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Gedeck, doppelt!

Neues aus Büttenwarder

AutorNorbert Eberlein
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783644480810
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Sie haben keine Chance. Sie haben keine Ahnung. Aber das kann sie auch nicht aufhalten ... In dem beschaulichen Dorf Büttenwarder, nicht weit entfernt von dem Ort, wo Fuchs und Hase sich gute Nacht sagen, leben die chronisch insolventen Landwirte Kurt Brakelmann und Adsche Tönnsen. Die Männer verbindet mehr miteinander als eine Vorliebe für die regionale Getränkespezialität Lütt un Lütt. Sie haben auch einen gemeinsamen Traum: eines Tages mit den Taschen voller Geld ein müßiges Leben zu führen!

Norbert Eberlein, 1956 in Hamburg geboren, begann seine Karriere als Drehbuchautor 1991 mit dem ARD- Dauerschlager «Großstadtrevier». 1997 kam ihm die Idee zu der Serie «Neues aus Büttenwarder», für die er bis heute die Drehbücher verfasst. Mittlerweile hat er auch preisgekrönte Drehbücher zu zahlreichen TV-Filmen geschrieben, zuletzt zur Kinoverfilmung von «Die Dorfpunks».

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Leseprobe

II Vier Siebtel Pferd


Es war Mai. In den Knicks blühte die Eberesche cremefarben, Feldblumen und Kirschbäume streckten ihre Blüten aus. Und über allem zirpten die Grillen, sangen die Kiebitze ihr Lied, schwirrten die ersten Fliegen und ließen sich nur mit Hinterlist und äußerster Entschlossenheit zur Strecke bringen. Zum Beispiel mit einem sorgfältig zusammengerollten Exemplar des Landboten. Der erschien wöchentlich. Auch im Mai.

Als Brakelmann aufwachte, kratzte er sich am Bauch. Das war an und für sich nichts Ungewöhnliches. Bevor er den Tag begann und sich die Welt wieder zu eigen machte, vergewisserte er sich gern seiner selbst, indem er sich am Bauch kratzte. War der Bauch da, war auch er da.

So lautete Brakelmanns Theorie. Bisher war sie stets aufgegangen.

Während er sich also kratzte, nahm er die feinen Düfte seines Bratkartoffelgerichts vom Vorabend wahr, die noch fest in der Bauernstubenluft hingen, und zugleich hörte er das Gackern der Hühner draußen auf dem Hof. Eine Reizüberflutung, die ihn einen Moment lang in einen tiefen Lähmungszustand versetzte. Dann aber öffnete er die Augen. Was er sah, war die an manchen Stellen von Schimmel befallene Decke seines Ambientes. Und in diesem Moment war ihm zweierlei klar. Erstens: Er war auf seinem Sofa eingeschlafen. Und zweitens: in seinen Klamotten.

Mit einem leisen Seufzer drehte er sich auf die Seite und blinzelte aus dem Fenster. Mein Gott, es musste schon gegen Mittag sein. Die Sonne stand hoch. Und er lag flach. Wie schnelllebig die Zeit geworden war. Früher hatte man noch den ganzen Tag vor sich, wenn man aufgewacht war. Inzwischen war es bereits Mittag, und der halbe Tag war weg. Brakelmann konnte nur, wie sein alter Weggefährte Adsche zu sagen pflegte, innerlich den Kopf schütteln.

Vorsichtig schob er die Füße unter der alten Pferdedecke hervor, ließ sie ins Leere sinken, stemmte zugleich seinen Oberkörper hoch, indem er sich mit beiden Händen von dem Sofa abstützte, und erreichte so eine stabile Sitzposition. Im ersten Moment glaubte Brakelmann, er würde sich von dieser Kraftanstrengung niemals mehr erholen. Dann aber ließ er schon wieder recht aufgeschlossen seinen Blick umherwandern. Meine Güte, sah das hier aus! Er hätte doch heiraten sollen, überlegte er. Der Gedanke kam und ging so schnell, dass Brakelmann ihn fast nicht bemerkt hätte.

Frauen, nun ja, das war durchaus ein irgendwie sogar interessantes Thema. Brakelmann trat ans Waschbecken, nahm den Lappen, hielt ihn kurz unter das laufende Wasser und griff dann mit dem Lappen in der rechten Hand unter seinem Hemd durch, um sich unter der linken Achselhöhle zu waschen, wechselte den Lappen in die linke Hand und wusch sich, nachdem er sich einen Weg zwischen Brust und Unterhemd gebahnt hatte, auf dieselbe Weise unter der rechten Achselhöhle. Danach öffnete er seine Hose, lüftete das Bund seiner Unterhose handbreit, um sodann den Lappen auch kurz mit seiner Intimsphäre in Berührung zu bringen. Wenn er einen der Körperteile mal vergessen hatte, machte Brakelmann sich deshalb keine Vorwürfe. Er wusste ja, dass er am nächsten Tag seinen Fehler wiedergutmachen konnte.

Wenig, sehr wenig später hatte Brakelmann seine Morgentoilette beendet, schaltete das alte Skalenradio ein und räumte auf dem Küchentisch einen Flecken frei, um dort seinen Frühstücksteller in Stellung zu bringen. Als er sich setzte, spürte er dabei die harte Spitze einer Sprungfeder, rieb eine Gesäßbacke daran und genoss den Moment der frisch animierten Durchblutung. Anschließend blickte er sich neugierig auf dem Küchentisch um. In dem allgemeinen Durcheinander war kein sauberes Besteck zu finden. Also strich er Butter und Wurst mit dem Brotmesser auf. Dabei plätscherte leise der Landfunk und versetzte Brakelmann allmählich in einen tranceähnlichen Zustand. Die Krise in der Landwirtschaft war besiegelt. Darin waren sich alle Kommentatoren einig. Es war schlimm.

Aber natürlich: Das Leben ging immer weiter, ging weiter, bis es zu Ende war, sinnierte Brakelmann. War das in dieser Klarheit eigentlich jemals so festgestellt worden? Es erlaubte keine Zeitsprünge, zum Beispiel einen Sprung über die Zeit hinweg, in der der Trecker repariert würde. Nach dem langen Winter war die Batterie mal wieder ausgelutscht. Sie auszubauen, sie zu Karl, einem der besser organisierten Bauern Büttenwarders, zum Aufladen zu transportieren und die ausgeschlagene Vorderachsenaufhängung zu bearbeiten, damit würde Brakelmann sich heute beschäftigen müssen. Schon der Gedanke an die schnelle Abfolge dieser aufwendigen Tätigkeiten trieb Brakelmann Seufzer der Ermüdung über die Lippen.

Er beendete sein Frühstück und verließ sein bescheidenes Ambiente, durchquerte die Remise, vorbei an dem ehemaligen Schweinestall, in dem er irgendwann einmal im Überschwang eine Wand mit einer Hawaiitapete beklebt hatte, und zwängte sich an der nur in einer Angel vage hängenden Stalltür vorbei ins Freie. Vor ihm lagen die Einzelteile des wie zerschossen dastehenden Treckers im Gras. Brakelmann stöhnte ergeben und verfluchte still die Lückenlosigkeit, die brutale Vollständigkeit des Lebens.

Mit leise ruckenden Bewegungen hatte Brakelmann sich gerade unter den Trecker geschoben, als das nervenzerrende Geräusch eines überforderten Zweitakters das Herannahen eines Mofas mit einem zu keinerlei Rücksicht aufgelegten Fahrer ankündigte.

Brakelmann wusste, wie Adsche aussah, deswegen machte er sich zunächst nicht die Mühe, unter seinem Trecker wieder hervorzukriechen. Er hörte, wie das Mofa abgewürgt wurde, scheppernd und von Flüchen begleitet zu Boden fiel und sich sodann schwere Schritte näherten, und sagte in den Unterboden seines Treckers hinein: «Moin.»

Einen Moment lang war es still. Selbst die Hühner schienen den Atem anzuhalten. Dann ließ Adsche seine knappe Antwort hören, indem er sagte: «Moin.»

Wieder wurde es still. Die Hühner kehrten zu ihren alltäglichen Verrichtungen zurück und kümmerten sich um ihren eigenen Kram. Brakelmann spürte, dass ihr Gespräch dringend Zündstoff brauchte.

«Ich stell meinen Betrieb um», begann er in beiläufigem Ton und genoss es, Adsche mit seiner Kreativität unter Druck zu setzen. Selbst wenn er, wie in diesem Fall, nicht einmal ahnte, worauf er eigentlich hinauswollte.

«Du hast ’ne Idee?» Adsche sprang tatsächlich gleich an.

«Ich hab das mal durchdacht. Schweinezucht.»

Es war ihm einfach so eingefallen: Schweinezucht. Wie er es liebte, mit einem zufällig herbeigerufenen Wort eine ganze Kette von Phantasien auszulösen, die mal brillant, mal genial, mal komplett bescheuert waren, immer aber verstörend auf Adsche einwirkten, weil Brakelmann allein schon durch seine Fähigkeit zur Idee einen intellektuellen Vorsprung hatte vor dem alten Freundfeind.

«Hör auf, Mensch! Schweine!», ließ sich Adsche vernehmen, der viel Abgeklärtheit in seine Stimme legte. Schließlich hatte auch er sich seit Jahrzehnten um die Landwirtschaft verdient gemacht. Aber mit großer Freude vernahm Brakelmann zugleich den nagenden Unterton der Neugier.

«Ja, nicht irgendwelche Schweine! Polarschweine!» Brakelmann schob sich nun doch unter dem Trecker hervor.

«Polarschweine?», fragte Adsche.

«Polarschweine», sagte Brakelmann und richtete sich und zugleich die Finger seiner rechten Hand auf, um daran abzuzählen. «Drei Säue, die ferkeln mir zweimal im Jahr. Macht bei sechs Säuen – 144 Schweine.»

«Wann?», fragte Adsche, der kein großer Rechner war, aber ein natürliches Gefühl für Zahlen und ihre Werte hatte, die er streng unterschied zwischen nennenswerten und nicht nennenswerten Werten. Nur ein wie auch immer zu veranschlagender nennenswerter Wert – kurz: Nennwert – konnte Adsche in glühende Erwartung versetzen und bisweilen zu Ansätzen von Aktivität treiben.

Brakelmann verspürte keine Lust auf kleinliche Nebenrechnungen und spielte lieber weiter seine Phantasie aus. «Und die härte ich hier ab. Das Terräng eignet sich sehr gut dazu. Hier hat kein Schwein was zu lachen, das sach ich dir.»

«Ja, und dann?», fragte Adsche.

«Dann verschiff ich die nach Grönland!» Brakelmann wandte sich jetzt der Batterie zu und löste sie aus dem Motorblock seines Treckers.

Adsche sinnierte über Brakelmanns Geschäftsidee. Dabei trat das Bild eines Zimmerspringbrunnens in sein Bewusstsein. Es war ihm selbst ein Rätsel, wie es immer wieder dazu kommen konnte. Wenn er sich etwas vorstellen sollte, was er sich nicht vorstellen konnte, mündeten seine Bemühungen in Gedanken an einen Zimmerspringbrunnen. Das gleichmäßige Abrauschen der Wasserströme aus einem nie ermüdenden Kreislauf von Fließen und Pumpen versetzte ihn in eine transzendentale Tiefenentspannung. Zimmerspringbrunnen. Zimmer … spring … Nur langsam löste er sich wieder von dem Bild, trat quasi in die Aufwachphase ein, kehrte zurück zu den Grönlandschweinen und sagte schließlich: «Du und deine Ideen!»

Brakelmann lächelte. «Ganz robuste Schweine mach ich den Grönländern!»

Dann griff Brakelmann zu einem rhetorischen Kniff und legte kurzerhand ein Projekt seines lieben Freundes auf den Opferaltar dieser Unterhaltung.

«Und du? Stangenspargel?»

Adsche antwortete mit einem müden Heben der Schultern, mit einer selbstbewussten Miene und mit einem: «Ja, und?»

«Du willst, Tatsache, Spargel und Spinat kreuzen?»

«Lecker …»

«Und wie nennst du das, was da rauskommt? Spagat?»

Adsche zuckte nur kurz mit den Augenbrauen, bevor er gelassen erwiderte: «Spinargel.»

«Mensch, Adsche, du bist so blöd wie ’n...

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