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E-Book

Franz Josephs Land

Eine kleine Geschichte Österreichs

AutorMartin Haidinger
VerlagAmalthea Signum Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783903083141
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Die Geschichte Österreichs von Ötzi bis zum alten Kaiser - in nur einem Band 'Österreich-Ungarn, das ist jenes Stück Erde, das der liebe Gott Kaiser Franz Joseph anvertraut hat', meinte einst der Schriftsteller Joseph Roth. Ist das alles? Nein! Österreich hat im Mittelalter als kleines Gebiet namens 'Ostarrichi' rund um Neuhofen an der Ybbs angefangen und wurde erst später zum Familiennamen der Habsburger. Wie ein heißes Eisen wurde Österreich von vielen Schmieden immer neu zurechtgehämmert - ein Objekt staatsmännischer Handwerkskunst. 100 Jahre nach dem Tod des stilprägenden Monarchen Franz Joseph unternimmt Martin Haidinger einen rasanten Ritt durch die Jahrhunderte und malt Österreichs Geschichte in funkelnden Farben. Eine Geschichte über die Urgründe der austriakischen Mentalität, jenseits von Nostalgie und Sisi-Trubel - für alle, die bislang glaubten, Österreich zu kennen.

Martin Haidinger, geboren 1969 in Wien, Historiker (Mag. phil.) und Journalist. Wissenschaftsredakteur beim ORF und Autor vieler erfolgreicher historischer Sachbücher. 2010 Österreichischer Staatspreis für Wissenschaftspublizistik, 2014 Kardinal-Innitzer-Preis. Seit 25 Jahren widmet er sich der Vermittlung von Geschichte und Geschichten in seinen Sendungen und Beiträgen auf Radio Österreich 1, ORF 2 Wien, BR Alpha und im Deutschlandfunk sowie in Artikeln für zahlreiche Printmedien. Als Vortragskünstler in Theatern und Spielstätten in Österreich, Deutschland, der Schweiz und in anderen Ländern Europas gilt seine besondere Liebe und Aufmerksamkeit der österreichischen Literatur.

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Leseprobe

Am Beginn:
Die Erkenntnis


Das östlichste und jüngste Denkmal seiner Art: die Franz-Joseph (Франц Йосиф)-Statue im Park bei der Jesuitenkirche in Czernowitz, heute Ukraine, gestiftet 2009 vom späteren ukrainischen Ministerpräsidenten Arsenij Jazenjuk

Es macht sich immer gut, wenn am Beginn gelehrter Ausführungen eine schlaue Erkenntnis steht. Unsere gründet darin, dass Österreich eigentlich nur im Inland weltberühmt ist. Schon ein paar Kilometer jenseits unserer Staatsgrenzen enden häufig Wissen und Verständnis für vermeintlich universell gültige Sitten und Gebräuche – wie jene, dass wir Hofräte ohne einen Hof haben oder dass die Verkehrsampeln grün blinken, ehe sie auf Gelb schalten. Da dürfen wir uns wahrlich nicht wundern, dass erst recht ganz weit weg, drüben im fernen Westen Europas, die Frage aufkommt:

WHAT THE HELL IS AUSTRIA?


»Pardon me?« – Wie bitte? Der junge Österreicher war einigermaßen verblüfft. Es war Hochsommer 1984 und ich – gerade einmal 15 Jahre alt – als jugendlicher Fremdsprachenschüler von der Anglo Austrian Society bei einer Gastfamilie im Süden Englands untergebracht.

Zu meinem Entzücken kam es gleich am ersten Tag zu einer Gartenparty mit Nachbarn und Freunden der Host Family, und ich durfte nicht nur den teuflisch starken hausgebrauten Apfelsekt, den ortsüblichen Cider verkosten, sondern auch die neugierigen Fragen der Anwesenden beantworten.

So fragte ein gemütlich aussehender Nachbar mittleren Alters mit einem Glas vergorenen Apfelsafts in der Hand: »Was it difficult for you to come to England, Martin?«

»No, why?«

»Out of the political situation in your home country!«

»???«

»So, Austria is a socialist country, you are behind the iron curtain …!«

Wie bitte? Die hielten Österreich für ein Land des kommunistischen Ostblocks? Meine Verblüffung war grenzenlos. Wie konnten sie nur so etwas denken? Wie konnten sie nicht wissen, wer und wie wir Österreicher waren? Ein bisschen beleidigt war ich schon …

In dieser Plauderei wurde nicht nur der Wissensstand der Briten (bei den Gastgebern handelte es sich übrigens um ein nettes, junges Lehrer-Ehepaar, das auch meinte, im Westen Österreichs werde Französisch gesprochen) bloßgestellt, sondern auch eine Frucht der Thatcher-Jahre geerntet. Denn in ihrer ersten Zeit als Premierministerin sprach die konservative »Eiserne Lady« Margret Thatcher in Interviews oder Unterhausreden ganz gern von »sozialistischen« Ländern innerhalb des europäischen Westens und rechnete offenbar das SPÖ-regierte Österreich der Post-Kreisky-Ära rhetorisch mit dazu. Ein nettes Bonmot, das seine Wirkung allerdings nicht verfehlte und den Briten eine so herbe wie selektive Sicht von Österreich vermittelte.

Oder handelte es sich eher um eine komplette Unterbelichtung? Je länger ich damals in England weilte, desto mehr beschlich mich der Verdacht, dass dort in Wahrheit keine falsche, sondern gar keine Meinung zu Österreich existierte. Mit Ausnahme eines älteren Herrn in einem Pub, der sich als ehemaliger Besatzungssoldat im Wien der 1940er-Jahre entpuppte und mich fragte, ob denn das kriegsbeschädigte Riesenrad im Prater schon wieder instand gesetzt sei, beschränkten sich die Assoziationen mit unserem Land auf ein erwartbares Minimalprogramm ohne greifbare Verbindung mit der Realität: Strauß-Walzer, Sound of Music (ein mir damals gar nicht bekannter, rührseliger Kinofilm mit Julie Andrews und Christopher Plummer aus dem Jahr 1965) und allenfalls noch Mozart. Nicht einmal Hitler (bekanntlich ohnehin ein »Deutscher«) oder Waldheim (wir schrieben erst 1984) kamen ins Spiel.

Wie man es auch drehte und wendete, war ich kleiner Austrian Boy der Repräsentant eines blinden Flecks auf dem Radar des einfachen Engländers.

Als etwas größerer Bub wurde ich Jahre später dann gewahr, dass diese unverfälscht ehrliche Ignoranz auch bei den politischen Eliten Tradition hatte. »Was ist schon Österreich? Fünf Habsburger und ein paar hundert Juden«, antwortete mitten im Zweiten Weltkrieg der britische Außenminister Anthony Eden dem verdatterten exilierten Kaisersohn Otto von Habsburg, als dieser ihn wegen der Zukunft Österreichs nach dem erhofften Sieg über NS-Deutschland befragte. Zum Glück hatte Edens Chef Winston Churchill eine weitere Sicht der Dinge.

Vielleicht können sich Inselbewohner auch nur schwer in Gestalt und Schicksal eines Binnenlandes hineinleben. Es fehlen die von der Natur gesetzten und damit logisch erscheinenden Grenzen, denn der Bodensee, die Donau oder die Alpen sind nicht so unüberwindlich wie die Meere, welche die britischen Inseln umgeben. Bei Pevensey in Sussex kamen – sieht man von den internationalen Migrationsbewegungen des 20. und 21. Jahrhunderts ab – mit den Normannen zuletzt im Jahr 1066 Invasoren von außen nach England.

Aber es geht ja nicht nur um die Briten und ihre Kenntnis und Meinung von Österreich. Was sollte man zum Beispiel davon halten, wenn ein kontinentaler Staatsmann wie der französische Präsident François Mitterrand noch 1993 dem EU-Beitritt Österreichs nur widerstrebend zustimmte – mit dem Seufzer, dass damit der »deutsche Block« in Europa erweitert und gestärkt würde? Wohl kaum konnte er damit nur den an die D-Mark gebundenen Schilling, den wahrhaft furchterregenden »Alpendollar« gemeint haben. Auch Österreichs Beteiligung am Großdeutschland Adolf Hitlers war ein halbes Jahrhundert her, die Entwöhnung der österreichischen Bevölkerung vom »Anschluss«-Gedanken glaubwürdig vollzogen. Da steckte also etwas anderes dahinter. Ist Österreich denn wirklich nur als Anhängsel irgendwelcher Blöcke denkbar?

Zugegeben, immerhin kann man das von dem Kleinstaat dieses Namens eher annehmen als vom einstigen, dem größeren Österreich – der Habsburgermonarchie. Auch wenn Mitterrands Landsmann Ministerpräsident Georges Clemenceau den ihm zugeschriebenen berüchtigten Ausspruch »Der Rest ist Österreich« nach dem Ersten Weltkrieg so nie getätigt hat, ist die Marke Austria/Autriche seit 1918 nicht mehr für Großmachtansprüche gestanden.

Bis dahin eher schon.

MEHR ALS EIN FAMILIENNAME


Seinerzeit, als noch Herzogshüte, Königs- und Kaiserkronen über Mitteleuropa hingen, da verstand man unter Österreich in aller Welt zunächst einmal einen Familiennamen. Denn »das Österreich«, das in der Dichtung des deutschen Schriftstellers Ernst Moritz Arndt etwas süffisant als »an Ehren und an Siegen reich« besungen wird, meinte seit dem Spätmittelalter die Habsburger, die »Domus Austriae« oder »Casa de Austria«, das Haus Österreich. Schon 1282 nannte sich der Landesfürst von Österreich und Steiermark, Albrecht I., nach dem ranghöheren Herzogtum »Albrecht von Österreich« – aber davon später mehr.

Kurioserweise wurden die Habsburger von den Geschichtsschreibern erst ab Mitte des 15. Jahrhunderts – und das nicht frei von Spott – als solche bezeichnet, als der namensgebende Stammsitz, die »Habichtsburg« oder eben »Habsburg« im Aargau, bereits an die Schweizer Eidgenossen verloren gegangen war (1415). Sogar die Exponenten der spanischen Linie wurden in der frühen Neuzeit allgemein als »von Österreich« und nicht als »von Habsburg« tituliert – man denke an den Sieger der Seeschlacht von Lepanto, Don Juan de Austria, oder an die Frau des französischen Königs Ludwig XIII. und Mutter des »Sonnenkönigs«, Anna von Österreich. Ja genau, das ist die Königin, deren Romanversion in Alexandre Dumas’ Die drei Musketiere eine Affäre mit dem Herzog von Buckingham hat und der die Musketiere gegen die Intrigen Kardinal Richelieus helfen müssen, und … aber das können Sie ja bei Dumas selbst nachlesen.

Wie lange die Gleichsetzung von Österreich mit Habsburg andauerte, mag man daran ermessen, dass sich der Kaiserstaat erst 1915, also kurz vor dem Ende, dazu durchringen konnte, den im Volksmund immer schon »Österreich« genannten Teil der Monarchie, der so amtlich wie sperrig »die im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder« hieß, auch offiziell in »österreichische Länder« umzutaufen, womit der Produktname vom Herrscherhaus wieder auf das Land überzugehen schien.

Wenn sie überhaupt – was zu bezweifeln ist – beabsichtigt gewesen sein sollte, so war es eine sehr begrenzte emotionale Emanzipation des Österreichbegriffs von der Familie Habsburg. Der letzte Ministerpräsident, und als solcher quasi Liquidator des...

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