Ehrenfeste, Hochachtbare, Hochgelehrte, Vorsichtige und Wohlweise, Großgünstige Herrn und Freunde! Der letzte Artikel unseres christlichen Glaubens, so da heißet: Ich glaube ein ewiges Leben – ist der rechte Helm unseres Heils und das Ende unserer Hoffnung. Sein haben sich die lieben Märtyrer und alle Gott liebenden Herzen mitten in ihren großen Nöthen, Kreuz, Schwachheit des Leibes, wie auch mitten im Tode getröstet und sind ritterlich durch den Tod in das Leben gedrungen. Kein Auge hat es gesehen, sagt die Schrift, kein Ohr hat es gehöret und ist in des Menschen Herz nie gestiegen, was Gott denen, die Ihn lieben, bereitet hat (Jes. 64; 1 Cor. 2). Wohl denen, die in Deinem Hause wohnen, die werden Dich loben immerdar. Denn ein Tag in Deinen Vorhöfen ist besser, denn sonst tausend. Ich will lieber der Thür hüten in meines Gottes Hause, denn lange wohnen in der Gottlosen Hütten (Ps. 84).
Da werden wir, wie St. Augustinus seine Bücher de civitate Dei mit diesen Worten beschleußt, »haben Weisheit ohne Irrthum, Licht ohne Finsterniß, Liebe ohne Uebersättigung und Ueberdruß, Gerechtigkeit ohne Sünde, Leben sonder Tod, Ruhe und Erquickung sonder Mühe und Arbeit, Freude ohne Leid, Ehre und Ansehn ohne Furcht und Zagen, Leben ohne Zeit, Gesundheit sonder Krankheit, eine Fülle und volle Genüge aller Güter. Denn Gott wird alles in allem sein, den wir ohne Aufhören schauen, ohne Ueberdruß lieben, ohne Belästigung oder Müdigkeit loben werden.«
Wenn wir das Ende aller Wohlthaten Gottes, die Er seinen Auserwählten auf Erden erzeiget, recht bedenken und zu Herzen nehmen wollen, so hat Er uns zum ewigen Leben erschaffen; und da wir unserer Sünden halber verdammt und verloren waren, hat Er aus inbrünstiger Liebe und grundloser Barmherzigkeit durch Seinen eingebornen Sohn JEsum Christum uns vom Tod, Teufel und Hölle zum ewigen Leben erlöset; schenket uns auch Seinen heiligen Geist und beruft uns in Seinem heilbringenden Wort zum ewigen Leben. Alles ist von Ihm dahin gemeinet und gerichtet: die Schöpfung, das Werk der Erlösung, die Heiligung, die Einsetzung des Predigtamts und der heiligen, hochwürdigen Sakramente, desgleichen die Anzündung des Glaubens, der Hoffnung, der Liebe, des neuen Gehorsams und der Geduld in uns – daß wir sollen neue Kreaturen, Pflänzlein Seiner Ehre und Kinder des Lichts sein, welche mit Ihm ewiglich leben.
Dieweil wir aber wenig und selten hieran gedenken und haben alle von Natur weltsüchtige und erdliebende Herzen, die dem Zeitlichen mehr als dem Ewigen und vergänglichen Gütern fleißiger als den unvergänglichen nachhangen: so hat unser lieber Gott nach Seinem hochweisen väterlichen Rath das heilige liebe Kreuz, welches Er Seinen Kindern auflegt, zum heilsamen Mittel präparirt und verordnet, daß Er sie hiermit von der Welt und weltlichen Sorgen abwende und zu Sich neige, zu ihrem eigenen Besten und ewiger Seligkeit.
HErr, spricht Jesaias (c. 26), wenn Trübsal da ist, so suchet man Dich; wenn Du sie züchtigest, so rufen sie ängstiglich. Gleichwie eine Schwangere, wenn sie schier gebären soll, so ist ihr angst und schreiet in ihren Schmerzen: so gehet es uns auch, HErr, vor Deinem Angesicht. Da sind wir auch schwanger und ist uns bange, daß wir kaum Athem holen. Desgleichen sagt David: Es ist mir lieb, daß Du mich gedemüthiget hast, daß ich Deine Rechte lerne. Meine Seele verlanget nach Deinem Heil. Ich hoffe auf Dein Wort. Meine Augen sehnen sich nach Deinem Wort und sagen: wann tröstest Du mich? Wie der Hirsch schreiet nach frischem Wasser, so schreiet meine Seele, Gott, zu Dir. Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Wann werde ich dahin kommen, daß ich Gottes Angesicht schaue? Errette meine Seele von den Gottlosen, mit Deinem Schwert. Von den Leuten Deiner Hand, HErr, von den Leuten dieser Welt, welche ihr Theil haben in ihrem Leben, welchen Du den Bauch füllest mit Deinem Schatz, die da Kinder die Fülle haben und lassen ihr Uebriges ihren Jungen. Ich aber will schauen Dein Antlitz in Gerechtigkeit. Ich will satt werden, wenn ich erwache nach Deinem Bilde (Ps. 119; 42; 17).
Unter den mancherlei väterlichen Kreuzschlägen aber, dadurch unser lieber Gott Seinen Kindern in dieser Welt Ursach giebt, dem zeitlichen und vergänglichen Wesen täglich abzusterben und nach dem ewigen Gut, welches machet beständigen Muth, ohne Unterlaß zu forschen: hat uns jetziger Zeit die schwere Seuche und Plage der wüthenden Pestilenz getroffen. Die Ebräer heißen sie in ihrer Sprache Deber, welches so viel ist als ein Wort oder Predigt, sintemal uns Gott hiedurch von Seinem gerechten Zorn und über der Welt Bosheit angesteckten und brennenden Grimm und Eifer öffentlich predigt und zur Buße vermahnet, daß man von Sünden ablasse, an Christum glaube und ein durstig Verlangen nach den ewigwährenden himmlischen Gütern trage.
Mit einem solchen Deber hat Er auch, im letztvergangenen 1597. Jahr, dieser Stadt Unna ernstlich zugerufen und sie mit der Pestilenz, die im Finstern schleicht und mit der Seuche, die im Mittag verderbet, dermaaßen angegriffen, daß in kurzer Zeit ohngefähr über die vierzehn Hundert daran zu Bette bis hin zum jüngsten Tage gegangen sind. Auch damit fast den Anfang solcher Strafe dieses Orts in Westphalen machen wollen, indem das Sterben hierauf an andern umliegenden Orten erfolget und noch hin und wieder sein grausam Würgen in Städten, Flecken und Dörfern beweiset.
In solchem Jammer und Elend, als es hier zu Unna in allen Gassen rumorte und oftmals etliche Tage hintereinander über die zwanzig, jetzt vier, sieben, dann acht oder neun und zwanzig und bis in die dreißig Todte nicht weit von meiner Wohnung auf dem Kirchhofe unter die Erde verscharret, worden –: habe ich mit Todesgedanken mich immer schlagen müssen und war mir mehr als einmal zu Muth wie dem König Hiskia, da er sprach: Nun muß (werde) ich nicht mehr sehen den HErrn, ja den HErrn im Lande der Lebendigen. Meine Zeit ist dahin und von mir aufgeräumet wie eines Hirten Hütte, und reiße mein Leben ab wie ein Weber (Jes. 38).
Es überfiel die Pest mit ihrem Sturm und Wüthen die Stadt wie ein unvorhergesehener Platzregen und Ungewitter, ließ bald kein Haus unbeschädigt, brach endlich auch zu meiner Wohnung herein, und gingen die Leute meistentheils mit verzagtem Gemüthe und erschrockenem Herzen als erstarret und halb todt daher, daß einer hätte mögen hieher ziehen, was Moses schreibt (V. 28): Der HErr wird dir ein bebend Herz geben, und verschmachtete Augen, und verdorrete Seele, daß dein Leben wird vor dir schweben. Nacht und Tag wirst du dich fürchten, und deines Lebens nicht sicher sein. Des Morgens wirst du sagen: ach daß ich den Abend erleben möchte! Des Abends wirst du sagen: ach daß ich den Morgen erleben möchte! Vor Furcht deines Herzens, die dich schrecken wird, und vor dem, das du mit deinen Augen sehen wirst.
Zu Lübeck, Hamburg, Lüneburg, Hildesheim, Göttingen, desgleichen in Niederhessen, und in der Grafschaft Waldeck, meinem lieben Vaterland: zu Corbach, Wildungen und Mengeringhausen fehlete es auch nicht. Und was einer an solchen Orten hin und wieder von Freunden und Bekannten hatte, davon hörete er fast nichts denn von ihren Krankheiten und tödtlichem Abschied von diesem Leben. Wie denn auch mir eitel traurige Zeitungen und traurige Botschaft zu Ohren kamen von etlichen meiner Schwestern, Blutsfreunden und Schwägern, durch die Pest erwürget und hingerissen – welches mir meine Bekümmerniß vermehrte und so viel mehr Anlaß gab, all mein Datum, Herz und Gedanken von der Welt abzuwenden.
Da war mir nichts Süßeres, nichts Lieberes und nichts Angenehmeres, als die Betrachtung des edlen hohen Artikels vom ewigen Leben, durch Christi Blut erworben. Ließ denselben Tag und Nacht in meinem Herzen wallen und durchforschte die Schrift, was sie hiervon zeugte; las auch des alten Lehrers St. Augustini liebliche Tractätlein, darin er dies hohe Geheimniß als ein Nüßlein aufbeißet und den wundersüßen Kern herauslanget. Brachte danach meine Meditationen von Tage zu Tage in die Feder, befand mich Gott Lob dabei sehr wohl, von Herzen getrost, fröhlich im Geist und wohlzufrieden, gab meiner Schrift den Namen und Titul eines Freuden-Spiegels und nahm mir vor, denselben verfasseten Freuden-Spiegel, so mich Gott von dieser Welt abfordern würde, als ein Zeugniß meines friedlichen, fröhlichen und christseligen Abschieds zu hinterlassen; oder aber, so er mich gesund ließe bleiben und noch aufsparete, anderen nothleidenden Christen, welchen er die Pest auch ins Haus senden würde, aus christlicher schuldiger Liebe damit zu dienen und gleich als mit gegenwärtigem Trost beizuwohnen.
Nun hat mich der gnädige fromme Gott mitten unter den Sterbenden vor der grausamen Pest allergnädigst bewahret und mein Leben, über alle meine Gedanken und Hoffnung, wunderbarlich gefristet, daß ich mit dem Propheten David zu ihm sagen kann: Wie groß ist Deine Güte, die Du verborgen hast denen, die Dich fürchten! HErr, Du hast meine Seele aus der Hölle geführet, Du hast mich lebendig behalten, da die in die Hölle fuhren. Ihr Heiligen, lobsinget dem HErrn, danket und preiset Seine Herrlichkeit! Denn Sein Zorn währet einen Augenblick, und Er hat Lust zum Leben. Den Abend lang währet das Weinen, aber des Morgens die Freude. Du hast mir meine Klage verwandelt in einen Reigen. Du hast meinen Sack ausgezogen und mich mit Freuden gegürtet (Ps. 31; 30).
Wie soll ich dem HErrn, sage ich ferner, vergelten alle Seine Wohlthaten, die Er mir thut? Ich will den heilsamen Kelch nehmen und des HErrn Namen predigen. Ich will meine Gelübde dem HErrn bezahlen, vor allem Seinem Volk. O Herr, ich bin Dein Knecht. Ich bin Dein Knecht, Deiner Magd Sohn. Du hast meine Bande zerrissen. Dir will ich Dank...