Teil Eins
Die Verdummung unserer ursprünglichen Natur
Kapitel 1
Zweifel ist gut!
(Entdecken, was ich wirklich denke)
„Mönche, wir, die auf das Ganze schauen und nicht nur auf einen Teil, wissen, dass auch wir Systeme der gegenseitigen Abhängigkeit von Gefühlen, Wahrnehmungen, Gedanken und Bewusstsein sind, alle miteinander verbunden. Wenn wir in dieser Weise forschen, werden wir erkennen, dass es in keinem Teil ein „Mich“ oder „Mein“ gibt, genauso wenig, wie ein Klang zu irgendeinem Teil einer Laute gehört.“ +Samyutta Nikaya, aus Buddha Spricht
Wir beginnen mit einer angeleiteten Reise, die Natur der Realität zu erkunden, indem wir behutsam unsere persönlichen Einstellungen in Bezug auf den Zustand überprüfen, den andere Erleuchtung nennen. Wir werden unsere eigenen Glaubensvorstellungen betrachten müssen, um Einstellungen aufzudecken, die uns von einer höheren Entwicklung abhalten.
Eine evolutionäre Entwicklung geschieht, wenn Du diesen wichtigen Schritt machst, Dich zu verwandeln und der Mensch zu werden, der Du immer gedacht hast, sein zu können. Diese Veränderung wird von tief innen in Bewegung gesetzt. Alle lebenden Wesen durchlaufen zurzeit diesen Prozess. Allerdings erfordern die späteren Stufen der Veränderung vor dem Ereignis der Transformation mehr persönlichen Einsatz. Es wird häufig gesagt, dass der Lehrer erscheint, wenn der Schüler bereit ist. In gewisser Weise ist das richtig, aber zu Beginn der spirituellen Suche entstehen im Inneren Veränderungen, neue Gefühle von Unzufriedenheit und Verwirrung darüber, wohin es gehen soll.
In tiefen stillen Meditationsretreats kann ein Meditierender nach großen Anstrengungen manchmal eine Ebene erreichen, auf der er seine eigene persönliche Sichtweise der Realität wahrnimmt oder aufdeckt.
Dieses Aufdecken kann ihm jedoch, statt tröstlich und freudig zu sein, eine riesige Überraschung bereiten. In Übereinstimmung mit der Erfahrung vieler Wesen, die den erleuchteten Zustand erreicht haben, wird gesagt, dass wir unsere versteckten tatsächlichen Glaubensmuster aufdecken müssen, egal wie politisch inkorrekt oder beschämend kindisch das sein mag. Erst dann können wir sie in gesündere Muster umwandeln. Diese vorbereitende innere Arbeit, unsere Sichtweisen aufzudecken und zu entlarven, ist mit der angeborenen Sichtweise verbunden, die das, was nicht real ist, für real hält.
Es ist die Absicht dieses Buches, Dir zu helfen, die *Sichtweise, die Dich festhält, und nicht die Sichtweise, die Du festhältst, zu entlarven. Jeder kann den hier beschriebenen Analyseprozess durchlaufen und die Meditationen ausführen, die erforderlich sind, um heilsamere *Wahrnehmungen zu stabilisieren. Das ermöglicht Dir, viele Schichten der Einbildung aufzudecken und zu beseitigen. Eine wichtige Phantasievorstellung von vielen Meditierenden ist der Traum, dass die *Erleuchtung alle ihre Schwierigkeiten beendet und sie danach für immer glücklich sind. Doch die Erleuchtung ist nicht die Vollkommenheit; sie hebt Dich nur auf die Ebene, auf der Deine ernsthafte Arbeit beginnen kann.
Wie werde ich nach der Erleuchtung sein?
Weil Du die Erleuchtung noch nicht erfahren hast, kannst Du viele ungewöhnliche Ideen über sie entwickeln. Es gibt Leute, die tatsächlich Angst vor der Erleuchtung haben, weil sie glauben, sie würden wie eine Rauchwolke verschwinden. Obwohl sie versuchen zu meditieren, sind sie deshalb nicht sehr gut darin, weil sie im Inneren Angst haben, sie könnten tatsächlich die Erleuchtung erreichen und verschwinden, wozu sie nicht bereit sind. Ich habe auch mehr als einmal gehört, "Wenn ich erleuchtet bin, werden mir meine Frau, mein Mann und meine Kinder nichts mehr bedeuten. Und da sie mir am Herzen liegen, möchte ich eigentlich nicht erleuchtet werden, obwohl ich sage, dass ich es möchte und regelmäßig meditiere.“ Andere fühlen sich sogar verärgert über erleuchtete Wesen, weil diese sich angeblich als eine Art elitäre Gesellschaft von gewöhnlichen Wesen abgrenzen.
Es wäre viel praktischer, unsere Zeit und Mühe dazu zu verwenden, unsere Einstellungen zum erleuchteten Zustand furchtlos anzuschauen und die Verantwortung für jede fehlerhafte Sichtweise zu übernehmen.
Dann beginnen wir mit ihrer Veränderung dort neu, wo wir uns gerade befinden. Wenn unser wahrer und reiner Wunsch nach Erleuchtung durch unsere angeborene Sichtweise und die sie begleitenden, unseren Geist beeinflussenden Energien behindert wird, müssen wir jetzt die Entscheidung treffen, den Halunken zu entlarven, der sich in unserem eigenen Geist versteckt!
Die Suche nach Wahrheit
Auf welche Weise wir Strategien für die Wahrheitssuche entwickeln, wird von Kriterien beeinflusst, die bereits in unserem Geist vorhanden sind und die wir als Werkzeuge für diese Suche benutzen. Wenn wir die Strategien jedoch nicht prüfen oder von falschen Voraussetzungen ausgehen, könnten wir auf Ideen über Wahrheit und Irrtum kommen, die keinen Bezug zur Realität haben. Im Gegensatz zu der Auffassung einiger populärer Philosophien gibt es tatsächliche Realitäten und Wahrheiten, die durchdrungen und ergründet werden müssen, damit wir uns auf organische und natürliche Weise entwickeln können. So werden wir schrittweise vom falschen Denken entwöhnt. Wir lernen schließlich, die Wahrheit nicht als ein Ziel unter anderen Zielen zu suchen, wie etwa einen modischen neuen Weg zu verfolgen, unser Leben zu individualisieren oder uns durch das Erschaffen einer neuen Wahrheit wichtig zu fühlen oder weil wir in einer gesichtslosen Welt schlicht anders als alle Anderen sein wollen.
Andere gebräuchliche Mittel, die Wahrheit zu verstehen, sind Bücher der Weisheit oder sogar tägliche Weisheitssprüche. Kürzlich las ich etwas über Benjamin *Franklin und einige seiner Schriften. Er sammelte unter anderem Sprüche seiner Epoche über die Ernte, über menschliche Eigenheiten, über Vertrauen und andere interessante Themen. Diese sammelte er in gewöhnlichen Jahrbüchern, um anderen Ratschläge für den Alltag zu geben. Aphorismen wie z. B. "Ein gesparter Penny ist ein verdienter Penny" und andere Zitate reichen von Volksweisheiten bis hin zu Anregungen für den gesunden Menschenverstand und enthalten sogar Sachen, die Deine Großmutter schon gesagt hat und die sich noch immer in den Tiefen Deines Gedächtnisses bewegen und darauf warten, genutzt zu werden.
Bücher der Weisheit wie die Bibel oder der *Pali Kanon werden noch immer als wichtige Quellen genutzt, über wahre Dinge nachzulesen. Doch selbst heilige Bücher können missverstanden werden und durch persönliche Anliegen wie z. B. Ärger missbraucht werden, um andere zu verletzen.
Wir können aber auch inspiriert werden und mehr Unterscheidungskraft gewinnen, wenn wir positive Veränderungen bei anderen beobachten, die sie durch ihr Lesen und Nachdenken über Bücher der Weisheit, wie z. B. religiöse Schriften, erlangt haben. Während wir heilige Bücher lesen, die die Realität beschreiben und neue Erkenntnisse nutzen, um unseren Geist zu schulen, werden wir erfrischt und an unsere ursprüngliche Natur der Klarheit und Offenheit erinnert.
*Lorig: Buddhistische Geistesschulung
Wenn Du an spirituellen Dingen interessiert bist, ist es hilfreich, die verschiedenen Arten und Ebenen des Geistes und ihre Entstehung zu begreifen. Die Natur des Geistes zu erkennen bedeutet, die Wurzel von Glück und Leiden zu verstehen. Das Studium des Lorig, der Natur und der Funktionen des Geistes, befähigt uns, zwischen positiven und negativen Geisteszuständen zu unterscheiden und durch eigene Entscheidungen Negativität mit der Wurzel auszureißen.
Im Kloster wird Lorig normalerweise mindestens ein Jahr lang täglich geübt. Weil ich später eine starke analytische Technik vorstellen werde, die auf *Chandrakirtis *Zwanzig Leerheiten beruht, wäre es gut, unseren Intellekt richtig aufzuwärmen.
Die verschiedenen buddhistischen Schulen haben sich entsprechend den Lehren verschiedener Linien und nach vielen philosophischen Gesichtspunkten entwickelt.
Aber dies ist nicht der Schwerpunkt von Lorig. Wir könnten viel Zeit damit verbringen, verschiedene Gesichtspunkte zu betrachten oder zu lernen, wer was gedacht hat und wie das im Verhältnis zu anderen Sichtweisen steht. Aber das dürfte nicht hilfreich sein. Diese Geistesschulung ist nicht die Lehre von der *Leerheit und auch nicht die Lehre heilender Techniken oder der *Madhyamika *Prasangika Sichtweise. Ich erwähne hier, was sie nicht ist, denn jede umfassende Lehre im Buddhismus wird durch Parameter bestimmt, die verdeutlichen, was sie ist und besonders was sie nicht ist.
In tibetischen Klöstern erhalten alle, die dazu fähig sind, eine grundlegende Ausbildung in formalen Konzepten. Es gibt drei Körbe oder Textsammlungen in der buddhistischen Lehre: *Abidharma, *Vinaya und die...