Das folgende Kapitel beschäftigt sich zunächst mit der Definition des Innovationsbegriffs. Anschließend wird die Wichtigkeit von Innovationen für den Ernährungssektor aufgezeigt. Im zweiten Teil des Kapitels erfolgt eine generelle Darstellung von Einflussfaktoren auf den Erfolg von Innovationen. Die erarbeiteten Ergebnisse bilden die Grundlage der anschließenden Analyse des Functional-Food-Sektors.
In der wissenschaftlichen Forschung sowie in der Unternehmenspraxis ist der Innovationsbegriff uneinheitlich belegt. Ob ein Produkt eine Innovation darstellt, lässt sich nicht objektiv bestimmen. Hausschildt[42] z. B. nähert sich der Definition anhand von vier Dimensionen an:
Inhaltliche Dimension: Was ist neu?
Subjektive Dimension: Neu für wen?
Prozessuale Dimension: Wo beginnt, wo endet die Neuerung?
Normative Dimension: Ist neu gleich erfolgreich?
Grundsätzlich können Innovationen jedoch als Produkte, Dienstleistungen oder Ideen bezeichnet werden, die als neu wahrgenommen werden.[43] Dabei basiert die Wahrnehmung des Innovationsgrades auf der subjektiven Einschätzung darüber, ob ein merklicher Unterschied zum vorangegangenen Zustand vorliegt.
Es gibt verschiedene Arten von Innovationen, die in folgender Abbildung übersichtlich dargestellt werden:
Abbildung 4: Systematik der Innovationsarten
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Maier, F. (1995: 31)
Auf der ersten Ebene wird zwischen dem Innovationsobjekt und der Neuartigkeit der Innovation unterschieden. Bezogen auf das Innovationsobjekt kann eine Innovation technischer oder sozialer Natur sein. Sozialinnovationen sind Verbesserungen im Humanbereich. Technische Innovationen können sich auf den Prozess oder das Produkt beziehen. Unter der Prozessinnovation versteht man eine Neuerung, die in einer Verbesserung von Produktions-verfahren besteht. Diese Verbesserung wird durch neues technologisches Know-how für existierende Produkte herbeigeführt. Produktinnovationen sind dagegen neue oder in vergleichbarer Weise auf dem Markt schon vorhandene Erzeugnisse,[44] die entscheidende Merkmalsveränderungen aufweisen. Wird eine Innovation gemäß ihrem Neuheitsgrad eingeteilt, entstehen drei Unterkategorien. Bei der Basisinnovation handelt es sich um revolutionierende Neuheiten, die einen technologischen Durchbruch markieren. Verbesserungsinnovationen können als Optimierung einer bereits existieren-den Innovation gesehen werden (weiterentwickelte Basisinnovationen). Letztlich beinhaltet die Routineinnovation einfache Veränderungen am Produkt.
Da es sich bei funktionellen Lebensmitteln um Produktinnovationen handelt, wird dieser Begriff im Folgenden genauer definiert.
Bei Produktinnovationen ist eine Produktdifferenzierung oder Produkt-diversifikation denkbar. Die Differenzierung kann in Hinblick auf eigene Produkte (Verpackung, Preise) oder auf Konkurrenzprodukte (Image, Preise) ausgerichtet sein. Die Diversifikation bedeutet die Betätigung neuer Märkte mit neuen Produkten, um das Wachstum des Unternehmens meist längerfristig zu sichern. Da folglich die Veränderung des Produkts an unterschiedlichen Parametern ausgerichtet wird, entstehen zwangsläufig verschiedene Unter-kategorien für den Begriff Produktinnovation. Weiterhin hängt die Definition von der Begriffsbestimmung der „Neuartigkeit“ des Produkts ab. Somit unterteilt Weis[45] die Produktinnovation in folgende vier Kategorien:
1. „Echte Innovation“: völlig neues Produkt;
2. „Betriebsneuheit“: schon vorhandenes Produkt, aber vom Unternehmen erstmals angeboten;
3. „Quasi-neues-Produkt“: Modifikation bisheriger Produkte;
4. „Me-too-Produkt“: Nachahmung eines Originals.
Abbildung 5: Produktinnovationen
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Weis, H. C. (1999: 184)
Bei einer genaueren Betrachtung der verschiedenen Kategorien der Produkt-innovation und bei der Bestimmung des Neuheitsgrades wird behauptet, dass funktionelle Lebensmittel das Ergebnis von Verbesserungsinnovationen und „Quasi-neue-Produkte“ sind. Die Begründung dafür ergibt sich aus der Tatsache, dass es sich bei Functional Food um die Entwicklung schon auf dem Markt vorhandener Produkte handelt. Die neue Kombination resultiert aus der Anreicherung „herkömmlicher“ Lebensmittel mit „neuen“ Wirkstoffen. Der den Produkten dadurch verliehene Zusatznutzen gilt dabei als entscheidende Merkmalsveränderung.
Wandelnde Kundenbedürfnisse, die Entwicklung von Technologien und die sich verschärfende Wettbewerbssituation auf den Märkten haben die Entwicklung von Innovationen unabdingbar gemacht. Sie stellen den Wachstumsmotor der Unternehmung dar, da sie mit Produktverbesserungen und Differenzierungsmöglichkeiten einhergehen.[46] Umfragen ergeben, dass Unternehmen wachsen, wenn sie innovativ sind. Eine 2004 im ostdeutschen Raum durchgeführte Befragung belegt, dass 64% der Unternehmen, die neue Produkte auf den Markt brachten, ihren Umsatz zwischen 2002-2004 steigern konnten.[47] Der ifo-Innovationstest für die gesamte Bundesrepublik Deutschland hat 2003 auch gezeigt, dass die stark wachsenden Märkte sich deshalb weiter entwickeln, weil die Unternehmen in diesen Märkten in größerem Umfang neue Produkte einführen.[48] Sie sind wichtig, um Erfolgspotenziale aufzubauen. Demnach gehört die Entwicklung und Vermarktung von neuen Produkten zu den wichtigsten unternehmerischen Tätigkeiten.
Die Ernährungsindustrie verzeichnete für das Jahr 2007 eine positive Entwicklung. Trotz schwieriger Wettbewerbssituation in Deutschland haben die Unternehmen den Gesamtumsatz laut Schätzungen der Bundesvereinigung der deutschen Ernährungsindustrie auf 147,4 Mrd. Euro steigern können.[49] Somit gehört dieser Wirtschaftszweig zu einem der fünf wichtigsten des Landes. Anhand der Umsatzentwicklung der letzten Jahre in der Ernährungs-branche kann jedoch festgestellt werden, dass diese mit Wachstumsraten von 1,8-2,3% (in den Jahren 1998-2004) eher als stabil zu bezeichnen ist (Abb. 6).
Abbildung 6: Umsatzentwicklung in der Ernährungsindustrie
Quelle: Food Trends (2005: 4)
Die Stagnation ist die Folge verschiedener Ursachen. Eine davon ist die demografische Entwicklung und die daraus resultierenden veränderten Konsumgewohnheiten. Das geringe Bevölkerungswachstum führt dazu, dass der Konsum langfristig nicht mehr steigen wird.[50] Die Veränderung der Lebens- und Arbeitsgewohnheiten sowie der Bevölkerungs- und Haushalts-strukturen haben in den letzten 20 Jahren die Verringerung der Konsum-ausgaben für Lebensmittel von 26,4% auf etwa 15% reduziert und den zunehmenden Verzehr von Lebensmitteln außer Haus bewirkt.[51]
Eine weitere Ursache der Stagnation ist in der voranschreitenden Globalisierung zu sehen. Die Zahl der miteinander konkurrierenden Unternehmen auf dem Weltmarkt steigt kontinuierlich an. Es erweist sich als immer schwieriger Marktanteile auszubauen und die eigene Position zu verteidigen. Um Kunden gewinnen und halten zu können, müssen eindeutige Präferenzen entwickelt werden.
Das geringe Wachstum in der Lebensmittelindustrie führt zu einer schnellen Sättigung des Marktes. Diese Tatsache ist auch an der seit Jahren zu beobachteten Verkürzung der Lebenszyklen bei Produktneuheiten zu beobachten.[52] Hersteller in der Lebensmittelbranche müssen aus diesen Gründen dem Handel in immer kürzeren Zeitabständen neue und möglichst innovative Produkte anbieten. Vor dem Hintergrund der schwierigen Situation auf dem Lebensmittelmarkt erhalten Produktinnovationen einen besonders wichtigen Stellenwert. Sie geben den Märkten neue Impulse und eröffnen neue Wachstumschancen, sind jedoch nicht grundsätzlich ein Erfolgsgarant, was an den außerordentlich hohen Flopquoten zu betrachten ist (Abb. 7).
Jedes Jahr werden etwa 25.000-30.000 neue Artikel in der Lebensmittel-branche eingeführt, jedoch scheitert fast jedes Produkt.[53] Wie das folgende Schaubild zeigt, liegt die Flopquote mit 60-75% erschreckend hoch. Nur 25% der Neueinführungen können sich letztlich am Markt durchsetzen. Das pharmazeutische Unternehmen Novartis beispielsweise führte im Jahr 1999 eine Reihe von Functional-Food-Produkten unter der Dachmarke „AVIVA“ ein, musste diese jedoch schon nach einem Jahr aufgrund geringer Umsätze wieder zurücknehmen.[54]
Abbildung 7: Flopquoten von Innovationen
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