VORWORT
»Heureka!« Niemand weiß mit Sicherheit, ob Archimedes wirklich dieses Wort rief, aus der Badewanne sprang und durch die Straßen des antiken Syrakus rannte, um seine neueste Entdeckung zu verkünden. Und doch hat diese Geschichte zwei Jahrtausende überdauert – weil sie bei den Menschen eine Saite zum Klingen bringt; wahrscheinlich hatten Sie selbst schon solche »Aha-Erlebnisse« oder plötzlichen Erkenntnisse. Psychologen sprechen auch von »Einsicht«. Derlei Einsichtserlebnisse sind mächtige Erfahrungen, die unser Verständnis von der Welt und uns selbst erweitern. Sie können nicht nur Erleuchtung, sondern auch praktische Vorteile mit sich bringen.
Auch uns bewegen Geschichten über Einsichtserlebnisse, weshalb wir diese Momente schon seit fast zwanzig Jahren untersuchen. Aus diesem Grund haben wir das vorliegende Buch geschrieben. Wir wollen erklären, was Einsicht ist, wie sie entsteht und wie man nach dem neuesten Stand der Forschung öfter dazu gelangen kann. Aber zuerst würden wir Ihnen gern etwas über die Historie unserer Arbeit und die Einsichtsforschung ganz allgemein erzählen.
In den Jahrzehnten nach dem Ersten Weltkrieg dokumentierten deutsche Psychologen, dass eine Person, die mit einem verwirrenden und scheinbar unlösbaren Problem konfrontiert ist, plötzlich realisieren kann, dass sie es aus dem falschen Blickwinkel betrachtet hat und die Lösung in Wirklichkeit ziemlich offensichtlich ist. Ein Problem zu lösen, hat viel damit zu tun, wie man es »sieht«.
Nach dieser Identifizierung der Einsicht lag das Augenmerk der Psychologen fortan auf ihrer Charakterisierung. Insbesondere bemühten sie sich darum nachzuweisen, dass sie einzigartig ist und sich von willentlichen, bewussten Gedanken – der »Analyse« – unterscheidet. In den 1980er-Jahren zeigte beispielsweise die Psychologin Janet Metcalfe, dass Menschen ihre analytischen Gedanken bewusst kontrollieren können. Die geistigen Prozesse, die zu Einsicht führen, sind jedoch größtenteils unbewusst, was es schwierig macht, sie zu kontrollieren und vorauszusagen, wann eine Lösung als Aha-Erlebnis ins Bewusstsein vordringt. Ein weiterer Vorstoß gelang in den frühen 1990er-Jahren, als der Psychologe Jonathan Schooler demonstrierte, dass einsichtsvolle Gedanken fragil sind und leicht überschattet werden: Laut über ein Problem »nachzudenken«, verringert die Wahrscheinlichkeit, dass Sie es mit einem Geistesblitz der Einsicht lösen. Ihre Fähigkeit, es analytisch zu lösen, wird dagegen nicht beeinträchtigt, wenn Sie sich durch ein Problem »hindurchquatschen«.
Trotz Schoolers Entdeckung hatten neue Forschungsergebnisse über Einsicht bis zu den 1990er-Jahre Seltenheitswert, das Forschungsgebiet war in eine Art Dornröschenschlaf versunken. Obwohl Einsicht ein Kernthema der Experimentalpsychologie blieb und in fast jedem Lehrbuch zur Einführung in die Psychologie behandelt wurde, war noch niemand in der Lage, ihre Funktionsweise festzumachen. Die wichtigsten Fragen lauteten nach wie vor: Wie kommt es zur Einsicht? Und: Können wir sie öfter erzeugen?
Dem Vorankommen stand etwas im Weg, ein Hindernis, das im Wesen der Einsicht selbst begründet ist: Sie fühlt sich anders an. Es liegt an der Durchschlagskraft von Aha-Erlebnissen, dass die Menschen sie bemerken und sich an sie erinnern. Dennoch beharrten einige Skeptiker darauf, dass dieses Gefühl trüge und Einsicht sich von bewussten Gedanken ausschließlich darin unterscheide, wie die Menschen sich fühlen, wenn sie zu einer Lösung gelangen. Ansonsten seien sie nichts Besonderes und die Vorstellung, dass es sich bei Aha-Momenten um echte, kreative Durchbrüche handelt, ein Ammenmärchen.
Als wir uns Ende 2000 an der University of Pennsylvania begegneten, diskutierten wir darüber, ob die Skeptiker Recht haben könnten. Was, wenn sich Aha-Erlebnisse zwar anders anfühlen, ansonsten aber keineswegs einzigartig sind? Vielleicht sind es bloß gewöhnliche Gedanken, die gelegentlich außergewöhnliche Ergebnisse hervorbringen. Wenn es wenigstens ein objektives Merkmal gäbe, um die subjektive Erfahrung von Einsicht zu überprüfen – etwas, das uns helfen würde, Aha-Erlebnisse zu isolieren und zu analysieren, um dahinterzukommen, ob sie tatsächlich etwas Besonderes sind …
Dann begriffen wir, dass diese Art objektives Merkmal der Einsicht potenziell tatsächlich existiert – in der Gehirnaktivität. Das brachte uns auf die Spur.
Bis dahin hatte sich Mark in seiner Forschungsarbeit auf ein anderes Thema konzentriert, und zwar darauf, inwiefern sich das Sprachverständnis auf die rechte Gehirnhälfte stützt – die Seite, die eher für die räumliche Vorstellungskraft bekannt ist als für Sprache. Basierend auf den Forschungsarbeiten anderer Wissenschaftler sowie seinen eigenen Studien zu subtilen Sprachdefiziten bei Patienten mit geschädigter rechter Gehirnhälfte, stellte Mark eine Theorie darüber auf, inwiefern die beiden Hemisphären Informationen unterschiedlich verarbeiten. Zu einem Wendepunkt in Marks Karriere kam es 1994, als er eine Vorlesung von Jonathan Schooler über Einsicht besuchte. Diese überzeugte ihn, dass dieselbe Eigenschaft der rechten Gehirnhälfte, die es Menschen ermöglicht, Sprache zu verstehen – nämlich die Fähigkeit, entfernt zueinander in Beziehung stehende Informationen zusammenzubringen –, auch für Aha-Erlebnisse sorgt. In den 1990er-Jahren tat Mark sich mit Edward Bowden zusammen, einem Einsichtsforscher, den er aus seiner Zeit an der Graduate School kannte. Gemeinsam arbeiteten sie an Verhaltensstudien, die die Theorie unterstützten, dass die rechte Gehirnhälfte eine besondere Rolle für die Einsicht spielt. Zwischenzeitlich begann Mark mithilfe von funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) Sprache zu erforschen, um die Hirnareale abzustecken, mit deren Hilfe Menschen in der Lage sind, Geschichten zu verstehen. Bald schon begann er über die Möglichkeit nachzudenken, fMRT auch zur Untersuchung von Einsicht zu nutzen.
Johns Forschungsschwerpunkt lag während der 1990er-Jahre auf der neuronalen Grundlage des »semantischen Gedächtnisses« – wie Menschen Wissen erwerben, anwenden und manchmal auch verlieren. Mithilfe der Elektroenzephalografie (EEG) zeichnete er die elektrische Aktivität des Gehirns auf, um millisekundengenau zu umreißen, wie ein Begriff geistig erfasst wird. Der nächste logische Schritt bestand darin, sich anzusehen, wie eine Einsicht ins Gedächtnis springt. Zusammen mit seinem Doktorand Roderick Smith veröffentlichte er eine Verhaltensstudie, die zeigte, dass Einsicht abrupt und in ihrer Ganzheit eintritt, was die bewusste Erfahrung von Plötzlichkeit bestätigte. Das brachte John auf die Idee, EEG zu nutzen, um das Phänomen der Einsicht zu ergründen.
In den frühen 1990er-Jahren kamen die bildgebenden Verfahren (Tomografie) für das Gehirn auf, die sich über das folgende Jahrzehnt hinweg rasant entwickelten. Dank dieser Techniken brauchten wir uns nicht darauf zu beschränken, das äußere Verhalten der Menschen zu analysieren. Wir konnten in ihre arbeitenden Gehirne spähen. Das änderte alles.
Die ersten Neurowissenschaftler, die sich die Bildgebungsverfahren zunutze machten, untersuchten hauptsächlich Fähigkeiten, die bereits ausführlich von Psychologen erforscht worden waren, etwa Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Bewegung und Gedächtnis. Vor schwierigeren Aufgaben schreckten sie zurück: geistige Fähigkeiten, die komplexer und weniger leicht zu begreifen waren, wie logisches Denken, Entscheidungsfindung und Problemlösung – von Einsicht ganz zu schweigen.
Wir fühlten uns bereit, der Einsicht mit diesen Werkzeugen auf den Grund zu gehen, aber zuvor hatten wir noch eine wissenschaftliche Entscheidung zu treffen: Welche Art von Experiment sollten wir durchführen? Forschungsgelder und Zeit waren knapp. Jeder von uns verfügte lediglich über die finanziellen Mittel, um ein Experiment zu unterstützen. Aber welches? Wir umkreisten das Problem eine Weile, kamen aber immer wieder auf den einen Punkt zurück, der sich als Schlüsselfrage entpuppte: Was geschieht in dem Moment im Gehirn, in dem jemand ein Problem mit einem Geistesblitz der Einsicht löst? Wir entwarfen ein Experiment, das den eigentlichen Moment des Aha-Erlebnisses beleuchten würde.
Bis 2002 hatten wir die Einzelheiten unserer ersten Studie ausgearbeitet und waren bereit, mit den Tests zu beginnen. Etwas mulmig war uns allerdings schon zumute, denn wir gingen ein großes Risiko ein. Idealerweise führen Forscher zunächst kleine vorbereitende Pilotversuche durch, um Schwächen aufzudecken und ihre Verfahren zu verfeinern, bevor eine gesamte Studie in Angriff genommen wird. Dazu hatten wir weder die Mittel noch die Zeit, wir mussten also mit dem ersten Schuss ins Schwarze treffen.
Nachdem wir die Daten gesammelt hatten, verbrachten wir die nächsten Monate damit, die EEG- und fMRT-Ergebnisse unabhängig voneinander zu analysieren. Dann tauschten wir unsere Gehirnbilder aus und staunten nicht schlecht – wenn man die EEG- und fMRT-Bilder überlagerte, passten sie perfekt zusammen! Die zentrale Erkenntnis: Im Augenblick des Aha-Erlebnisses leuchtet ein Schlüsselbereich der rechten Hemisphäre auf.
Diese und andere Erkenntnisse lieferten schließlich den konkreten Beweis für die Realität und Besonderheit der Einsicht. Wir verfassten einen Artikel über unsere Ergebnisse. Als wir beide neue Lehrtätigkeiten angenommen hatten – Mark an der Northwestern University und John an der Drexel University –, legten wir ihn zur Veröffentlichung vor und freuten uns, als er von der renommierten wissenschaftlichen...