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Forschen unter Bedingungen kultureller Fremdheit

AutorGabriele Cappai
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl346 Seiten
ISBN9783531909202
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis42,99 EUR
Die Beitragsautoren gehen der Frage nach, ob unter der Bedingung kultureller Differenz gültiges Wissen erzeugt wird, wenn beispielsweise in westlichen Gesellschaften entwickelte und vielfach erprobte Methoden der Datengenerierung, wie sie das biographische bzw. erzählende Interview, das Gruppendiskussionsverfahren oder die Beobachtung darstellen, angewandt werden.


Dr. Gabriele Cappai ist Professor an der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth und lehrt dort Methoden der empirischen Sozialforschung.

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Leseprobe
Einleitung. Die empirische Erforschung des Fremden. Ein interdisziplinärer Ansatz (S. 9)

Gabriele Cappai

Das Vorhaben, den Zusammenhang von empirischer Forschung und kultureller Fremdheit zum Objekt einer wissenschaftlichen Reflexion zu machen, bedarf heute eigentlich keiner Rechtfertigung. In einer Zeit, in der das Bewusstsein der gesellschaftlichen Kopräsenz und gegenseitigen Bedingtheit von Eigenem und Fremden wächst und mit ihm das Bedürfnis, diese Gleichzeitigkeit und Relation in seinen vielfältigen Facetten und Artikulationen methodisch zu beleuchten, muss das Nachdenken über Methode und Kultur geradezu als eine Selbstverständlichkeit erscheinen.

Man konnte nun anmerken, dass der Zusammenhang von Methode und Kultur, wenn auch mit unterschiedlichen Intentionen und Akzentsetzungen, schon immer im Zentrum der Aufmerksamkeit von Ethnologie und Soziologie stand, so dass unser Vorhaben den Charakter einer Nacherzählung dessen hatte, was in disziplininternen Diskursen bis heute mit relativer Kontinuität stattgefunden hat. Geht nicht etwa die Geschichte der Ethnologie von den Gründungsvatern wie Boas und Malinowski bis zu zeitgenossischen Vertretern wie Geertz und seinen Kritikern Hand in Hand mit einem wachsenden Bewusstsein über Möglichkeiten und Schranken empirischer Verfahren?

Und ist nicht andererseits die Entwicklung der Soziologie von der „Chicago School" bis zu den heutigen phänomenologisch und wissenssoziologisch inspirierten empirischen Ansätzen von einer zunehmenden Sensibilität für Differenz und kulturelle Fremdheit gekennzeichnet? Sind schließlich diese zwei Disziplinen nicht auch dadurch theoretisch, methodologisch und methodisch gewachsen, dass sie voneinander gelernt haben, dass sie in ihrer Vorgehensweise eine Sicht eingebaut haben, die typisch für die jeweils andere war?

Diese Fragen konnen nicht eindeutig mit „Ja" beantwortet werden. Auch deswegen nicht, weil von einem symmetrischen Lernprozess beider Disziplinen keine Rede sein kann. Konnte noch vor ungefähr 20 Jahren Rene König (1984) eine Vorbildfunktion der Ethnologie für die Soziologie feststellen, so gibt es heute gute Gründe für die Annahme, die Ethnologie konnte von einer dezidierteren Öffnung gegenüber der Soziologie viel profitieren. Damit ist nicht gemeint dass sich die Ethnologie, wie manche Soziologen heute fordern, nach einem Paradigma ausrichten sollte, das den Akzent auf Verfahrenstandardisierung, Validität, Zuverlässigkeit und Repräsentativität als conditio sine qua non für Wissenschaftlichkeit setzt (Goldthorpe 2000: Kap. IV).

Damit ist vielmehr die Tatsache gemeint, dass sich der Ethnologe nicht gegenüber jenen phänomenologisch und wissenssoziologisch begründeten Ansätzen in der Soziologie versperren kann, die dem empirisch verfahrenden Forscher - zu Hause sowie in der Fremde - sowohl eine grundlagentheoretische Untermauerung als auch ein konzeptionell abgesichertes Forschungsinstrumentarium liefern, die komplementär zu den klassischen Methoden ethnologischer Forschung stehen.

Andererseits sollte der Soziologe von der Vorstellung Abschied nehmen, die metatheoretische Absicherung des eigenen Tuns sei per se Garantie für gute Forschung. Auch sollte er sich von der verbreiteten aber falschen Meinung distanzieren, schon das Abschütteln klassischer Gütekriterien und das Bekenntnis zur Flexibilität und Offenheit gegenüber dem Forschungsgegenstand reiche aus, seinem Vorgehen das Siegel der Transkulturalität zu verleihen. Dazu später mehr.

Die gegenseitige Befrüchtung von Soziologie und Ethnologie ist unleugbar, sie muss aber eher als Resultat zufälliger, denn geplanter Begegnungen angesehen werden. In einer systematischen Zusammenarbeit beider Disziplinen bestehen aber die besten Chancen für einen fruchtbaren Umgang mit dem Problem der empirischen Forschung unter den Bedingungen kultureller Fremdheit. Vor allem sollte sich diese systematische Zusammenarbeit nicht in programmatischen Erklärungen erschöpfen, die an eine halbherzig gedachte und noch halbherziger praktizierte Interdisziplinarität appellieren.
Inhaltsverzeichnis
Inhalt5
Vorwort7
Einleitung. Die empirische Erforschung des Fremden. Ein interdisziplinärer Ansatz9
Disziplinen11
Theorien13
Methoden17
Kultur21
Zu den Beiträgen in diesem Band24
Literatur37
I. Strategien im Forschungsfeld40
Wissenschaft auf Reisen. Dichte Teilnahme und wissenschaftlicher Habitus bei Heinrich Barths Feldforschung in Afrika41
Einleitung41
1. Dichte Teilnahme: Malinowski, Barth und Overweg42
2. Wissenschaft trotz Reise48
3. Wissenschaft als Reise55
4. Kontakte mit Europa: Korrespondenz, Publikation, Finanzierung57
Schluss62
Literatur65
Distanzierung und ethnische Vereinnahmung - Die Erforschung oraler Traditionen in der eigenen Gesellschaft69
Einleitung69
1. Die Thematik70
2. Die Bewahrer des traditionellen Wissens72
3. Zur Funktion des traditionellen Wissens in der Tuareg-Gesellschaft77
4. Seitenwechsel?80
5. Methoden der Datenerhebung83
6. Interaktives Befragen87
Schluss93
Literatur94
Interaktive Methoden: Erfahrungen mit der Verwendung von „ Participatory Rural Appraisal" ( PRA) in der Forschung95
Einleitung95
1. Geschichte, Zielsetzung und entwicklungspolitische Programmatik des „ Participatory Rural Appraisal" ( PRA)97
2. Schlüsselkonzepte: Lokale Gemeinschaften und lokales Wissen102
3. Erfahrungen mit PRA-Instrumenten in der Forschung104
4. Folgerungen zur weiteren Nutzung von interaktiven Methoden in sozialwissenschaftlicher Forschung121
Literatur123
II. Rekonstruktion und Verallgemeinerung128
Fallrekonstruktive Forschung in Bauernfamilien und Familien psychisch Kranker: Die Unhintergehbarkeit von Fremdheit in der Sequenzanalyse und ihre Bewältigung129
1. Fremdheit als dem Forschungsgegenstand inharent und als Produkt der Methode129
2. Ein Fallbeispiel: Die Familie Finis131
3. Empirische Forschung und Klinische Praxis136
4. Auswege aus dem Problem der Reziprozitatslücke140
Literatur143
Zur Differenz von praktischem und methodischem Verstehen in der ethnologischen Feldforschung - Eine rein textimmanente objektiv hermeneutische Sequenzanalyse von übersetzten Verbatim- Transkripten von Gruppendiskussionen in einer afrikanischen lokalen Kultur145
I. Methodologische Vorbemerkung145
II. Sequenzanalyse des Materials einer ersten Gruppendiskussion vom 7. September 2002 in Mocambique mit 5 Bewohnern eines Dorfes über die Folgen einer Überschwemmungskatastrophe151
III. Sequenzanalyse einer zweiten Gruppendiskussion am 8.11.2002 mit 8 Teilnehmern, bestehend aus Amtsträgern aus demselben Dorf in Mocambique, wiederum über die Folgen der Überschwemmungskatastrophe189
IV. Zusammenfassung der sachlichen Ergebnisse der Sequenzanalyse221
Literatur232
Wenn nichts verborgen bleibt - Ein Kommentar zur objektivhermeneutischen Auslegung meiner Gruppendiskussionen. Eine Stellungnahme zum Beitrag von Ulrich Oevermann235
Literatur239
Der empirische Zugang zum kulturell Fremden am Beispiel Zeit. Ein rekonstruktiver Ansatz241
Problemumriss241
Was bedeutet Rekonstruktion?246
Rekonstruktion in methodologischer und methodischer Perspektive249
Grenzen des Anschlusses an das Wissen der Akteure im Feld253
Generalisierung254
Die Herausforderung des Ethnozentrismus257
Abschließende Betrachtung259
Literatur260
III. Deutungsmuster und kulturelle Vorgabe263
Die „dichte" Lebensgeschichte - Überlegungen zu den Methoden der empirischen Sozialforschung im interkulturellen Kontext265
Literatur280
Interkulturelle Kommunikation. Verständigung zwischen Milieus in dokumentarischer Interpretation281
1. Interkulturelle Kommunikation und sozialwissenschaftliche Forschung282
2. Ansätze der interkulturellen Kommunikationsforschung284
3. Interkulturelle Kommunikation und Milieubegriff285
4. Die Gruppendiskussion als interkulturelle Kommunikation287
5. Milieus und milieugrenzenüberschreitende Kommunikation von Jugendlichen im Spiegel von Gruppendiskussionen289
6. Zur dokumentarischen Interpretation interkultureller Kommunikation in Gruppendiskussionen302
Literatur304
Kulturelle Präfigurationen sozialer Interaktion. Methodologische Fragen interkultureller Kooperation, diskutiert an einem Beispiel aus Kamerun307
Literatur327
Mediale Fremde. Afrikanisch sehen - europäisch erkennen?329
1. Einleitung329
2. Bild und Medium332
3. Von Bildern und Imaginationen336
4. Von der Intermedialität zur visuellen Kultur343
Literatur345
Zu den Autoren349

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