2. Leitlinien zur Bildgestaltung
Wer ein gutes Bild fotografieren möchte, sollte sich mit den grundlegendsten Regeln der Kunst vertraut machen. Oft ist es hilfreich, die Aufnahmen zu planen und sich bereits im Vorfeld genaue Gedanken zu den Motiven zu machen. Dies gilt auch für die Tierfotografie. Aber gerade hier läuft natürlich nicht immer alles nach den eigenen Plänen, und dann ist Improvisationstalent gefragt.
Gute Bilder sind kein Zufall
150 MM :: F/4.0 :: 1/1600 S :: ISO 200
Glückstreffer! Obwohl schon vor Jahren mit meiner ersten DSLR-Kamera fotografiert, zählt dieser Zufallsmoment immer noch zu meinen Lieblingsbildern.
Wenn ich mir ein Bild anschaue, sehe ich nicht mehr nur das Motiv an sich. Ich sehe die Werke in ihre einzelnen Elemente aufgeteilt und gerastert. Gute Bilder funktionieren nicht per Zufall, sondern über die bewusste Anordnung von Linien, Flächen, Formen, Farben und Kontrasten. Die Wahrnehmungsfähigkeiten von Menschen sind teilweise angeboren und teilweise erlernt, aber immer subjektiv. Dennoch gibt es in der Gestaltung einige Regeln dazu, was der Betrachter als harmonisch oder unharmonisch empfindet, auch wenn er nicht weiß, wieso.
Gute Bilder lenken den Blick des Betrachters. Es ist wie ein Tanz, bei dem der Künstler führt.
Regeln kennen und Regeln brechen
Für den einen oder anderen mag die Kunsttheorie etwas trocken und sogar zu mathematisch sein. Ich bin jedoch der Meinung, dass man sich früher oder später zumindest mit den Grundzügen der Gesetzmäßigkeiten vertraut machen sollte, um ein Verständnis für Bilder zu entwickeln und sich selbst somit weiterzuentwickeln.
Nur wer die Regeln kennt, kann sie später auch bewusst brechen.
Wahl eines geeigneten Bildformats
Die erste kompositorische Entscheidung ist die Wahl des Bildformats. Soll es ein Hoch- oder Querformat, ein Quadrat, ein Panorama oder ein Sonderformat werden? Meistens wird die Entscheidung intuitiv getroffen und durch den Bildgegenstand mitbestimmt. Das Format kann die Figur zusätzlich strecken oder stauchen, kann Räume schaffen oder den Raum begrenzen, sodass die Figur das Format „sprengt“. Dies hat entscheidende Auswirkungen auf die Bildaussage.
Gestaltungsgitter nutzen
Die meisten Kameras können so eingestellt werden, dass auf dem Display bzw. im Sucher ein Gitternetz eingeblendet wird, das das Sucherbild horizontal und vertikal drittelt. Sehen Sie im Handbuch Ihrer Kamera nach, ob sie diese Funktion unterstützt. Sie ist zur Bildgestaltung äußerst hilfreich und bringt Sie fast automatisch dazu, die Motive nach der Drittel-Regel zu platzieren. Außerdem lässt sich die Kamera anhand der Linien exakt am waagerechten Horizont oder an senkrecht stehenden Objekten ausrichten.
Für einen harmonischen Bildaufbau
Als eine der harmonischsten Teilungsregeln gilt der Goldene Schnitt. Er findet Anwendung bei Kunstwerken, in der Architektur, der Typografie oder in der Produkt- und Landschaftsgestaltung. Der Goldene Schnitt beruht auf der Teilung einer Strecke in zwei Abschnitte, von denen sich der kleinere zum größeren so verhält wie der größere Abschnitt zur ganzen Strecke.
Ein Punkt P teilt eine Strecke mit den Endpunkten A und B dann im Goldenen Schnitt, wenn das Verhältnis von AP (längere Teilstrecke) zu PB (kürzere Teilstrecke) dem Verhältnis von AB (Gesamtstrecke) zu AP entspricht. Teilt man die Länge der größeren Teilstrecke (AP) durch die Länge des kürzeren Abschnitts (PB), muss das Ergebnis der Division von Gesamtstrecke (AB) und längerer Teilstrecke (AP) entsprechen. Der Zahlenwert der Division beträgt in beiden Fällen ca. 1,618. Das entspricht einem Verhältnis von 62:38 (in der Praxis ist auch ungefähr 60:40 ausreichend).
Mit der folgenden Formel kann man die längere (AP) der beiden Teilstrecken errechnen, die durch den Goldenen Schnitt entstehen, wenn man die Gesamtbreite (AB) bzw. -höhe kennt:
AP = AB : 1,618
Oder bildlich ausgedrückt:
98 MM :: F/4.0 :: 1/1250 S :: ISO 100
Von den Bildkanten gemessen, kann man die Bildfläche nach dem Prinzip des Goldenen Schnitts gliedern. In jedem rechteckigen Bild gibt es also vier Punkte, die den Goldenen Schnitt abbilden.
Achten Sie in Ihrem Bild auf die Flächen und Linien und versuchen Sie, genau diese zur guten Teilung des Bildes einzusetzen. Ihr Motiv sitzt oft genau im Goldenen Schnitt am besten. Geben Sie der Bewegungs- oder Blickrichtung immer etwas mehr Platz. Bewegung braucht Raum.
Alle modernen Digitalkameras blenden auf Wunsch ein Gitternetz auf dem Display ein, das das Sucherbild horizontal und vertikal drittelt. Diese Funktion ist sehr hilfreich, weil man sie zur Bildgestaltung nutzen kann, um Motive nach der Drittel-Regel zu platzieren. Die Drittel-Regel ist eine Vereinfachung des Goldenen Schnitts, die ebenfalls zu einer harmonischen Bildgestaltung beiträgt. Haupt- und Nebenmotive sowie bildwichtige Linien werden entweder an den Schnittpunkten oder entlang der zwei horizontalen und zwei vertikalen Linien platziert. Horizontale und vertikale Führungslinien (der Horizont, eine Hauskante oder eine Baumreihe) sind perfekt, um ein Bild aufzuteilen. Diese Führungslinien werden dazu einfach auf den Linien zur Bilddrittelung platziert.
Neben dem Goldenen Schnitt gibt es natürlich auch andere Bildaufteilungsvarianten. Probieren Sie sich zum Beispiel auch an ganz mittigen, symmetrischen Kompositionen für sehr ruhige, statische Porträts.
50 MM :: F/4.0 :: 1/640 S :: ISO 500
Cujanas zum Himmel gehobene Schnauze bildet eine klare und stabile Dreiecksform. Die strenge Symmetrie wird durch die natürliche Struktur des Pelzes und der Lippen aufgelockert.
Bilder anderer Fotografen analysieren
Richtig hilfreich ist es, wenn man Bilder anderer Künstler und Fotografen analysiert und in die einzelnen Bestandteile aufgliedert. Wenn Sie ein Foto finden, das Ihnen besonders gut gefällt und das nicht der klassischen Bildaufteilung entspricht, versuchen Sie, zu analysieren, warum das Werk dennoch funktioniert. Die Harmonie im Bild wird nämlich auch von anderen Faktoren beeinflusst. Allein mit dem Schärfe-Unschärfe-Spiel lässt sich der Blick des Betrachters bereits zu den bildwichtigen Elementen führen.
Figur-Grund-Beziehung
- Die Figur muss sich vom Grund abheben.
- Die kleinere Fläche wird meist als Figur, die größere eher als Grund gesehen.
- Figur und Grund können nicht zugleich wahrgenommen werden.
- Vor allem dicht beieinanderliegende, sich ähnelnde visuelle Elemente werden zu einer Figur zusammengefasst.
- Symmetrische und geschlossene Formen werden bevorzugt als Figur wahrgenommen.
Farben und deren gezielter Einsatz
Farben erzeugen bei uns verschiedene Eindrücke und Wirkungen. In der Tierfotografie haben wir es zwar meistens mit sanften Naturtönen zu tun, doch vielleicht werden Sie einmal aufwendig verziertes arabisches Zaumzeug vor der Linse haben oder einen Hund vor bunter Kulisse fotografieren.
»Farbe gestaltet, indem sie ein Ganzes gliedert und zugleich die Glieder im Ganzen bindet«, besagt das Gesetz der farbigen Gestaltung.
Farbe erzeugt eine unbewusste Assoziation. Diese ist bei jedem Menschen zwar individuell, dennoch lässt sich eine Tendenz erkennen. Ich möchte Ihnen daher einen kurzen Überblick über die unterschiedlichen Wirkungen von Farben zeigen:
200 MM :: F/2.8 :: 1/1250 S :: ISO 200
Nicht allein der wilde Galopp von Jerry ist für die Bilddynamik verantwortlich. Warme Farben wirken anregend und aufheiternd. Wir kennen es alle – bei Sonnenstrahlen sind wir automatisch aktiver als bei trübem Licht.
180 MM :: F/3.2 :: 1/2000 S :: ISO 320
Die schwarzen Bäume und der frostige Himmel erinnern an einen stillen Wintertag. Die Farben unterstützen das ruhige Porträt von Charly. Einzig die unruhige Struktur des Waldes belebt das Bild wieder, wird durch die kalte Farbstimmung jedoch auch gedämmt.
Achten Sie beim Kombinieren der Farben darauf, dass diese auch zusammenpassen und sich nicht „beißen“. Ein guter Anhaltspunkt ist zum Beispiel der Farbkreis. Farben, die sich im Farbkreis gegenüberliegen, passen in der Regel sehr gut zusammen, da sie einen Kontrast zueinander bilden.
Nichts geht ohne Licht und Schatten
Licht ist das wichtigste Element für einen Fotografen. Das Wort „Fotograf“ kommt aus dem Griechischen und heißt übersetzt Lichtbildner. Ohne Licht könnten wir gar nicht erst fotografieren.
In diesem Buch beschäftigen wir uns mit dem Sonnen- bzw. Tageslicht, also dem Available Light. Das Fotografieren bei unterschiedlichen Tages- oder gar Jahreszeiten erzeugt unterschiedliche Lichtanmutungen. Wenn die Tage lang sind, steht die Mittagssonne hoch am Himmel. Harte Schatten sind die Folge, daher ist diese Tageszeit nicht besonders beliebt in der Tierfotografie. Die Morgen- und Abendstunden halten eine tiefer stehende Sonne bereit, die tolle, warme Farben und sanfte Schatten kreiert.
In den Monaten mit kürzeren Tagen steht die Sonne auch über die Mittagszeit nicht hoch. Vielleicht haben Sie es bereits selbst einmal festgestellt: Die Wintersonne wirkt fast den ganzen Tag über eher märchenhaft und hüllt die schneebedeckte Landschaft in...