PROGRAMMDESIGN
DURCH DIE ERFAHRUNGEN MIT CROSSFIT, DIE ICH IN LETZTER ZEIT
GESAMMELT HABE, SEHE ICH MICH DAZU VERANLASST, EINIGE
IDEEN ZU PAPIER ZU BRINGEN. ICH FINDE, ES IST WICHTIG, HIN
UND WIEDER SEINE ÜBERLEGUNGEN SCHRIFTLICH FESTZUHALTEN,
WEIL MAN SO GEZWUNGEN IST, SICH GEDANKEN ÜBER SEINE
(TRAININGS-)PHILOSOPHIE ZU MACHEN.
Von Michael Boyle
In meinem DVD-Set Advanced Program Design gehe ich im Detail auf diese Konzepte ein. Ich denke, der Schlüssel zu einem gelungenen Programmdesign ist es, seine eigene Philosophie zu entwickeln und die Gedanken einer anderen Person nicht unhinterfragt zu übernehmen. Aber was heißt das genau? Das heißt, dass ein Trainer das tun muss, was am besten ist – nicht das, was gerade als modern gilt. Man sollte also nicht einfach einen fremden Ansatz kopieren. Doch um sein eigenes System zu entwickeln, muss man drei überaus wichtige Dinge tun..
DENKEN: Was funktioniert für meine Athleten am besten?
HINTERFRAGEN: Kopieren Sie niemanden. Fragen Sie sich: „Warum habe ich diese Übung in mein Programm aufgenommen?“
ANALYSIEREN: Finden Sie heraus, mit welchen Programmen Sie die Ergebnisse erzielen, die Sie anstreben.
WIE MAN EIN HERVORRAGENDES PROGRAMM ENTWIRFT
Ein hervorragendes Programm beruht auf einigen grundlegenden Zielen. Diese sollten einfach sein und Ihre tiefsten Überzeugungen widerspiegeln.
ZIEL 1. VERLETZUNGEN IM EIGENTLICHEN TRAININGSPROZESS VORBEUGEN
Ich dachte früher, dass diese Prämisse so offensichtlich und logisch ist, dass man sie gar nicht extra erwähnen muss. Doch die zunehmende Verbreitung von Programmen, die sehr leichtfertig mit der Gesundheit der Athleten umgehen, führt mir vor Augen, dass Ziel 1 ausdrücklich formuliert werden muss. Man muss als Trainer das Verletzungsrisiko möglichst minimieren und dafür sorgen, dass der Trainingsprozess sicher ist. Das heißt natürlich nicht, dass man jede Gefahr komplett ausschließen kann. Aber alle Übungen, die man in sein Programm einbeziehen will, müssen einer Risiko-Nutzen-Analyse standhalten. Oder anders ausgedrückt: Wiegt der Vorteil der Übung das Risiko auf, das ihr inhärent ist? Diese Risiko-Nutzen-Analyse hängt vom Alter und der Trainingserfahrung des Athleten ab. Squats, Deadlifts und olympisches Gewichtheben sind zwar hervorragende Übungen, eignen sich aber nicht für jedermann.
Es gibt zwei Grundprinzipien, die wir akzeptieren müssen, um bessere Trainer zu werden:
Wir sind verantwortlich für alle Verletzungen, die sich in unserem Training zutragen.
Niemand sollte sich während unseres Trainings verletzen.
Vern Gambetta sagte vor knapp fünfzehn Jahren in einem Seminar, dass man als Trainer die Verantwortung für Verletzungen übernehmen muss, wenn sie in einem Programm stattfinden, das man selbst entworfen hat. Diese Äußerung war für mich als Trainer damals ein echter Wendepunkt. Bis zu jenem Tag war ich nur einer von vielen schablonenhaft denkenden Krafttrainern. Ich dachte, dass es für einen „echten“ Kraftsportler unvermeidlich war, an Schulter- und Rückenschmerzen zu leiden. Ich vertrat die Auffassung, dass das zu einem harten Trainingsalltag nun einmal dazugehört. Nach dem Seminar begann ich allmählich, ein echter Coach zu werden. Ich traf die bewusste Entscheidung, die sportliche Leistung meiner Athleten zu verbessern und im Training gezielt auf ihre Gesundheit zu achten. Ich schäme mich heute, dass das seinerzeit eine solche Offenbarung für mich war.
DAS FAZIT IST:
Niemand sollte sich im Training je verletzen. Heißt das, dass wir ab sofort nur noch an Kraftstationen trainieren und keine Risiken mehr eingehen sollten? Nein, es heißt nur, dass es wichtig ist, Risiko und Nutzen abzuwägen. Mein Workout für einen gesunden 20-jährigen Athleten unterscheidet sich völlig von dem Training, das ich meinen 35-jährigen NHL-Spielern verordne. Und was ich mit meinen 35-jährigen NHL-Spielern mache, weicht deutlich von dem ab, was ich meinen 55-jährigen Klienten zumute, die ich als Personal Trainer betreue. Es gibt kein Patentrezept und nicht die eine Übung, die sich für jeden eignet. Das ist der Grund, weshalb wir Front Squats statt Back Squats ausführen und vollständig auf Box Squats verzichten. Aus demselben Grund beginnen wir stets in der Hang-Position – also oberhalb der Knie – und nicht am Boden, wenn wir Langhantelübungen aus dem olympischen Gewichtheben absolvieren. Als Trainer müssen wir ständig Risiko und Nutzen abwägen, um die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Der Schlüssel zu einem gelungenen Programmdesign ist es, seine eigene Philosophie zu entwickeln und nicht die Gedanken einer anderen Person unhinterfragt zu übernehmen.
ZIEL 2. DAS AUFTRETEN LEISTUNGSBEZOGENER VERLETZUNGEN VERRINGERN
Das zweite Ziel eines soliden Kraftprogramms besteht darin, das Auftreten von Verletzungen zu verringern, die bei der Ausübung der Aktivität vorkommen. Ich betrachtete diesen Punkt früher als Ziel 1, aber aktuelle Entwicklungen in diesem Bereich haben mich zum Umdenken veranlasst. Ich sage verringern, nicht verhindern. Kein Trainer kann eine Verletzung verhindern. Sie können nun einmal passieren. Wir sollten uns jedoch vor Augen führen, dass unser Hauptziel die Vorbeugung von Verletzungen und nicht die Verbesserung der sportlichen Leistung ist. Sowohl in der NFL als auch in der NHL wird der Erfolg eines Kraft- und Konditionsprogramms daran gemessen, ob man es als Trainer schafft, die besten Spieler während der Saison dauerhaft spielfähig zu halten. In der NHL gibt es die Statistik „Man Games Lost“, in der NFL die „Starters Games Missed“. In beiden Ligen gilt jedoch: In den besten Teams sind die besten Spieler stets einsatzbereit.
ZIEL 3. DIE LEISTUNG VERBESSERN
Die wichtigste Aussage dieses Artikels ist, dass Ziel 3 nicht Ziel 1 ist. Wir müssen zunächst dafür sorgen, dass unser Training so sicher wie möglich ist. Dann müssen wir darauf hinarbeiten, das Verletzungspotenzial auf ein Minimum zu reduzieren. Schließlich erhalten wir eine verbesserte Leistung – gewissermaßen als logische Konsequenz aus den ersten beiden Schritten. Ich weiß, dass mir viele widersprechen werden. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie oft ich schon gehört habe, dass Trainer eben „Risiken eingehen“, „etwas wagen“ müssen und so weiter.
Ich kann Ihnen nur sagen, dass Risiko-Befürworter normalerweise in einem Bereich der Fitnessbranche tätig sind, in dem sie ihre Klienten einer Gehirnwäsche unterziehen und die Verletzten leicht unter den Teppich kehren können. Im Leistungssport nehmen Trainer Verletzungen sehr ernst, und Kraft- und Konditionstrainer, die ihre Athleten dazu antreiben, „etwas zu wagen“, können früher oder später ihre Koffer packen. Es muss natürlich ein Gleichgewicht herrschen. Ein Programm, das die Athleten in Watte packt, wird das Auftreten von leistungsbedingten Verletzungen nicht verringern. Man muss daher die Fähigkeit entwickeln, realistische Risiko-Nutzen-Analysen vorzunehmen.
Das ideale Programm hat also drei Hauptziele. Es nimmt Risiken in Kauf, analysiert aber das Verhältnis von Risiko und Nutzen. Es versucht, alle Aspekte des Trainings zu berücksichtigen – aber auf progressive Weise, damit de Athlet nicht unnötig belastet wird. Von zentraler Bedeutung ist, dass das Programm zwar die Leistung verbessert, aber nie auf Kosten der Gesundheit.
DER SCHLÜSSEL FÜR PROGRAMMDESIGN
KONSISTENZ: Ein schlechtes Workout ist immer noch besser als ein verpasstes Workout. Lieber spult man sein Training herunter, als es an einem Tag vollständig ausfallen zu lassen.
STRUKTUR: Als Trainer muss man einen Weg finden, die Zeit aufzuteilen, die man für das Training seiner Athleten hat. Ich weiß schon gar nicht mehr, wie oft sich Kraft- und Konditionstrainer bei mir über chronischen Zeitmangel beschwert haben. Finden Sie heraus, wie viel Zeit Sie haben, und nutzen Sie diese optimal.
DICHTE: Die Dichte ist ein gutes Maß für Arbeit pro Zeiteinheit. Wie viel Arbeit kann ich in einem bestimmten Zeitfenster erledigen? Eine gute Programmstruktur führt zu einer hohen Trainingsdichte. Diese erzielt man am besten, indem man Übungen paarweise anordnet – dieses Konzept sollte jeder anwenden. Multiple Sätze einer Übung mit 2 bis 5 Minuten Pause dazwischen sollten nur von Kraftsportlern mit entsprechenden Wettkampfambitionen ausgeführt werden. Wer Athleten oder Klienten betreut, sollte auf Übungspaare zurückgreifen. Die Dichte erhöht man am besten, indem man die Pause zwischen den Sätzen für andere Aktivitäten nutzt. Unsere gesamte Core-Arbeit und die Hälfte unseres Stretchings findet zwischen den Sätzen statt, d. h., wenn wir „Pause machen“. Ich halte nichts davon, Zeit zu verschwenden und untätig zu warten, bis der nächste Satz endlich losgehen kann.
PROGRAMMSTRUKTUR
Wie ich schon weiter oben erwähnt habe, ist eine solide Struktur das A und O. Die Gestaltung eines gelungenen Trainings ist vergleichbar mit dem Backen eines Kuchens. Man kann nicht irgendwelche Zutaten auswählen und sie beliebig zusammenrühren. Man muss schon die richtigen Zutaten in der richtigen Menge verwenden. Das „Prä-Workout“ widmet sich den folgenden Aspekten:
Gewebelänge (Foam Rolling)
Gewebedichte (Stretching)
Gewebebereitschaft (Aktivierung)
Überlegen Sie einmal: Wie viele Minuten stehen Ihnen für diese einzelnen Komponenten zur Verfügung? Ich vertrete die Auffassung, dass junge, gesunde Athleten 10 bis 20 Prozent ihrer...