Mit der Busenfreundin Richtung Heiratsmarkt?
Solche Freundschaften, die die frühen Pubertätsrangeleien überstanden haben oder erst jenseits davon beginnen, zwischen Fünfzehn-, Sechzehnjährigen etwa, werden für Außenstehende zunehmend unfaßbar. Denn was zieht den Klassenkasper zur Schüchternen? Die Bohnenstange zum Pummel? Warum sind ausgerechnet die befreundet, die sich früher vielleicht nicht ausstehen konnten, weil sie sich zu ähnlich waren oder auch zu verschieden? Jetzt können sie das gleiche oder auch das ganz andere aushalten, ohne daß es sie piesackt, im Gegenteil: Sie mögen es, bewundern es sogar, und Rivalität, Neid oder Nutzen treten in den Hintergrund.
Diese handfesten Gründe, sich zusammenzutun, die auf die Frage antworten: «Was bringt mir die oder der?», haben ja auch eigentlich nichts zu suchen in den Sphären höherer menschlicher Regungen, die Pärchen jeglicher Art zueinandergetrieben haben.
(Wer fühlte nicht ein Unbehagen angesichts einer Gattin, die, zum Grund ihrer Heirat befragt, nicht summiert: «weil ich ihn liebe», sondern aufzählt: «weil er so schöne große Autos hat». Oder umgekehrt er über sie: «weil sie so gute Beziehungen hat».)
Also in Wirklichkeit, auch wenn es Außenstehenden verschlossen bleiben mag, lieben sie sich natürlich. Punkt. Und wer hier weiterfragt «aber warum? Und was eigentlich ist Liebe?» hat entweder selbst noch nie geliebt oder ist Philosoph.
Bei Jungenfreundschaften geht es schon weniger gefühlig zu. Zuerst einmal mögen sie sich natürlich – von lieben ist die Rede nicht, außer vielleicht im angloamerikanischen Sprachraum, deren Bewohner sich ja auch nicht scheuen, ihre Steaks zu lieben; auch ist es unter Jungs nicht üblich, dieses Gefühl ins Adjektiv zu verstecken: mein liebster Freund. Das trauen sich nur Kinder oder Frauen. Jungs mögen sich, aber vor allem machen sie etwas zusammen: Fußball spielen oder Radios zerlegen oder irgendwo draußen herumstehen, von einem Bein aufs andere treten, zuweilen entschlossen einen Stein zur Seite kicken, Fäuste ballen und die Jackentaschen damit ausbeulen und was Jungs sonst noch so einfällt, damit das Leben sich in ihre Gesichter eingräbt, wenn sie unter sich sind, vorzugsweise im Rudel.
Und bei Mädchen? Die haben auch ihre Clique, mit der sie um die Dörfer ziehen, und Steine vor sich her kicken können sie natürlich auch. Aber Mädchen legen ungleich mehr Wert auf das Zusammensein mit dieser einen «besten Freundin», die sie auch die «liebste» nennen. Und das ist die, mit der sie am besten reden können: das, was sie am liebsten und am meisten miteinander tun. Nicht reden über irgend etwas in der Gruppe, sondern das «intime Gespräch» zu zweit. So eine Zwischenbilanz des Freundinnenbuches von Huber/Rehling, der wohl jede Frau zustimmen kann. In Erinnerungen an beste Freundinnen von früher tauchen immer wieder diese Resümees auf, die Gesprächssituationen heraufbeschwören: «Mit ihr konnte ich einfach am besten über alles reden.»
Was heißt aber dies «am besten» und «über alles»? Folgt man den Autorinnen, wäre das das Sprechen «über Ängste, Sorgen und Träume». Huber/Rehling siedeln dieses Reden unter Freundinnen in der «fiktiven Welt der typisch weiblichen Phantasie» an, dort, wo Frauen sich «zu Hause» fühlen, wo sie ihre Möglichkeiten nicht ausleben, sondern nur mit ihnen herumspielen: «Die Gespräche steuern nicht auf ein reales Umsetzen zu. Dies ganz im Gegensatz zu den Gesprächen in den Jungencliquen, in denen es früh um konkrete (zum Beispiel Leistungs-)Aspekte geht, um Grenzauslotungen, um Vergleiche, in denen jeder feststellt, was er wirklich kann und will … Demgegenüber bereiten sich die weiblichen Heranwachsenden ‹in Wirklichkeit› direkt oder indirekt auf den Heiratsmarkt vor.» Und weiter unten: «In der Pubertät haben Mädchen ihre Sklavenmentalität bereits tief verinnerlicht.» Ein kleines illustrierendes Beispiel hierfür führen die Autorinnen noch an: das allseits bekannte und oft belächelte, in diesem Fall aber einer strengen Wertung unterworfene Tuscheln & Kichern: «Sklavenkichern, das man überall auf der Welt bei unterdrückten Minderheiten findet.»
Nur reden, nicht ausleben! Heiratsmarkt! Sklavenkichern! Und es geht noch weiter mit Verhaltensweisen, «die bis heute als ‹typisch weiblich› gelten: tratschen, klatschen, hinter dem Rücken anderer reden». Sodann die weibliche Konfliktscheu, die Versuchung, sich über Dritte am Busen der Freundin zu beschweren, nicht aber dem Verursacher von Wut und Ärger eins vor die Brust zu knallen.
Richtet sich mit einer solchen Beschreibung und Wertung die feministische Sichtweise hier nicht aufs schönste gegen die Frauen selber?
Zum Beispiel mit dem postulierten Gegensatz Mädchengespräche – Jungengespräche. Natürlich gibt es diese Schwärmereien zwischen Freundinnen, was alles die Welt für sie bereithalten wird, wenn eines Tages … Sie sind angesiedelt in einer abenteuerlichen oder kitschigen Phantasiewelt, die ihre Nahrung findet in Büchern, Zeitschriften, Filmen und auch ganz und gar lebendigen Vorbildern, die angefaßt werden können, ohne sich in Geisternebel zu verpuffen oder auf langweiliges Normalformat zu schrumpfen.
Nichts hat zum Beispiel einige kurz vor dem Abitur stehende Freundinnen Ende der siebziger Jahre mehr beeindruckt und in langen Gesprächen beschäftigt als diese strenge, in ihren Augen jenseits von Dreißig, Sex und Spaß stehende Mathelehrerin, die eines schönen Tages sichtbar schwanger und schwangerer wurde. Und weit und breit kein Ehemann in Sicht – was die Freundinnen bisher nicht gewundert hatte, jetzt in Staunen versetzte und Anlaß gab zu zahllosen Gesprächen, die vom Hundertsten ins Tausendste kamen, angereichert waren durch den Wettstreit der fiesen kleinen spitzen und süffisanten Bemerkungen oder, wenn die eher Zartbesaiteten mal den Ton angaben, durch gesteigerte Anteilnahme und Mitleid: «Die Ärmste!» und dann prusteten doch wieder alle los. Mit einem Schlag hörte dieses wirklich alberne Mädchengetue auf, als nämlich Klassenfest war und die schwangere Lehrerin aufkreuzte, aber völlig unvermutet in Begleitung! Gutaussehender Begleitung. Eigentlich richtig süß. Ist das etwa, sollte der …? Bevor jedoch dieses wirklich dämliche Mädchengetuschel anfangen konnte, blickte sie gutgelaunt in die Runde und sagte gelassen: «Ich möchte Ihnen den Vater meines Kindes vorstellen, das ist er.» Und er grinste. Sie war der Star! Unglaublich! In den Himmel gehoben, dorthin, wo Frauen nicht spießig verheiratet Mütterlein-bekommt’s-Kindelein spielten, sondern einen scharfen Verstand und einen Lover hatten. Und ihr Kind bekamen, wann und wie sie wollten, und ein Superstudium hinlegten – vielleicht käme Physik doch für uns in Frage, da braucht man auch viel Mathe – und überhaupt: Themenwechsel!
Nichts ließen die Freundinnen mehr auf sie kommen, sie gingen ernsthaft in sich, berieten sich über Schein und Sein, über so sein und anders sein, über Wünsche und Ziele und waren wieder ein Stück erwachsener geworden. Durch Gespräche, die für keine Beteiligte folgenlos blieb. Sei es die gute Note, die der einen oder anderen nun doch zu dem ersehnten Abi-Schnitt eins Komma verhalf, sei es die klarere Gewißheit und Perspektive, daß es noch ganz andere Lebensentwürfe für Frauen gab, als die damalige Müttergeneration es vorlebte, sei es eine generelle Sympathie für diesen herberen, unerschrockenen Frauentyp. Eine Sympathie, die manche von ihnen später dann ein oder zwei Freundinnen eben dieses Typs finden ließ.
Solche Geschichten von folgenreichen Gesprächen unter Mädchen gibt es doch zuhauf, Pläne werden geschmiedet und ausgeführt oder auch verworfen, aber vielleicht aus guten Gründen. Wenn jeder Junge seine im Beisein von Freunden ausgebrüteten und mit Inbrunst verkündeten großen zukünftigen Taten auch realisierte – bewahre uns vor all den Piloten und Detektiven oder auch vor den Weicheiern, die die Welt retten wollen! Da gab es zum Beispiel einen, der mit fünfzehn schon nur ein guter Mensch war und dazu noch Kirchenmann werden wollte und es tatsächlich geworden ist. Wäre er doch lieber nicht, noch immer ist er gut und andere böse!
Und was kann falsch daran sein, daß nicht jedes Mädchen die erträumte Gestaltwerdung zur Schönheitskönigin durchläuft, sondern vielleicht doch die Kurve kratzt und lieber Tänzerin werden möchte (und auch das dann nicht realisiert)? Dieser Schlingerkurs brachte doch so manche unter uns erst zu einer differenzierteren Selbst- und Weltbetrachtung. Aber wenn die Zukunft, das ganze, noch nicht versemmelte Erwachsenenleben vor uns liegt, wie sollen wir da nicht ins Träumen kommen? Phantasien, diese überdimensionierten Schlachtenbilder und Ruhmesszenarien, haben ihren Sinn: Sie stärken für den Moment den Rücken und verdichten sich später zu Erinnerungsbildern, die davor bewahren können, in die Wiederholungsfalle zu tappen nach dem Muster: Eine geschlagene Frau frißt selber kleine Kinder.
Von welcher Mädchengeneration, die sich für eine «reduzierte Frauenwelt» fit macht, ist in der feministischen Literatur eigentlich die Rede? Auch unter den heute über vierzigjährigen Frauen erinnern sich viele an diesen jugendlichen Anlauf, der bestimmt nicht auf den «Heiratsmarkt» zielte. Schon diese Generation, die in den späten sechziger Jahren erwachsen wurde, zur Zeit der aus den USA kommenden sogenannten zweiten Frauenbewegung, kann doch nicht mehr mit den Augen einer Simone de Beauvoir gesehen werden? Deren Werk «Das andere Geschlecht» liegt ein sattes halbes Jahrhundert zurück und geht mit dem Thema Freundinnen aus heutiger...