Kapitel 2
Wer ist Jesus?
Viele Jahre lang interessierte ich mich überhaupt nicht für das Christentum. Mein Vater war zwar Jude, praktizierte seinen Glauben aber nicht, und auch meine Mutter ging selten zur Kirche. Ich war unsicher, was ich glauben sollte, und daher phasenweise Atheist und dann wieder Agnostiker. In der Schule haben wir uns zwar im Religionsunterricht mit der Bibel beschäftigt, zum Schluss lehnte ich jedoch alles ab, was damit zu tun hatte, und argumentierte gegen den christlichen Glauben. Eines Abends, am Valentinstag 1974, forderte mein bester Freund Nicky Lee meine Überzeugungen heraus. Ich war gerade von einer Party zurückgekommen, als Nicky und seine Freundin Sila vorbeikamen und mir erzählten, sie seien Christen geworden. Ich war entsetzt! Damals – in der Zeit zwischen Schulabschluss und Universität – hatte ich mir ein Jahr freigenommen. In dieser Zeit war ich mehreren Christen begegnet, und ich traute ihnen nicht über den Weg, vor allem, weil sie immer so viel lächelten.
Mir war klar, dass ich meinen Freunden helfen musste, also dachte ich mir, ich sollte das Thema einmal eingehend recherchieren. In meinem Regal stand zufällig noch eine eingestaubte Bibel, und so nahm ich sie an jenem Abend heraus und begann, darin zu lesen. Ich schaffte es ganz durch Matthäus, Markus, Lukas und halb durch das Johannesevangelium, bevor ich einschlief. Als ich aufwachte, las ich Johannes zu Ende und machte mit der Apostelgeschichte, dem Römerbrief sowie dem 1. und 2. Korintherbrief weiter. Ich war von dem, was ich las, völlig gefesselt. Ich hatte das Neue Testament früher schon einmal gelesen; da hatte es mir im Grunde nichts bedeutet. Dieses Mal wurde es jedoch lebendig und ich konnte es einfach nicht beiseitelegen. Es hatte etwas Authentisches an sich und sprach mich mit einer solchen Eindringlichkeit an, dass ich einfach auf das Gelesene reagieren musste.
Kurz darauf entschied ich mich für den Glauben an Jesus Christus.
Später studierte ich jedoch fast zehn Jahre lang Jura und arbeitete als Rechtsanwalt. Folglich spielten Beweise und Indizien für mich eine wichtige Rolle. Ein blinder Glaubenssprung kam für mich nicht infrage, aber ich war bereit, anhand von verlässlichen historischen Beweisen einen Glaubensschritt zu wagen. In diesem Kapitel möchte ich einige dieser Beweise und Indizien unter die Lupe nehmen.
Jemand erzählte mir, dass Jesus Christus in einem alten kommunistischen Lexikon aus der UdSSR als „mythische Gestalt, die nie existierte“ bezeichnet wird. Kein ernst zu nehmender Historiker würde heute noch so etwas behaupten. Es gibt zahlreiche Beweise für die Existenz Jesu, und zwar nicht nur in den Evangelien und anderen christlichen Schriften, sondern auch in nichtbiblischen Quellen. So erwähnen ihn etwa die römischen Historiker Tacitus und Sueton. Der jüdische Geschichtsschreiber Flavius Josephus, der im Jahre 37 n. Chr. geboren wurde, schrieb Folgendes über Jesus und seine Nachfolger:
„Nun gab es um diese Zeit Jesus, einen weisen Menschen, wenn es denn recht ist, ihn einen Menschen zu nennen, denn er war ein Wundertäter und ein Lehrer für die, die die Wahrheit mit Freuden annehmen. Er gewann viele Juden und viele Heiden als Gefolgschaft.“12
Es gibt also auch außerhalb des Neuen Testaments Belege für die Existenz Jesu. Zudem sind die Belege im Neuen Testament sehr überzeugend. Manchmal wird gefragt: „Das Neue Testament wurde vor langer Zeit geschrieben. Woher wissen wir, dass es nicht im Laufe der Jahre verändert wurde?“ Nun, wir wissen sehr zuverlässig, was die Verfasser des Neuen Testaments niedergeschrieben haben – und zwar aufgrund der wissenschaftlichen Methode der Textkritik. Grundsätzlich gilt dabei: Je mehr alte Handschriften uns vorliegen, desto weniger Zweifel gibt es am Original.
Der inzwischen verstorbene Professor F. F. Bruce, ehemaliger Rylands-Professor für Neues Testament an der Universität Manchester, schrieb ein Buch mit dem Titel: The New Testament Documents: Are they Reliable? („Sind die neutestamentlichen Dokumente zuverlässig?“). Darin zeigt er auf, wie umfangreich und damit zuverlässig die neutestamentliche Textüberlieferung im Vergleich zu anderen antiken Dokumenten ist.13 Die folgende Tabelle fasst die wesentlichen Fakten zusammen und macht den Umfang der neutestamentlichen Textüberlieferung deutlich.
Werk | Abfassungs- zeit | erste Handschrift | Zeitspanne (in Jahren) | Anzahl der Handschriften |
---|
Herodot | 488-428 v. Chr. | 900 n. Chr. | 1.300 | 8 |
Thukydides | 460-400 v. Chr. | ca. 900 n. Chr. | 1.300 | 8 |
Tacitus | 100 n. Chr. | 1100 n. Chr. | 1.000 | 20 |
Cäsar, Gallischer Krieg | 58-50 v. Chr. | 900 n. Chr. | 950 | 9-10 |
Livius, Röm. Geschichte | 59 v.-17 n. Chr. | 900 n. Chr. | 900 | 20 |
Neues Testament | 40-100 n. Chr. | 130/350* n. Chr. | 300 | mehr als 5.000 griechische, 10.000 lateinische und 9.300 andere Handschriften |
* 130 n. Chr.: Teile einzelner Handschriften;
350 n. Chr.: alle Handschriften des Neuen Testaments komplett
Wie F. F. Bruce anmerkt, sind von Cäsars „Der Gallische Krieg“ neun oder zehn Exemplare erhalten, von denen das älteste 950 Jahre nach Cäsars Tod geschrieben wurde. Von Livius’ „Römische Geschichte“ haben wir nicht mehr als 20 Exemplare, von denen das älteste ebenfalls etwa aus dem Jahr 900 n. Chr. stammt. Von den 14 Büchern der „Historien“ des Tacitus sind nur 20 Exemplare erhalten; bei den 16 Büchern seiner „Annalen“ sieht es ähnlich aus. 10 Teile seiner beiden großen historischen Werke stützen sich ausschließlich auf zwei Manuskripte, das eine aus dem 9. Jahrhundert, das andere aus dem 11. Jahrhundert. Die Geschichte des Peloponnesischen Krieges von Thukydides kennen wir fast ausschließlich aus 8 Manuskripten aus der Zeit um 900 n. Chr. Das Gleiche gilt für die „Historien“ des Herodot. Trotz der langen Zeitspannen zwischen Original und erhaltenen Abschriften und trotz der relativ geringen Zahl der Handschriften bezweifelt kein Altertumswissenschaftler die Echtheit dieser Werke.
Was das Neue Testament betrifft, liegt uns dagegen Material in Hülle und Fülle vor. Die Schriften des Neuen Testaments wurden wahrscheinlich zwischen 40 und 100 n. Chr. verfasst. Aus dem Jahr 350 n. Chr. haben wir bereits ausgezeichnete Abschriften des gesamten Neuen Testaments, was eine maximale Zeitspanne von lediglich 300 Jahren bedeutet. Zudem existieren schon aus dem 3. Jahrhundert Papyri, die die meisten Schriften des Neuen Testaments enthalten. Vom Johannesevangelium gibt es sogar ein Fragment, das von Wissenschaftlern auf 125 n. Chr. datiert wurde. Insgesamt gibt es über 5.000 griechische Handschriften, mehr als 10.000 lateinische sowie 9.300 weitere in anderen alten Sprachen. Darüber hinaus liegen uns über 36.000 Zitate in den Texten der frühen Kirchenväter vor. Einer der größten Textkritiker aller Zeiten, F. J. A. Hort, schrieb: „Was Vielfalt und Umfang der Belege anbelangt, steht der Text des Neuen Testaments absolut unangefochten und einzigartig da, weit vor allen anderen antiken Prosaschriften.“14
Bruce fasst dies mit einem Zitat von Frederic Kenyon zusammen, einem der führenden Gelehrten auf diesem Gebiet:
„Die Zeitspanne zwischen der ursprünglichen Abfassung und den ältesten erhaltenen Manuskripten ist so gering, dass sie praktisch nicht erwähnenswert ist. Somit ist der letzte Zweifel hinfällig, ob die Schriften uns im Wesentlichen so überliefert wurden, wie sie geschrieben wurden. Authentizität wie grundsätzliche Integrität der Schriften des Neuen Testaments können damit als endgültig gesichert gelten.“15
Die Existenz Jesu ist demnach sowohl durch Hinweise innerhalb wie außerhalb des Neuen Testaments belegt.16 Aber wer ist er? Ich hörte den Filmregisseur Martin Scorsese in einem Fernsehinterview sagen, dass er mit seinem Film „Die letzte Versuchung Christi“ zeigen wollte, dass Jesus ein Mensch war. Aber das ist heute gar nicht mehr das Problem. Heute zweifelt wohl kaum jemand daran, dass Jesus voll und ganz Mensch war. Er hatte einen menschlichen Körper, war müde (vgl. Johannes 4,6) und hungrig (vgl. Matthäus 4,2). Er empfand menschliche Emotionen: Zorn (vgl. Markus 11,15–17), Liebe (vgl. Markus 10,21) und Trauer (vgl. Johannes 11,35). Er erlebte, was alle Menschen erleben: Er war mit Versuchungen konfrontiert (vgl. Markus 1,13), er lernte (vgl. Lukas 2,52), er arbeitete (vgl. Markus 6,3) und er gehorchte seinen Eltern (vgl. Lukas 2,51).
Weitaus häufiger wird heute die Ansicht vertreten, Jesus sei zwar ein bedeutender religiöser Lehrer gewesen, allerdings nur ein Mensch. Der Kabarettist Billy Connolly hat sich zum Sprecher vieler gemacht, als er sagte: „An das Christentum kann ich nicht glauben, aber ich halte Jesus für einen großartigen Menschen.“ Welche Hinweise...