MY BIG FAT GREEK EATING
oder
WIE ALLES ANFING
Der Film My Big Fat Greek Wedding kam in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts in die Kinos. Damals sagte man die »Nuller Jahre«, aber ich hoffe doch sehr, dass der Menschheit im Laufe dieses Jahrhunderts noch eine bessere Bezeichnung einfällt. In dem Film wird die Geschichte einer nicht mehr ganz so jungen Griechin in Chicago erzählt, die sich mit einem Einfallsreichtum, der auch dem listenreichen Odysseus nicht schlecht angestanden hätte, aus den Fängen ihrer etwas überfürsorglichen Familie befreit und die im Laufe der Handlung – natürlich – die große Liebe findet. Zu den ungewöhnlichen Wendungen des Streifens gehört, dass sich hier nicht das Mädchen aus der griechischen Community dem angelsächsischen Mann anpasste, sondern dass der sich von ihren Sitten und Gebräuchen so begeistert zeigte, dass er ihr zuliebe sogar die Religion wechselte.
Der Film war in Europa und in den Vereinigten Staaten ein großer Erfolg, die Einspielergebnisse übertrafen sogar die von Pretty Woman. Plötzlich schien in den USA jeder zu wissen, dass es so etwas wie eine griechische Minderheit gab. Dabei hatten Leute griechischer Abkunft dem Land schon viel früher ihren Stempel aufgedrückt. Es fiel halt nur nicht so auf, weil unsere Bescheidenheit eben geradezu sprichwörtlich ist.1 Was Hollywood betrifft, ist Jennifer Aniston (Ex-Friends-Darstellerin und derzeit die Frau, an die Brad Pitt möglicherweise wehmütig zurückdenkt) wahrscheinlich der bekannteste Name, aber auch in anderen Bereichen haben Griechen Großes geleistet. Ich erinnere nur an George Stephanopoulos, der als Politikberater entscheidenden Anteil an dem Wahlsieg Bill Clintons hatte (und meiner Meinung nach sah er außerdem besser aus und hatte sich – im Unterschied zu seinem Chef – auch fast immer als Gentleman erwiesen). Dass er in der bereits erwähnten Serie Friends als Gaststar aufschlug, war in dieser Hinsicht keine Überraschung mehr.
Nach My Big Fat Greek Wedding jedenfalls hatte uns jeder auf dem Schirm, und viele Leute hatten an der romantischen Komödie großen Spaß. Der sei ihnen auch von Herzen gegönnt. Ein bisschen Fiktion, ein bisschen Übertreibung – alles okay, solange man sich gut unterhalten fühlt. Aus griechischer Sicht hingegen hatte dieser Film in bestimmten Momenten die Schärfe einer unbestechlich beobachtenden Dokumentation. Und zwar in all jenen Punkten, in denen es um das Essen ging. In dieser Beziehung bildet der Film den Alltag in einer griechischen Familie wahrheitsgetreu und detailliert ab.
Essen gehen heißt für Griechen, unter Leute gehen. Wenn man keine Zeit oder kein Geld oder keine Lust für einen Besuch in der Taverna oder im Estiatoro hat, dann trifft man sich zu Hause mit Freunden oder der Familie. Und dabei geht es um mehr als um Energiezufuhr. Viel mehr. Im Deutschen gibt es das Sprichwort »Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen.« Nun, im Griechischen hält Essen und Trinken alles zusammen. Die Familie, die Ehen, die Freundschaften, ja vielleicht sogar das ganze Land. Bei unseren Familienzusammenkünften in der norddeutschen Tiefebene schien es bei jedem gemeinsamen Mahl ein wenig so, als würde der Himmel Hellas’ über unserer Tafel leuchten. Und wenn wir im Urlaub in der Nähe von Thessaloniki waren, dann war die Heimkehr erst dann wirklich komplett, wenn wir gemeinsam speisten.
Meine Beziehung zu Griechenland ist auch heute noch unverändert stark. Ich halte uns für ein recht verrücktes, aber auch wahnsinnig liebenswertes Völkchen. Und ich kenne keinen, der in Griechenland war und danach nicht positiv über Land, Leute, Küche und Kultur geredet hat. Wer Genaueres wissen will, sollte also einfach seinen nächsten Urlaub in Griechenland verbringen. Mehr brauche ich dazu nicht zu sagen – alles andere hieße Eulen nach Athen tragen.
Aber zurück zum Speisen. Natürlich musste immer alles aufgegessen werden, schon allein damit über Griechenland die Sonne scheint. Wenn vier Köpfe am Tisch förmlich den Teller fast mitessen, warum sollte Klein-Anastasia dann etwas darauf liegen lassen? Nö, aufessen war angesagt! Und das fiel mir nicht schwer, denn es schmeckte einfach himmlisch.
Unumstrittene Herrscherin über die Tiegel, Töpfe und Teller war natürlich meine Mutter, die uns mit Rezepten verwöhnte, die ihr in langer Familientradition übermittelt und streng geheim gehalten wurden. Na gut, das Letzte stimmt nicht so ganz, aber Sie merken schon, kulinarische Künste wurden sehr ernst genommen.
Zu den absoluten Lieblingsgerichten meiner Mutter gehören Dolmades2, aber auch Stifado und Avgolemono sind sehr lecker. Stifado ist ein Eintopf mit Fleisch, Avgolemono eine herzhafte Hühnersuppe. Da ich mich zurzeit vegan ernähre, stehen diese beiden Gerichte nicht mehr auf meinem Speiseplan, aber ich kann mich noch sehr gut an diese Köstlichkeiten erinnern und sie jedem empfehlen, der kein Gelübde zur fleischlosen Ernährung abgelegt hat.
Zwar gibt es in Griechenland auch Fast Food, aber dieser Markt wird tatsächlich von einheimischen Ketten dominiert, viele McDonald’s-Filialen mussten nach ihrer Eröffnung bald wieder schließen. Und das hat ausnahmsweise mal nichts mit irgendwelchen Wirtschaftskrisen zu tun, sondern damit, dass Griechen gern auf ihre Geschmacksknospen hören und außerdem Gerichte wie Gyros, Souflaki oder Pita haben, die, wie man auch hierzulande weiß, durchaus fastfoodkompatibel sind.
Die griechische Küche ist so etwas wie die Urmutter aller europäischen Küchen. Einige Speisen werden schon seit über viertausend Jahren auf die annähernd selbe Art und Weise gekocht. Gerichte wie die Linsensuppe, Fasolada oder der Wein Retsina können bis auf das Altertum zurückgeführt werden. Das Gewürz Thymian wird schon in der Odyssee von Homer erwähnt. Sogar auch das erste Kochbuch der Menschheit wurde von einem Griechen verfasst. Falls es jemanden interessiert, der Herr hörte auf den Namen Archestratos.
Wie alle mediterranen Küchen baut die griechische Küche auf die kulinarische Dreifaltigkeit Weizen, Oliven und Wein, aber darüber hinaus gibt es natürlich noch jede Menge andere Zutaten. In der zerklüfteten Bergwelt Griechenlands gibt es verhältnismäßig wenig Raum für Weiden, die groß genug für Rinderherden sind, weshalb die Speisekarte in Fleischfragen von Ziegen und Schafen dominiert wird. Fische, Muscheln, Krabben, Calamari und so weiter gehören bei einer Seefahrernation selbstverständlich von Anfang an dazu.
Feta, für viele das griechische Molkereiprodukt schlechthin, wurde zu byzantinischen Zeiten erfunden. Damals kamen auch noch Kaviar und Gewürze wie Muskatnuss und Basilikum hinzu. Später dann grüne Bohnen, Okra und grüner Pfeffer. Bestimmte Gewürze – so zum Beispiel Oregano, Knoblauch, Minze, Dill oder Lorbeer – werden bei uns mehr und öfter verwendet als anderswo im Mittelmeerraum. Die griechische Küche gilt nicht als besonders raffiniert, aber das war mir von Anfang an egal. Mir war nur eines wichtig: Es schmeckt.
Schon zu recht früher Zeit spielten bei den griechischen Kochkünsten medizinische Überlegungen eine Rolle. So beeinflusste der Arzt Galen aus Pergamon mit seiner Vier-Elemente-Theorie im 3. Jahrhundert schon diverse Rezepturen. Er vertrat die Auffassung, dass die Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde in unterschiedlichen Zusammensetzungen die Grundbausteine der Welt bilden, in der wir leben. Wir werden dem Namen Galen später noch einmal begegnen, wenn ich ein bisschen tiefer in die Ernährungsfragen eingestiegen bin, zum jetzigen Zeitpunkt reicht es zu wissen, dass ich damals von diesem Herrn noch keine Silbe gehört hatte, und selbst wenn – er hätte mich bestimmt nicht weiter interessiert.
Da die griechische Küche – außer ihren Nachtischen – fast zuckerfrei ist, ist sie natürlich auch sehr gesund. Und sie hat mich in vielen Punkten vorteilhaft geprägt. Kaum ein griechisches Gericht kommt ohne Olivenöl aus; auch ich koche jeden Tag damit. Genauso verdanke ich meine Aufgeschlossenheit gegenüber Gemüse dem griechischen Speiseplan. Ich hatte als Kind keine Brokkoli-Allergie und auch keine Einwände gegen irgendein anderes Gemüse. Ja, zeitweise sah ich mich selbst als eine Gemüsesorte. In meinen Träumen war ich eine Paprika, knallrot leuchtend und lebendig. Obst mochte ich sowieso, für Erdbeeren und Wassermelone ließ ich alles stehen und liegen.
Neben Merkmalen, die alle griechischen Gerichte teilen, gibt es natürlich noch jede Menge regionaler Unterschiede.
Meine Familie kommt aus dem Umland von Thessaloniki. Das ist eine Hafenstadt im Nordosten Griechenlands, nicht weit entfernt von der Gegend, in der Alexander der Große geboren wurde. Manche sagen, dass die Stadt sogar nach einer Halbschwester von Alexander benannt wurde. Außerdem wurde Kemal Atatürk, der Gründer der modernen Türkei, hier geboren, aber das nur nebenbei.
Thessaloniki ist die Hauptstadt von Mazedonien, manche der Leute, die dort wohnen, sagen auch, dass Thessaloniki so etwas wie die heimliche und wahre Hauptstadt Griechenlands ist, aber da halte ich mich raus.
Thessaloniki ist sehr alt. Die Stadt wird schon in der Bibel erwähnt, weil der Apostel Paulus zwei Briefe an die dortige Gemeinde geschrieben hat. Und wenn man etwas Nettes über die Post sagen will, dann kann man behaupten, dass sie seit den biblischen Zeiten nicht sehr viel langsamer geworden ist.
In der für Thessaloniki typischen Küche gibt es neben türkischen auch französische Einflüsse, außerdem legt man...