Im dritten Kapitel werden wichtige theoretische und strategische Grundlagen der Kundenbindung aufgearbeitet, um ein grundsätzliches Verständnis des Themas dieser Arbeit zu erzeugen. Der letzte Abschnitt beantwortet die Forschungsfrage, welche Kundenbindungstypen bereits definiert sind, indem die in der gesichteten Literatur georteten Kundenbindungstypen sowie Typen aus den Bereichen Kundenzufriedenheit, Strategisches Management, Kaufverhalten, der Sinus-Milieus©[50] und der Kaufentscheidung in B2B aufgezeigt werden.
Betrachtet man den Begriff Kundenbindung aus wörtlicher Sicht, so setzt sich dieser aus den beiden Teilen „Kunden“ und „Bindung“ zusammen. Der erste Teil wurzelt aus dem althochdeutschen Begriff „kundo“, welcher „Bekannte/Einheimische“ ausdrückt. Nach einer bereits erfolgten Transaktion besteht im übertragenen Sinn eine Bekanntschaft zwischen einem Nachfrager und einem Anbieter.[51] Im 16. Jahrhundert entstand die heutige Bedeutung eines Kunden als regelmäßiger Käufer in einem Geschäft.[52] Für die vorliegende Arbeit wird der Begriff Kunde definiert „[…] als: tatsächlicher […] Konsument von […] Gütern und Dienstleistungen auf der Nachfragerseite des […] Marktes“[53].
Die Bindung, der zweite Teil des Begriffs „Kundenbindung“ geht zurück auf das indogermanische Wort „bhndn“, das fesseln/binden bedeutet, übertragen jedoch auch fest miteinander vereinigen. Aus psychologischer Sicht ist Bindung der beständige gefühlsmäßige Kontakt eines Menschen zum Mitmenschen und setzt die Fähigkeit eines Menschen in längerdauernde emotionelle Wechselbeziehungen mit Sozialpartnern zu treten voraus.[54]
Aufbauend auf die vorangegangene Analyse der beiden Begriffsteile „[…] kann bereits versucht werden, die grundsätzliche Ausrichtung des Begriffs „Kundenbindung“ zu beschreiben:
Demnach stellt Kundenbindung auf einen Zusammenhalt („Bindung“) zwischen einem Leistungsgeber und Leistungsempfänger („Kunde“) ab“[55].
Kundenbindung wird in der Literatur sehr zahlreich definiert und abgegrenzt. Homburg/Bruhn z. B. sprechen von einer nachfrager- und einer anbieterbezogenen Sicht der Kundenbindung.[56] Einige Definitionen systematisieren aus der Sichtweise der Geschäftsbeziehung.[57] Jene Definitionen, welche zeitgleich mehrere Sichtweisen vereinen, bezeichnet man integrierte Definitionen[58].
3.1.2.1. Anbieter-Perspektive
Die Bezugnahme auf den Anbieter stellt eine Management-Position der Kundenbindungsdefinition dar und umfasst sämtliche Unternehmens-maßnahmen zur Erzeugung von Kundenbindung.[59] Kundenbindung wird aus diesem Blickwinkel als „[…] Bündel von Aktivitäten gesehen, die geeignet erscheinen, Geschäftsbeziehungen zu Kunden enger zu gestalten [Hervorh. i. Orig.]“[60]. Hierzu zählen alle Maßnahmen, „[…] die zu kontinuierlichen oder vermehrten Wieder-, Zusatz- und Folgekäufen führen bzw. verhindern, dass Kunden abwandern“[61].
3.1.2.2. Kunden-Perspektive
Bei dieser Betrachtungsweise wird Kundenbindung als komplexes Kundenmerkmal, welches mit Wissen und Denkprozessen verbundene (kognitive), mit Emotionen und Werten verbundene (affektive) sowie mit Handlungsabsichten gepaarte (intentionale) Gesichtspunkte aufzeigen kann.[62] Somit lässt sich Kundenbindung aus Kundensicht als „[…] Einstellung eines Kunden zur Geschäftsbeziehung mit einem Anbieter […] definieren, die sich in dessen Bereitschaft zu Folgetransaktionen mit diesem Anbieter niederschlägt [Hervorh. i. Orig.]“[63]. Diese intentionalen Verhal-tensabsichten drücken sich z. B. in Kundenanfragen, Informations-gesprächen, Besuchen und Folgekäufen aus.[64] Einige Autoren bezeichnen diese Wiederkaufabsicht auch als Kundenloyalität. [65]
3.1.2.3. Geschäftsbeziehungs-Perspektive
Diese Perspektive betrachtet Kundenbindung „[…] ein Phänomen[…], das die Geschäftsbeziehung zwischen einem Anbieter und einem Kunden betrifft“[66]. Der Begriff Geschäftsbeziehung wird als Fortsetzung von nicht zufälligen Markttransaktionen zwischen Unternehmen und Kunden erklärt, wobei beide Geschäftspartner den entstandenen Kontakt längerfristig aufrechterhalten wollen.[67] Des Weiteren kann bei dieser Betrachtungsweise zwischen Transaktionsepisoden und -atmosphäre unterschieden werden. Transaktionsepisoden charakterisieren die Kundenbindung anhand des tatsächlichen Kontakt- und Kaufverhalten des Kunden und beinhalten jegliche Transferprozesse von nichtmateriellen Werten, Informationen, Gütern und Geld. Die Transaktionsatmosphäre erfasst die qualitativen und emotionalen Merkmale von Geschäftsbeziehungen wie z. B. Vertrauen, ein- oder gegenseitiges Commitment oder die Kundenzufriedenheit.[68]
Eine Konzeptualisierung hinsichtlich der drei bisher angeführten Perspektiven ist in Abbildung 6 dargestellt.
Abb. 6: Perspektiven auf das Konstrukt der Kundenbindung[69]
3.1.2.4. Integrierte Perspektive
Die vorangegangene Sichtweise der Geschäftsbeziehung orientiert sich am bisherigen Kundenverhalten und ist somit wenig zukunftsorientiert. Daher wird in der Literatur öfters die kunden- und die geschäftsbeziehungs-bezogene Perspektive kombiniert. Das Konstrukt Kundenbindung wird hier in eine Verhaltensdimension und eine Absichtsdimension konzeptualisiert. Wobei die Verhaltensdimension das bisherige Kauf- und Weiter-empfehlungsverhalten (ex post) umfasst. Die Absichtsdimension schließt indessen die zukünftige Wiederkauf-, Zusatzkauf- und Weiter-empfehlungsabsicht von Kunden ein.[70] Abbildung 7 verdeutlicht diese Konzeptualisierung von Kundenbindung.
Abb. 7: Konzeptualisierung des Konstruktes Kundenbindung[71]
Homburg/Bruhn benennen o. a. Verhaltensdimensionen „Faktisches Verhalten“ und „Verhaltensabsicht“. Wobei das faktische Verhalten Wiederkauf, Cross-Buying, Weiterempfehlung und Preiserhöhungsakzeptanz beinhaltet und die Verhaltensabsicht in Wiederkaufabsicht, Cross-Buying-Absicht, Weiterempfehlungsabsicht und Preiserhöhungstoleranz unterteilt wird (s. Abb. 8).[72]
Abb. 8: Konzeptualisierung der Kundenbindung nach Homburg/Bruhn[73]
Kundenbindung ist also dann existent, „[…] wenn es auf Kundenseite Gründe gibt, die wiederholtes Kaufen als sinnvoll und/oder notwendig erscheinen lassen, [welches sich, Anm. d. Verf.] im bisherigen Kauf- und Weiterempfehlungsverhalten sowie durch zukünftige Kauf- und Weiterempfehlungsabsichten“[74] ausdrückt.
3.1.2.5. Definition der Kundenbindung nach Homburg/Bruhn
„Kundenbindung umfasst sämtliche Maßnahmen eines Unternehmens, die darauf abzielen, sowohl die bisherigen Verhaltensweisen als auch die zukünftigen Verhaltensabsichten eines Kunden gegenüber einem Anbieter oder dessen Leistungen positiv zu gestalten, um die Beziehung zu diesem Kunden für die Zukunft zu stabilisieren bzw. auszuweiten“[75].
Dieser Arbeit wird o. a. Definition von Kundenbindung zugrunde gelegt, da diese operational, aber nicht zu eng gefasst ist und eine einstellungs- und verhaltensorientierte Komponente enthält, „[…] indem das tatsächliche Handeln und auch die Verhaltensabsicht erhoben wird. Damit erstreckt sich das Konstrukt Kundenbindung sowohl auf die Vergangenheit […] als auch auf die Zukunft“[76].
Marketing stellt eine fächerübergreifende Wissenschaft in der betriebswirtschaftlichen Forschung dar. Dies hat auch für die Kundenbindung Gültigkeit. Der theoretische Rahmen von Kundenbindung ist folglich sehr weit gefasst. Nachfolgend werden die transaktionskosten-orientierten, interaktionsorientierten, sozialpsychologischen und verhaltenswissenschaftlichen Erklärungsansätze betrachtet, die zur Erläuterung der Entstehung von Kundenbindung beitragen.[77]
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