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E-Book

Geist-Gesellschaft-Droge

Über das einseitige und oberflächliche Denken

AutorBenjamin Fässler
VerlagNachtschatten Verlag
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl350 Seiten
ISBN9783037882573
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Anhand der beiden grundlegenden Denkformen, des 'linkshemisphärischen' Verstandes und der 'rechtshemisphärischen' Intuition wird aufgezeigt, dass die Probleme unserer Zivilisation auf einem 'erkenntnistheoretischen' Grundproblem basieren: Das einseitige, auf das verstandesmässige konzentrierte Denken, das zudem noch sehr oberflächlich und durch Vorurteile beherrscht erfolgt. In einer umfassenden Analyse werden die Aspekte des Verstandes und der Intuition besprochen. Bei Letzterer werden vor allem das Unbewusste und die veränderten Bewusstseinszustände mit ihren verschiedenen Aspekten wie Traum, Meditation und drogeninduzierten Zuständen beleuchtet. Dazu werden Beispiele wie die Kreativität, die Mythen und der Schamanismus herangezogen. Erkenntnisse aus der Hirnforschung verhelfen uns, diese Aspekte zusammen mit der Funktion der Gefühle zu einem Ganzen zu vereinigen. Des Weiteren wird aufgezeigt, wie im Laufe der Menschheitsgeschichte das Übergewicht des vielfach unkorrekt durchgeführten Verstandes-Denkens und die daraus sich ergebenden Folgen zustande gekommen sind. Schliesslich wird zur Illustration der Ausführungen die Drogenpolitik herangezogen, die wie kaum ein anderes Thema das einseitige und oberflächliche Denken aufzeigt.

Benjamin Fässler, geb. 1942, war 26 Jahre lang frei praktizierender Herzspezialist in Solothurn (CH). Seit vielen Jahren nebenberufliche Beschäftigung mit verschiedenen Themen: Evolution (insbesondere psychische Evolution des Menschen), Erkenntnistheorie, Hirnforschung, moderne Psychologie, Ethnologie, Religion, Drogen und Drogenpolitik. Als Ergebnis all dieser Studien 1997 Publikation des Buches 'Drogen zwischen Herrschaft und Herrlichkeit'.

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Leseprobe

ERSTER TEIL:
GEIST UND GESELLSCHAFT

1. Zwei Wege zur Erkenntnis: RATIO und INTUITION

An den Beginn dieses Kapitels seien fünf Beispiele gestellt, die erahnen lassen, was mit den zwei Wegen zur Erkenntnis gemeint ist. Die Beispiele werden zunächst nur kurz oder überhaupt nicht kommentiert, sodass die Leserinnen und Leser sich ihre eigenen Gedanken dazu machen können. Im weiteren Verlaufe wird dann auf diese Beispiele zurückzukommen sein.

Beispiel 1:

a) 3 + 5 - 2 - 1 + 13 + 9 - 7 = ?

b)

Zeichnung: Claudia Jossi

Bei 1a), der Rechenaufgabe, gelangen wir zur Lösung, indem wir schrittweise logisch denkend vorgehen. Bei 1b), der Abbildung der Mickey Mouse hingegen, erkennen wir diese Figur schlagartig – sofern sie uns bekannt ist.

Beispiel 2: „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.“

Beispiel 3: „Das Herz öffnen“

Für den Herzchirurgen bedeutet dieser Satz, das körperliche Organ „Blutpumpe“ mit dem Skalpell aufzuschneiden – für den Verliebten, den Dichter und für den Mystiker bedeuten diese Worte etwas völlig anderes…

Beispiel 4: „Die Welt besteht nicht aus Atomen, sondern aus Geschichten.“

Beispiel 5: Was ist nun wahr: Die naturwissenschaftliche Evolutionstheorie oder die Schöpfungsgeschichte der Bibel?

Hirnforschungen des letzten Jahrhunderts haben ergeben, dass die linke und die rechte Hirnhemisphäre unterschiedlich funktionieren, dass der Mensch so etwas wie ein „Zwei-Geist-Wesen“ ist. Ganze Listen gegensätzlicher Funktionen der beiden Grosshirn-Hemisphären wurden aufgestellt. Mit der Zeit erkannten die Wissenschaftler, dass das Trennende und Andersartige der beiden Hirnhälften bis hin zum „gespaltenen Bewusstsein“ allzu stark betont worden war. Wohl bestehen gewisse Unterschiede zwischen den Funktionen der beiden Hemisphären, doch besitzen beide auch Eigenschaften ihrer „Gegenseite“, vor allem aber muss die sich ergänzende, gegenseitig abhängige Zusammenarbeit beider Hemisphären hervorgehoben werden: Das Hirn ist ein untrennbares Ganzes. So ist es sinnvoller, nicht von zwei gegensätzlichen Hemisphären, sondern von zwei verschiedenen Arten des Denkens zu sprechen. Dabei ist hier der Begriff des Denkens in einem umfassenderen Sinne als sonst üblich gemeint: Er umfasst nicht nur die logischrationale Tätigkeit, sondern die gesamte psychische Tätigkeit, die zu einer Erkenntnis führt – und das Ziel des Denkens ist ja Erkenntnis.

Die beiden Arten des Denkens werde ich mit zwei Begriffen belegen, welche ebenfalls in einem weiter gefassten Sinne als allgemein üblich zu verstehen sind und deswegen gross geschrieben werden sollen: RATIO* („linkshemisphärisch“) und INTUITION* („rechtshemisphärisch“). Und wenn doch hin und wieder von links- oder rechtshemisphärischem Denken die Rede sein wird, so sollen diese Begriffe in Anführungszeichen gesetzt werden, um daran zu erinnern, dass es sich um unterschiedliche Denktypen handelt, die nicht einfach einer Hirnhälfte zugeordnet werden können. Im Grunde genommen ist es nicht einmal korrekt, die RATIO der linken und die INTUITION der rechten Hemisphäre zuzuordnen, denn dies stimmt nur etwa für zwei Drittel der Menschen196.

Die psychischen Vorgänge, die wir Denken nennen, gehen im Spannungsbereich zweier Pole vonstatten, nämlich der beiden Grundtypen des Denkens: RATIO und INTUITION. Wir werden diese beiden Begriffe nicht genau definieren, da jede genaue Definition* den Fehler in sich birgt, künstliche Grenzen zu ziehen und damit natürliche Zusammenhänge zu zerreissen. Vielmehr werden wir die beiden Begriffe näher erläutern, indem wir sie einander gegenüberstellen und sie beschreibend umkreisen. Dies bietet auch Gelegenheit, einige wesentliche Grundbegriffe in groben Zügen zu beleuchten – verschiedene Themen werden später dann ausführlicher zur Sprache kommen. Bei der Gegenüberstellung der beiden Denktypen werden wir sehen, dass nicht nur die „linkshemisphärische“ und die „rechtshemisphärische“ Funktion, sondern auch RATIO und INTUITION nicht klar zu trennen sind, was wiederum Ausdruck dessen ist, dass die beiden Denkformen nicht einfach Gegensätze sind, sondern sich zueinander komplementär verhalten, sich gegenseitig zu einem Ganzen ergänzen.

RATIOINTUITION
ARBEITSMETHODElinear-sukzessivanalytisch dualistisch-polarsimultan-synthetisch holistisch monistisch
 Sprache, BegriffeBilder, Symbole, Metaphern
 digitalanalog
BEWUSSTSEIN„Normal-Bewusstsein“„Aussergewöhnliche Bewusstseinszustände“
QUELLEAussen (Sinnesorgane)Innen (Unbewusstes)
UMGANG MIT DER WELT„Haben“, „Macher“ Überleben„Sein“ Leben
PARADIGMAAltes ParadigmaNeues Paradigma

Die Arbeitsmethode

Das erste Unterscheidungsmerkmal der beiden Denkformen zeigt sich in der Arbeitsmethode, in der Art und Weise, wie die Inhalte des Denkens verarbeitet werden. Eine der Grundbedeutungen des lateinischen Wortes „ratio“ ist „Rechnung, Berechnung“. Die RATIO ist also eine Art der Verrechnung, sie ist die Art und Weise, wie Informationen verrechnet oder behandelt werden, also eine Art des Denkens. Und diese Verrechnungsart besteht darin, dass sie die Informationen linear und sukzessive, das heisst in einer Linie und Stück um Stück, Schritt um Schritt verarbeitet. Damit ist verbunden, dass dies analytisch geschieht, das heisst die Informationen werden zergliedert, in einzelne Teile zerlegt, wodurch Grenzen gezogen werden.

Diese Vorgehensweise zeigt sich nicht nur beim eigentlichen Denkprozess, sondern schon bei der Wahrnehmung, insbesondere beim Vorgang des Sehens. Betrachten wir beim obigen Beispiel 1 die dargestellte Rechenaufgabe, so wandert unser Augenmerk schrittweise von einem Zeichen zum nächsten, bis wir schliesslich zur Lösung gelangen.

Für das lineare Denken ist charakteristisch, dass es ein „Wenn-dann-Denken“ ist: Wenn etwas so ist, dann folgt daraus, dass… Es ist ein monokausales* Denken, das nur eine Ursache in Betracht zieht. Damit ist oft auch ein besonderer, starrer Wahrheitsanspruch verbunden, indem nur eine Wahrheit gilt, was den Boden für Intoleranz darstellt.

Das sukzessive Element, das heisst das schrittweise, nach und nach sich vollziehende Vorgehen dieses Denktyps bedeutet, dass der Erkenntnisvorgang Zeit benötigt.

Das analytische Moment zeigt sich besonders augenfällig in den modernen Naturwissenschaften. Die Welt wird in immer kleinere Teile aufgeteilt: Wie mit einem Teleobjektiv richtet sich der scharfe Blick auf die einzelnen Details. Bei dieser streng fokussierten Sichtweise besteht die Gefahr, dass die Beziehungen zwischen den Teilen übersehen werden und die Übersicht auf das Ganze verloren geht.

Die INTUITION geht einen anderen Weg: Sie verarbeitet die Informationen simultan, also gleichzeitig, und synthetisch*-holistisch*, also ganzheitlich, was bedeutet, dass die Informationen zu einem Ganzen zusammengefügt werden. Wiederum kann dies auch an der Wahrnehmung beim Beispiel 1 illustriert werden, und zwar am Bild der Mickey Mouse. Der Blick wandert nicht von einem Detail zum anderen. Vielmehr wird die Figur als Ganzes auf einen Schlag erkannt – vorausgesetzt natürlich, dass man sie überhaupt kennt.

Der „rechtshemisphärische“ Denktyp zerlegt nicht in Teile, sondern fügt Teile zu einem übergeordneten Ganzen zusammen, er nimmt Ganzheiten, Zusammenhänge, Beziehungen, Muster, Gestalten wahr.

Zum Beispiel 2: Der Ausspruch „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“, der auf Aristoteles (384 bis 322 v. u. Z.) zurückgeht, soll an einem Beispiel veranschaulicht werden: Gibt man mehreren Künstlern je hundert weisse und schwarze Mosaiksteine mit dem Auftrag, damit ein Bild zu schaffen, bleibt die Summe der Mosaiksteine jeweils dieselbe – die erarbeiteten Bilder dürften sich aber deutlich voneinander unterscheiden. Je nach der Anordnung der Steine innerhalb der Fläche des jeweiligen Mosaiks ergibt sich ein anderes Muster, ein anderes Ganzes. In diesem Ganzen sind also nicht nur die Summe aller Teile, sondern auch deren Beziehungen zueinander enthalten – das „Mehr“ ist nicht quantitativer, sondern qualitativer Natur. Das Vorgehen der INTUITION ist kein lineares, monokausales „Wenn-dann-Denken“, sondern es erkennt – oder „erspürt“ – Beziehungen, vielfältig verbundene Ursache-Wirkungsnetze und damit anerkennt es auch, dass es viele Wahrheiten gibt, was die Grundlage für Toleranz darstellt.

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