Schiller bei den Eltern
Inhaltsverzeichnis
1759ff.
Johann Christoph Friedrich Schiller ward nicht den 10., wie bis heute einstimmig gesagt wird, sondern den 11. November 18 1759 zu Marbach geboren. Die Mutter hatte, nach einem sehr glaubwürdigen Zeugnisse, ihren Gatten, der damals Lieutenant im Infanterieregimente des Generalmajors Romann war, in dem Lager besucht, wo er bei den gewöhnlichen Herbstübungen des württembergischen Militärs sich aufhalten mußte, und in seinem Zelte fühlte sie die ersten Anzeichen ihrer nahen Entbindung. So hätte beinahe Schiller das Licht der Welt zuerst in einem Lager erblickt; doch gelang es der Mutter noch, in ihr elterliches Haus, 19 von wo aus sie den Gatten besucht hatte, nach Marbach zurückzukehren, wo sie eines Knaben genaß, den der Vater »dem Wesen aller Wesen« empfahl, »daß es demselben an Geistesstärke zulegen möchte, was Er aus Mangel an Unterricht nicht erreichen konnte.«
Eine uralte Sage läßt an der Stelle dieser Stadt, wo jetzt die lustigen Rebenhügel prangen, im wilden Walde der Urzeit einen Riesen hausen, welcher ein leibhaftiger Heidengott – Mars oder Bacchus – gewesen, und von ihm leitet sie den Namen der Stadt ab. Ein geistiger Riese war es auch jetzt, der in der Riesenstadt geboren ward, und die Poesie hat sich dieser sinnbildlichen Beziehung bemächtigt. Schiller kam als unscheinbares und schwächliches Kind zur Welt. Die Mutter war krank und konnte ihn nicht stillen, daher ihre Schwester, Margaretha Stolpp, welche dem Vater Schiller zum Besitze seiner Gattin geholfen hatte, den Knaben aus Pietät an die Brust nahm. Schiller erkannte dieß mit dankbarem Gemüthe, und als er im Jahr 1793 im Vaterlande war, besuchte er von Ludwigsburg aus die gute Tante, zu der er sich auch in seinen Kinderjahren vor der Strenge des Vaters manches Mal geflüchtet hatte, zu wiederholten malen. 20 Indessen erwuchs das Kind, anfangs ferne von der Aufsicht eines strengen Vaters, auf dem Arm einer zarten Mutter, langhalsig, sommerfleckig, rothlockig, wie diese, und entfaltete sich unter heitern und harmonischen Eindrücken. Schiller selbst zählte die späteren Besuche in dem großelterlichen Hause zu seinen freundlichsten Jugenderinnerungen.
1763 ff.
Es dauerte gegen vier Jahre, bis der Vater mit dem Hubertsburger Frieden (1763) aus dem siebenjährigen Kriege heimgekehrt, seinen bleibenden Wohnsitz wieder im Vaterlande nahm. So lange blieb der Knabe Fritz im Hause der genügsamen Großeltern unter der ausschließlichen Pflege der Mutter. Die Erziehung des zärtlichen, von den Kinderkrankheiten schwer heimgesuchten Kindes wurde mit größter Liebe und Aufmerksamkeit besorgt, und krampfhafte Zufälle, an welchen das Kind wiederholt litt, überwand glücklich seine gute Natur.
An der geistigen Ausbildung des Sohnes soll auch außer dem heimgekehrten Vater ein mütterlicher Oheim des Dichters, und ein Arzt und Hausfreund Antheil genommen, jener dem kleinen Fritz den ersten Unterricht im Schreiben, in der Naturgeschichte und der Geographie ertheilt, dieser ihn spielend über den Bau der Welt und des menschlichen Körpers belehrt haben. Schon im vierten oder fünften Jahre war der Kleine auf Alles aufmerksam, was der Vater im Familienkreise vorlas, eilte von seinen liebsten Spielen zu Bibelandacht und Gebet herbei, und war mit den blauen, gen Himmel gerichteten Augen, den hochblonden Locken um die helle Stirne, und den gefalteten Händchen, wie ein Engelskopf anzuschauen. So schilderte ihn die ältere Schwester. Auch später unter Kameraden, ging Schiller nie ohne Nachtgebet zur Ruhe; doch konnte er das laute Beten seiner Schlafgenossen nicht recht leiden: »es bedarf keines solchen Geplärres,« sprach er. 21 Folgsamkeit, sittlicher Zartsinn, Nachsicht gegen Geschwister und Gespielen zeichneten schon den Knaben aus. Den ununterbrochensten Einfluß auf Gemüth und Geist übte bei ihm die Mutter. An Sonntagsnachmittagen, wenn sie mit den beiden Kindern aus dem Hause, das seit des Vaters Rückkehr die Eltern für sich bewohnten, nach der nahen Großelternhütte wandelte, pflegte sie ihnen das kirchliche Evangelium des Tages auszulegen, und rührte einst am Ostermontage durch die Erzählung von Christus und den zwei nach Emmaus wandernden Jüngern die beiden Geschwister zu heißen Thränen. Zu anderer Zeit unterhielt sie die Kinder mit Zaubermähren und Feengeschichten, und später, so wie die Fassungskraft des Knaben es erlaubte, führte sie ihn auch in die Hallen der deutschen Dichtkunst ein, so weit ihr selbst diese zugänglich waren. Klopstocks Messiade, Opitzens Gedichte, Gerhards herrliche, geistliche Lieder, denen sich das Dichtergemüth des Sohnes mit Vorliebe zuwandte, Gellerts fromme Gesänge, die dem Knaben auch bald sehr theuer waren, wurden gelesen: nur als der üppige Auswuchs der schlesischen Schule, Hofmannswaldau, an die Reihe kam, und der Knabe in einem Sonett die Geliebte dieses Dichters »den Brustlatz kalter Herzen, der Liebe Feuerzeug, den Blasebalg der Seufzer, das Löschpapier der Thränen, die Sandbüchse der Pein, das Schlafstühlchen der Ruhe, und der Phantasie Klystier« mußte nennen hören, wandte er sich mit lächelndem Widerwillen von dem Buche ab und rief: »ich will kein Klystier!« und wenn die gewöhnlichen Neujahrsgratulanten der Landstädte und Dörfer mit ihren Verschen anrückten, so sagte er wohl: »Mutter! es ist ein Hofmannswaldau draußen!«
1765 ff.
Der Schauplatz des hier zuletzt Erzählten ist nicht mehr Marbach. Denn im Jahr 1765 wurde Schillers Vater, jetzt Hauptmann im Generalmajor von Stein'schen Infanterieregimente, von seinem Herzog als Werbeoffizier nach der Reichsstadt Schwäbisch Gmünd geschickt, und durfte seinen Aufenthalt im Dorf und Kloster Lorch, als nächstem württembergischem Gränzorte, nehmen. Dadurch wurde der Knabe im sechsten Jahre aus dem lachenden Neckarthale 22 in die ernste Stille eines von Nadelhölzern umstellten Wiesengrundes versetzt. Das Dorf Lorch liegt am Fuße des Hügels, den, schon auf der Staffel eines Tannengebirges, die Klostergebäude krönen, vor deren Mauern auf einem Vorsprung eine uralte Linde Wache hält: der Hohenstaufen mit einem Gefolge von Bergen blickt nach dem Kloster herüber, das zahlreiche Gräber jenes erlauchten Geschlechtes umschließt; in der Tiefe schlängelt sich der Remsfluß freundlicheren Gegenden und segensreichen Nebenpflanzungen zu.
In dieser Einsamkeit, an der das Herz des Dichters noch in späten Jahren hing, wurde jetzt Schillers Erziehung in Gemeinschaft mit einem Freunde des Hauses, dem Ortspfarrer Moser, 23 einem wackern Manne, besorgt, der nur wenig Jahre älter war, als Schiller der Vater. Von ihm erhielt der kleine Fritz den ersten Unterricht in der lateinischen und griechischen Sprache, und Schiller hat seinem Lehrer durch den Charakter des Pastors Moser in den Räubern ein dankbares Denkmal gesetzt. Mit dem Sohne dieses würdigen Geistlichen, Carl Moser, schloß der Knabe die erste Jugendfreundschaft, deren Spuren sich noch im reifen Alter des Dichters vorfinden. Auch seine lang in der Seele fortglimmende Neigung zum Studium der Theologie scheint aus den Eindrücken zu stammen, die er im Pfarrhause zu Lorch aufgenommen hatte. Oft sah man ihn mit einer schwarzen Schürze statt des Kirchenrocks umbunden, ein Käppchen auf dem Kopfe, von einem Stuhle herab der Mutter und Schwester sehr ernsthaft predigen, und seine kindischen aus Bibelsprüchen zusammengereihten Vorträge zeigten schon eine Spur logischen Zusammenhangs.
Schillers gründlichster Biograph findet in diesem Spiele schon die tiefste Bestimmung der Natur träumend errathen. »Schiller ist wirklich dem Wesen nach ein Prediger geworden, aber nicht von der Kanzel, sondern von der Schaubühne herab, nicht vor einer confessionellen Gemeinde, sondern ein Prediger vor der großen Menschenfamilie.« 24
Von der Entwicklung seines sittlichen Charakters wird schon aus dieser frühesten Periode nur Gutes gemeldet. Er ging gerne in Kirche und Schule, und nur die Natur konnte ihn zuweilen zu kleinen Diebstählen an der Schulzeit verführen, die dem strengen Vater verborgen bleiben mußten; aber auch auf die Spaziergänge begleitete ihn sein gutes Gemüth und seine Menschenliebe, und mit gränzenloser Freigebigkeit verschenkte er an Arme, was er besaß. Versunken in Naturgenuß stand einst der achtjährige Knabe mit seinem Jugendfreund im Walde und rief: »O Karl, wie schön ist es hier! Alles, alles was ich habe, könnte ich hingeben, nur diese Freude möchte ich nicht missen!« Er wurde beim Wort genommen: unter der Last eines Reisigbündels schlich ein Kind in Lumpen durch den Wald. »Das arme Kind!« rief der kleine Schiller voll Mitleiden, kehrte seine Taschen um, und gab, was er hatte: zehen Kreuzer, und eine alte silberne Schaumünze, ein Geburtstagsgeschenk seines Vaters, von der er sich recht ungern trennen mochte. Ein andermal stellte er sich dem Vater ohne Schnallen an den Schuhen dar, und gestand, daß er dieselben einem armen Jungen zum Sonntagsschmucke gegeben, weil er sich selbst mit seinen Sonntagsschnallen begnügen könne. Und an Kameraden verschenkte er nicht nur Dinge, über die er frei verfügen konnte, sondern, wenn ihre Armuth sein Mitleiden recht rege machte, Bücher, ja Kleidungsstücke und Bettlaken, so daß selbst der Vater mit fühlbaren Züchtigungen einschreiten mußte, deren Vollziehung jedoch zuweilen die sanftere Mutter sich erbat. Im Uebrigen waren Gehorsam und Folgsamkeit Grundzüge seines Charakters.
Die Natur war der Lieblingsaufenthalt des Knaben; oft wünschte er in der schönen Gegend der Sonne mit lautem Gesang, der überhaupt seine jugendlichen Schritte im Freien fast immer melodisch begleitete, eine...