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E-Book

Friedrich von Gagern

Die besten Erzählungen

VerlagLeopold Stocker Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783702018542
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Der Jägerdichter •Ein Klassiker der Jagdliteratur ist wieder lieferbar •Die besten Jagdgeschichten in einem Band •Skizzen und Illustrationen wie in den Originalbüchern Friedrich Freiherr von Gagern gilt als der herausragende Klassiker der Jagdbelletristik. Sein Talent, die Stimmungen, die Schönheiten, aber auch die Abgründe der Jagd einzufangen und auszuloten, adelt ihn zum 'Jägerdichter' des 20. Jahrhunderts schlechthin. Vor 70 Jahren ist der österreichische Ausnahmeschriftsteller verstorben - Zeit, sein Werk mit einer Auswahl seiner besten Geschichten gebührend zu würdigen. Gagern war mit seinen Gedanken und Überlegungen zur Jagd oftmals seiner Zeit voraus. Daher sind seine Geschichten so aktuell wie eh. Ein Jagdschriftsteller vom Kaliber Gagerns darf in keinem Bücherregal fehlen. Damit seine stimmungsvollen Erzählungen viele weitere Generationen von Jägern begeistern, hat Gerd H. Meyden aus Gagerns bekanntestem Werk, der in unzähligen Auflagen erschienenen 'Grüne Trilogie', quasi die 'Essenz' jagdlicher Meistererzählungen herausgefiltert.

Gerd H. Meyden ist der erfolgreichste deutsche Jagdbuchautor des 21. Jahrhunderts. Neben bisher 5 Büchern schreibt er auch Artikel für verschiedene Jagdzeitschriften. Meyden ist ein bekennender Verehrer des großen Schriftstellers Friedrich von Gagern.

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Leseprobe

1.


Aus den Heimatbergen.


Als kleiner Junge schon, da ich den Knall der väterlichen und brüderlichen Flinten mehr fürchtete als liebte, hatte ich ein heißes Interesse für die Rehkronen, deren Gruppen erst die schöne steinerne Vorhalle des Speisesaales verzierten, dann aber aus irgendwelchen ästhetischen Gründen nach einer bescheidenen Diele des Obergeschosses verbannt wurden.

Gerade hier, in dieser schmalen, stillen, dämmerigen Diele, abseits vom Spott der Großen, von den Verkehrsstraßen des Schlosses, vom Kommen und Gehen störender Gäste, gerade hier lernte ich das krause Rehgehörn lieben, verstehen, schauen, unterscheiden, lange noch bevor ich einen leibhaftigen toten, und weit, weit länger, bevor ich einen leibhaft lebendigen Bock gesehen.

Es muß im Blute liegen.

Lesen und schreiben, diese beiden gefährlichen Schwarzkünste, waren mir schon von der alten Fanny, dem unvergeßlichen treuen Drachen, mit der ihr eigenen Gründlichkeit früh beigebracht worden. Mit vier Jahren eröffnete ich bereits einen bleistiftnen, vorliniierten Briefwechsel mit meiner eben verreisten Mutter; mit sechs Jahren las ich schon in der schweinsledernen Chronik des Freiherrn von Valvasor1 und in irgendeinem Bande des prachtvollen Spamerschen „Buches der Erfindungen“, das mir die strenge Großmutter aus der Bibliothek meines weiland Großvaters darlieh und das mir schon darum lieb, unvergeßlich und unentbehrlich geblieben ist.

Aber mehr noch als Webstuhl und Austernfischerei, Dampfmaschine und Salzbergbau, mehr noch als die entzückenden Burgerschen Titelholzschnitte jener ehrwürdigen schwarzen Kalikobände2 hatten es mir die Rehkronen in der verschwiegenen Diele angetan.

Da stand ich stundenlang und schaute, verglich und betrachtete, wählte und fabelte mir dazu schöne Jagdgeschichten aus, und Fanny mit fuchtelndem Strickzeug hielt über meinen Privatstudien treue Wacht.

So wenig dienlich die allgemeine Aufklärung dem Weltfrieden und reibungslosen Ablauf der Weltgeschichte, in unserem Falle erwies sich die gewonnene Kunde als wertvoll.

So konnte ich mühelos die Inskriptionen auf den bald spitz, bald halbrund zugeschnittenen Schädelplatten entziffern und daraus meine Schlüsse ziehen.

Das häßliche gelbe Gehörn da unten hatte der verhaßte Onkel August erbeutet; es sah ihm ähnlich und schielte gleich ihm nach außen.

Jenes geringe zierliche Stangenpaar stammte von Papas erstem Bock; wer es verunglimpfte, dem hätte ich die Augen ausgekratzt.

Der starke Gabler dort war von „Vater“ Felkel geschossen worden, dem alten schlesischen Ruhestandshauptmann, der uns pünktlich an jedem Sonntage besuchte und mit seinen starken Brauen und struppigem Pintscherbart genau wie ein Stiefmütterchen aussah.

Hier, der regelmäßige hellbraune Sechser trug den Namen des interessanten „Onkels“ Alfons, der mit Kaiser Max in Mexiko gewesen, eine hawaiische Prinzessin vorübergehend geheiratet, den Popocatepetl3 erstiegen, die prachtvolle Schmetterlingssammlung mitgebracht, dreimal durch Taifune und Monsune die Welt umsegelt und noch viele andere unglaubliche Dinge erlebt.

Aber die weitaus stärksten, von Perlen und Rosenkrausen starrenden Kronen – oder wie man in Österreich so anschaulich sagt „G’wichteln“ oder gar „Krickeln“ – die weitaus anziehendsten Prachtstücke der kleinen Sammlung wiesen auf ihren, sämtlich von Hand meiner Mutter beschriebenen Schädelplatten durchgehends zwei Namen von geradezu magischem Klang: Michael Holzer und Johann Jelinek.

Ich glaube, keine Kinderseele ist je von Chingachgooks4 und Winnetous unsterblichen Taten tiefer erregt worden als die meine durch das fast sagenhafte Dasein jener beiden Recken, die vor Siegfried und Hagen, Old Shatterhand und Firehand den unbestreitbaren Vorzug hatten, daß sie wirklich existierten, wirklich lebten und von Zeit zu Zeit sogar sichtbar wurden.

Von dem einen, von Johann Jelinek, der fern hinter Bergen und Märchenwäldern in entrückter Wildnis wohnte, von ihm hieß es, er habe in seinem Leben weit mehr als hundert Böcke geschossen; der andere, Michael Holzer aus dem steirischen Oberland, ein Weltmeister in der Kunst des Schweigens, versah eigentlich das Amt eines Schloßjägers, tauchte aber nur selten in der menschlichen Gesellschaft der breitwölbigen Küche auf, um dort einen ganz unwahrscheinlichen Kapitalen abzuladen, sich für hundert Stunden satt zu essen und dann wieder auf Tage und Wochen in der Einsamkeit zu verschwinden.

Die kapitalen Holzer-„Krickeln“ wurden sogar bei den Erwachsenen, bei Vater und Mutter, beim Gesinde, bei der Jägerei sprichwörtlich. Man mochte an Zauberei glauben, dieser wortkarge alte Micherl mit seinem struppigen Griffongesicht und seiner nicht einmal gezogenen einläufigen Vorderladerbüchse holte aus dem Revier wahre Urböcke heraus, von deren Dasein kein Förster das geringste ahnte. Und doch war das Verfahren des Meisters sehr einfach. Er setzte sich simpel ins Wurzelgestühl einer unserer riesigen Hochwaldbuchen, ließ die Ewigkeit an sich vorüberstreichen und wartete, bis in ihrem Verlauf ein recht starker Hauptbock in recht geringer Entfernung des Wechsels einherzog. Dem zirkelte er dann schön langsam die dicke Rundkugel aufs Blatt, und wenn er ihn schön langsam nach Hause getragen und sich schön stad auf neue hundert Stunden sattgegessen, fing ers schön gemächlich an anderem Revierort mit gleichem schön ruhigem Weidewerk an.

Auf diese Weise „derhockte“ er sommerüber, von Anfang Mai bis nach Sonnwend, seine drei, vier Kapitalen, lauter richtige buchstäbliche Uriane. Denn darunter tat ers einmal nicht, alles nur „stark jagdbare“ war für ihn schon nur mehr „so a Böckerl“. Trug ja einmal einer der von ihm „derhockten“ Böcke statt perlenstarrender Kronenwucht nur ein schlichtes stockiges Gehörn, so wars sicher ein steinalter, vierzehn- bis fünfzehnjähriger Eingänger, einer von Micherl Holzers eigener Art und Faser.

Später, in den Hundstagen, ruhte die Jagd auf den Rehbock. Mein Großvater, weidgerecht nicht „bis in die Knochen“, sondern bis ins innerste Herz hinein, duldete es nicht, daß das Wild in seiner hohen Zeit durch Schuß und Schlich beunruhigt, daß es in seinen heiligsten und natürlichsten Daseinsrechten gestört, gekränkt, getrogen werde. Die Früchte dieser vornehmen, reinen gesunden Gesinnung, zu der sich im heutigen, auf dem Papier so überaus weidgerechten Deutschland niemand bekehren und bekennen will, liefen damals springlebendig im Walde herum. So war es für den geduldigen Michael Holzer leicht, ohne Feldstecher und Rasanz auf fünfundzwanzig Schritte nie wiederkehrende Kapitalböcke zu schießen.

Als Schatten nur zog die gebeugte Gestalt dieses sagenhaften alten Jägers durch die Dämmerung meiner frühen Kindheit. Eines Tages klagte Micherl meiner Mutter, es sei ihm gar nicht „recht extra“, er habe bloß sieben Knödel essen können statt der sonst üblichen zwölf; den Rest trug er vorsichtig in grünes Papier gewickelt nach seinem Bau, ihn als Zehrung in der Weidtasche zu verwahren. Er kam nicht mehr dazu, sich seiner drauß in maigoldgrüner Waldeinsamkeit zu erfreuen. Am nächsten Tage kränkelte er ernstlich und mit äußerstem Aufgebot verfallender Kräfte zwang er noch drei von seinen fünf letzten Daseinsknödeln. Am dritten Tage war er richtig tot, und die Füchse, denen er mit geheimnisvoller Kirrung und dem Schwanenhals – andere Fallen würdigte er keines Blickes – viel Gram zugefügt, feierten ein großes Fest.

Die urigen Gehörne an der Wand haben sein Gedächtnis der staunenden Nachwelt aufbewahrt. Ich selbst, der ich sie am meisten geliebt und bewundert, besitze ihrer leider kein einziges Stück. Ein Teil der schönen Sammlung wurde das Opfer einer Provinzial-Ausstellung, der Rest erlitt ein noch viel häßlicheres Schicksal. –

Einmal, ein einzigesmal solch einen Knorrenbock selbst erbeuten: das war mein brennendster Wunsch, als ich erst soweit gelangt, eine eigene hübsche Vogelflinte führen und unter den Eichkatern und Eichelhähern des ausgedehnten Parkes, mehr aber noch unter den daselbst verdaulich promenierenden Tanten Schrecken und Schrot verbreiten zu dürfen.

Er wurde mir erfüllt; nicht sobald, denn mit vierzehn und sechzehn Jahren hat man seinen Cäsar und Herodot zu reiten und auf Vokabeln und Mantissen5 eifrig Jagd zu machen, ein mühseliges aber schließlich doch lohnendes Weidewerk, an das man nach überstandener Gefahr gerne zurückdenkt. Aus der Nähe besehen hat es freilich nicht annähernd soviel Reiz wie die freie Birsch auf blutlebendiges Wildgetier, und sei’s auf den balzenden Ringeltauber oder die schlaue Nebelkrähe, an welchen Meistern der Wachsamkeit ich...

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