Wer ist der eigentliche Kämpfer?
Wie oben schon erwähnt, könnte man die Frage stellen, ob es sich beim geistlichen Kampf nicht doch um eine Art von Spiritualität der Selbsterlösung oder Selbstverwirklichung handelt. Es ist aber zu beachten, dass hier von geistlichem Kämpfen die Rede ist, von militia spiritalis oder pugna spiritalis – geistlichem Kriegsdienst oder geistlichem Kampf. »Geistlich« ist hier im ursprünglichen Sinn des Wortes gemeint. Das Wort spiritalis oder spiritualis, aus dem später das Wort Spiritualität gebildet wurde, geht auf die Bibel zurück, hat aber im Lauf der Geschichte einen großen Bedeutungswandel durchgemacht.16 Es ist eine christliche Wortschöpfung, die es im klassischen Latein nicht gegeben hat. In der lateinischen Bibel wird das griechische pneumatikós mit spiritalis übersetzt. Das meint, dass ein Mensch vom Geist Gottes bewegt und geprägt wird17 und dann schließlich die »Früchte des Geistes« in seinem Leben aufbrechen. Dieser Begriff beziehungsweise diese Art von Mensch steht im Gegensatz zum sogenannten fleischlichen Menschen (griechisch: sarkikós, lateinisch: carnalis), der die »Werke des Fleisches« tut. Paulus nennt eine große Zahl dieser »Werke des Fleisches«, worunter er vor allem Laster und Sünden versteht (vgl. Galater 5,16−26). Es geht Paulus darum, dass der Christ ein Mensch sein sollte, der »aus dem Geist (Gottes) lebt« (Galater 5,25) und aus diesem Geist heraus das Leben gestaltet. Geistliches Kämpfen bedeutet dann ein inneres Kämpfen, das aus der Kraft des Geistes Gottes gespeist wird, sodass Gott oder Christus der eigentliche Kämpfer ist beziehungsweise der, durch dessen Wirken der Sieg erst möglich wird.
Der heilige Benedikt ist sich dessen deutlich bewusst. Das zeigt sich bereits im Prolog zu seiner Regel. Dieser Prolog atmet eine starke Dynamik: Der Mönch soll aufwachen und »endlich einmal aufstehen«, er soll von der täglich laut rufenden Stimme Gottes aufgeschreckt werden, er soll laufen, solange es noch Zeit ist, die Lenden gürten wie ein Wanderer oder Krieger und mit guten Werken voraneilen auf dem Weg zum heiligen Zelt (vgl. RB Prolog 8−22). Schließlich soll er sich den Anfechtungen des Teufels mutig stellen und sie an Christus »zerschmettern« (vgl. RB Prolog 28).
Unmittelbar nach diesen geradezu kämpferischen Aufrufen führt Benedikt dann aber in immer neuen Wendungen aus, dass dieses geistliche Kämpfen nie aus eigener Kraft, sondern nur in der Kraft Gottes möglich ist. Dazu fügt er eine ganze Reihe von Zitaten an: »Diese Menschen fürchten den Herrn und werden wegen ihrer Treue im Guten nicht überheblich; sie wissen vielmehr, dass das Gute in ihnen nicht durch eigenes Können, sondern durch den Herrn geschieht. Sie lobpreisen den Herrn, der in ihnen wirkt, und sagen mit dem Propheten: ›Nicht uns, o Herr, nicht uns, sondern deinen Namen bring zu Ehren.‹ Auch der Apostel Paulus hat nichts von seiner Verkündigung als Verdienst angesehen, sagt er doch: ›Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin.‹ Und er sagt auch: ›Wer sich rühmen will, der rühme sich im Herrn.‹ Schließlich sagt der Herr im Evangelium: ›Wer diese meine Worte hört und danach handelt, ist wie ein kluger Mann, der sein Haus auf Fels gebaut hat. Als nun ein Wolkenbruch kam und die Wassermassen heranfluteten, als die Stürme tobten und an dem Haus rüttelten, da stürzte es nicht ein; denn es war auf Fels gebaut‹« (RB Prolog 29–34).
Damit sagt Benedikt: Selbst wenn der Mönch die heftigsten Stürme übersteht – und denen wird er auf jeden Fall ausgesetzt werden –, so übersteht er sie nur, weil er auf dem Felsenfundament des Glaubens steht und dadurch eine innere Festigkeit spürt, die ihn ausharren und mutig weitergehen lässt. Was an Gutem geschieht, ist nicht durch eigenes Können, sondern durch den Herrn geschehen, weil eben »der Herr in ihnen wirkt«, wie es im obigen Zitat in Anspielung auf Epheser 3,20 heißt. Der Herr erfüllt und wirkt von innen her. Die gleiche Überzeugung findet sich schon in der bereits oben erwähnten Vita des heiligen Antonius: Als immer mehr Dämonen den Einsiedler erschrecken und aus der Wüste treiben wollen, um ihn damit von seinem Mönchsweg abzubringen, ruft er ihnen eines Tages entgegen: »Ich fürchte eure Schläge nicht; wenn ihr mich auch noch ärger quält, ›nichts wird mich trennen von der Liebe zu Christus‹ (Römer 8,35). Dann stimmte er den Psalm an: ›Wenn sich auch aufstellt ein Heerlager gegen mich, nicht wird sich fürchten mein Herz‹ (Psalm 27,3). (...) Denn ein Siegel ist für uns und eine sichere Mauer der Glaube an unseren Herrn.«18 Selbst wenn ein ganzes Heer von Dämonen auf Antonius einstürmt, wird er sich nicht fürchten. Der Glaube stärkt ihn, er ist ein Siegel, das schützt. Das ist eine Anspielung auf die Taufe, die den Getauften zu Gottes Eigentum macht, und dieser Gott wird den Getauften als sein Eigentum schützen, sodass ihn nichts von der Liebe Christi trennen kann. Gott sorgt selbst für ihn.
Auch Johannes Cassian, von dessen Lehre Benedikt wesentlich geprägt ist, sagt in seinen Schriften in immer neuen Wendungen, dass Gott stets stärker ist als alle Anfechtungen des Bösen. In diesem Sinn lässt er einen Mönch der ägyptischen Wüste über den Beistand Gottes sagen: »Seine Hilfen kämpfen mit viel größerer Kraft für uns als die Menge der Feinde, die gegen uns anstürmt.«19
Wie man sich dieses Wirken oder Mitwirken Christi im Kämpfen des Mönches bildlich vorstellen kann, lässt sich an einem Kontrastbild veranschaulichen, das Johannes Cassian von einem arbeitswütigen Mönch zeichnet: Ein erfahrener Altvater sieht diesen Mönch, wie er sich vergebens müht, einen harten Felsen mit einem großen Hammer zu zertrümmern. Ein Dämon in schwarzer Gestalt steht bei ihm, »und es schien, als ob diese Gestalt die Hände des Mönches mit den ihren verbunden hätte und sie mit ihm zusammen die Schläge führte. Gleichzeitig aber schien sie ihn mit brennenden Fackeln in die Arbeit zu treiben«.20 Der Mönch selbst hatte den Dämon nicht wahrgenommen. Als er schließlich ermattet von der Arbeit ablassen will, »wurde er durch die Anstachelung jenes Geistes gezwungen, den Hammer wieder zu schwingen und nicht von der Fortsetzung der begonnenen Arbeit zu lassen«.21 Der Böse hat ihn im Griff und feuert ihn zu sinnlosem Treiben an.
Das positive Gegenbild wäre dann die vorher beschriebene Gelassenheit eines Antonius, der untrennbar von der Liebe Christi erfüllt ist und um das Siegel des Glaubens weiß, das ihn mitten im Kampf auf die Siegeskraft seines Christus vertrauen lässt. Wo der eine wie besessen und arbeitswütig außer sich ist, bleibt der andere bei sich selbst, im friedlichen Wissen um den, der letztlich der Stärkere und der Sieger sein wird.
Selbst bei dem so kriegerischen Bild von der Waffenrüstung Gottes im Epheserbrief ist es nicht der Kampfesmut des Menschen, der den Sieg erringt, sondern die Kraft Gottes: »Werdet stark durch die Kraft und Macht des Herrn! Zieht die Rüstung Gottes an, damit ihr den listigen Anschlägen des Teufels widerstehen könnt« (Epheser 6,10f). Die Rüstung, das ist die Kraft Gottes selbst. Die Waffenrüstung Gottes ist also genau das Gegenteil von dem, was eine Rüstung im Krieg bedeutet. So konnte beispielsweise die waffenstrotzende Kriegsausrüstung des Goliath nichts ausrichten gegen den leicht bekleideten David, der dem Riesen entgegenrief: »Du kommst zu mir mit Schwert, Speer und Sichelschwert, ich aber komme zu dir im Namen des Herrn der Heere« (1 Samuel 17,45). Der Name des Herrn, die Macht seiner Gegenwart ist die Rüstung und der Schutz, die der geistliche Kämpfer braucht und die ihm siegen hilft.
Dazu passt noch ein Wort des Trostes, das Antonius der Einsiedler seinen angefochtenen Mönchen zuspricht und das in einem Bild die Lebens- und Kampfkraft des gegenwärtigen Christus ausdrückt: »Fürchtet sie (die Dämonen) also nicht, atmet vielmehr immer in Christus und glaubet an ihn.«22 Wörtlich müsste es heißen: »Atmet vielmehr immer Christus.« Christus atmen, ihn unablässig einatmen, seinen Lebensgeist einatmen: Es ist Christus und sein Geist, der im Menschen wohnt, der ständig neu in ihm Wohnung nimmt und ihm gleichsam mit jedem Atemzug von innen her neue Lebenskraft schenkt und so »in ihnen wirkt«, wie es im oben erwähnten Zitat aus dem Prolog der Benediktsregel heißt.
Im Hintergrund steht hier das Wissen um das, was in der Taufe an uns geschehen ist, dass nämlich Christus in uns lebt (vgl. Galater 2,20) und unser Leib selbst ein Tempel des Heiligen Geistes ist (vgl. 1 Korinther 6,19), aus dem wir leben und durch den wir wirken können.
Alle Kommentatoren der Benediktsregel weisen darauf hin, dass der Prolog der Benediktsregel stark von den Inhalten der frühchristlichen Taufunterweisung geprägt ist, in der den Taufbewerbern das Geheimnis der Taufe erläutert wurde.23 Dort ist immer wieder davon die Rede, dass es der in uns wohnende Christus und sein Geist ist, der uns belebt und in dessen Kraft wir uns − wie im Taufversprechen gelobt − mit den Mächten des Bösen auseinandersetzen und kämpfen sollen.24
Aber so tief die Prägung durch Christus auch sein mag, der Kampf ist noch nicht entschieden. Paulus sagt an mehreren Stellen, dass wir in der Taufe neue Menschen geworden seien, dass wir...