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Auf Forsters Canapé

Liebe in Zeiten der Revolution

AutorUrsula Naumann
VerlagInsel Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl496 Seiten
ISBN9783458797500
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
Dass die Französische Revolution ein weltveränderndes Ereignis war, haben damals auch die meisten Menschen im Ausland sofort begriffen. Politik ist Herzenssache geworden, Herzenssachen stehen im Banne der Politik. Paris zieht nun Revolutionstouristen aus aller Herren Länder an. Von einigen dieser »étrangers«, zwei Engländerinnen und einem deutschen Weltbürger, wird in diesem Buch erzählt. Im April 1793 finden wir sie zusammen in der Pariser Oper: die empfindsame Dichterin Helen Maria Williams, bislang eine Frau von untadeligem Ruf, die ihren Landsleuten nun als engagierte Korrespondentin aus Frankreich berichtet und mit einem verheirateten Mann liiert ist. Mary Wollstonecraft, die mit ihrer »Verteidigung der Rechte der Frau« Aufsehen erregt hat und mitten in einer leidenschaftlichen Beziehung zu einem amerikanischen Abenteurer steckt. Und den Weltumsegler Georg Forster, der sich der Revolution in die Arme geworfen und seine Frau an einen anderen Mann verloren hat, doch weiterhin unbeirrt an ihr festhält. »Es ist sonderbar, meine geliebteste Therese, daß unsere eigentümlichsten Verhältnisse so mit den wichtigsten Angelegenheiten der Menschheit zusammenhängen«, schreibt er ihr aus Paris. In ihrem neuen Buch erzählt Ursula Naumann klug, mit tiefer Empathie und ebenso unterhaltsam wie spannend von der Verwobenheit individueller Schicksale mit welthistorischen Umbrüchen. - mit zahlreichen Abbildungen

<p>Ursula Naumann, geboren 1945, lebt als freie Autorin in Erlangen. Ihre minutiös recherchierten und brillant geschriebenen biographischen Darstellungen erschienen im Insel Verlag, bei C. H. Beck und in der Anderen Bibliothek. 2014 erhielt sie den Friedrich-Baur-Preis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste.</p>

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Leseprobe

Prolog



?

18. August 1789

In Ashleys Amphitheater, Westminster Bridge

(im Anschluß an eine Seiltanzvorführung von Signor Spinacuta)

EIN GANZ NEUES GLANZVOLLES SCHAUSPIEL

DIE FRANZÖSISCHE REVOLUTION

Von Sonntag, dem 12. Juli, bis einschließlich Mittwoch,

dem 15. Juli, genannt

PARIS IM AUFRUHR

eine der größten und ungewöhnlichsten Darbietungen,

die je gezeigt wurden, gründend auf

WAHREN BEGEBENHEITEN

LOGE 3 s., PARKETT 2 s. RANG MITTE 1 s., RANG SEITE 6 d.

Einlaß um halb sechs, Beginn pünktlich am halb sieben.

 

 

Daß die Französische Revolution ein weltveränderndes, die Herzen umwälzendes Ereignis war, haben auch die meisten Menschen im Ausland sofort begriffen. Wer sich vorher nicht für Politik interessiert hatte, jetzt tat er es. Jeder Tag brachte neue Entwicklungen, eine Flut von Beschlüssen und Verordnungen, tödliche Konflikte, unerwartete Wendungen, unerhörte Begebenheiten, große Emotionen. Noch nach Jahrzehnten schrieb einer für alle: »Man glaubt es selbst kaum, daß man Zeitgenosse dieser Begebenheiten gewesen ist.« Nichts war dramatischer als die Wirklichkeit. Die Welt war zur Bühne geworden, und die Staatsschauspieler – und was für grandiose Schauspieler! – verwöhnten ihr Publikum mit spektakulären Auftritten, die von Zeichnern festgehalten und im Druck sogleich verbreitet wurden.

Es war die Stunde der Journalisten. Zeitungen und Zeitschriften schossen wie Pilze aus dem Boden. Man verfolgte die Ereignisse mit leidenschaftlicher Anteilnahme, fieberte nach Nachrichten, griff nur noch nach Schriften, die den »politischen Heißhunger« stillten. Paris, als Mekka der zivilisierten Welt immer schon ein Besuchermagnet, zog nun Revolutionstouristen aus aller Herren Ländern an, die meisten aus England und deutschen Landen. Vor allem die Jugend kam. Bliss was it in that dawn to be alive / But to be young was very heaven![1] Idealisten, Utopisten, Realisten, Geschäftsleute, Spinner, Spekulanten, Spione, Sinnsucher, Katastrophen- und Sensationssüchtige, alle wollten dabeisein, wenn eine neue Zeit anbrach und die Menschheit zu einem »schönen, neuen und edlen Leben« in Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit erwachte. Auch wenn die Déclaration des Droits de l'Homme et du Citoyen nicht wie die amerikanische Unabhängigkeitserklärung the pursuit of happiness – das Streben nach Glück – als unveräußerliches, von der Natur selbst verliehenes Menschenrecht behauptete, so las man das doch als Verheißung mit. »Ich liebe die Freiheit, weil ich das Vergnügen liebe«, schrieb der deutsche Publizist Konrad Engelbert Oelsner.

Die Fremden kamen als Zuschauer und als Mitwirkende, für ein paar Wochen oder Monate oder Jahre. Viele engagierten sich als Kosmopoliten aktiv für die Entstehung eines neuen Weltstaates, und nicht wenige strebten zugleich nach Profit, Ruhm und Macht. Manche wandten sich enttäuscht und entsetzt ab, andere blieben.

Jeder hatte seine ganz eigene Affäre mit der Revolution und dem Land, das sie hervorgebracht hatte. Frankreich nahm die Besucher mit offenen Armen auf, jedenfalls in der ersten Zeit. Foreign Affairs! Es gab viele illegitime Liebesbeziehungen zwischen étrangers und Einheimischen, viele Beziehungen der Ausländer auch untereinander. In der Fremde ließ es sich freier leben, der Kontrolle neugieriger Nachbarn, Bekannter, Verwandter entzogen. Alles war in Bewegung, die alten Ordnungen zerfielen, und niemand wußte, wie die Zukunft aussehen würde. Ein Ausnahmezustand, der die großen Gefühle nährte, Lebenshunger und Todesverachtung, Leidenschaft und Liebe.

Zum ersten Mal in der Geschichte klagten Frauen öffentlich die Gleichberechtigung ein. Alternative Lebensmodelle wurden erprobt, Standesschranken überwunden, Tabus gebrochen. Ein ehemaliger Priester heiratete seine Schwester und feierte seine Hochzeit unter dem Freiheitsbaum. (Das Paar wurde verhaftet.) Familien- und Ehegesetzgebung wurden reformiert und säkularisiert. »Die Heuraten, die Geburten werden von dem Eigensinne der Eltern, und dem Rauchfasse der Priester unabhängig sein. Kein grausames Gesetz schmiedet mehr unter das Joch der Ehe freie Herzen auf lebenslang«, freute sich Oelsner, und dann prophezeite er: »Bei gleicher Verteilung der Glücksgüter wird es weniger freche Begierden, und weniger verworfene Sklaven geben.«

Nur – können liebende Herzen überhaupt frei sein? Und wann waren Begierden frech? Jedenfalls dann, wenn Aristokraten sie hatten. Sang nicht auch der Lüstling Don Giovanni, den Mozart und sein Librettist da Ponte stellvertretend für die ganze Adelsbagage zur Hölle fahren lassen, trotzig sein Viva la libertà? »Der Schlamm der Libertinage infiziert die öffentliche Moral« war in der Zeitschrift Révolutions de Paris zu lesen. Die Freiheit der Herzen, die die bürgerlichen Freunde der Revolution propagierten, war das Gegenprogramm zu den wirklichen oder vermeintlichen Ausschweifungen des Adels. Sie sollte mit (republikanischen) Tugenden verbunden sein, und tugendhaft war, wer sich disziplinierte, kontrollierte und seine Wünsche dem Wohle der Allgemeinheit unterwarf. Ein tödliches Programm, wie sich schnell zeigte. Der Weg vom Despotismus des Lasters zum Terror der Tugend war erschreckend kurz.

Liebe in Zeiten der Revolution. Politik also war zur Herzenssache geworden, Herzenssachen standen im Banne der Politik, die zum wirkungsmächtigen Element in der Chemie menschlicher Beziehungen geworden war. »Eine besondere Eigenart revolutionärer Zeiten ist die innige Verbindung oder vielmehr der unmittelbare Zusammenhang von öffentlichen Angelegenheiten und privaten Schicksalen«, schrieb die englische Dichterin Helen Maria Williams, die das an sich selbst erfahren hatte – ihre Beziehung zu einem verheirateten Mann und ihre erfolgreiche Karriere als Auslandskorrespondentin hätte es ohne die Revolution nie gegeben – und die als Gastgeberin diesen Zusammenhang nach Kräften förderte und als Schriftstellerin auf politische Liebesgeschichten spezialisiert war. In ihrem Pariser Salon empfing sie Gott und die Welt. »Bei den Essen und Tees von Miss Williams begegneten sich Generäle und Diplomaten, Dichter und Philosophen, Schauspielerinnen, Journalisten und Pädagogen; die Intellektuellen und Politiker verschiedener Generationen und Länder trafen sich in einer berauschenden, schwindelig machenden Gesellschaft.« In der Schreckenszeit fand sich Helen mit manchen ihrer Gäste im Gefängnis wieder, wo die Gespräche ihren Fortgang nahmen.

Von ihr soll hier erzählt werden und von zwei anderen Schriftstellern, die in Paris zu ihrem Bekanntenkreis gehörten. Anders als Miss Williams, die heute nur noch Spezialisten kennen und lesen, sind sie immer noch berühmt, und immer noch verbindet sich ihr Name vor allem mit dem Werk, mit dem sie zu ihrer Zeit Aufsehen erregten.

Mary Wollstonecraft war für viele ihrer Zeitgenossen einfach Rights of Woman. Ihre schwungvolle und energische Verteidigung der Rechte der Frau (A Vindication of the Rights of Woman) war nicht nur ein Buch, es war eine Tat. Was sie zu sagen hatte, war so wahr, daß es späteren Leserinnen gar nicht so revolutionär vorkam. »Ihre Meinungen waren diejenigen, welche die meisten kultivierten Frauen jetzt haben«, schrieb Kegan Paul 1879, was Virginia Woolf Jahrzehnte später auf eine prägnante Formel brachte: »Ihre Originalität ist unser Gemeinplatz geworden.« Mary Wollstonecraft war eine rebellische Natur, aber ins revolutionäre Paris ist sie aus Liebeskummer gereist. »Ich ging nach Frankreich, um im allgemeinen Glück mein privates Unglück zu vergessen.« Sie fand dort eine neue Liebe, die große Liebe ihres Lebens – und verlor sie wieder.

Georg Forster war und ist der Weltumsegler. Mit seinem Vater, dem Naturforscher Johann Reinhold Forster, begleitete er den Entdecker Captain Cook auf dessen zweiter Reise. Drei Jahre, von 1772 bis 1775, waren sie unterwegs, Forster war siebzehn Jahre jung, als die Fahrt begann. Nach der Rückkehr berichtete er darüber in einem sehr persönlichen, mit Beobachtungen, Beschreibungen, Geschichten, Ideen und Spekulationen reich gefüllten Buch, das seinen Namen zugleich mit seinem Abenteuer in die Öffentlichkeit trug und ihn zum gefeierten Mann machte.

Auch er hat praktisch wirken wollen mit seiner Schrift, der man ihre Entstehung zur Zeit der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung deutlich anmerkt. »Eine einzige Bemerkung, die von großem Nutzen für die Nachwelt ist; nur Ein Vorfall, der unsre Mitmenschen in jenem entfernten Weltteil glücklich macht, vergilt wahrlich alle Mühseligkeiten der Seefahrt, und schenkt den großen Lohn, das Bewußtsein guter und edler Handlungen!«, wünschte er am Ende des Vorworts. Wie es tatsächlich in der Welt zuging, war ihm unterwegs wieder und wieder deutlich geworden. »Wenn wir zum Beispiel jene schönen Fische der See, die Bonniten und Doraden, auf der Jagd der kleinern, fliegenden Fische antrafen, und bemerkten, wie diese ihr Element verließen um in der Luft Sicherheit zu suchen; so war die Anwendung auf den Menschen nur gar zu natürlich. Denn wo ist wohl ein Reich, das nicht dem brausenden Ozean gliche, und in welchem die Großen, in allem Pomp und Pracht ihrer Größe, nicht immer die Unterdrückung...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Cover
1
Informationen zum Buch oder Autor
2
Titel
3
Impressum
4
Widmung
5
Motti
7
Inhalt9
Prolog11
Der Trojanische Krieg findet nicht statt16
I Fraternité: Helen Maria Williams23
Sieben/Vierzehn/Neunundachtzig25
Liebe in Zeiten des Despotismus29
Dichterin33
Julias Leiden45
Diesen Kuß der ganzen Welt49
Flitterwochen53
Die patriotische Familie60
Ein charmantes Pamphlet63
Farewell England66
Farewell Helen77
Man of Mystery79
Krieg den Palästen81
September89
Reisen mit Herrn S.92
In White's Hotel97
Elegie101
Eine Stimme für den König104
Umsturz107
Schuldig, in England geboren zu sein109
Salon Égalité115
Morituri122
Troubled Waves127
Fallbeil129
English Press132
Turned to Stone136
Andenken141
II Égalité: Georg Forster145
Vater & Sohn147
In Mainz, 1789159
Dreieck mit Meyer163
Für Therese189
Arm in Arm194
Guter Genius197
Madame Forkel202
Kriegstheater210
An Einem Tische216
Flucht222
Zopf ab!224
Morgengabe230
Auf Forsters Canapé233
Pariser Ansichten240
III Liberté: Mary Wollstonecraft273
Geistige Arena275
Self-made Woman282
Sagestus und Sagesta286
Freiheitsmütze295
Verteidigung von Dr. Price299
Totalrevolution303
Neck or Nothing315
Blutige Hände319
Eroberungen323
Ein Amerikaner in Paris330
Ans Herz geflochten340
Und weg bist Du344
Umarmungen des Todes351
Sei Mann! Sei Weib!357
Novelle363
Auf einen Speer gestützt375
Frei382
Skandinavische Reise385
Chez moi, chez elle393
Mary, Maria, Mary411
Lektionen419
Epilog423
Editorische Notiz449
Quellennachweise449
Prolog449
Der Trojanische Krieg findet nicht statt449
Sieben/Vierzehn/Neunundachtzig450
Liebe in Zeiten des Despotismus450
Dichterin450
Julias Leiden451
Diesen Kuß der ganzen Welt451
Flitterwochen451
Die patriotische Familie451
Ein charmantes Pamphlet452
Farewell England452
Farewell Helen452
Man of Mystery453
Krieg den Palästen453
September453
Reisen mit Herrn S.453
In White's Hotel453
Elegie454
Eine Stimme für den König454
Umsturz454
Schuldig, in England geboren zu sein454
Salon Égalité454
Morituri454
Troubled Waves454
Fallbeil455
English Press455
Turned to Stone455
Andenken455
Georg Forster455
Vater & Sohn455
In Mainz, 1789456
Dreieck mit Meyer456
Für Therese458
Arm in Arm459
Guter Genius459
Madame Forkel459
Kriegstheater460
An Einem Tische460
Flucht460
Zopf ab!461
Morgengabe461
Auf Forsters Canapé461
Pariser Ansichten461
Mary Wollstonecraft463
Geistige Arena463
Self-made Woman463
Sagestus und Sagesta463
Freiheitsmütze464
Verteidigung von Dr. Price464
Totalrevolution464
Neck or Nothing465
Blutige Hände465
Eroberungen465
Ein Amerikaner in Paris465
Ans Herz geflochten466
Und weg bist Du466
Umarmungen des Todes466
Sei Mann! Sei Weib!467
Novelle467
Auf einen Speer gestützt468
Frei468
Skandinavische Reise468
Chez moi, chez elle468
Mary, Maria, Mary469
Lektionen470
Epilog470
Bildnachweis471
Literaturverzeichnis472
Siglen472
Personenverzeichnis482
Zeittafel Französische Revolution494

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