und Erfahrung in der Neurowissenschaft in eigener Sache ein und sorgte bei mir für einen kompletten Sinneswandel. Ich wagte mich aus der Welt der Wissenschaft hinaus und entdeckte ein ganzes Universum von Gesundheit und Glück, das mich ironischerweise wieder dorthin zurückführte, wo ich begonnen hatte. Und in meinem Inneren trat gewaltiger, beinahe totaler Wandel ein.
In meiner Entschlossenheit, mein Leben zu verändern, ließ ich mein Leben als übergewichtige, weibliche Laborratte mittleren Alters, die in der Wissenschaft zwar viel erreicht hatte, aber nicht wusste, wie sie eine gesunde, glückliche Frau mit einer erfolgreichen Karriere und einer glücklichen Beziehung sein konnte, hinter mir. Ich hatte einen echten Tiefpunkt erreicht und wusste, dass nur ich selbst ihn überwinden konnte. Ich wollte nicht in zehn Jahren, mit 50, beim Aufwachen feststellen müssen, dass mein Leben, abgesehen von weiteren Publikationen, Preisen und Laborergebnissen, immer noch leer war. Ich wollte viel mehr.
War das zu viel verlangt? Sind wir alle dazu verdammt, uns für eine einzige Sache entscheiden zu müssen?
Haben wir nicht alle viele verschiedene Seiten? Welche Ihrer Seiten haben Sie aufgegeben für Beruf, Familie oder beides gleichzeitig? Und wenn Sie die Chance erhielten, würden Sie diesen fehlenden Teil Ihrer selbst nicht gerne zurückbekommen – etwa das kreative, fröhliche, übermütige Kind in Ihnen, das das Leben als einziges großes Abenteuer ansieht? Meine Antwort: »JA, WÜRDE ICH!«
Also begann ich, mich in der Mitte meines Lebens mit meinem bisher ehrgeizigsten Projekt zu beschäftigen: glücklich zu werden. Natürlich gibt es bereits jede Menge Bücher darüber, was Glück bedeutet und wie man glücklich wird. Ich hatte gelesen, Glück wäre eine Sache der Einstellung, der Verlagerung des inneren Gefühlsschwerpunktes vom Negativen zum Positiven. Glück scheint auch eine bestimmte Form von Erlaubnis zu brauchen: etwa sich selbst den Abschied von der Opferrolle zu erlauben, in der man nur danach beurteilt wird, wie viel man leistet, und stattdessen frei zu werden und sein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Ich lernte auch, dass Glück mit Entschlossenheit und freiem Willen zu tun hat: sich hinzustellen und aktiv das eigene Glück einzufordern, nicht darauf zu warten, dass es in einem Geschenkkorb mit roter Schleife frei Haus geliefert wird.
Doch als Wissenschaftlerin brauchte ich irgendwie etwas Konkreteres, etwas Wissenschaftliches, das mir den Weg wies. Konnte ich nicht meine neurowissenschaftlichen Kenntnisse auf mein Leben anwenden? Ich begriff, dass ich nur glücklich sein konnte, wenn ich mein gesamtes Hirn einsetzte, nicht bloß den Teil, der tolle neurowissenschaftliche Experimente plant. Klar war, dass ich große Teile meines Gehirns nicht mehr (oder kaum) benutzte, seit ich meine Forschungs- und Lehrtätigkeit an der NYU begonnen hatte. Ich befürchtete, dass diese unterforderten Teile meines Gehirns allmählich verkümmerten. So wurde ein Großteil der motorischen Areale in meinem Gehirn nicht eingesetzt, weil ich Bewegung nach Möglichkeit vermied. Sensorische Hirnbereiche, die mit (nicht wissenschaftlicher) Kreativität zu tun hatten, und jene Teile, die für Meditation und Spiritualität zuständig waren, ähnelten Wüstengebieten, wenn man sie mit den Abschnitten verglich, die neue Experimente planten, Regeln einhielten und bei jeder Gelegenheit über mich selbst urteilten. All diese Bereiche mit wissenschaftlicher Basis waren üppig grün und lebendig wie der Regenwald des Amazonas. Ich begriff, dass ich Zugang zu meinem eigenen Gehirn – meinem gesamten Gehirn – finden musste, um glücklich werden zu können. Aber das war noch nicht alles.
Obwohl ich das menschliche Gehirn überaus liebte und schätzte, wusste ich auch, dass wir nicht nur aus Gehirn bestehen. Dieses Gehirn ist mit einem Körper verbunden, der uns mit der Welt in Kontakt treten lässt. Und das Problem der Unterforderung beschränkte sich nicht auf Teile meines Gehirns: Mein gesamter Körper wurde vernachlässigt. Ich musste nicht nur die Wüsten in meinem Gehirn beleben, ich musste an meinem ganzen Körper arbeiten. Im Grunde begriff ich allmählich, dass Glück darin besteht, auf eine ausgeglichene Nutzung aller Teile des Gehirns zu achten und die Verbindung zwischen Gehirn und Körper zu stärken.
Die gute Nachricht lautet: Wenn wir alles nutzen, was unser Gehirn für uns tun kann, und auch die vielfältige, unentwirrbare Verbindung zwischen Körper und Kopf nutzen, schaffen wir die unersetzliche Grundlage für eine bessere Hirnfunktion. Mit anderen Worten, wir schärfen unser Denken und erhöhen unsere Gedächtnisleistung. Wir lernen, die guten Aspekte unseres Umfeldes (und unseres Körpers) zu unserem Vorteil einzusetzen und uns vor den schlechten (Stress, negative Gedanken, Trauma oder Sucht) zu schützen.
Mein eigener Weg dorthin begann nach vielen Jahren als Couchpotato mit regelmäßigem aerobem Training und mit ein wenig Yoga zum Drüberstreuen. Wahrzunehmen, wie mein Körper stärker wurde, hatte eine magische Wirkung auf mich. Ich hatte plötzlich ein ganz neues Vertrauen in meine Körperlichkeit, wie ich es seit meiner Kindheit nicht gekannt hatte. Ich fühlte mich stark, sogar ein wenig sexy, und meine Stimmung war fantastisch und wurde mit zunehmendem Training noch besser. Mein Körper lernte die ganze Zeit über neue Dinge, und mein Gehirn genoss das, wie ich feststellte!
Aber nicht nur meine Stimmung wurde besser, auch mein Gedächtnis und meine Aufmerksamkeit. Ich begann, das Leben mehr zu genießen, meine Stressbelastung ging zurück, und ich fühlte mich kreativer. Ich fing sogar an, meine neue Leidenschaft für körperliche Bewegung auf die Wissenschaft anzuwenden, neue Arten der Fragestellung auszuprobieren und neue Hirnthemen zu behandeln, die ich vorher nicht in Betracht gezogen hatte. Die größte Veränderung bestand wohl darin, dass dieses neue Selbstvertrauen,...