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Gebrauchsanweisung Chinesisch

So funktioniert die meistgesprochene Sprache der Welt

AutorFrançoise Hauser
VerlagReclam Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl210 Seiten
ISBN9783159607191
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Eine Gebrauchsanweisung für alle, die sich für die chinesische Sprache interessieren oder interessieren sollten: Touristen, Geschäftsreisende, angehende wie fortgeschrittene Lerner finden hier eine Unmenge nützlicher Informationen. Wie ist das Chinesische strukturiert? Wo tun sich Europäer besonders schwer? Mit welchen Tricks umschifft man diese  Problembereiche? Und vor allem: Was muss man wirklich können, um den Einstieg in die Sprache zu schaffen? Im Zentrum steht die praktische Anwendbarkeit des Gelernten: von der Anleitung 'wie schlage ich ein Zeichen im Wörterbuch nach' bis zur Frage 'wie kommt die Schrift in den Computer'. Ein vergleichbares Werk existiert auf Deutsch bisher nicht.

Françoise Hauser ist freie Journalistin mit Asien-Schwerpunkt und Autorin zahlreicher Bücher zu fernöstlichen Themen. Sie studierte Sinologie, Geographie und Angewandte Sprachwissenschaft in Erlangen, Tainan (Taiwan) und Nanjing (VR China). Außerdem arbeitet sie als Trainerin für interkulturelle und journalistische Themen und unterrichtet Chinesisch an einem Heilbronner Gymnasium.

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Leseprobe

3. Der erste Steckbrief: Was macht Chinesisch so chinesisch?


Der Westen ist sich einig: Chinesisch ist unglaublich schwer zu lernen. Doch stimmt das eigentlich? Was unterscheidet das Chinesische von den indogermanischen Sprachen?

Chinesisch gehört zu den sino-tibetischen Sprachen und ist damit verwandt mit dem Tibetischen und den burmesischen Sprachen. Der Begriff »Chinesisch« ist im übrigen ein wenig irreführend: Wer in Europa Chinesisch lernt, stellt vor Ort in China nicht selten fest, dass vor allem in Südchina die Menschen eine komplett andere Sprache zu sprechen scheinen – und oft ist diese Einschätzung nicht schlechten Sprachkenntnissen geschuldet, sondern ganz einfach wahr!

Nicht eine, sondern viele Sprachen

De facto gibt es gleich eine ganze Reihe chinesischer Sprachen. Oft werden sie als Dialekte bezeichnet, ein Ausdruck, der die Bedeutung dieser Sprachen herunterspielt und in der Sprachwissenschaft ziemlich umstritten ist, denn die Unterschiede zwischen dem hochchinesischen Pǔtōnghuà 普通话 und beispielsweise dem südlichen Fújiànhuà (auch als Hokkien oder Min bekannt) oder dem Shanghaihua sind weitaus größer als beispielsweise zwischen dem Bayrischen und dem Hochdeutschen.

So wird ein Deutscher auf Hochchinesisch als déguórén bezeichnet, in Shanghai jedoch als dagoni und im Süden Taiwans als diggolang. Nur wenn es um die schriftliche Version geht, sind sich alle einige, dass es 德国人 heißen muss. Auch das Wort »ich« zeigt die großen Unterschiede: Auf Shanghaihua heißt es ala, im Hochchinesischen wo, im Kantonesischen ngo. Ein chinesischer Muttersprachler aus Beijing dürfte oft nicht viel mehr Kantonesisch oder Minnanhua verstehen als ein deutscher Besucher. Lesen kann er es freilich schon, denn die geschriebene Sprache ist nahezu identisch: Da die Zeichen keine verlässliche Information zur Aussprache tragen, können sich quasi alle ihrer bedienen.

Für europäische Lernende kann es sich übrigens als überaus frustrierend erweisen, wenn sich die Früchte monatelangen Lernens nicht einmal im China-Restaurant anständig anwenden lassen: Mit ein wenig Glück handelt es sich nämlich bei den Pächtern um vietnamesische Staatsbürger chinesischer Herkunft, die zu Hause Kantonesisch sprechen.

Hochchinesisch als Lingua franca

Dennoch gibt es gute Gründe, sich ausgerechnet der Hochsprache Pǔtōnghuà (in Anlehnung an die kaiserlichen Beamten des Alten China wird sie manchmal auch als Mandarin bezeichnet) zu widmen, um die es auch in diesem Buch geht: Als offizielle Staatssprache der Volksrepublik China und Taiwans (dort als 国语 Guóyǔ bezeichnet), hat sie sicher die größte Bedeutung und ist die Lingua franca des chinesischen Sprachraums. Rund eine Milliarde Menschen dürften weltweit Hochchinesisch sprechen. Wie viele davon wirklich ihren Alltag mit der Hochsprache bestreiten, ist schwer zu schätzen. Vor allem in den Randgebieten Chinas werden auch zahlreiche andere Sprachen gesprochen, während außerhalb Chinas große chinesische Bevölkerungsgruppen in Malaysia, Thailand, Indonesien und anderen Ländern Südostasiens leben, die das Hochchinesische mehr oder minder beherrschen. Was sie natürlich nicht davon abhält, sich auf dem Markt, unter Freunden oder zu Hause doch auf Minnanhua, Shanghaihua oder Kantonesisch zu unterhalten. Vor allem in abgelegenen Regionen Chinas, also überall dort, wo selbst Radio und Fernseher noch Luxus sind und die Menschen daher nur selten mit der Hochsprache zu tun haben, kann es mitunter ein wenig dauern, bis sich ein Dorfbewohner findet, der Pǔtōnghuà nicht nur versteht, sondern auch aktiv spricht.

Wenige Silben für viele Wörter


Ein wichtiges Merkmal des Chinesischen ist die auffällige Homophonie. »Irgendwie klingt auf Chinesisch alles gleich« vermuten denn auch Menschen, die sich mit der Sprache noch nicht besonders intensiv auseinandergesetzt haben – und liegen damit nicht einmal falsch! Denn in der Tat ist das Hochchinesische extrem lautarm und verfügt über einen geringen Silbenschatz. Während das Deutsche rund 10 000 verschiedene Silben kennt, auf die man theoretisch bei der Wortbildung zurückgreifen könnte, sind es im Chinesischen nur rund 400.

Tabelle aller Silben des Chinesischen

Tabelle aller Silben des Chinesischen (Fortsetzung)

Sing-Sang für den Wortschatz

Auch ohne viel Gefühl für Mathematik kann sich der Lernende ausrechnen: Das ist definitiv zu wenig, um einen anständigen Wortschatz zu bilden. Kein Wunder, dass sich das Chinesische zu einer tonalen Sprache entwickelt hat: Je nachdem, in welcher Tonhöhe beziehungsweise mit welcher Tonmelodie eine Silbe ausgesprochen wird, verändert sich ihre Bedeutung. Es macht also einen großen Unterschied, ob eine Silbe beispielsweise langgezogen gleichlautend ausgesprochen oder aber abrupt nach unten zu Ende geführt wird. Diese Tonhöhen zu unterscheiden und selbst reproduzieren zu können, fordert dem westlichen Lernenden anfangs viel Gewöhnung ab. Zwar mögen auch in den indogermanischen Sprachen Töne hin und wieder eine Rolle spielen – ein Beispiel wäre hier der Unterschied zwischen einem fragenden und einem resoluten Nein –, jedoch ganz sicher nicht in diesem Ausmaß.

Insgesamt kennt das Hochchinesische die folgenden vier verschiedenen Tonhöhen:

Die 4 Töne des Chinesischen

Durch diesen Trick vervierfacht sich die Anzahl der Silben mit einem Schlag. Für den Ausländer lauern hier jedoch viel Frustration und allerhand Fettnäpfchen. Denn wir Langnasen tun uns schwer mit den Tönen. Für manch einen »Ton-tauben« Lernenden dauert es Wochen, bis er die Töne nicht nur sicher erkennen, sondern auch reproduzieren kann. Vielleicht unterschätzen Anfänger daher schon aus purem Selbstschutz oft die Bedeutung der Töne? Bei allen Schwierigkeiten sind sie jedoch nicht zu vernachlässigen. Wer tonlos spricht, ist schlicht nicht verständlich: Die Verwechslungsgefahr von qĭng wèn (»darf ich fragen«) mit qĭng wĕn (»darf ich küssen«) ist noch ziemlich lustig, wer shíshī (»etwas umsetzen«) und shìshì (»versterben«) verwechselt, greift schon eher daneben. Und das sind nur zwei Beispiele von Tausenden von potentiellen Missverständnissen.

Seltsame Laute für das deutsche Ohr

Nicht minder schwierig sind die verschiedenen Laute, die es im Deutschen nicht gibt und die dem westlichen Lernenden schwerfallen: ji oder qi, ju, xu oder qu, zhi oder chi … viele Menschen hören den Unterschied einfach nicht. Die meisten Menschen können, je nach Muttersprache, nur ein ganz bestimmtes Set von Phonemen, den lautlich kleinsten Einheiten, unterscheiden. Leider sind die Phoneme, die zum Beispiel die deutsche Sprache benutzt, nicht ganz genau deckungsgleich mit den Phonemen des Chinesischen. Während Neugeborene noch alle rund 70 Phoneme der menschlichen Sprachen unterscheiden können, geht diese Fähigkeit im Laufe des ersten Lebensjahrs erst einmal verloren. Kein Wunder, dass sich viele Lernende mit typisch chinesischen Lauten schwertun. Tröstlicherweise ist dieser Vorgang jedoch nicht irreversibel: Mit ein wenig Übung gelingt es dann doch noch, die Unterschiede zu hören und letztlich zu reproduzieren.7

Keine Assoziationen und Ableitungen

Eine weitere Eigenschaft des Chinesischen ist der Mangel an Vokabular-Überschneidungen mit den indogermanischen Sprachen. Dank der Völkerwanderung und vieler politischer Wirrungen gibt es eine wahre Fülle europäischer Wörter, die sich in fast allen germanischen, romanischen und sogar slawischen Sprachen erkennbar gleichen. Dazu kommt eine Vielzahl von sprachlichen Importen, die das Lernen erleichtern. So sprechen Rumänen von şliţ (gesprochen »Schlitz«), wenn sie den Hosenstall meinen, schicken die Engländer ihren Nachwuchs in den kindergarten, finden deutsche Schüler Englisch easy. Nehmen Sie sich eine albanische Zeitung aus dem Internet vor: Obwohl es sich um eine Sprache handelt, die als eigenständiger Zweig der indogermanischen Sprachen wenig mit dem Deutschen gemein hat und mit der Sie wahrscheinlich noch nie Kontakt hatten, werden Sie beim aufmerksamen Lesen von Sporti und Arte bis Ekonomia eine Handvoll Wörter finden, die Ihnen auch aus dem Deutschen als Fremdwörter bekannt sind. Derartige Übereinstimmungen sind im Chinesischen leider extrem selten. Nur wenige Wörter wurden aus Europa oder dem arabischen Raum übernommen, umgekehrt sind es sogar noch weniger.

Hab 8!

Die Tatsache, dass im Chinesischen viele Silben gleich klingen, ist nicht nur recht unpraktisch, sie ist auch der Grund für allerhand Aberglauben: So wird die Zahl Vier genauso ausgesprochen wie das Wort ›sterben‹ . Aus diesem Grund findet sich in ganz China garantiert kein Taxi-Unternehmen mit einer Vierer-Nummer. Die Zahl Neun wiederum wird genauso ausgesprochen wie das Wort jiǔ, das sich auch mit ›lang andauernd‹ übersetzen lässt – ein gute Zahl, wenn es um...

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