Karlheinz Gerlach
Kunst und Künstler in den Freimaurerlogen des Alten Preußen 1739-1806
Was zog den Künstler des 18. Jahrhunderts zu den Freimaurern? Wohl doch die geistige Nähe der Freimaurerei zur Aufklärung – oder zu ihrem Gegenpol, dem Irrationalismus –, aber auch das die Phantasie anregende Geheimnis, die bildhafte Symbolik und das spielerische Brauchtum, die Nähe zu Hof und Staat, die soziale Breite, die Geselligkeit. Die Aufnahmebegründung mündete vermutlich wie bei vielen anderen in den Wunsch, in den Kreis tugendhafter und ehrenwerter Männer zu treten, die womöglich die berufliche Karriere fördern könnten.
I
Die Freimaurerei1 entstand in Großbritannien nach der Glorreichen Revolution (1688) als ein gemeinsamer Verein des Bürgertums und des verbürgerlichten Neuen Adels. Ihre Form und ihre Bräuche waren die der alten Steinmetzinnungen, der lodges, ihre Ideen die der Frühaufklärung und der parlamentarischen Monarchie. Die Freimaurer bekannten sich zu religiöser Toleranz, Gleichheit und Brüderlichkeit und verbannten nach den Erfahrungen der englischen Revolution religiösen Streit und Politik aus den Logen.
Die Freimaurerei verbreitete sich in wenigen Jahrzehnten über den Kontinent, dort jedoch unter anderen gesellschaftlichen, nicht bürgerlichen, sondern feudalen Verhältnissen.
Die erste deutsche Freimaurergesellschaft ist die 1737 gegründete Loge de Hambourg. Sie nahm 1738 den preußischen Kronprinzen Friedrich auf. Er ließ von Hamburger Freimaurern 1739 auf seinem Schloss Rheinsberg die erste Loge in Brandenburg-Preußen einrichten, die Loge première oder Loge du Roi. Nach seiner Thronbesteigung gründeten Kaufleute am 19. September 1740 in Berlin die Loge aux trois globes. Sie wurde die Mutter der Freimaurerei in Brandenburg-Preußen. Die Mutterloge zu den drei Weltkugeln erhielt in der deutschen Freimaurerei einen Platz ersten Ranges. Friedrich II. stellte die Freimaurer in den preußischen Staaten, dem nach dem Habsburgerreich größten deutschen Territorialstaat, unter seinen Schutz, legitimierte sie somit. Er akzeptierte den Ehrentitel eines natürlichen Großmeisters, also eines Schirmherrn (Protektors) aller künftigen Logen in Brandenburg-Preußen.
Die Freimaurerei entwickelte sich mit dem militärischen, wirtschaftlichen und kulturellen Aufstieg Preußens. Sie organisierte die Angehörigen jener neuen sozialen Schichten, die sich neben der altständischen Sozialordnung im historischen Zusammenhang mit dem absolutistischen Staat und dem entstehenden Manufaktur- und Handelskapitalismus entwickelten. Die Freimaurer waren Adlige und Bürgerliche, Verwaltungsbeamte, Angestellte und Offiziere, Unternehmer, Ärzte und Apotheker, Theologen, Hochschul- und Gymnasiallehrer, Studenten und Künstler. Die kleinen Gewerbetreibenden, also die zünftigen Handwerker, und die Unterschichten waren zu den Logen nur als minderberechtigte, die praktischen Arbeiten verrichtende Dienende Brüder und die Frauen2 überhaupt nicht zugelassen.
Die sozial- und kulturgeschichtliche Bedeutung der Freimaurerlogen lag in der Fähigkeit, eine wachsende Zahl von erwachsenen männlichen Angehörigen der relevanten sozialen Schichten unabhängig von Beruf, (christlicher) Konfession, Bildung und Wohlstand zu organisieren, deren Blick über die engen Grenzen ihres Heimatortes hinaus in die Weite der Monarchie und des Reiches zu öffnen und sie an die Regeln eines modernen Vereins mit Wahlrecht, interner Demokratie (Republikanismus), Disziplin, mit finanziellen und sozialen Pflichten zu gewöhnen. Die Logen trugen wesentlich zur Herausbildung und zum Bewusstwerden gemeinsamer Interessen und damit zur Emanzipation des Bürgertums bei.
Der Aufstieg der Freimaurerei in Brandenburg-Preußen begann eher langsam in den wenigen, weit auseinander liegenden großen Städten. Erst ab dem letzten Viertel des 18. Jahrhunderts konnte sie sich auf eine relativ breite und feste soziale Basis, nun auch in immer mehr Mittelstädten, stützen. Die Aufklärung dominierte in Verwaltung, Schule, Kirche und Publizistik, wurde aber zunehmend von ihren konservativen Gegnern zurückgedrängt.
Die brandenburgisch-preußische Freimaurerei umfasste bis zum Siebenjährigen Krieg nur einige Logen mit wenigen hundert Mitgliedern in den großen Residenz-, Universitäts- und Garnisonstädten, in Berlin, Breslau, Halle, Königsberg. Der Siegeszug setzte in den siebziger Jahren ein, nach der Überwindung der schweren Kriegsfolgen und der Nachkriegskrise, zu Beginn einer langen Friedensperiode. Waren in der ersten Gründungsphase bis zum Hubertusburger Frieden 1763 lediglich elf relativ stabile Logen tätig, waren es von 1763 bis 1786, dem Todesjahr Friedrichs II., schon 67 Logen, zu denen in der dritten Gründungsphase bis 1806 weitere 17 hinzukamen. Freimaurer fand man nun sogar in vielen Landstädten und Dörfern. Die Logen in Brandenburg-Preußen hatten von Anbeginn bis 1806 etwa 11 350 Mitglieder (wirkliche, Vollmitglieder und Dienende Brüder).3
Die zu großen Vereinen (Großlogen) vereinten und zentral von einer Mutterloge geführten Logen konkurrierten sozial und ideologisch. Die Freimaurer entwickelten nach- und gegeneinander mehrere freimaurerische Lehrsysteme (Varianten der englischen Maurerei, Tempelritterorden der strikten Observanz, Afrikanisches Bauherrensystem, Zinnendorf-Schwedisches System, Gold- und Rosenkreuzerorden, die Reformen ab den neunziger Jahren). Die Freimaurerei erlebte mehrere schwere Krisen. Der auch öffentlich ausgetragene Logenkrieg zwischen den Systemen lieferte ein dankbares Thema für Publizisten und Schriftsteller. Die Freimaurerei war in aller Munde. Die Auseinandersetzungen trugen trotz vieler Krisen eher zur Ausbreitung als zum Niedergang der Freimaurerei bei, auch wenn sich immer wieder Mitglieder enttäuscht abwandten und ganze Logen aus dem Bund austraten oder ausgeschlossen wurden.
Friedrich Wilhelm III. verbot mit dem von Revolutionsfurcht diktierten Edikt wegen der geheimen Verbindungen 17984 die Geheimgesellschaften in Preußen. Man sah aber gemäß dem Allgemeinen Landrecht in der Freimaurerloge nicht einen geheimen, sondern geschlossenen Verein. Das Edikt genehmigte drei staatlich kontrollierte Berliner Mutterlogen und die von ihnen abhängenden Tochterlogen, die so genannten altpreußischen Freimaurerlogen: die Große National-Mutterloge zu den drei Weltkugeln, die Große Landesloge der Freimaurer von Deutschland und die Große Loge von Preußen genannt Royal York zur Freundschaft.5
II
Der Beitrag beschäftigt sich mit zwei Aspekten der Freimaurerei im Alten Preußen: erstens mit der Mitgliedschaft Bildender und Darstellender Künstler, mit den Malern, Zeichnern und Graveuren, den Baumeistern (Architekten), den Musikern und den Schauspielern, und zweitens mit der von ihnen geschaffenen freimaurerischen Kunst. Nicht behandelt werden die tradierten symbolträchtigen Arbeiten, das heißt, die alte Handwerkerbräuche, aber auch zeitgenössische höfische Feste und Theateraufführungen nachahmenden typisierten zeremoniellen Logenversammlungen. Die Großlogen schrieben für die Arbeits-, Fest- und Tafellogen bis in die letzte Formulierung gehende Rituale vor. Nicht von ungefähr hatten die Logen Zeremonienmeister.
Wie Handwerker stiegen die Freimaurer vom Lehrling zum Gesellen und Meister auf. Man verwendete handwerkliche Werkzeuge wie Hammer, Zirkel, Lot usw., denen man einen freimaurerischen Symbolwert beimaß. Der Teppich (Tapis), den in der Frühzeit beauftragte Mitglieder jedes Mal mit Kreide auf den Fußboden zeichneten und anschließend wieder löschten, ehe gemalte Tücher üblich wurden, stellte die Symbole des jeweiligen Grades dar. Auch das freimaurerische Geheimnis geht auf das handwerkliche Berufsgeheimnis zurück, ähnlich das schreckliche Aufnahmeritual.
Die Logen beauftragten Zeichner, Graveure und Drucker, Freimaurer und Nichtfreimaurer, mit der Anfertigung der masonischen Gebrauchsgegenstände, der Siegel und Bijoux (der an einem Band getragenen Beamten- und Logenabzeichen), der Teppiche, der Formulare und Reden, der Kanonen (der geschnittenen, auf festem Fuß stehenden Weingläser der Tafellogen).6 Die öffentlichen Freimaurermuseen in Bayreuth und im niederösterreichischen Rosenau, aber auch viele allgemeine Museen stellen freimaurerische Kunstgegenstände aus und bilden sie in Katalogen ab.7
Die Großlogen beauftragten meist Berliner Medailleure und Graveure. Sie beanspruchten das Recht, die Siegel, Abzeichen und grafisch gestalteten Vordrucke zu genehmigen und auf Kosten der Tochterloge anfertigen zu lassen.
Bildliche Darstellungen des Logenlebens und Freimaurerporträts sind in Brandenburg-Preußen sehr selten. Maler und Zeichner haben kaum für die Logen gearbeitet bzw. von ihnen keine Aufträge erhalten. Daher sind nur wenige Porträts von Freimaurern in Ordenstracht oder mit Ordenszeichen bekannt, so von den Ordensoberen Johann Christoph v. Woellner und Johann Wilhelm Kellner v. Zinnendorf oder dem General Gebhard Leberecht v. Blücher. Allerdings sind womöglich in den Logen aufbewahrte Porträts, Ölbilder, Schattenrisse...