Kapitel
1
Superwoman und der Feind in meinem Kopf
Verflixt, wann habe ich es nur vergessen? Wann habe ich aufgehört, an meine Superkräfte zu glauben? Daran, dass ich alles kann, was ich will. Dass ich alles erreichen kann, wann ich es will und wie ich es will. Dass ich gut bin so, wie ich bin. Wann habe ich ihn verloren, den Glauben an mich selbst, die Liebe zu mir, und bin in den Dialog mit meinem Verstand getreten? Mit diesem Teil in mir, der irgendwann begonnen hat, mir ständig fremde Spiegel vorzuhalten. Wann habe ich begonnen, anderen mehr zu glauben als mir selbst?
Als ich meine wundervolle Weichheit in Härte gegen mich selbst getauscht habe. Meine Hingabe in Verbissenheit verwandelt habe, um großen Zielen hinterherzulaufen. Ziele, von denen ich heute sagen kann, dass es nicht immer wirklich meine eigenen waren, sondern dass die angepasst waren an die Erwartungshaltungen anderer. Meine Intuition hinter der Logik meines Verstandes versteckt habe. Als das große Wenn-Dann-Spiel begann, mich immer wieder in Vergleiche gezwungen oder mir eigene Bedingungen auferlegt hat, die ich allesamt erst einmal glaubte erfüllen zu müssen, um gut zu sein, und als ich, blauäugig und ahnungslos, in dieses Spiel eingestiegen bin. Als das Spiegelkabinett, das wir alle von der Kirmes kennen, zu meiner Wirklichkeit und ich immer kleiner wurde. Diese vielen verschiedenen Spiegel, die das Bild von mir gekonnt verzerrt haben und das nicht nur körperlich, sie haben etwas mit meinem Herzen gemacht. Still und leise und unaufhaltsam. Immer mal wieder einen Stich ins Herz, und mit jedem Stich wurde Superwoman kleiner und zog sich immer mehr zurück. Gemütlich hat sie es sich hinter den Mauern gemacht, die sie bravourös und mit einer unglaublichen Geschicklichkeit um sich herum errichtet hatte. Einen exakten Zeitpunkt für diese Verwandlung von Superwoman in eine Ich-bin-nicht-gut-genug-Frau kann ich gar nicht wirklich benennen. Es war wohl eher ein schleichender Prozess und zwar so schleichend, hin und wieder schmeichelnd (damit ich nicht vollends den Mut verliere), dass er mich mit Leichtigkeit überrumpeln konnte.
Lass mich eins schon einmal vorwegnehmen: Jede Frau hat ihre Herausforderungen im Leben. Und jede geht unterschiedlich damit um. Es gibt kein Besser oder Schlechter. Du wirst als liebevoller, liebenswerter und wertvoller Mensch geboren. Das ist die Wahrheit über dich und daran hat sich seit deiner Geburt nichts geändert. Du musst keine Höchstleistungen vollbringen, nicht hart an dir arbeiten, dich nicht verbessern, um ein besserer und wertvollerer Mensch zu werden. Selbstwertgefühl kannst du nicht an der Ladentheke kaufen. Du kannst es nicht mit übermäßig viel Arbeit kompensieren. Du bekommst es auch nicht, wenn du dich als "Everybody’s Darling" anbietest. Dich selbst wertvoll zu fühlen beginnt immer damit, dich so anzunehmen, wie du bist. Das ist dann auch schon der schwerste Teil, aber kein Grund dafür, nicht schon heute damit zu beginnen. Lass uns mal wieder an uns selbst glauben.
Als junge Frau glaubte ich, ich wäre ein "Big City Girl". Die Welt sollte mir gehören, ich wollte sie erobern, riechen, fühlen, schmecken und frei leben. Ich wollte es besser machen und zwar in jeder Hinsicht. Auf gar keinen Fall wollte ich als Frau so leben wie meine Mutter, die, geprägt von der Zeit, in der Frauen am besten nicht selbstständig denken, nicht arbeiten gehen, sondern zu Hause Heim und Herd beleben sollten, ihre Rolle eingenommen hat. Und das tat sie großartig, mit Hingabe und bedingungsloser Liebe für die Familie. Unglücklicherweise nicht für sich selbst und ich habe sie lange Jahre nicht verstehen können. Wenn ich ganz ehrlich bin, dann habe ich sie die meisten Jahre gar nicht richtig sehen können. Ich habe sie auf die Rolle der Mutter und dienenden Ehefrau reduziert. Auf eine Rolle, mit der ich mich weder in meiner Teenagerzeit noch später, als ich selbst schon Mutter und Ehefrau war, identifizieren konnte und wollte. Und nur mal so am Rande, wirklich besser gemacht habe ich es nicht. Ich habe in vielerlei Hinsicht das gleiche Leben gelebt. Vielleicht auf einer anderen Ebene. Ich war sicher „lauter“, rebellischer, und ich glaubte auch, ich sei viel stärker als meine Mutter. Auf jeden Fall nach außen. In mir sah es, ehrlich und nüchtern betrachtet, anders aus. Denn den Kampf gegen mich selbst, gegen die, die ich in meinem Herzen war und bin, dieser Kampf, der so kräfteraubend und selbstverzehrend ist, den habe ich auch gekämpft. Und nicht selten habe ich mich kleinmachen lassen. Wie heißt es so schön: Hunde, die bellen, beißen nicht. Ich habe viel und laut gebellt. So ist das im Leben, wir müssen Erfahrungen machen und zwar eigene, damit wir lernen. Und dann können wir es besser machen. Was nicht bedeutet, dass wir es vorher schlecht gemacht haben. Wir wussten es nur nicht besser. Vielleicht haben wir es auch nur nicht sehen können oder wollen. Mir jedenfalls ging es so. Das, was ich dann irgendwann wahrgenommen habe, war das leise Gefühl, dass es sich nicht richtig anfühlt. Ich fühlte mich nicht richtig.
Einer der schwersten Kämpfe ist zwischen dem, was du fühlst, und dem, was du zu wissen glaubst.
Gelernt habe ich als Mädchen erst einmal, dass Frauen offensichtlich nicht so viel wert sind, denn sie verdienen ja kein Geld und tragen nichts zum Erhalt des Familienlebens bei. Dafür schmeißen sie aber den ganzen hart verdienten Schotter des Mannes mit beiden Händen zum Fenster raus. Das hat die Abhängigkeit von Frauen extrem erhöht und die Angst vor einem sozialen Abstieg bei einer eventuellen Trennung war gigantisch und ist es bis heute noch in vielen Frauenköpfen. Spätestens, wenn der erste Nachwuchs da ist, geht sie auch heute noch in vielen jungen Familien los: die Diskussion um das liebe Geld. Und wenn du nicht vorher schon gerne nach Rechtfertigungen gesucht hast, warum du dir dieses oder jenes gönnst, dann passiert es oft ab genau diesem Moment. Es ist ja jetzt nicht mehr „dein Geld“. Das fördert nicht nur die Angst vor dem Verlust des sozialen Status im Falle einer Trennung, sondern vor allem die Angst davor, finanzielle Not zu leiden. Das schürt den Wunsch nach einem Versorger. Und ich glaube, verändert hat sich seit der Zeit meiner Mutter nicht wirklich viel. Auch wenn wir es gerne so sehen und glauben wollen. Denn obwohl wir Frauen heute alle im Beruf sind, scheinen wir nicht gleich viel wert zu sein. Der Unterschied in der Bezahlung, bei gleicher Qualifikation und Leistung, ist noch immer gigantisch, und der Druck – selbst gemacht oder nicht – für junge Mütter, möglichst schnell wieder in den Beruf einzusteigen, ist enorm.
Die Gründe hierfür mögen vielfältig sein. Manche Berufe sind sicher unterbewertet, es mag eine rollenstereotype Auswahl des Berufs geben, Teilzeit, Vereinbarkeit mit Familie und vieles mehr. All das wird ständig neu diskutiert und neu erhoben. Dennoch sage ich, dass es auf jeden Fall gutes Futter für die Ich-bin-nicht-gut-genug-Frau ist. Also nicht so direkt ins Gesicht, nein, es füttert sie eher ganz subtil. Schließlich identifizieren wir uns doch alle ganz wunderbar mit unserem Job und wenn der weg ist oder pausiert, ja, wer bin ich denn dann? Geld und Status scheinen wichtig zu sein – hast du viel, bist du viel. Dieser Glaubenssatz hält sich bis heute hartnäckig und sorgt für viel Mangel und Leid bei Frauen und Männern gleichermaßen.
Eines war somit für mich damals schon recht früh klar: Ich wollte es anders machen und zur Not bräuchte ich auch keinen Mann, auf jeden Fall keinen Versorger. Selbst ist die Frau und ich sowieso. So waren Unabhängigkeit und Selbstständigkeit für mich wichtig, denn so sind sie, die Superwomen. Und so wollte ich sein: unabhängig, selbstständig, stark, erfolgreich und glücklich. Bis ich die ersten Besuche im Spiegelkabinett machte. Auf der einen Seite diese große bunte Welt, in der es immer mehr ab und ich immer mehr haben wollte, damit ich jemand war, und auf der anderen Seite die große Benimmbibel.
Das Spiegelkabinett
Oder soll ich es den "Markt der Eitelkeiten" nennen? Die Eitelkeiten ändern sich, aber der Markt bleibt derselbe. Der Eintritt in die Welt des ewigen Vergleichs. Unser Bildungssystem bastelt fleißig an der Ausbildung des Einheitsschülers, Arbeitgeber haben lieber Arbeitnehmer, die sich mit der Kopfform eines Zäpfchens brav in den Hintern des Vorgesetzten quetschen, und es scheint hilfreich, wenn wir mit unseren Mänteln an der Garderobe auch gleich unser Hirn abgeben. Wir sind die Firma und das bedeutet natürlich auch, dass wir 24/7 erreichbar sind. Feierabend wird überbewertet, denn die paar E-Mails können wir auch am Abend zu Hause noch beantworten. Selbstverständlich sind die Arbeitszeiten gesetzlich geregelt (§3 Arbeitszeitgesetz), aber die Praxis geht auch heute noch vielfach andere Wege. Zur Not hilft hier nicht nur die gewünschte Identifizierung mit dem Unternehmen, sondern der direkte Vergleich mit Kollegen und die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes.
Die Werbeindustrie setzt noch einen oben drauf und formt Prototypen für männliche und weibliche Idealwesen. Die Modeketten tun das Ihrige, um mit möglichst günstig hergestellten Klamotten ein einheitliches Bild zu schaffen. Alles geht, solange es...