Wissensmanagement läßt sich in seiner Komplexität, seinen Möglichkeiten und Grenzen nur dann gewinnbringend im Rahmen der Zielsetzung dieser Arbeit analysieren, wenn die verwendeten Schlüsselbegriffe möglichst präzise definiert sind. Wer „Wissen“ managen will, so die Ausgangsthese dieses Kapitels, muss zuerst ein Grundverständnis bzgl. der verwendeten Begriffe „Wissen“, „Management“ und „Wissensmanagement“ herausarbeiten, bevor auf spezifische Ansätze zum Management von Wissen eingegangen werden kann. Die Klärung der verwendeten Begriffe erweist sich insofern als notwendig, um die Aussagen und Überlegungen, die im weiteren Verlauf der Arbeit getroffen werden, auf einem gemeinsamen Begriffsverständnis aufbauen zu können.
Da Wissen für jede Person und jede Organisation sowie im Rahmen verschiedener Managementkonzepte eine unterschiedliche Bedeutung tragen kann, wird im Folgenden ein eindeutiges Verständnis von Wissen als Ressource und Medium zur Steuerung sozialer Systeme herausgestellt. Hierbei soll weder der Versuch unternommen werden, einen Überblick über die unzähligen verschiedenen Definitionsansätze zum Begriff Wissen zu geben noch unterschiedliche, hieraus abgeleitete, Theorie- und Konzeptansätze aufzuführen. Es geht vielmehr darum, auf Basis einer vorangegangenen Analyse und Selektion, deren Darstellung weder als notwendig noch als sinnvoll angesehen wird, ein für diese Arbeit relevantes arbeitssoziologisches Verständnis von Wissen zusammenzufassen.
Bei der Erarbeitung eines solchen Verständnisses von Wissen, wird der Argumentation von Orlikowski (2002, S. 250 zitiert nach Zimmer 2003) gefolgt, der kritisiert, dass ein Großteil der Literatur zum Wissensmanagement von einem statischen Wissensbegriff ausgeht: Wissen ist ein Gut, dass erzeugt, codifiziert, gespeichert und übertragen werden kann.
Orlikowski (2002, S. 250 f. zitiert nach Zimmer 2003) argumentiert nun, dass Wissen sinnvoller Weise weniger als Gut (knowledge), sondern besser als Prozess (knowing) betrachtet werden sollte: Wissen zeigt sich nicht nur in Handlungen – wobei der Begriff der Handlung sich hier nicht nur auf das manuelle Tun, sondern auf jede Art von Handlung bezieht – , es existiert auch nur in diesen Handlungen. Eine Ausnahme sind die Erinnerungen von personalen Akteuren. Diese Erinnerungen können jedoch täuschen bzw. müssen nicht dazu führen, dass Wissen als Handlung genutzt werden kann, wie beispielsweise Fehler bei der Verrichtung eigentlich bekannter und beherrschter Tätigkeiten zeigen. Dabei fallen Wissen und Handlung nicht zusammen, sondern konstituieren sich wechselseitig, wobei Wissen als Struktur betrachtet wird (Orlikowski 2002, 251 zitiert nach Zimmer 2003). Diese Vorstellung einer wechselseitigen Konstitution von Struktur und Handlung baut auf den Kerngedanken der Strukturationstheorie von Anthony Giddens auf, die in Kapitel vier ausführlich diskutiert wird. An dieser Stelle wird jedoch bereits deutlich, dass es mit Hilfe der Strukturationstheorie möglich wird, Wissen nicht mehr statisch, sondern als dynamischen Prozess einer wechselseitigen Konstitution von Struktur und Handlung zu betrachten.
Dieses Verständnis von Wissen wird durch folgende Grundeigenschaften, die sich nach Schwarz (2003) wie folgt zusammenfassen lassen, ergänzt:
1. Soziales Wissen einschließlich des Wissens über seine Verwendungsweisen ist intersubjektiv geteiltes Wissen
2. Informationen können unterschiedlich geordnet werden. Deshalb ist alles Wissen im sozialen Kontext Interpretation
3. Alles Wissen ist referenziell; es ist im sozialen Kontext personen- und teilsystemspezifisch
Wissen ist, soviel läßt sich aus dem genannten Definitionsansatz zusammenfassend ableiten, mehr als Information oder die bloße Ansammlung von Daten. Erst durch die individuelle Bewertung werden Informationen zu Wissen. Dabei wird Wissen als „…dynamischer, menschlicher Prozeß der Erklärung persönlicher Vorstellungen über die Wahrheit“ (Nonaka/Takeuchi 1997, S. 70) betrachtet. Neues Wissen entsteht durch die Kombination von Wissen, durch Vernetzungen und Bewertungen. Soziales Wissen ist intersubjektiv geteiltes Wissen, Interpretation, referenziell und der Wert des Wissens entsteht erst durch den zweckorientierten Einsatz.
Wissen ist somit kein Privileg einzelner „wissender“ Theoretiker und Wissenschaftler, sondern allen Organisationsmitgliedern zugänglich. Die vorliegende Definition unterstreicht zudem die Notwendigkeit der Bearbeitung von Vorstellungen, um aus ihnen Wissen zu erzeugen. Erst wenn Daten oder Informationen zielgerichtet interpretiert und eingesetzt werden, entsteht Wissen. Dies bedeutet, dass die Organisation Rahmenbedingungen und Systeme schaffen muss, die es erlauben, Wissen im Sinne eines Produktionsfaktors zu nutzen. Weiterhin versteht diese Definition Wissen sowohl als personenunabhängige als auch als personengebundene Größe. Wissen beruht nach diesem Verständnis auf dem Zusammentreffen von menschlichen Fähigkeiten und Kenntnissen und maschinell erzeugten Informationen. Beide Aspekte leisten aus Sicht der Organisation einen Erfolgsbeitrag. Für die zielgerichtete Gestaltung der Ressource Wissen ist es daher entscheidend, beide Komponenten gleichermaßen anzusprechen, um sicherstellen zu können, dass die Potentiale, die sich hinter dieser Ressource verbergen, vollständig und gezielt ausgeschöpft werden.
Um die zahlreichen Erscheinungsformen von Wissen in Unternehmen systematisieren zu können, ist nicht nur die vorgenommene begriffliche Einordnung und Abgrenzung erforderlich. Darüber hinaus scheint es sinnvoll die Erscheinungsformen von Wissen, die in Organisationen zu finden sind, näher zu untersuchen, um anschließend den jeweiligen Handlungsbedarf bei der Wissensgestaltung herausarbeiten zu können.
In der Literatur und Praxis sind zahlreiche Ansätze zur Klassifikation und Typisierung von Wissen vorzufinden. Wissen wird beispielsweise nach Bewertungskriterien (Wissen kann nach unterschiedlichen Kriterien bewertet werden: gut bis schlecht, wertvoll bis wertlos etc.), nach seiner Erreichbarkeit („aktuell verfügbares Wissen“ versus „potentiell erreichbares Wissen“ versus “latentes Wissen“) oder auch nach unterschiedlichen Wissensformen („Produktwissen“, „Expertenwissen“, „Führungswissen“, „Mileuwissen“, „Gesellschaftliches Wissen“) klassifiziert (vgl. Zimmer 2003; Willke 1998; Haun 2002; Kirsch 1992).
Im Rahmen dieser Arbeit wird sich auf eine Vorstellung wesentlicher Wissensarten beschränkt, da insbesondere diese Klassifikation mit ihren jeweiligen Unterscheidungen als relevant für eine strukturationstheoretische Analyse von Ganzheitlichem Wissensmanagement angesehen wird.
Internes und externes Wissen
Das erste Begriffspaar stellt den Wissensträger in den Vordergrund der Überlegungen. Internes Wissen wird von den Organisationsmitgliedern innerhalb des Unternehmens getragen. Es steht der Organisation somit unmittelbar zur Verfügung. Eine zentrale Herausforderung bei der Gestaltung dieser Wissensart ist es, das in hohem Maße an Experten und Spezialisten gebundene Wissen – unabhängig von dem ursprünglichen Wissensträger im Unternehmen – dauerhaft zu speichern und verfügbar zu machen.
Alle Wissensträger, die außerhalb des Unternehmens dazu beitragen können, die organisationale Wissensbasis zu vervollständigen, verfügen aus Sicht des Unternehmens über externes Wissen. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Komplexität von Abläufen und Produkten sowie der sinkenden Halbwertzeit von Informationen und Wissen ist diese Wissensart von entscheidender Bedeutung für die Aufrechterhaltung einer wettbewerbsfähigen Wissensbasis. Zu den klassischen externen Wissensträgern zählen u.a. Kunden, Lieferanten, Verbände, aber auch Wettbewerber oder Forschungsinstitutionen (vgl.Willke 1996).
Diese erste Unterscheidung nach Wissensträgern macht deutlich, dass zur effizienten Gestaltung von Wissen das gesamte Unternehmensumfeld berücksichtigt werden muss, um interne und externe Wissensquellen gleichermaßen mit Hilfe spezieller Instrumente ansprechen zu können. Nach Jäger (2002, S. 6) reicht es jedoch oftmals nicht aus, Expertenwissen einzukaufen, Kunden zu befragen und Fremdprodukte zu analysieren, um Wissensbestände in Organisationen dauerhaft zu implementierten. Für ihn ist es entsprechend notwendig, erst einmal durch Aus-, Fort- und Weiterbildung der Beschäftigten das intern vorhandene Potential auszunutzen bzw. nutzbar zu machen, bevor durch den Einkauf externen Wissens ggf. hohe Kosten und vielleicht Fehlinvestionen forciert werden.
Privates und kollektives Wissen
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