KAPITEL 1
Definition von funktionellem
Training
Vor 20 Jahren wurde funktionelles Training schlagartig zu einem Begriff in der Sportszene, obwohl der Terminus letztendlich nur all das beschreibt, was kein Bodybuilding ist. Das erste Kapitel erläutert die Grundlagen dieser Trainingsmethode und liefert Definitionen und Anwendungskonzepte. Sie erfahren, was funktionelles Training ist und wie es zur Leistungsverbesserung genutzt wird.
Was ist funktionelle Kraft?
Krafttraining wird, wie auch jedes andere Thema aus dem Bereich Kraft und Kondition, immer wieder kontrovers diskutiert. Grund dafür ist, dass es mehrere Arten von Kraft und demzufolge auch verschiedene Möglichkeiten zu ihrer Beurteilung gibt. Dazu hier ein paar Details.
Wenn über Kraft gesprochen wird, ist meist absolute Kraft gemeint. Als absolute Kraft wird die größtmögliche Gewichtsmenge definiert, die ein Athlet heben kann. Mitunter ist absolute Kraft gewünscht. Teilnehmer an Wettbewerben im Gewichtheben benötigen bei all ihren Hebeübungen maximale absolute Kraft, um Erfolg zu haben.
Relative Kraft ist die absolute Kraft eines Athleten im Verhältnis zu seinem Körpergewicht, ebenfalls eine populäre Kraftform bei Wettkämpfen. Der Begriff Pound for pound leitet sich von relativer Kraft ab. Für Sportler in Sportarten mit Gewichtsklassen ist dieser Terminus äußerst wettkampfrelevant. Der stärkste Athlet einer Gewichtsklasse hat entscheidende Kraftvorteile.
Funktionelle Kraft ist ausschlaggebend für Sportarten, die nichts mit Gewichtheben zu tun haben. Dennoch kann es eine große Herausforderung sein, funktionelle Kraft zu trainieren, zu kontrollieren und zu übertragen. Funktionelles Training ist in der Welt des Sports sehr beliebt und zielt darauf ab, funktionelle Kraft zu entwickeln. Allerdings wird es häufig mit sportspezifischem Training verwechselt.
Sportartspezifisches Training beinhaltet eine Menge Übungen, die erst in einer fortgeschrittenen Phase einer Sportart zum Tragen kommen: nämlich dann, wenn spezifische Kraft entwickelt werden soll. Es zielt darauf ab, sportspezifische Fähigkeiten durch leichtes Widerstandstraining zu fördern. Beispiele hierfür sind Widerstandslaufen am Band, Schlittendrücken und Schwungtraining mit Schläger. Dagegen ist funktionelles Training darauf ausgerichtet, eine bestimmte sportliche Fähigkeit durch funktionelle Kraft zu unterstützen (z. B. durch Koordination verschiedener Muskelsysteme), wobei nicht unbedingt die Fähigkeit selbst trainiert wird. Eine einbeinige Brücke mit Gymnastikball (GB) verbessert die Laufkompetenz durch Stärkung der Hüftextension, dabei ist aber keinerlei »Laufen« im Spiel. Ebenso entwickelt Drücken mit Widerstandsband oder -kabel Kräfte, die fürs Prowler-Schieben benötigt werden, ohne konkret mit dem Prowler zu arbeiten, und letztendlich entwickeln auch Rotationsübungen mit Band oder Kabel Stabilität im Core-Bereich zur Steigerung der Schlagkraft, ohne die Schlagkraft speziell zu trainieren. Allgemein lässt sich sagen, dass funktionelles Training dem Athleten ermöglicht, Kraft für eine bestimmte sportliche Aktivität aufzubringen. Es ist der beste und fortschrittlichste Weg, sportspezifische Kompetenzen ohne sportspezifische Übungen zu erlangen.
Nahezu alle Kraft- und Konditionstrainer sprechen sich für funktionelles Training aus, aber es gibt letztendlich kaum Berufstrainer, die diese Trainingsmethode beherrschen.
Der einzige Nachteil der funktionellen Kraft ist wohl die Subjektivität, die mit dem Training und der Beurteilung verbunden ist, weil weder Gewichte noch Wiederholungszahlen als Maßstab eingesetzt werden. Bei Hebeübungen jeder Art sind diese beiden Faktoren ausschlaggebendes Kriterium zur Kraftmessung, während eine Übung wie das einbeinige kontralaterale Vorbeugen auf Bewegungsqualität mit geringer Belastung ausgerichtet ist, um einbeinige Standstabilität zu optimieren. Diese subjektive Natur funktionellen Trainings stellt eine große Herausforderung bei der Entwicklung entsprechender Trainingsprogramme dar.
Warum funktionelles Training?
Funktionelles Training ist hochaktuell und mittlerweile ein weitverbreiteter Trainingsansatz. Obwohl es keine wissenschaftlichen Erkenntnisse, keine klare Definition und starke Kontroversen bezüglich der Vorgehensweise gibt, ist funktionelles Training doch überall präsent. Dutzende von Büchern wurden geschrieben, keine Fitnesskonferenz kommt um das Thema herum, kein Trainingslager ohne entsprechende Übungen. Was also ist es, das diese Methode so effektiv und beliebt macht? In diesem Abschnitt gibt es einfache Antworten dazu.
Wenig Platz, wenig Ausrüstung, wenig Zeit
Fast alle traditionellen Fitnessstudios sind vollgestopft mit unzähligen Ausrüstungsgegenständen, die Unsummen an Geld kosten. Im Gegensatz dazu verfügen Studios für funktionelles Training über viel Platz und wenig Equipment. Bei funktionellem Training geht es um Bewegung, nicht um Geräte. Ein Satz Kurzhanteln, einige Medizinbälle, ein paar Hürden, Bänder und Gymnastikbälle in verschiedenen Größen und Stärken, und schon lässt sich jeder Raum, ein Park- oder ein Sportplatz in einen Arbeitsbereich für funktionelles Training umgestalten. Auch die geringen Kosten für die Ausrüstung sind ein großes Plus. Eine preisgünstige Grundausstattung, eine Sporttasche – und schon kann ein Coach einen Athleten oder auch ein ganzes Team zu jeder Zeit und an jedem Ort trainieren.
Zeit ist heutzutage bares Geld. Jeder hat einen vollen Terminkalender und unzählige Verpflichtungen. Daher ist die Möglichkeit, überall und zu jeder Zeit zu trainieren, äußerst effizient. Während der Saison, auf Reisen, im Urlaub – funktionelles Zirkeltraining hält Athleten in Form und spart Zeit und Geld. So kann man sich z. B. die Fahrzeit zum Fitnessstudio sparen und diese Zeit lieber zu Hause oder wo auch immer zum Training nutzen. Ebenso wenig ist man an Öffnungszeiten gebunden. (Siehe die Programme in den Kapiteln 7, 8 und 9.)
Kraft statt Dimension
Ein großer Vorteil neuromuskulärer Adaptation ist, dass man stärker wird, ohne Körpermaße oder Gewicht zu verändern. Für Athleten, die Sport nach Gewichtsklassen betreiben, kann das ein entscheidender Vorteil sein. Gewichtsveränderungen sind dabei häufig ungünstig. Die Koordination von Muskeln und Muskelsystemen ermöglicht es dem Körper, Belastungen auf mehrere Muskelsysteme zu verteilen. Diese Arbeitsverteilung reduziert den Stress für einzelne Muskeln, weshalb Muskeladaptation und -wachstum unnötig sind. Mit funktionellem Training schreit kein einziger Muskel, aber der ganze Körper singt. Das ist der Grundgedanke der Athletik.
Verbesserung der Ausführung
Berücksichtigt man sowohl die Vorteile von funktionellem Training als auch die dahinterstehende Philosophie der Präzision, braucht es nicht viel Fantasie, um sich die Vorteile hinsichtlich der Leistung auszumalen. Funktionelles Training ist zur Unterstützung und Verbesserung jeder Sportart einsetzbar. Die einbeinigen Übungen konzentrieren sich auf die Fortbewegungskompetenzen der hinteren Oberschenkel- und der Gesäßmuskulatur zur Streckung der Hüften und Stabilisierung des Körpers, wodurch sowohl die Laufgeschwindigkeit verbessert wird wie auch die Wendigkeit bei Rasensportarten und schnelle Seitenwechsel bei Rückschlagsportarten. Die Übungen, bei denen es um Niveauänderungen geht, also Springen und Heben, verbessern sowohl das beidbeinige Springen als auch die Körperkompetenz für Gewichtheben. Zug- und Druckübungen verbessern die Leistung hinsichtlich Stoßen, Schlagen, Drücken, Schwimmen und Werfen. Die Rotationsübungen fördern die Schwungkraft, schnelle Richtungswechsel sowie die Rotationsfähigkeit.
Mythen über funktionelles Training
Verantwortlich für die Kontroversen und Verwirrungen um funktionelles Training sind wohl Fehldarstellungen bei der Definition. Es besteht ein kleiner, aber doch feiner Unterschied zwischen einer effektiven und einer optimalen Übung. Hier ist eine einheitliche Terminologie erforderlich. Das Prinzip der Detailgenauigkeit definiert sehr konkret, was funktionelles Training ist und was nicht. Wir zeigen hier zunächst einige Konzepte auf, die während der Anfangszeiten des funktionellen Trainings fehlinterpretiert wurden.
Effektivität versus Optimum
Um das Konzept von funktionellem Training zu erklären, müssen wir zunächst den Unterschied zwischen effektivem und optimalem (funktionellem) Training deutlich machen. Training kann effektiv sein, ohne optimale Umsetzung (also ohne funktionell zu sein). So kann z. B. ein Anfänger im Basketball Knieextensionsübungen und Bein-Curls einsetzen, um seine Fähigkeiten im Laufen und Springen zu trainieren. Diese beiden traditionellen Übungen mögen effektiv sein...