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'Früher war´s nicht da und heute hast du das Geld nicht' - Zum Wandel von Einkaufs- und Essgewohnheiten am Beispiel eines ostdeutschen Dorfes

Zum Wandel von Einkaufs- und Essgewohnheiten am Beispiel eines ostdeutschen Dorfes

AutorNicole Kochanek
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl86 Seiten
ISBN9783638532457
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis36,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Soziologie - Konsum und Werbung, Note: 1,3, Friedrich-Schiller-Universität Jena (Institut für Soziologie), Sprache: Deutsch, Abstract: Mit der Wende 1989 sind die DDR-Bürger aus ihren gewohnten gesellschaftlichen Zusammenhängen heraus gerissen worden. Nach der Auflösung und Zerstörung fast des gesamten institutionellen Gefüges und der Sozialstruktur fanden sich die Ostdeutschen in einer gänzlich anderen Gesellschaft wieder. In vielen Sphären des Lebens wurde der Übergang von einer Gesellschaft in eine andere als konfliktreich - zumindest schwierig empfunden. Man denke nur an den Lebensbereich der Arbeit oder der sozialen Sicherheit, wo Entwertung, Unüberschaubarkeit und Unsicherheit der eigenen Existenz eine Rolle spielte. Diese Arbeit unternimmt den Versuch den Umbruch im Bereich der Konsumkultur zu beleuchten. Es geht um den Übergang von einer durch planwirtschaftlichen Mangel gekennzeichneten Versorgungskultur zur Konsumkultur westlichen Typus, dabei vor allem um die Analyse der alltagskulturellen Muster des Wandels. Empirische Studien zur Transformationsforschung haben diesen Bereich der Alltagswelt bisher vernachlässigt, wohl mitunter deshalb, weil der Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft auf der Alltagsebene vergleichsweise unproblematisch ablief, sich die Ostdeutschen schnell in die neue Verbraucherrolle fügten. Die Relevanz der Betrachtung des Wandels in diesem Bereich ergibt sich meiner Meinung nach aus folgenden Faktoren: Für die DDR-Bürger waren gerade die gegensätzlichen Konsumkulturen die sich über 40 Jahre dies- und jenseits des Eisernen Vorhangs entwickelt hatten, zumindest auf der Ebene der Alltagswelt, Inbegriff für die Verschiedenheit, das Trennende zwischen DDR und BRD. Was Deutschland über vierzig Jahre lang trennte waren nicht nur politisch gegensätzliche Ideologien, sondern auch völlig verschiedene Warenwelten. [...]

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Leseprobe

Kapitel II

 

Eigenheiten des DDR-Konsumalltags

 

1. Aspekte des rasanten Untergangs der DDR-Konsumkultur

 

Als im November 1989 die Grenzen nach Westdeutschland öffneten, erlebten die Ostdeutschen die neuen Verhältnisse zunächst als Öffnung eines unüberschaubaren Marktes mit überwältigender Vielfalt und sie boten das Schauspiel einer naiven Freude an der westlichen Warenwelt.

 

So freute sich „Zonengabi“[20] über ihre erste Banane, die eigentlich eine Gurke war und Hunderte Menschen jubelten Bananen-Berti[21] zu, weil der - jeglichen Feingefühls beraubt - das lang erwartete gelbe Obst in die Menge der tobenden Affen warf.

 

Die neu gewonnene Freiheit war vor allem essbar, sie schmeckte, roch gut und sie sah nach etwas aus. Es schien, dass das was Deutschland über vierzig Jahre lang trennte, nicht nur politisch gegensätzliche Ideologien waren, sondern vor allem völlig verschiedene Warenwelten.

 

Alles „Ostdeutsche“ wurde nun kategorisch abgelehnt, was als Ausdruck innere Blockierungen aufzubrechen, Hemmungen zu überwinden und Befreiung zu ermöglichen verstanden werden kann. Die Abkehr von DDR-Produkte kann symbolisch als das „Werfen“ von Gegenständen interpretiert werden. Das demonstrative „Werfen“ von Gegenständen, deren Glorifizierung bzw. symbolisierende Vernichtung, ist bei Umbrüchen und an Übergängen ein Phänomen, das häufig affektiv aufgeladen ist und von archaischen Ritualen begleitet wird.[22] Das „Werfen“ von Gegenständen, welches seinen Ausdruck in dem fast vollständigen Boykott der DDR-Konsumkultur und der blinden, unkritischen Bevorzugung von West-Produkten fand, war soziale Handlung, die Distanz und Identifikation symbolisch vermittelt. Ostprodukte galten als fremde Symbole einer längst entrückten Zeit.[23]

 

Der Drang nach Freiheit und Wohlstand erschöpfte sich für die aus der „Mangelgesellschaft“[24] kommenden DDR-Bürger, in einem starken Warenbezug. Möglichst rasch sollten nun 40 Jahre DDR, gegen die sinnlich so greifbare Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik eingetauscht werden.[25] Die begehrlichen Rufe nach der Konsumwelt des Westens waren nicht zu stoppen und sie mündeten im Juli 1990 in den fast lückenlosen Anschluss der DDR an den westdeutschen Warenmarkt.[26]

 

Hofmann sieht in diesem Datum (01.07/02.07.1990) das für die DDR-Bürger wichtigste Erlebnis der Leistungsfähigkeit der westlichen Warengesellschaft. „Quasi über Nacht veränderte sich das Warenangebot in der DDR grundlegend, besonders die Lebensmittelgeschäfte enthielten fast nur noch Waren aus dem Westen.“[27] Für die DDR-Bürger hieß es nun sich in der neuen Warenwelt neu zu orientieren.

 

Heute haben sich die Ostdeutschen satt gegessen an Bananen, an Ananas und Kiwis. Statt zu „Milka“, greift man nun im Schokoladenregal häufiger zu „Zetti“ oder zu „Schlager Süßtafel“. Zahlreiche Marken aus DDR-Zeiten (Rondo, Vita-Cola[28], Burger-Knäcke etc.)feierten einige Jahre nach der Wiedervereinigung ein erstaunliches Revival.[29]

 

Mit Blick auf die Zeit unmittelbar nach der Wende, hat sich das Kaufverhalten grundlegend gewandelt. In den Haushalten wird sparsamer und überlegter eingekauft. Mäßigung ist eingetreten. So lag der Pro-Kopf-Verbrauch an Bananen in den neuen Ländern nach der Wiedervereinigung bis zu sieben Kilo über dem Westniveau. Gegenwärtig hat er sich in Ost wie West auf 19,3 Kilo eingepegelt.

 

In Kapitel III, dem empirischen Teil der Arbeit, möchte ich genauer betrachten wie sich der eben angedeutete Untergang der DDR-Konsumkultur auf der alltagsweltlichen Ebene beschreiben lässt. Dazu waren noch einige Vorüberlegungen nötig, um den Untersuchungsgegenstand zu konkretisieren.

 

Der im Zuge des Systemumbruchs statt findende Wandel von einer „Versorgungskultur“(Hofmann) zur Konsumkultur, stellt sich auf der Alltagsebene als relativ breiter Prozess dar. Mit der Fokussierung auf den Bereich „Einkaufen und Essen“ wurden bereits erste Einschränkungen vorgenommen.

 

Es stellte sich mir die Frage, in welcher Form sich ein Wandel der Alltagspraxis und der damit verbundenen Wertmuster im Bereich „Einkaufen und Essen“ adäquat erfassen, bzw. messen lässt. Den Wandel von Gewohnheitshandlungen zu betrachten erschien angemessen.

 

2. Zur Erfassung von Gewohnheiten

 

Einkaufen und Essen ereignen sich im Alltag. Ernährung nimmt den ersten Platz in der Reihenfolge der Bedürfniskomplexe[30] ein, demzufolge handelt es sich bei Lebensmitteln um Haushaltsbedarf den man periodisch wiederkehrend erwerben muss. Damit verbundene, sich wiederholende Abläufe der Nahrungsbeschaffung und –verarbeitung, bis hin zum Verzehr, bilden dabei Gewohnheiten heraus.[31] 

 

Gewohnheiten sollen hier verstanden werden, als „durch Nachahmung, Wiederholung oder äußeren Druck (Sozialisation, Erziehung) gelernte und weitgehend verfestigte Verhaltensweisen, die in bestimmten wiederkehrenden Situationen routinemäßig, gleichsam automatisch-reflexartig praktiziert werden. (...) Gewohnheiten entlasten das Individuum von übermäßigen Entscheidungsdruck und tragen zur Stabilisierung sozialer Beziehungen und Strukturen bei, begünstigen aber die Unterwerfung unter verbesserungswürdige Herrschaftsverhältnisse und hemmen den sozialen Wandel.“[32]

 

Der Definition zufolge entstehen Gewohnheiten also stets vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Regeln und Ressourcen. Sofern sich weder die Ziele, noch die verfügbaren Mittel oder die Umweltbedingungen ändern, laufen Gewohnheiten instinktiv ab.

 

Ausgangspunkt meiner Untersuchung ist der Bereich „Einkaufen und Essen“ in der DDR. Gewohnheiten im Bereich „Einkaufen und Essen“ haben sich somit vor dem Hintergrund der DDR-Konsumkultur herausgebildet, was – aufgrund der vielfach als „Mangelgesellschaft“[33] betitelten DDR – einige Spezifika vermuten lässt.

 

Das Interesse richtet sich darauf, zu beschreiben, wie und in welcher Form, im Zuge des Systemumbruchs von derart verfestigten, stabilen und stabilisierenden Verhaltensweisen abgerückt wurde.

 

Die nächste Frage die sich stellte war, in welcher Form sich Gewohnheiten im Rahmen der Untersuchung überhaupt erfassen lassen. Schwierigkeiten können dort auftreten wo unreflektierte, einstellungsgesteuerte Handlungen – also Gewohnheiten - plötzlich verbalisiert werden sollen. Bei gewohnheitsmäßigen Handlungen ist weder die kognitive, noch die emotionale Involviertheit hoch; sie werden in immer wiederkehrenden Entscheidungssituationen nahezu instinktiv getroffen. Warum etwas gewohnheitsmäßig genau so und nicht anders gemacht wird, kann häufig nicht begründet werden. Tatsächlich jedoch wissen die Handelnden mehr, als sie zu sagen imstande sind.

 

Hinzu kommt, dass Gewohnheiten im Bereich „Einkaufen und Essen“ zwar zu den stabilsten Verhaltensweisen der Menschen zählen, sie sich jedoch aufgrund ihrer Leibnähe verhältnismäßig stark in individuellen Vorlieben und Abneigungen äußern. Folglich galt es, bei der Betrachtung eines Wandels von Einkaufs- und Essgewohnheiten, von der Ebene individueller Gewohnheiten[34] zu abstrahieren.

 

Dies versuchte ich damit zu erreichen, dass ich das mittels eines Leitfadens erstellte Material, nach relativ allgemeinen Wertmustern durchsuchte, die DDR-spezifische Einkaufs- und Essgewohnheiten zu steuern schienen. Diese Wertmuster werden in der Arbeit als Kategorien behandelt und auf ihre, mit dem Systemumbruch im Zusammenhang stehenden, Wandlungstendenzen untersucht.

 

3. Die Beschreibung des Wandels anhand von Kategorien

 

Die Alltagsgewohnheiten im Bereich „Einkaufen und Essen“ werden mittels Kategorien erfasst. An die Festlegung des Kategorienschemas sind zwei grundsätzliche Forderungen gerichtet: Es soll die kognitiven Strukturen der Untersuchten möglichst adäquat abbilden und eine Reduktion der außerordentlich komplexen potentiellen Informationen auf die im Hinblick auf die Forschungsfrage relevanten Merkmalsausprägungen erlauben.[35]

 

Folglich werden bestimmte Elemente der Konsumkultur von mir als soziale Gegenstände behandelt, zu Kategorien abstrahiert und durch qualitative Methoden untersucht. Kategorien lassen sich als künstlich geschaffene Einteilungsbegriffe verstehen, die als denktechnische Mittel dienen, um bestimmte für den Untersuchungsgegenstand relevante Verhaltensweisen und Empfindungen, unter Dach und Fach zu bringen.

 

Jede Kategorie besitzt ihre Bedeutung, ihre Struktur und Veränderung. Diese drei Aspekte eines sozialen Gegenstandes „sind Grundbegriffe, weil sie die Vermittlung psychischer und sozialer Gehalte beschreiben (Bedeutung), den Aufbau oder die Gliederung sozialer Gegenstände (Struktur) und deren Entwicklung (Bewegung oder Veränderung). “[36] Da also Strukturen nicht ein für...

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